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Full text of "Die Idee der Riemannschen Fläche"

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MATHEMATISCHE  VORLESUNGEN  AN  DER  UNIVERSITÄT  GÖTTINGEN:  V 


DIE  IDEE 
DER   (lE^ilANNSCHEJ^  FLÄCHE 


VON 


Dr.  HERMANN  WEYL 

PKIVATDOZENT  AN   DER  UNIVERSITÄT   GÖTTINGEN 


MIT  27  IN  DEN  TEXT  GEDRUCKTEN  FIGUREN 


LEIPZIG  UND  BERLIN 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  B.  G.TEUBNER 

1913 


-•^ 


Oft 


ALLE  RECHTE,  EINSCHLIESSLICH  DES  ÜBEESETZUNGSEECHTS,  VOEBEHALTEN. 


HERRN  GEHEIMEN  REGIERUNGSRAT  PROFESSOR  DR. 

FELIX  KLEIN 

IN  DANKBARKEIT  UND  VEREHRUNG  GEWIDMET 


Vorwort  und  Eiiileituug. 

Die  vorlieg-ende  Schrift  gibt  den  Hauptinhalt  einer  von  mir  im 
Wintersemester  1911/12  an  der  Universität  Göttingen  gehaltenen  Vor- 
lesung wieder,  deren  wesentliche  Absicht  war:  die  Grundideen  der  Rie- 
mannschen  Funktionentheorie  in  einer  Form  zu  entwickeln,  die  allen 
modernen  Anforderungen  an  Strenge  völlig  genüge  leistet.  Eine  solche 
strenge  Darstellung,  die  namentlich  auch  bei  Begründung  der  fundamen- 
talen, in  die  Funktionentheorie  hineinspielenden  Begriffe  und  Sätze  der 
Analysis  sitvs  sich  nicht  auf  anschauliche  Plausibilität  beruft,  sondern 
mengentheoretisch  exakte  Beweise  gibt,  liegt  bis  jetzt  nicht  vor.  Die 
wissenschaftliche  Arbeit,  die  hier  zu  erledigen  blieb,  mag  vielleicht  als 
Leistung  nicht  sonderlich  hoch  bewertet  werden.  Immerhin  glaube  ich 
behaupten  zu  können,  daß  ich  mit  Ernst  und  Gewissenhaftigkeit  nach 
den  einfachsten  und  Sachgemäßesten  Methoden  gesucht  habe,  die  zu  dem 
vorgegebenen  Ziele  führen;  und  an  manchen  Stellen  habe  ich  dabei  andere 
Wege  einschlagen  müssen  als  diejenigen,  die  in  der  Literatur  seit  dem 
Erscheinen  von  C.  Neumanns  klassischem  Buche  über  „Riemanns  Theorie 
der  Abelschen  Litegrale"  (1865)  traditionell  geworden  sind.  In  viel 
höherem  Maße,  als  aus  den  Zitaten  hervorgeht,  bin  ich  dabei  durch  die 
in  den  letzten  Jahren  erschienenen  grundlegenden  topologischen  Unter- 
suchungen Brouwers,  deren  gedankliche  Schärfe  und  Konzentration  man 
bewundem  muß,  gefördert  worden;  und  im  stillen  hoffe  ich,  daß  etwas 
von  dem  Geist,  der  die  Arbeiten  dieses  Forschers  beseelt,  auch  in  diesem 
meinem  Buche  lebendig  geworden  ist. 

Es  war  früher  üblich  und  ist,  soviel  ich  sehe,  bis  jetzt  in  allen  Dar- 
stellungen der  Theorie  der  Riemannschen  Flächen  üblich  geblieben, 
die  Vorstellung  der  Kurve,  wie  sie  in  unserer  sinnlichen  Anschauung 
gegeben  vorzuliegen  scheint,  ohne  begriffliche  Fixierung  herüberzunehmen 
und  von  denjenigen  Eigenschaften,  welche  sich  uns  an  dieser  Vorstellung 
mit  einer  Art  anschaulicher  Evidenz  aufdrängen  (z.  B.  von  dem  Satz,  daß 
eine  Kurve  zwei  Ufer  hat)  einen  naiven  Gebrauch  zu  machen.  Die  „an- 
schauliche Evidenz"  enthebt  uns  aber,  daran  kann  heute  kein  Zweifel 
mehr  sein,  keineswegs  der  Notwendigkeit,  für  eben  diese  Wahrheiten  Be- 
weise zu  erbringen,  die  letzten  Endes  auf  die  Axiome  der  Arithmetik  ge- 
stützt sind;  zum  mindesten  werden  solche  Beweise  nötig,  sobald  jene 
fließenden  Anschauungen  sich  (wie  es  das  Verfahren  der  Mathematik  als 
exakter  Wissenschaft  mit  sich  bringt)  zu  allgemeinen  abstrakten  Be- 
griffen ausgeweitet  haben  und  in  ihnen  gleichsam  erstarrt  sind.  Ist  es 
doch  sicher,  daß  der  mathematische  Allgemeinbegriff  der  „stetigen  Kurve" 
vieles  deckt,  wozu  wir  Korrespondierendes  in  unserer  Anschauung  nicht 


VI  Vorwort  und  Einleitung 


vorfinden.  Und  eine  strenge  meng-entheoretische  Fundierung  der  für  die 
Riemaunsche  Funktionentheorie  in  Frage  kommenden  topologischen  Be- 
griffe und  Theoreme  ist  um  so  mehr  erforderlich,  als  die  „Punkte",  aus 
denen  hier  die  Grundgehilde  (die  Kurven  und  Flächen)  bestehen,  keine 
Raumpunkte  im  gewöhnlichen  Sinne  sind,  sondern  beliebige  mathema- 
tische Dinge  anderer  Art  (z.  B.  Funktionseiemeute)  sein  können.  —  Den 
Schwierigkeiten,  welche  der  allgemeine  Begriff'  der  Kurve  mit  sich  bringt, 
aber  durch  Spezialisation  aus  dem  Wege  zu  gehen,  indem  man  sich  auf 
stetig  differentiierbare  oder  auf  analytische  Kurven  oder  gar  auf  Polygone 
beschränkt,  ist  ein  innerhalb  der  Analysis  situs  gewiß  unzulässiges  Ver- 
fahren; denn  diese  Disziplin  verlangt  einen  Kurvenbegriff,  der  sich  gegen- 
über beliebigen  umkehrbar  eindeutigen  stetigen  Punkttransformationen 
invariant  verhält. 

Es  kann  nicht  geleugnet  werden:  die  Entdeckung  der  sich  weit  über 
alle  unsere  Vorstellungen  hinausspannenden  Allgemeinheit  solcher  Be- 
griffe wie  „Funktion",  „Kurve",  usw.  auf  der  einen  Seite,  das  Bedürfnis 
nach  logischer  Strenge  auf  der  anderen,  so  ersprießlich,  ja  notwendig 
sie  für  unsere  Wissenschaft  waren,  haben  in  der  Entwicklung  der  Mathe- 
matik von  heute  doch  auch  ungesunde  Erscheinungen  hervorgerufen. 
Ein  Teil  derjenigen  mathematischen  Produktion,  die  sich  müht,  diesen 
Begriff'en  bis  in  ihre  letzten  Feinheiten  und  —  Verzerrungen  nachzu- 
gehen oder  sie  in  ihren  weitesten  Umrissen  zu  erfassen  trachtet,  hat, 
sich  im  Leeren  verflüchtigend  oder  in  Seitengängen  versickernd,  den  Zu- 
sammenhang mit  dem  lebendigen  Strom  der  Wissenschaft  verloren.  Auch 
die  Idee  der  Riemannschen  Fläche  erheischt,  wenn  wir  den  rigorosen 
Forderungen  der  Moderne  in  bezug  auf  Exaktheit  gerecht  werden  wollen, 
zu  ihrer  Darstellung  eine  Fülle  von  abstrakten  und  subtilen  Begriffen 
und  Überlegungen.  Aber  es  gilt  nur  den  Blick  ein  wenig  zu  schärfen, 
um  zu  erkennen,  daß  hier  dieses  ganze  vielmaschige  logische  Gespiimst 
(in  dem  sich  der  Anfänger  vielleicht  verheddern  wird)  nicht  das  ist,  wor- 
auf es  im  Grunde  ankommt:  es  ist  nur  das  Nets,  mit  dem  wir  die  eigent- 
liche Idee,  die  ihrem  Wesen  nach  einfach  und  groß  und  göttlich  ist,  aus 
dem  Td;rog  üroTtos,  wie  Plato  sagt,  —  gleich  einer  Perle  aus  dem  Meere 
—  an  die  Oberfläche  unserer  Verstandeswelt  heraufholen.  Den  Kern  aber, 
den  dieses  Knüpfwerk  von  feinen  und  peinlichen  Begriffen  umhüllt,  zu 
erfassen,  —  das,  was  das  Leben,  den  wahren  Gehalt,  den  inneren  Wert  der 
Theorie  ausmacht  —  dazu  kann  ein  Buch  (und  kann  selbst  ein  Lehrer)  nur 
dürftige  Fingerzeige  geben;  hier  muß  jeder  einzelne  von  neuem  für  sich 
um  das  Verständnis  ringen. 

Man  begegnet  noch  hie  und  da  der  Auffassung,  als  ob  die  Biemann- 
sche  Fläclie  nichts  weiter  sei  als  ein  „Bild",  als  ein  (man  gibt  zu:  sehr 
wertvolles,  seJir  suggestives)  Mittel  zur  Vergegenwärtigung  und  Veran- 
schaulichung der  Vieldeutigkeit  von  Funktionen.  Diese  Auffassung  ist 
von  Grund  aus  verkehrt.  Die  Riemaunsche  Fläche  ist  ein  unentbehrlicher 
sachlicher  Bestandteil  der  Theorie,  sie  ist  geradezu  deren  Fundament.  Sie 
ist  auch  nicht  etwas,  was  a  posteriori  mehr  oder  minder  künstlich  aus 
den  analytischen  Funktionen  herausdestilliert  wird,  sondern  muß  durch- 


Vorwort  und  Einleitung  VE 


aus  als  das  prius  betrachtet  werden,  als  der  Mutterboden,  auf  dem  die 
Funktionen  allererst  wachsen  und  g-edeihen  können.  Es  ist  freilich  zu- 
zugeben, daß  Riemann  selbst  dies  wahre  Verhältnis  der  Funktionen  zur 
Riemannschen  Fläche  durch  die  Form  seiner  Darstellung  etwas  verschleiert 
hat  —  vielleicht  nur,  weil  er  seinen  Zeitgenossen  allzu  fremdartige  Vor- 
stellungen nicht  zumuten  wollte;  dies  Verhältnis  auch  dadurch  verschleiert 
hat,  daß  er  nur  von  jenen  mehrblättrigen,  mit  einzelnen  Windungspunkten 
über  der  Ebene  sich  ausbreitenden  Uberlagerungsflächen  spricht,  an  welche 
man  noch  heute  in  erster  Linie  denkt,  wenn  von  Riemannschen  Flächen 
die  Rede  ist,  und  sich  nicht  der  (erst  später  von  Klein  zu  durchsichtiger 
Klarheit  entwickelten)  allgemeineren  Vorstellung  bediente,  als  deren  Cha- 
rakteristikum man  dieses  nennen  kann:  daß  in  ihr  die  Beziehung  zu  der 
Ebene  einer  unabhängigen  komplexen  Veränderlichen,  sowie  überhaupt  die 
Beziehung  zum  dreidimensionalen  Punktraum  grundsätzlich  gelöst  ist.  Und 
doch  ist  darüber  kein  Zweifel  möglich,  daß  erst  in  der  Kleinschen  Auf- 
fassung die  Grundgedanken  Riemanns  in  ihrer  natürlichen  Einfachheit, 
ihrer  lebendigen  und  durchschlagenden  Kraft  voll  zur  Geltung  kommen. 
Auf  dieser  Überzeugung  basiert  die  vorliegende  Schrift. 

Im  einzelnen  gliedert  sich  ihr  Inhalt  in  folgender  Weise.  Im  1.  Kapitel 
handelt  es  sich  um  dreierlei: 

1.  eine  genaue  Auseinandersetzung  des  Verhältnisses  der  Weierstraß- 
schen  Begriffe  „analytische  Fimltion"  und  „analytisches  Gebilde^'  zu  der 
Idee  der  Riemannschen  Fläche  (§§  1 — 7); 

2.  eine  strenge  Fixierung  des  Begriffes  der  Fläche  überhaupt  und 
insbesondere  der  RiemannscJien  Fläche  (§§  4 — 7); 

3.  eine  exakte  Begründung  derjenigen  Analysis-situs-Sätze,  die  zum 
Aufbau  der  Riemannschen  Funktionentheorie  unbedingt  von  Nöten  sind 
(§§8 — 11).  In  diesen  topologischen  Betrachtungen  spielt  der  für  die 
Üniformisierungstheorie  so  wichtige  Begriff  der  Überlageriingsfläche  eine 
weit  größere  Rolle  (und,  wie  ich  glaube,  mit  Recht),  als  ihm  sonst  zu- 
gewiesen wird. 

Den  Gegenstand  von  Kapitel  II  bildet  vor  allem  das  Grundproblem 
der  Riemannschen  Funktionentheorie:  zu  einer  vorgegebenen  Riemann- 
schen Fläche  die  zugehörigen  Funktionen  zu  finden,  insbesondere  für  den 
Fall  der  geschlossenen  Riemannschen  Fläche.  Die  Existenzbeweise  werden 
hier  auf  dem  von  Riemann  selbst  in  Aussicht  genommenen  Wege  mit 
Hilfe  des  sog.  Dirichletschen  Prinzips  erbracht  (§§  12 — 15).  Die  Gang- 
barkeit dieses  W^eges  hat  bekanntlich  Hilbert  gezeigt,  indem  er  das 
früher  für  evident  gehaltene,  aber  dann  von  W^eierstraß  angefochtene  Dirich- 
letsche  Minimalprinzip  durch  einen  zuverlässigen  Beweis  stützte.  Durch 
Berücksichtigung  der  an  Hilbert  anknüpfenden  Arbeiten  anderer  Autoren 
und  einen  bisher  unveröffentlichten,  vom  Verfasser  herrührenden,  gegen- 
über Riemann  und  Hilbert  wesentlich  vereinfachten  Ansatz  ist  es  ge- 
lungen, dieser  Beweisführung  eine  so  durchsichtige  Gestalt  zu  verleihen, 
daß  sie  auch  hinsichtlicli  ihrer  Einfachheit  der  bisher  allein  in  Lehr- 
büchern zur  Darstellung  gekommenen,  von  Schwarz  und  C.  Neumann 
ersonnenen  Methode  des  alternierenden  Verfahrens  ebenbürtig,  wenn  nicht 


VHr  Vorwort  und  Einleitung 


überleg-en  ist.  Ihre  große  Tragweite  bewährt  sie  dadurch,  daß  sie 
ohne  Modifikation  auf  ungeschlossene  Riemannsche  Flächen  übertragen 
werden  kann;  ein  Umstand,  welcher  vor  allem  der  Uniformisierungs- 
theorie  zu  gute  kommt.  Die  §§  16 — 18  bringen  dann  einen  Abriß  der 
an  die  Existenztheoreme  sich  anschließenden  systematischen  Theorie 
der  Funktionen  auf  einer  geschlossenen  Biemannschen  Fläche,  geben  aber 
nur  so  viel  von  dieser  Theorie,  als  nötig  ist,  um  die  funktionentheore- 
tische Fruchtbarkeit  der  Riemannschen  Grundidee  deutlich  zu  machen 
und  die  beherrschende  Rolle  aufzuzeigen,  welche  die  der  Analysis  situs 
entstammende  Geschlechtszahl  im  Reiche  der  Funktionen  spielt.  Ich  habe 
dabei,  entgegen  dem  Brauch,  an  der  aus  dem  Beweis  der  Existenzsätze 
ursprünglich  sich  ergebenden  Normierung  der  Abelschen  Integrale  fest- 
gehalten, bei  der  Real-  und  Imaginärteil  voneinander  getrennt  werden 
müssen,  da  diese  Normierung  den  Vorteil  hat,  von  jeder  Zerschneidung 
der  Riemannschen  Fläche  unabhängig  zu  sein.  Die  letzten  Abschnitte  end- 
lich (§§  19 — 21)  sind  der  von  Klein  und  Poincare  in  kühnem  Riß  ent- 
worfenen, von  Koebe  in  jüngster  Zeit  auf  ein  breites  Fundament  gestellten 
Theorie  der  Uniform  isierung  gewidmet.  Wir  betreten  damit  den  Tempel, 
in  welchem  die  Gottheit  (wenn  ich  dieses  Bildes  mich  bedienen  darf)  aus 
der  irdischen  Haft  ihrer  Einzel  Verwirklichungen  sich  selber  zurückgegeben 
wird:  in  dem  Symbol  des  zweidimensionalen  Nicht-Euldidi sehen  Kristalls 
wird  das  Urbild  der  Riemannschen  Flächen  selbst,  (soweit  dies  möglich 
ist)  rein  und  befreit  von  allen  Verdunklungen  und  Zufälligkeiten,  erschau- 
bar. Es  war  darum  klar,  daß  die  entscheidenden  Resultate  der  Unifonni- 
sierungstheorie  mit  in  dieses  Buch  hineingehörten. 

Bei  der  Herstellung  des  Manuskripts  ist  mir  eine  für  das  hiesige 
mathematische  Lesezimmer  von  Herrn  Frankfurther  angefertigte  Ausar- 
beitung meiner  Vorlesung  von  großem  Nutzen  gewesen;  für  seine  sorg- 
faltige und  hingebende  Arbeit  möchte  ich  auch  an  dieser  Stelle  Herrn 
Frankfurther  meinen  aufrichtigsten  Dank  aussprechen.  Jene  Vorlesung 
enthielt  außer  dem  hier  Reproduzierten  noch  einen  Abriß  der  Theorie 
der  elliptischen  Funktionen,  verbreitete  sich  mit  größerer  Vollständigkeit 
über  die  algebraischen  Funktionen  und  brachte  die  Riemann-Weierstraß- 
sche  Lösung  des  Jacobischen  Umkehrproblems  mit  Hilfe  der  -O'-Reihen. 
Diese  Dinge  habe  ich  jetzt,  da  ihnen  für  die  Idee  der  Riemannschen  Fläche 
kaum  eine  grundsätzliche  Wichtigkeit  zukommt,  bei  Seite  gelassen.  Nicht 
ganz  leichten  Herzens  habe  ich  ferner  darauf  verzichtet,  von  dem  Riemann- 
schen funktionentheoretischen  Standpunkt  aus  die  Brücke  zu  der  kurven- 
theoretischen Auffassung  von  Clebsch,  Brill  und  Noether  hinüber 
zu  schlagen;  aber  es  ist,  namentlich  durch  die  Zitate,  dafür  gesorgt,  dem 
Leser  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  den  Zugang  zu  derjenigen  Lite- 
ratur zu  öffnen,  in  welcher  er  hierüber  und  über  manche  andere  Weiter- 
bildungen der  Riemannschen  Theorie  Auskunft  findet.  Die  Zitate  ent- 
halten zugleich,  freilich  unvollständig  und  in  schwachen  Umrissen,  eine 
Geschichte  der  leitenden  Ideen,  welche  diesen  wichtigsten  Teil  der  Funk- 
tionentheorie beherrschen. 

Man  wird  vielleicht  finden,  daß  ich  mit  der  Neuprägung  von  Worten 


Vorwort  und  Einleitung  IX 


allzu  verschwenderisch  umgegang-en  bin.  Gegen  den  Grundsatz  indes, 
daß  an  einer  bereits  eingebürgerten  Terminologie  nicht  gerüttelt  werden 
darf,  glaube  ich  nirgends  verstoßen  zu  haben.  Darüber  hinaus  aber  meine 
ich,  hat  jeder  Autor  das  Recht  nicht  nur,  sondern  die  Pflicht  —  wenn 
anders  sein  Buch  überhaupt  inneren  Gehalt  genug  besitzt,  um  als  Ganzes 
etwas  zu  bedeuten  —  dem  darzubietenden  Stoff  die  eigenbestimmte  For- 
mung, den  passenden  und  adäquaten  Ausdruck  zu  geben.  Mag  daraus 
vielleicht  auch  für  denjenigen,  der  sich  rasch  über  den  Inhalt  einzelner 
Abschnitte  orientieren  oder  ihn  mit  dem  Gedankengang  anderer  Werke 
vergleichen  A\ill,  einige  Unbequemlichkeit  resultieren.  Dadurch,  daß  die 
Begriffsnamen  an  der  Stelle  ihrer  Einführung  durch  fetten  Druck  hervor- 
gehoben sind,  und  durch  ein  auf  den  letzten  Seiten  des  Buches  befind- 
liches eingehendes  Sachregister  wird  jedoch,  \vie  ich  hoffe,  auch  für  Über- 
sichtlichkeit hinreichend  Sorge  getragen  sein. 

An  saclüichen  Vorl'enntnissen  brauche  ich  nicht  viel  vorauszusetzen: 
gewiß  nicht  mehr,  als  z.  B.  der  erste  Band  des  bekannten  Osgoodschen 
Lehrbuches  der  Funktionentheorie  (2.  Aufl.,  Leipzig  bei  B.  G.  Teubner, 
1912)  enthält;  ich  nehme  an,  daß  dem  Leser  die  einfachsten  Beispiele 
mehrblättriger  Riemannscher  Flächen  und  die  Symbolik  der  Gruppen- 
theorie geläufig  sind.  Wohl  aber  erfordert  die  Lektüre,  wie  ich  glaube, 
ein  nicht  unerhebliches  Maß  abstrakt-mathematischer  Schulung;  man  muß 
sich  darauf  verstehen,  über  den  scheinbar  komplizierten  BegriÖsbildungen 
und  Gedankengängen  niemals  die  innerlich  einfachen  Grundgedanken,  um 
die  das  Ganze  zentriert  ist,  aus  dem  Auge  zu  verlieren. 

Die  wichtigsten  dieser  Grundgedanken,  soweit  sie  nicht  unmittelbar 
den  Schöpfungen  Riemanns  entstammen,  rühren  von  dem  Manne  her,  dem 
ich  dies  Buch  in  aufrichtiger  und  inniger  Verehrung  habe  widmen  dürfen. 
Herr  Geheimrat  Klein  hat  es  sich,  trotz  Überlastung  mit  anderen  Ar- 
beiten und  trotz  seines  angegriffenen  Gesundheitszustandes,  nicht  nehmen 
lassen,  den  ganzen  Stoff  mit  mir  in  öfteren  mündlichen  L'nterhaltungen 
durchzusprechen;  für  seine  Bemerkungen,  die  mich  an  mehreren  Stellen 
veranlaßt  haben,  meine  ursprüngliche  Darstellung  durch  eine  richtigere 
und  sachgemäßere  zu  ersetzen,  bin  ich  ihm  zu  größtem  Danke  verpflichtet. 
Für  Verbesserungsvorsehläge  mannigfacher  Art  und  Mithilfe  bei  der  Kor- 
rektur habe  ich  ferner  meinen  Freunden,  den  Herren  Koebe,  Groß,  Bieber- 
bach  und  Weitzenböck  herzlichst  zu  danken.  Wie  ^del  von  dem,  was  ich 
im  folgenden  etwa  an  Neuem  zu  bieten  habe,  auf  frühere  Gespräche  mit 
Koebe  zurückgeht,  vermag  ich  heute  nicht  mehr  zu  bestimmen.  Von 
Herrn  Dr.  Groß  (der  mir  mit  unsäglicher  Sorgfalt  beim  Korrekturlesen 
behilflich  war)  ist  überhaupt  erst  die  Anregung  dazu  ausgegangen,  daß 
ich  meine  Vorlesung  über  Riemannsche  Funktionentheorie  vom  Winter- 
Semester  1911/12,  an  der  er  als  einer  meiner  Hörer  teilnahm,  für  den 
Druck  bearbeitete.  Mein  Dank  gilt  endlich  dem  Verlage  von  B.  G.  Teubner 
für  die  wohlbekannte  Sorgfalt,  die  er  dem  so  zustande  gekommenen  Buche 
in  Satz  und  Ausstattung  hat  zuteil  werden  lassen. 

Göttinnen,  April  1913.  -,r  i«t     i 

^     '     ^  Hermann  Weyl. 


Inhaltsverzeichnis. 

Erstes  Kapitel. 

Begriff  uud  Topologie  der  Kiemannsclien  Flächen.  seite 

§     1.     Weierstraß"  Begrifif  der  analytischen  Funktion 1 

§     2.     BegriiF  des  analytischen  Gebildes 5 

§     3.     Verhältnis  der  Begriffe  „analytische  Funktion-  und  „analytisches  Ge- 
bilde" zueinander 12 

§     4.     Begriff  der  Fläche 16 

§     5.     Beispiele  von  Flächen 25 

§     6.     Analytische  Gebilde,  als  Flächen  betrachtet 30 

§     7.     Begriff  der  Riemannschen  Fläche 34 

§     8.     Schlichtartige  Flächen 43 

§     9.     Überlagerungsflächen.     Einfach  zusammenhängende  Flächen.    Mono- 

dromiesatz  und  Cauchyscher  Integralsatz 47 

§  10.     Einseitigkeit  und  Zweiseitigkeit  von  Flächen.     Der  Residuensatz     .  56 

§  11.     Integralfunktionen.     Geschlechtszahl.     Kanonische  Zerschneidung     .  68 

Zweites  Kapitel. 
Fimktioneu  auf  Riemannschen  Flächen. 

§  12.     Das  Dirichletsche  Integral 78 

§  13.     Über  das  Poissonsche  Integral 82 

§  14.     Ansatz  zum  Beweis  der  Existenztheoreme.     Aufstellung  der  Elemen- 
tardifferentiale     91 

§  15.     Beweis  des  Dirichletschen  Prinzips 100 

§  16.     Zusammenhänge  zwischen  den  Differentialen  auf  einer  geschlossenen 

Riemannschen  Fläche      108 

§  17.     Die  eindeutigen  Funktionen  als  Unterklasse  der  additiven  und  multi- 

plikativen  Funktionen.  Riemann-Rochscher  Satz  und  Abelsches  Theorem  117 

§  18.     Der  algebraische  Funktionenkörper 134 

§  19.     Uniformisierung 141 

§  20.     Riemannsche  Flächen  und  Nicht-Euklidische  Bewegungsgruppen.  Fun- 
damentalbereiche.    Poincaresche  0 -Reihen 148 

§  21.     Konforme  Abbildung  einer  Riemannschen  Fläche  auf  sich  selbst  .    .  159 

Verzeichnis  der  Begriffsnamen 166 

Berichtigungen  und  Zusätze 170 


Erstes  Kapitel. 

Begriff  und  Topologie  der  Riemannsclien  Fläclien. 

§  1.  Weierstraß'  Begriff  der  analytischen  Funktion. 

Ist  z  eine  komplexe  Variable  und  a  eine  feste  komplexe  Zahl,  so 
bezeiclmet  man  nach  Weierstraß  als  ein  Funktloiiselenient  mit  dem 

Mittelpunkt   a   eine  jede  nach  ganzen  positiven  Potenzen  von  z  —  a 
fortschreitende  Reihe 

(1)  '^{z  -  a)  =  ^  +  A^iz  -  a)  +  A^{z  -  af  ^  •  ■  ■ , 

welche  nicht  nur  für  z  =  a  konvergiert.  Im  übrigen  können  die  Koef- 
fizienten Äq,  A^,  A2,  ...  beliebige  komplexe  Zahlen  sein.  Der  Konvergenz- 
bereich einer  solchen  Potenzreihe  besteht  entweder  aus  der  ganzen  kom- 
plexen ^- Ebene  oder  aus  dem  Innern  eines  bestimmten  Kreises  z  —  a 
<r[r>0],  des  „Konvergeuzkreises",  und  einem  Teil^)  der  auf  der 
Peripherie    z  —  a    =  r  dieses  Kreises  gelegenen  Punkte. 

Im  Innern  ihres  Konvergenzkreises  (worunter  gegebenenfalls  auch  die 
ganze  Ebene  als  Kreis  vom  Radius  >•  =  oo  verstanden  werden  soll)  stellt 
ein  solches  Funktionselement  im  Cauchyschen  Sinne  eine  reguläre  analy- 
tische Funktion  vor.  Umgekehrt  ist  aus  den  Elementen  der  Funktionen- 
theorie bekannt,  daß  sich  eine  eindeutige  regulär-analytische  Funktion  in 
der  Umgebung  \z  —  a  <  r  einer  Stelle  a  in  eine  in  dieser  Umgebung 
konvergente  Potenzreihe  (1)  entwickeln  läßt,  falls  die  Umgebung  ganz 
dem  Regularitätsgebiete  der  analytischen  Funktion  angehört.  Es  gelangt 
dann  allerdings  durch  die  Potenzreihe  nur  ein  kreisförmiges  Stück  des 
ganzen  Funktionsfeldes  zur  Darstellung. 

Geht  man  von  der  Potenzreihe  aus,  so  muß  das  Bestreben  darauf 
gerichtet  sein,  die  Definition  der  analytischen  Funktion,  welche  zunächst 
nur  innerhalb  des  Konvergenzkreises  durch  die  Potenzreihe  (1)  gegeben 
ist,  in  der  Weise  über  weitere  Gebiete  der  ^--Ebene  auszudehnen,  daß  sie 
bei  dieser  Ausdehnung  ihres  analytischen  Charakters  nicht  verlustig  geht. 
Das  ]VIittel  dazu  ist  das  Weierstraßsche  Prinzip  der  analytischen  Fort- 


1)  Das  Wort  „Teil-'  (einer  Menge)  ist  hier  so  zu  verstehen,  daß  sowohl 
•die  ganze  Menge  als  auch  die  (kein  Element  enthaltende)  „leere  Menge"  mit 
unter  diesen  Begriff  fällt. 

Weyl:  Die  Idee  der  Eiemannschen  Fläche  1 


Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 


Setzung.^)  Es  zeigt  sicli,  daß  der  Plan,  ein  möglichst  weites  Gebiet  der 
^-Ebene  für  die  zu  definierende  analytische  Funktion  zu  erobern,  nur  auf 
eine  einzige  Weise  ausführbar  ist.  Die  Eindeutigkeit  der  Funktion  geht 
aber  bei  dem  Prozeß  der  analytischen  Fortsetzung  im  allgemeinen  ver- 
loren. Darin  darf  man  nicht  etwa  einen  Mangel  erblicken,  sondern  es  ist 
ein  großer  Vorzug,  daß  auf  diese  Weise  auch  die  mehrdeutigen  analy- 
tischen Funktionen  einer  exakten  Behandlung  fähig  werden. 

Ist  h  ein  Wert  von  z,  der  dem  Innern  des  Konvergenzkreises  z  —  a\<Cr 
angehört,  so  entsteht  durch  Umordnen  der  Reihe  (1)  nach  Potenzen  von 
^  —  h,  wie  man  weiß,  eiae  neue  Potenzreihe 

(2)  £i{z  -h)==B,  +  B,{z  -b)  +  B,{z  -  6)2  +  . .., 

die  zum  mindesten  in  dem  Kreise  \z  —  h  <>■—  h  —  a\  konvergiert;  ihr 
Konvergenzkreis  kann  aber  sehr  wohl  einen  größeren  Radius  als  r  -^  6  —  a  | 
haben.  Da  auf  jeden  Fall  (1)  und  (2)  in  dem  ihren  beiden  Konvergenz- 
kreisen gemeinsamen  Gebiet  ihren  Werten  nach  übereinstimmen,  liefert 
uns  dann  (2)  eine  Ausdehnung  der  Definition  unserer  analytischen  Funk- 
tion über  den  ursprünglichen  Bereich  hinaus.  Wir  wollen  sagen,  daß 
(2)  eine  iiumittelbare  analytische  Fortsetzung  von  (1)  ist.  Der  all- 
gemeine Prozeß  der  (mittelbaren)  analytischen  Fortsetzung  besteht 
darin,  daß  der  der  unmittelbaren  analytischen  Fortsetzung  nicht  bloß  ein- 
mal, sondern  eine  beliebige  endliche  Zahl  von  Malen  hintereinander  an- 
gewendet wird  —  in  analoger  Weise  etwa,  wie  in  der  projektiven  Geo- 
metrie die  allgemeine  projektive  Abbildung  als  Hintereinanderausführung^ 
einer  beliebigen  Anzahl  unmittelbarer  projektiver,  d.  i.  perspektiver  Ab- 
bildungen erklärt  werden  kann. 

Die  analytische  Fortsetzung  kann  längs  einer  gegebenen  Kurve 
C  vorgenommen  werden.  Das  soll  folgendes  heißen.  Es  möge  eine  von 
dem  Punkte  z  =  a  auslaufende  Kurve  gegeben  sein,  d.  h.  es  sei  jedem 
reellen  Wert  l  im  Intervall  0  ^  A  ^  1  ein  Punkt  Z)  der  komplexen  ^r-Ebene 
in  stetiger  Weise  zugeordnet,  1  =  0  insbesondere  der  Punkt  Zq  =  a,  X  =  1 
ein  gewisser  Punkt  z^  =  c.  Ferner  sei  jedem  Wert  des  Parameters  X  auch, 
noch  ein  Funktionselement  ^;  mit  dem  Mittelpunkt  z-^_  zugeordnet;  ^^ 
sei  das  gegebene  Funktionselement  (1),  und  es  sei  außerdem  diese  Be- 
dingung erfüllt:  Ist  l^  irgend  ein  A-Wert,  c'  ein  beliebiger  ganz  im  Innern 
des  Konvergenzkreises  von  ^^g  liegender  Teilbogen  von  C  (definiert  durch 
eine  Ungleichung  von  der  Form  \X  —  ■^o  I  =  *5  ^  ^^^^  positive  Konstante), 


1)  Vgl.  die  in  den  Mathematischen  Werken  von  Weierstraß,  Bd.  1  (1894) 
zuerst  veröffentlichte,  im  Jahre  1842  verfaßte  Abhandlung  über  die  „Definition 
analytischer  Funktionen  einer  Veränderlichen  vermittelst  algebraischer  Differential- 
gleichungen", namentlich  S.  83 — 84;  ferner  die  ersten  Seiten  in  Riemanns  „Theorie 
der  Abelschen  Funktionen"  (1857)  [Werke,  2.  Aufl.,  S.  88—89].  Encyklopädie  II 
B  1  (Artikel  von  Osgood),  Nr.  13. 


§  1.     Weierstraß'  Begriff  der  analytischen  Funktion.  3 

so  entstehen  die  Funktiouselemente  ^;,  welche  den  dieser  Ungleichung- 
genügenden A- Werten  zugehören,  alle  durch  unmittelbare  analytische 
Fortsetzung  aus  ^/q.  Dann  sagen  wir,  es  sei  gelungen,  das  vorgegebene 
Element  (1)  längs  C  analytisch  fortzusetzen,  und  nennen  ^^  dasjenige 
Funktionselement  mit  dem  Mittelpunkt  c,  welches  durch  analytische  Fort- 
setzung längs  C  aus  (1)  entsteht.  Es  geht  alsdann  umgekehrt  durch 
analytische  Fortsetzung  längs  der  rückwärts  durchlaufenen  Kurve  C  aus 
^1  das  Element  ^^  hervor. 

Die  analytische  Fortsetzung  längs  einer  vorgegelenen  Kurve  eist,  iienn 
ubeiliaiq)t ,  nur  auf  eine  Weise  möglich.  Hätte  man  nämlich  zAvei  ver- 
schiedene analytische  Fortsetzungen 

so  sei  Xq  die  untere  Grenze  aller  derjenigen  A-Werte,  für  welche  die  zu- 
gehörigen Potenzreihen  ^x,  ^1  nicht  übereinstimmen,  ^/q,  ^Iq  mögen  beide 
in  dem  Kreise  z  —  Z),^  Kr^  konvergieren.  Man  kann  dann  durch  eine  Unglei- 
chung der  Form  X  —  Xq^s  einen  Bogen  Cq  auf  c  abgrenzen,  der  ganz  in 
dem  um  Z/,^  mit  dem  Radius  ir^  beschriebenen  Kreise  liegt.  Die  zu  den 
Punkten  dieses  Bogens  gehörigen  ^^;.,  ^I  entstehen  durch  unmittelbare 
analytische  Fortsetzung  aus  '^xq,  ^Iq?  und  da  unter  den  jener  Ungleichung 
genügenden  A- Werten  sich  solche  finden,  für  die  ^  H=  ^*  ist,  muß  auch 
^/o  +  ^^0  ^6^^-  Daher  kann  A^  nicht  =  0  sein.  Ist  dann  A^  ein  Wert 
>  0  und  >  Aq  —  f,  aber  <  A,,,  so  entstehen  Sßxoj  W>o  t^urch  umnittelbare 
analytische  Fortsetzung  aus  '^xi^'Wh-  Das  ist  ein  Widerspruch.  Damit 
ist  insbesondere  gezeigt,  daß  das  endständige  Element  ^^  durch  das  Aus- 
gangselement und  die  Fortsetzungskurve  eindeutig  bestimmt  ist. 

Wir  haben  uns  femer  zu  überlegen,  daß  man  durch  endlichmalige 
Anwendung  unmittelbarer  analytischer  Fortsetzung  —  wobei  die  auftreten- 
den Elementmittelpunkte  aufeinanderfolgende  Punkte  der  Kurve  C  sind  — 
von  dem  Anfangselement  zum  Endelement  gelangen  kann.  In  der  Tat: 
hat  eines  der  Funktionselemente  ^^  den  Konvergenzradius  r  =  c»,  so  trifft 
das  auch  für  alle  andern,  insbesondere  für  das  Ausgangselement,  zu,  imd 
das  Endelement  entsteht  bereits  durch  einmalige  Anwendung  der  unmittel- 
baren analytischen  Fortsetzung  aus  ihm.  Andernfalls  gehört  zu  jedem  A 
ein  endlicher  Konvergenzradius  r^  von  ^;.  Ist  A^  irgendein  Wert  des 
Parameters  A,  so  behaupte  ich,  wird 

sein,  solange  sich  A  hinreichend  wenig  von  A^  unterscheidet,  und  daraus 
folgt,  daß  r^  stetig  von  A(O^A^l)  abhängt.  Ist  nämlich  X^  ('> X^) 
ein  solcher  A- Wert,  daß  der  ganze  Kurvenbogen  ^;  (^^i  ^ ''-  ^  '^■2}  i™  Innern 
des  um  Z;.^  mit  dem  Radius  l  r;.^  beschriebenen  Kreises  liegt,  so  entsteht 
^;.2  aus  ^;.i  durch  unmittelbare  analytische  Fortsetzung,  und  es  ist  also 

^2  ^  ^h  —  I  ^/2  —  ^h\- 

1* 


Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 


Da  der  ganze  Bogen  z^  (^i  ^  ^  ^  ^2)  ^^^^  auch  in  dem  Konvergenzkreis 
von  ^;.2  enthalten  ist,  gilt  auch  umgekehrt 

r;.i  ^  r;.2  -  I  z-,^  -  Zx^  I . 

Aus  der  somit  erwiesenen  Stetigkeit  folgt,  daß  r-^  ein  positives  Minimum 
r°  besitzt.  Wählen  Avir  nun  die  Werte  0  =  Aq  <  2^  <  Ag  < . . .  <  A^  =  1 
so,  daß    Z)^  —  Zi,^  I  <  r^  bleibt  für  A^  ^  A  ^  A^^^  [^  =  0,  1, . . .  w  —  1],  so 

entsteht  in  der  Keihe  ^;.q,  ^;.^, ^;.„  jedes  Fun ktions dement  aus  dem 

vorhergehenden  durch  unmittelbare  analytische  Fortsetzung. 

Ißt  die  Fortsetzung  des  Anfangselementes  längs  C  unmöglich,  so  gibt 
es  auf  der  Kurve  einen  bestimmten  Punkt,  den  „kritischen  Punkt", 
an  dem  das  Verfahren  notwendig  seine  Grenze  findet.  Genauer  formuliert: 


so 


läßt  sich  der  Prozeß  der  analytischen  Fortsetzung  längs  der  Teilkurve 
z==z^  (0  ^  A  ^  Ap)  ausführen,  dies  hört  aber  von  Aj,  =  A^  ab  auf.  Dabei 
kann  natürlich  auch  Aq  =  1,  d.  h.  erst  der  Endpunkt  von  C  der  kritische 
Punkt  sein;  dagegen  ist  stets  A^  >  0. 

Noch  ein  Satz  über  analytische  Fortsetzung  ist  von  Wichtigkeit. 
Hat  man  zwei  Kurven 

z  =  z^  (A),     z  =  z^_  (A), 

die  von  demselben  Punkt  a  {  =  .^^(0)  =  ^2(0)  1  ^^  demselben  Endpunkt 
c  führen  und  dabei  immer  in  hinreichender  Nähe  voneinander  bleiben,  so 
läßt  sich  die  analytische  Fortsetzung,  falls  sie  sich  längs  der  ersten  Kurve 
vollziehen  läßt,  auch  längs  der  zweiten  ausführen  und  liefert  das  gleiche 
Endelement.  Die  Bedingung,  daß  die  Kurven  in  hinreichender  Nähe  von- 
einander bleiben  sollen,  besagt:  es  gibt  eine  positive  Zahl  (5  derart,  daß, 
weim  für  alle  A  die  Ungleichung  ^^(A)  —  ^'oiA)  ]  <  d  erfüllt  ist,  die  Be- 
hauptung unseres  Satzes  zutrifft.  Der  BeAveis  ergibt  sich  ohne  weiteres 
daraus,  daß  man  das  endständige  Element  durch  endlichmalige  Anwen- 
dung des  Prozesses  der  unmittelbaren  analytischen  Fortsetzung  aus  dem 
Anfangs  dement  gewinnen  kann. 

Nunmehr  sind  wir  imstande,  die  allgemeine  Weierstraßsche  Defi- 
nition der  analytischen  Funktion  so  auszusprechen:  Eine  analytische 
Funktion  ist  die  GesamÜieit  G  aller  derjenigen  Fiuiktionselemeyite,  die 
aus  einem  gegebenen  Funktionselement  durch  analytische  Fortsetzung  ent- 
stehen können. 

Jedes  Funktion s dement  von  G  läßt  sich  aus  jedem  solchen  durch 
analytische  Fortsetzung  gewinnen. 

Zwei  analytische  Funktionen  G^,  Gg.  von  denen  sich  nachweisen 
läßt,  daß  sie  ein  einziges  Funktionselement  gemein  haben,  sind  überhaupt 
identisch,  d.  h.  jedes  Element  von  G,  ist  auch  in  G,  enthalten  und  um- 
gekehrt. 


§  2.     Begriff  des  analytischen  Gebildes. 


Ist 

^{2-a)  =  A,-\-Ä,  (z  -  a)  +  ^2  (^  -  «)'  +  . . . 
ein  zu  G  gehöriges  Fimktionselement,  so  heißt  die  Zahl  A^  ein  Wert 
der  analytischen  Funktion  G  im  Punkte  z  =  a. 

Gewiß  hat  diese  Weierstraßsche  Auffassung  der  mehrdeutigen  ana- 
lytischen Funktion  als  einer  Gesamtheit  von  Funldionselementen  auf  den 
ersten  Blick  etwas  Künstliches.  Wenn  man  von  y^  oder  lg  z  spricht, 
stellt  man  sich  dabei  kaum  die  Gesamtheit  derjenigen  Potenzreihen  vor, 
welche  Stücke  dieser  mehrdeutigen  Funktionen  darzustellen  vermögen. 
Trotzdem  aber  bewährt  sich  die  Weierstraßsche  Definition,  der  man  Ein- 
fachheit und  Präzision  nicht  absprechen  kann,  als  fester  Ausgangspunkt 
für  die  analytische  Funktionentheorie.  Durch  allmähliche  Verarbeitung 
der  Weierstraßschen  werden  wir  in  der  Folge  zu  der  Riemannschen  Auf- 
fassung gelangen,  in  der  die  unabhängige  Variable  z  ebenso  wie  die  bis- 
her durch  eine  Gesamtheit  G  von  Funktionselementen  repräsentierte  ab- 
hängige Variable  u  als  eindeutige  analytische  Funktionen  eines  Parameters 
erscheinen,  eines  Parameters  freilich,  der  im  allgemeinen  nicht  in  einer 
komplexen  Ebene,  sondern  auf  einer  gewissen  zweidimensionalen  Mannig- 
faltigkeit, der  sogenannten  Riemannschen  Fläche,  variiert. 

Zunächst  aber  haben  Avir  den  Begriff  der  analytischen  Funktion  mit 
Weierstraß  zu  dem  des  analytischen  Gebildes  zu  erweitern. 

§  2.  Begriff  des  analytischen  Gebildes. 

Aus  einer  analytischen  Funktion  entsteht  das  analytische  Gebilde 
dadurch,  daß  man  die  Funktion  nicht  wie  bisher  bloß  an  denjenigen 
Stellen  betrachtet,  wo  sich  dieselbe  regulär  verhält,  sondern  die  Stellen 
hinzunimmt,  in  denen  sie  einen  Verzweigungspunkt  endlich  hoher  Ord- 
nung oder  einen  Pol  (oder  beides  zugleich)  besitzt.  Die  strenge  Formulierung 
des  Begriffes  des  analytischen  Gebildes  erhalten  wir,  wenn  wir  den  bis- 
herigen Begriff  des  Funktionselementes  in  gehöriger  Weise  erweitern^). 

Das  Funktionselement  (l)  :  u  =  '^{z  ~a)  können  wir  mit  Hilfe  eines 
komplexen  Parameters  t  so  darstellen: 

z  =  a  +  t,    M  =  ^  (^)  =  ^0  +  ^,  ^  -f  ^2  ^2  _^  . . . 

Indem  wir  hierin  die  bevorzugte  Rolle,   welche  z  spielt,  aufgeben  und 
außerdem  auch  endlich  viele  negative  Potenzen  von  t  zulassen,  kommen 
wir  zu  der  allgemeineren  Erklärung: 
Es  seien 

z^P{t),u^Q{t) 
irgend  zwei  Reihen,  die  nach  ganzzahligen  Potenzen  von  t  fortschreiten 

1)  Siehe  Weierstraß,  Vorlesungen  über  die  Theorie  der  Abelschen  Transzen- 
denten (bearbeitet  von  G.  Hettner  und  I.  Knoblauch),  Werke,  Bd.  4,  S.  16—19. 


Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 


und  nur  endlicliviele  negative  Potenzen  von  t  enthalten,  von  der  Art, 
daß  in  einer  gewissen  Umgebung  \t\  <^r  (r  eine  positive  Konstante) 
des  Nullpunktes  der  i^-Ebene  1)  beide  Reihen  konvergieren  und  2)  nie- 
mals für  zwei  verschiedene  ^-Werte  dieser  Umgebung  sich  das  gleiche 
Wertepaar  (z,  u)  ergibt:  so  sagen  wir,  dieses  Paar  von  Potenzreihen 
definiere  ein  Funktioiiselement. 

Unsere  Meinung  geht  nicht  dahin,  daß  wir  unter  „Funktionselement" 
direkt  das  Potenzreihenpaar  P{t),  Q{t)  verstehen;  vielmehr  fassen  wir 
diese  beiden  Reihen  nur  als  eine  Barstellung  des  gemeinten  Funktions- 
elementes auf,  das  neben  dieser  noch  unendlich  viele  gleichberechtigte 
Darstellungen  gestattet.  Hinsichtlich  des  Übergangs  von  einer  solchen 
Darstellung  zu  einer  andern  treffen  wir  folgende  naheliegenden  Verab- 
redungen, 

Ersetzt  man  sowohl  in  P{t)  als  in  Q{t)  den  Parameter  t  durch  eine 
Potenzreihe 

t(x)  =  c^x  -f  c^x'^  -\-  '•■  , 

so  gehe  F{t)  in  die  Potenzreihe  n(r),  Q{t)  in  K(t)  über.  Wir  setzen 
voraus,  daß  ^(t)  in  einer  gewissen  Umgebung  von  r  =  0  konvergent  und 
der  erste  Koeffizient  c^=\=  0  ist;  dann  können  wir  um  7  =  0  mit  Hilfe 
einer  gewissen  positiven  Konstanten  q  eine  solche  Umgebung  r  <  p  ab- 
grenzen, daß  ^(t)  in  ihr  1)  konvergiert  und  dem  absoluten  Betrage  nach 
<  r  bleibt  und  2)  an  zwei  verschiedenen  Stellen  r  stets  zAvei  verschiedene 
Werte  annimmt.  In  dieser  Umgebung  \x\<iQ  konvergieren  dann  auch 
TT  und  K  und  an  zwei  verschiedenen  Stellen  Tj,  Tj  dieser  Umgebung  ist 
niemals  gleichzeitig  T\{x^)  =  TT(t2),  K(ti)  =  K(t2).  Das  Paar  TT,  K  nennen 
wir  dem  ursprünglichen  P,  Q  äquivalent,  und  zwar  wie  auch  die  Ko- 
effizienten Cp  Cg,  ...  der  substituierten  Reihe  ^(r)  beschaffen  sein  mögen, 
wenn  nur  Konvergenz  statthat  und  c^  4=  0  ist.  Diese  letztere  Voraus- 
setzung hat  zur  Folge,  daß  umgekehrt  P{t),  Q{t)  dadurch  aus  TT(r),  K(r) 
erhalten  werden  können,  daß  man  für  x  eine  gewisse  Potenzreihe  in  t 
einsetzt: 

x  =  y,t  +  y,f-\-.-.      (y,=  i=HO). 

Das  Verhältnis  der  Äquivalenz  ist  also  ein  wechselseitiges.  Außerdem  ist 
offenbar  jedes  Potenzreihenpaar  sich  selbst  äquivalent,  und  wenn  zwei 
Potenzreihenpaare  einem  dritten  äquivalent  sind,  sind  sie  auch  unter- 
einander äquivalent.  Diese  Tatsachen  berechtigen  dazu,  äquivalente  Po- 
tenzreihenpaare als  Darstellungen  desselben,  nicht -äquivalente  als  Dar- 
stellungen verschiedener  Funktionselemente  aufzufassen.  Oder  anders 
ausgedrückt:  Zwei  Paare  von  Fotenzr eilten,  welche  je  ein  FunMionselement 
definieren,  definieren  dann  und  nur  dann  dasselbe  FunMionselement,  tvenn 
sie  äquivalent  sind. 


§  2.     Begriff  des  analytischen  Gebildes. 


Wir  stützen  uns  hier  auf  eine  Erklärungsweise,  deren  man  sich  auch 
sonst  vielfach  in  der  Mathematik  bedienen  muß  und  die  ihre  psychologischen 
Wurzeln  in  der  Fähigkeit  unseres  Geistes  zur  Abstraktion  hat.  Diese  Art 
Ton  Definitionen  beruht  auf  dem  folgenden  allgemeinen  Prinzip:  Ist  zwischen 
Dingen  irgend  eines  Operationsbereiches  eine  Beziehung  ~  erklärt  vom 
Charalder  der  Äquivalenz  [d.  h.  eine  Beziehung,  die  den  Regeln  genügt: 

1.  a  ~  a;     2.   aus  a  ~  &  folgt  &  ~  a; 

3.   aus  a  ~  c,  6  '^  c  folgt  a  ~  &] , 

jso  ist  es  möglich,  jedes  der  Objekte  a  jenes  ursprünglichen  Operations- 
bereiches als  Bepräsentant  eines  Dinges  cc  derart  aufzufassen,  daß  zwei 
Objekte  a,  h  dann  und  nur  dann  als  Repräsentanten  desselben  Dinges,« 
erscheinen,  falls  sie  im  Sinne  der  Beziehung  ~  einander  äquivalent  sind. 
Dieses  Prinzip  wird  namentlich  dann  immer  anzuwenden  sein,  wenn  uns 
an  den  Objekten  a,h,  ..  nur  diejenigen  Eigenschaften  interessieren,  welche 
gegenüber  der  Beziehung  -^  invariant  sind.  Seine  Anwendung  hat  den 
Erfolg,  daß  eine  schwerfällige  Ausdrucksweise  durch  eine  kürzere  ersetzt 
wird,  die  dem  herrschenden  Interessestandpunkt  der  Untersuchung  da- 
durch Rechnung  trägt,  daß  sie  von  selbst  alles  im  Sinne  dieses  Standpunktes 
ümvesentliche  an  den  untersuchten  Objekten  abstreift.  Ich  erwähne  hier 
zwei  Beispiele  einer  derartigen  „Definition  durch  Abstraktion^^. 

1.  Von  zwei  parallelen  Geraden  sagt  man,  sie  haben  dieselbe  RicJitung, 
Ton  zwei  nicht-parallelen,  sie  haben  verschiedene  Richtung.  Die  ursprüng- 
lichen Objekte  (a)  sind  die  Geraden,  die  Beziehung  vom  Charakter  der 
Äquivalenz  ist  die  Parallelität;  verlangt  wird,  jeder  Geraden  ein  Etwas, 
seine  „Richtung",  so  zuzuordnen,  daß  der  Parallelität  der  Geraden  die 
Identität  der  zugeordneten  „Richtungen"  entspricht. 

2.  Eine  „Bewegung"  (eines  Punktes)  ist  gegeben,  wenn  die  Lage  des 
beweglichen  Punktes  jt)  in  jedem  Moment  A  eines  gewissen  Zeitintervalls 
^0  =  ^  ^  -^1  gegeben  ist:  p  =  p{X).  Hat  man  zwei  solche  Bewegungen 
p  ==  p{V),  q  =  q{fi),  so  sagt  man  dann  und  nur  dann,  diese  Bewegungen 
durchlaufen  denselben  „Weg",  falls  A,  der  Zeitparameter  der  ersten  Be- 
wegung, sich  derart  als  stetige  monoton  wachsende  Funktion  des  Zeit- 
parameters ^  der  zweiten  Bewegung  ansetzen  läßt:  X  =  X{^),  daß  dadurch 
die  erste  Bewegung  in  die  zweite  übergeht:  p(X{^))  =  q{^).  Hier  ist  es 
der  Begriff  des  „Weges",  der  auf  diese  Weise  definiert  werden  solP). 

Von  dieser  Abschweifung  kehren  wir  zu  unserm  erweiterten  Begriff 
des  Funktionselementes  zurück.    Uiiter  allen  äquivalenten  Darstellungen 


1)  Dieser  Begriff  meint  etwas  Anderes  als  die  Punktmenge,  welche  aus  allen 
während  der  Bewegung  passierten  Punkten  besteht.  Es  handelt  sich  hier  um  den 
gleichen  unterschied  wie  zwischen  dem  von  einem  Fußgänger  zurückgelegten  Wege 
(der,  solange  der  Fußgänger  marschiert,  in  statu  nascendi  ist)  und  dem  (seit 
langem  existierenden)  Wege,  awf  dem  er  marschiert. 


Begriff  und  Topologie  der  Riemann  sehen  Fläclien. 


eines  und  desselben  Funktionselementes  werden  wir  versuchen,  eine  be- 
stimmte, möglichst  einfache  als  „NormaldarsteUung''  herauszuheben.  Dabei 
unterscheiden  wir  mehrere  Fälle.  Enthält  P(t)  keine  negativen  Potenzen 
von  t: 

z  =  P(t)  =  a  +  a,t  +  aj^+--- 

und  ist  «1  4=  0>  so  können  wir  2  —  a  =  r  als  neuen  darstellenden  Para- 
meter einführen  und  bekommen 

(3)  3  =  a-\-r,     u=K{r) 

als  neue  Darstellung  desselben  Funktionselements.  Enthält  auch  Q({) 
keine  negativen  Potenzen,  so  gilt  das  Gleiche  von  K,  und  wir  haben  ein 
solches  Funktionselement  vor  ims,  wie  wir  sie  in  §  1  betrachteten  und 
die  wir  jetzt  zum  Unterschied  als  reguläre  Fuulitioiiselemente  be- 
zeichnen wollen.  (3)  ist  die  gesuchte  Normaldarstellung.  Ein  reguläres 
Funktions dement  gestattet  nur  eine  einzige  Xormaldar Stellung,  und  es 
sind  daher  zwei  reguläre  Funktionselemente  sicher  dann  verschieden^ 
wenn  ihre  Normaldarstellungen  verschieden  sind.  Erst  auf  Grund  dieser 
Umstände  sind  wir  eigentlich  berechtigt,  unsern  jetzigen  Begriff  des 
Funktionselementes  als  eine  Erweiterung  des  in  §  1  zu  Grunde  gelegten 
zu  bezeichnen. 

Kommen  in  der  Entwicklung  von  z  keine  Potenzen  von  t  mit  ne- 
gativem Exponenten  vor,  nehmen  wir  aber  allgemeiner  an,  daß 

0  =  a  +  a^,^"  -f  a^+i^"  +  ^  +  •  •  •     {%^  0) , 

also  a,((i'*^l'  ^^^  erste  von  0  verschiedene  Koeffizient  außer  dem  kon- 
stanten Gliede  ist,  so  kann  man  für  t  eine  solche  Potenzreihe  in  r 

t  =  c^T ^ c^y-\----   (ci  +  o) 

setzen,  daß 

2  =  a  -\-  t" 

wird,  und  wir  bekommen  eine  Darstellung  von  der  Form 
(3*)  2^a-^T",     M  =  K(r). 

In  der  Tat:  wenn  Ya  eine  bestimmte  der  [i  Wurzeln  ist,  so  gibt  es  be- 
kanntlich eine  einzige  Potenzreihe  J'i  +  72  ^  +  7^3 '^^  H ^i^  ^^°^  Anfangs- 
glied y^  =  ya,  deren  ^*^  Potenz  =  ci^-ra^^_^^t-\ ist.  Durch  Auflösung 

von 

nach  t  erhält  man  das  gew^ünschte  Resultat.  Je  nachdem  aber,  welche  der 
/i  Wurzeln  "j/a  man  nimmt,  erhält  man  ji  verschiedene  Darstellungen  (3*): 
sie  entstehen  alle  aus  einer  von  ihnen,  indem  man  t  durch  t  ■  t,  ersetzt^ 
wo  ^  eine  beliebige  fi^^  Einheitswurzel  bedeutet.   Ein  durch 

(4)  0  =  a'  -\-  x^',     M  =  K'(t)     [/i'  ganz  und  positiv] 


§  2.     Begriff  des  analytischen  Gebildes. 


gegebenes  Funktionselement  kann  nur  dann  mit  dem  durch  (3*)  darge- 
stellten identiseli  sein,  wenn  a'  =  a-^  a'  =  [i  ist  und  überhaupt  (4)  mit 
einer  der  durch  die  Substitutionen  r  r  t,  aus  (3*)  entstehenden  u  Nor- 
maldarstellungen Koeffizient  für  Koeffizient  übereinstimmt.  Insbesondere 
ist  demnach  die  ganze  Zahl  a  charakteristisch  für  das  betreffende  Funktions- 
element und  unabhängig  von  seiner  besonderen  Darstellung;  wir  sagen, 
das  Element  sei  TOn  der  (.u  —  1)*^°  Ordnung  yerzweigt;  im  Falle  ,u  =  1, 
den  wir  oben  betrachteten,  heißt  es  unTerzweigt. 

Kommen  in  der  Entwicklung  von  z  negative  Potenzen  von  t  vor, 
so  sei  f~''  die  niedrigste: 

Man  kann  t  durch  eine  solche  konvergente  Potenzreihe  in  t  :  ^  =  q  t  H 

(q  =1=  Ö)  ersetzen,  daß 

(3**)  ^  =  T-"     und  dann     u  =  K(t) 

wird.  Das  ist  jetzt  die  Normaldarstellung;  sie  ist,  wenn  v>  1,  durch  das 
Element  nicht  eindeutig  bestimmt,  sondern  es  gibt  deren  genau  v  ver- 
schiedene, die  alle  aus  einer  dadurch  hervorgehen,  daß  man  r  ersetzt  durch 
T  •  t,  wo  c  eine  beliebige  v^°  Einheitswurzel.  Auch  hier  spricht  man  von 
einer  Verzweigung  der  {v  —  1)'"°  Ordnimg. 

Bei  Herleitung  der  Normaldarstellungen  (3),  (3  *),  (3**)  haben  wir  wie 
in  §  1  die  Variable  z  vor  u  ausgezeichnet.  Neben  die  regulären  Funktions- 
elemente sind  die  irregulären,  neben  die  unverzweigten  die  verzweigten 
getreten.  Indem  wir  nunmehr  die  Begriffe  der  unmittelbaren  und  mittel- 
baren analytischen  Fortsetzung  auf  beliebige  (auch  irreguläre)  Funktions- 
elemente übertragen,  gelangen  wir  ohne  weiteres  zu  der  Definition  des 
analytischen  Gebildes. 

Es  sei  e  ein  Funktionselement  und 

(5)  ^  =  P(0,    u=Q{t) 

irgendeine  Darstellung  desselben,  t  <ir  (r>0)  irgendein  Kreis,  in  welchem 
diese  Darstellung  gültig  ist  (d.  h.  in  welchem  P(t),  Q[t)  konvergieren 
und  niemals  gleichzeitig  F{t^)  =  P(t^),  Q(t^)  =  Qiß^)  für  ^i 4=^2>  I  h  <**? 
L  <r  eintritt).  Für  jeden  Wert  tQ,  für  den  t^  <,r  ist,  können  wir 
dann  die  Reihen  P(t),  Q(f)  nach  Potenzen  von  t'  =  t  —  tQ  umordnen  und 
erhalten  so  ein  neues  Potenzreihenpaar  P'{t'),  Q\t')  und  damit  ein  neues 
Funktionselement  e^^.  Von  allen  so  den  verschiedenen  im  Kreise  t^  <ir  ge- 
legenen fg  zugehörigen  Funktionselementen  e./„  sagen  wir,  sie  bilden  eine 
analytische  Umgebung  des  ursprünglichen  Elementes  e(=  Co),  und  dieser 
Name  soll  angewendet  werden,  welche  Darstellung  des  Elementes  C  durch 
einen  Parameter  t  und  welcher  Kreis  ^  <r,  in  dem  diese  Darstellung 
gültig  ist,  auch  gewählt  wurde.  Die  oben  beschriebene,  durch  die  Dar- 
stellung (5)  zusammen  mit  der  Ungleichung   t  <Cr  bestimmte  analytische 


10  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

Umgebung-  nennen   wir,  wo  eine  kurze  Benennung-  erwünscht  ist,   mit 
Rücksiclit  auf  den  darstellenden  Parameter  eine  ^-Umgebung. 

Hat  man  zwei  verschiedene  Darstellungen  desselben  Funktions- 
elements e: 

z  =  P{t),     u==Q{t);     bzw.     ^  =  n(r),     m  =  K(r) 
(die  durch  die  Substitution 

t  =  t{t)  =  c^t  -f  c,r^  +  . . .  [q  4=  0] 
ineinander  übergehen  mögen),  so  gilt  der  wichtige  Satz: 

Jede  t-  Umgebung  von  e  enthält  eine  x-  Umgebung  von  e  und  also  auch 
umgekehrt  jede  t-  Umgebung  eine  t-  Umgebung. 

Beweis:  Die  ^-Umgebung  sei  durch  \t\<ir  bestimmt.  Wir  wählen 
dann  eine  positive  Zahl  q  so,  daß  in  t  |  <  p  die  Potenzreihe  ^(t)  konver- 
giert, dem  absoluten  Betrage  nach  <  r  bleibt  und  keinen  Wert  zweimal 
annimmt.  Diese  Ungleichung  \x\  <C  Q  bestimmt  eine  r-Umgebung,  von 
der  ich  behaupte,  daß  sie  in  der  ursprünglichen  /-Umgebung  enthalten 
ist.  Durch  Umordnen  von  TT(t),  K(r)  nach  Potenzen  von  x'  =  x  —  t^ 
(I  '^o  I  <P)  entstehe  die  Darstellung  TT'(t'),  K'(t')  des  Elements  Cr«,  durch 
Umordnen  von  Pit),  Q(t)  nach  Potenzen  von  t'  =  t  —  tQ  [t^  =  t{x^,  t^  <r] 
das  Element  (P'{t'),  Q'{t'))  =  e<„;  dann  ist  er„  =  e,„.  Dadurch  nämlich, 
daß  man  t{x)  nach  Potenzen  von  x'  =  x  —  x^  umordnet,  bekommt  man 
(6)  t'(x')  =  ^(r)  -t,=^  c/t'  +  c/t'^  +  . . . , 

und  es  ist  offenbar 

F\t'{x'))  =  T[\x'),  Q'{t\x'))  =  K'(r'); 
denn  in  einer  gewissen  Umgebung  des  Punktes  t^  der  komplexen  r-Ebene 
sind  z.  B.  TT'(r  —  t,,),  P'(t{x)  —  to)  reguläre  Funktionen,  die  dem  Werte 
nach  mit  TT(t)  übereinstimmen.  In  der  Substitution  (6),  die  das  Paar 
P'it'),  Q'{t')  in  '^'{'^'),  K'(t')  überführt,  ist  aber  der  erste  Koeffizient 
c^  =    -^'     _    =4=  0,  da  sonst  die  Funktion  t{x)  in  der  Nähe  von  x  =  Xq 

einen  und  denselben  Wert  t  immer  an  mindestens  zwei  Stellen  annehmen 
würde.  Damit  ist  die  Identität  von  er„,  tt^  bewiesen. 

Der  hier  eingeführte  Begriff  der  analytischen  Umgebung  entspricht 
in  einer  für  die  weiteren  Formulierungen  zweckmäßigeren  Form  dem  in 
§  1  an  seiner  Stelle  benutzten  Begriff  der  unmittelbaren  analytischen  Fort- 
setzung. In  diesem  Begriff  der  analytischen  Umgebung  tritt  es  auch  zu- 
tage, daß  die  irregulären  Elemente  gegenüber  den  regulären  nur  als  Aus- 
nahmestellen zu  betrachten  sind;  denn  die  analytische  Umgebung  eines  jeden 
Elements,  wenn  sie  nur  hinreichend  klein  genommen  wird,  besteht  (ab- 
gesehen vielleicht  von  diesem  Element  selbst)  stets  ausschließlich  aus  regu- 
lären Funktions dementen.  Um  dies  einzusehen,  braucht  man  nur  den  die 
gesuchte  Umgebung  von  e  =  (-P(^),  QXt))  bestimmenden  Kreis  |  /|  <  r  so 


§  2.     Begriff  des  analytischen  Gebildes.  11 

klein   zu   wählen,   daß    in   ihm    (außer   vielleicht   für   ^  =  0)  durchweg- 
dP    .   ^  .  , 

Eine  analytisch  zusammenhängende  Reihe  von  Funktionsele- 
menten ist  geg-eben,  wenn  jedem  reellen  Werte  A  des  Intervalls  0  ^  A  ^  1 
ein  Funktionselement  e(A)  zugeordnet  ist,  so  daß  diese  Bedingung  erfüllt 
ist:  Ist  Ao  irgend  ein  Wert  des  Parameters  A,  60=  e(Ao)  das  zugehörige 
Funktionselement,  U^  eine  beliebige  analytische  Umgebung  von  e^,  so 
gibt  es  immer  eine  positive  Zahl  s  derart,  daß  e(A)  zu  U,,  gehört,  solange 
I  A  —  Aß  I  ^  £  ist.  Die  analytisch  zusammenhängende  Reihe  verbindet  das 
Anfangs element  e(0)  mit  dem  Endelement  e(l). 

Ein  analytisches  Grehilde  ist  eine  Gesamtheit  G  von  FunUions- 
elementen  mit  folgenden  Eigenschaften: 

1.  Je  zwei  Fimhtionselemente,  die  zu  G  gehören,  hönnen  durch  eine 
analytisch  zusammenhängende  Beihe  von  lauter  zu  G  gehörigen  Funldions- 
elementen  mit  einander  verbunden  werden. 

2.  G  läßt  sich  durch  Hinzufügung  von  Fmiktionselementen  auf  Jceine 
Weise  so  erweitern,  daß  auch  die  erweiterte  GesamtJieit  noch  die  Eigen- 
schaft 1.  besitzt. 

Aus  2.  folgt  insbesondere,  daß  mit  einem  Fuuktionselement  e  auch 
eine  jede  analytische  Umgebung  von  e  zu  G  gehört. 

Diese  Erklärungen  können  wir  uns  durch  eine  Analogie  näher 
bringen.  Offenbar  übernimmt  ja  in  der  Funktionen theorie  das  Weierstraß- 
5che  Funktionselement  die  gleiche  Rolle,  welche  in  der  Geometrie,  etwa 
des  dreidimensionalen  Raumes,  der  Funkt  als  Raumelement  spielt.  Das 
Funktionselement  stellen  wir  also  in  Analogie  zum  Punkt,  und,  wie  vom 
dreidimensionalen  Punktraum,  sprechen  wir  dann  vom  „Raum  (d.  h.  nichts 
Anderes  als:  von  der  Gesamtheit)  der  Funktionselemente";  da  allerdings 
die  Festlegung  eines  Funktionselementes  von  unendlich  vielen  stetig  ver- 
änderlichen Bestimraungsstücken  abhängt,  müssen  wir  diesem  Raum  un- 
endlich viele  Dimensionen  zuschreiben.  Alle  Begriffe,  welche  die 
Kontinuität  des  dreidimensionalen  Raumes  betreffen,  lassen  sich  auf 
den  einen:  „Umgehung  eines  Punktes"  zurückführen  (als  Umgebung 
eines  Punktes  betrachten  wir  etwa  das  Innere  einer  jeden  um  diesen 
Punkt  als  Mittelpunkt  beschriebenen  Kugel).  Im  Raum  der  Funk- 
tionselemente soll  das,  was  wir  oben  „analytische  Umgebung"  nannten, 
das  Analogen  des  gewöhnlichen  Begriffs  „Umgebung"  im  Punktraum 
abgeben.  Dann  entspricht  die  analytisch  zusammenhängende  Reihe  von 
Funktionselementen  ganz  genau  der  stetigen  Kurve  im  Punktraum.  Der 
Raum  der  Funktionselemente  besitzt  nach  diesen  Festsetzungen  eine 
wesentlich  andere  Struktur  als  der  gewöhnliche  dreidimensionale  Raum: 
während  nämlich  der  Punktraum  ein  einziges  zusammenhängendes  Ganze 
ausmacht  (je   zwei  seiner  Punkte  lassen  sich  durch  eine  stetige  Kurve 


12  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

verbinden),  zerfällt  der  unendlich-dimensionale  Raum  der  Funktionsele- 
mente in  unendlich  viele  (zweidimensionale)  „Schicliten";  jede  solche- 
Schicht  für  sich  ist  ein  stetig  (d.  h.  hier:  analytisch)  zusammenhängendes 
Ganze,  aber  die  einzelnen  Schichten  stehen  untereinander  an  keiner  Stelle 
in  Verbindung;  diese  „Schichten"  sind  eben  die  analytischen  Gebilde. 
Im  Euklidischen  Punktraum  bezeichnet  man  als  „Gebiet"  eine  Punkt- 
menge von  der  Beschaffenheit,  daß  1,  zu  jedem  Punkt  der  Menge 
eine  Umgebung  existiert,  die  ganz  der  Menge  angehört,  und  2.  je  zwei 
Punkte  der  Menge  sich  durch  eine  stetige,  aus  lauter  Punkten  der 
Menge  bestehende  Kurve  verbinden  lassen.  Darnach  würde  im  Raum 
der  Funktionselemente  das  analytische  Gebilde  als  ein  keiner  iveiteren 
Ausdehnung  fähiges  Gehiet  zu  bezeichnen  sein.  Der  Wille,  die  analy- 
tischen Gebilde  auf  Grund  der  besprochenen  Analogie  als  ziveidimen- 
sionale  llannigfaUigJieiten  aufzufassen,  führt  uns  sogleich  mitten  in  die 
Riemann-Kleinschen  Vorstellungsweisen  hinein.  Die  gewöhnlichen,  in 
elementaren  Lehrbüchern  zur  Darstellung  kommenden  Riemannschen 
Flächen  haben  ja  in  der  Tat  gerade  diese  Bedeutung:  jedes  Funktions- 
element des  analytischen  Gebildes  so  durch  einen  einzigen  Punkt  der 
Fläche  zu  repräsentieren,  daß  analytisch  zusammenhängende  Reihen  von 
Fuuktionselementen  des  Gebildes  als  stetige  Kurven  auf  der  Riemann- 
schen Fläche  erscheinen. 

Bevor  wir  jedoch  die  hierdurch  angeregten  Gedankengänge  weiter 
verfolgen  können,  müssen  wir  uns  noch  über  das  Verhältnis  der  beiden 
Begriffe  „analytische  Funktion"  und  „analytisches  Gebilde"  orientieren. 

§  3.    Verhältnis  der  Begriffe  „analytische  Funktion"  nnd 
„analytisches  Gebilde*'  zu  einander. 

Eine  erste  Bemerkung  ist  diese:  Ist  es  gelungen,  in  der  in  §  1  ge- 
schilderten Weise  ein  reguläres  Funktionselement  regulär  längs  einer 
gegebenen  Kurve  ^  =  ^(A)  [0  ^  A  ^  1]  fortzusetzen  [wodurch  jedem 
Wert  A  ein  reguläres  Funktionselement  e(A)  zugewiesen  ist,  in  welchem 
die  Entwicklung  von  z  nach  Potenzen  des  Darstellungsparameters  t  mit 
dem  konstanten  Glied  z(l)  beginnt],  so  hat  man  dadurch  eine  im  Sinne 
von  §  2  analytisch  zusammenhängende  Reihe  von  Funktionselementen 
erhalten.  In  Wahrheit:  ist  A(,  irgend  ein  A-Wert,  U^  eine  beliebige  ana- 
lytische Umgebung  von  e(Aj))  =  t^,  so  kann  man  wegen  der  Regularität 
von  Co  die  Variable  z'  =  z  —  ^(A^)  als  Darstellungsparameter  von  e^ 
wählen,  und  es  gibt  dann  eine  etwa  durch  \z'  <  r^  definierte  ^'-Um- 
gebung von  Co,  die  ganz  in  U^  enthalten  ist.  Grenzt  man  um  z{Iq)  durch 
die  Ungleichung  A  — Ao^£(£>0)  einen  Bogen  ab,  für  den  durch- 
weg z(X)  —  zUq)  <  Vq  ist,  so  enstehen  die  den  Punkten  dieses  Bogens 
entsprechenden  e(A)  durch  Umordnen  nach  Potenzen  von  z  —  z(l)  aus 
Cq,  gehören  demnach  der  durch    z'  <  r^  bestimmten  ^j'-Umgebung  von 


§  3.     Analytische  Funktion  und  analytisches  Gebilde.  13 

«0  und  damit  auch  der  Umgebung-  Uq  an.  —  Das  Umgekehrte,  daß  eine 
analytisch  zusammenhängende  Reihe  regulärer  Funktionselemente  aus 
dem  Anfangs element  durch  den  in  §  1  beschriebenen  Prozeß  der  analy- 
tischen Fortsetzung  erhalten  wird,  bedarf  keines  Beweises. 

In  einer  analytisch  zusammenhängenden  Reihe  t{^)\^  ^  ^  ^  1  ]  ^on 
Funldionselementen  kommen  stets  nur  endlichviele  irreguläre  (insbesondere 
auch  nur  endlichviele  verzweigte)  Funktionselemente  vor.  Sonst  würden 
nämlich  diejenigen  Werte  A,  denen  irreguläre  Elemente  entsprechen, 
einen  Verdichtungswert  A,,  besitzen,  und  es  lägen  in  jeder  analytischen  Um- 
gebung von  z(Iq)  unendlichviele  irreguläre  Elemente,  was  unmöglich  ist. 

Die  Entwicklung  von  2  in  der  Darstellung  des  Fuuktionselementes 
t(X)  beginne  mit  dem  konstanten  Term  2{V)  [daß  sie  mit  negativen  Po- 
tenzen des  Darstellungsparameters  t  beginne,  schließen  wir  der  Bequem- 
lichkeit halber  aus].  Wir  wollen  den  Fall  betrachten,  daß  unter  den 
e(/L)  verzweigte  Funktionselemente  vorkommen;  e(0)  sei  regulär,  aber 
ylo(<l)  der  kleinste  A-Wert,  für  welchen  e(A)  irregulär  ist;  ^  —  1  sei 
die  Verzweigungs Ordnung  von  e(Ao).  Die  Elemente  e(A)  von  A  =  0  bis 
Xq  (exkl.)  erhält  man  dann  eindeutig  durch  analytische  Fortsetzung  längs 
der  gegebenen  Kurve  B  =  z{X).  Das  ändert  sich  aber  von  l^  ab;  über 
«(Aq)  hinaus  läßt  sich  die  analytische  Fortsetzung  längs  der  gegebenen 
Kurve  auf  genau  ii  verschiedene  Weisen  weiterführen:  der  Stamm  teilt 
«ich  in  /i  Äste,  an  deren  einem  die  gegebene  analytisch  zusammenhängende 
Reihe  entlang  läuft.  Jeder  dieser  Aste  kann  sich  im  weiteren  Verlauf 
abermals  verzweigen,  und  die  nächste  Verzweigung  des  einen  Astes  kann 
durchaus  an  einer  andern  Stelle  eintreten  wie  für  den  andern  Ast;  und 
so  fort.  Auch  kann  ein  Zweig  natürlich,  wenn  man  zu  einer  kritischen 
Stelle  gelangt,  die  nicht  bloß  einen  Pol  oder  Verzweigungspunkt  end- 
lichhoher Ordnung  bedeutet,  ganz  aufhören,  bevor  man  auf  ihm  bis  zu 
A  =  1  gelangt  ist.  Aus  dieser  Beschreibung  mag  man  erkennen,  wie 
glücklich  die  der  Riemannschen  Bezeichnung  „Verzweigungspunkt"  zu- 
grunde liegende  anschauliche  Vorstellung  das  Wesen  der  Sache  triffi. 
Zum  Beweise  unserer  Behauptungen  reicht  die  folgende  einfache  Über- 
legung aus. 

z^z{l,)  +  f,      u^Q{t) 

sei  eine  der  ^  Normaldarstellungen  von  ^{Xq),  die  für  |  T  <  r  gültig  sein 
möge.  Ein  X^  >  A^  werde  so  gewählt,  daß  z(l)  —  z{Xq)  '  <r^  bleibt  für 
Aq  ^  A  ^  Ap  Dann  gibt  es  in  der  ^-Ebene  ^  von  dem  Nullpunkt  ^  =  0 
auslaufende  Kurvenäste,  die  alle  in  dem  Kreise  \t\<Cr  bleiben  und  durch 
die  Abbildung  z  =  z{Iq)  +  f  in  einen  und  denselben  Kurvenbogen 
z  =  z(X)[Xq  ^  A  ^  Aj]  übergehen;  diese  (i  Kurvenäste  entstehen  ausein- 
ander durch  Drehung  um  den  Nullpunkt  um  — ,  ,  •  •  •.  Indem  man 
Q{t)  längs  jedes   dieser  Kurvenäste  fortsetzt   (unmittelbare  analytische 


14  Begriff  und   Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

Fortsetzung'!),  gewinnt  man  die  ^  mögliclien  Fortsetzungen  von  t(2.^ 
längs  der  vorgeschriebenen  Kurve  über  A  =  A^  hinaus  bis  A  =  Aj.  Daß 
sich  jede  dieser  Fortsetzungen  als  analytisch  zusammenhängende  Reihe 
bis  zu  Ende  (A  =  1)  durchführen  läßt,  vv^ird  nicht  behauptet  und  ist  auch 
im  allgemeinen  nicht  richtig. 

Der  Umstand,  daß  in  einer  jeden  analytisch  zusammenhängenden 
Reihe  von  Funktionselementen  nur  endlichviele  irreguläre  vorkommen^, 
ermöglicht  es,  diese  irregulären  Elemente  zu  umgehen.  Zwei  Funktions- 
elemente also,  die  sich  überhaupt  durch  eine  analytisch  zusammenhängende 
Reihe  verbinden  lassen,  lassen  sich  auch  durch  eine  solche  verbinden,  die 
(abgesehen  vielleicht  von  Anfangs-  und  Endelement)  ausschließlich  aus 
regulären  Elementen  besteht.  Zum  Beweise  nehmen  wir  der  Einfachheit 
halber  an,  daß  die  analytisch  zusammenhängende  Reihe  e(A)  nur  ein  irre- 
guläres Element  e(Ao)[0  <  A^  <  1]  enthalte. 

^  =  P(t),       u=Q(t) 

sei  eine  für  \t\<ir  gültige  Darstellung  desselben;  dabei  sei  r  so  klein 
gewählt,  daß  die  Elemente  der  durch  |  ^  |  <  ^  bestimmten  ^-Umgebung 
Uq  von  e(Ao),  abgesehen  von  e(A(,)  selbst,  alle  regulär  sind.  Man  kann, 
zwei  Werte  Aj<A(,  und  Aj  >  A^  so  annehmen,  daß  alle  e(^)[^i^^^^j] 
zu  Uq  gehören.  e(Aj  entsteht  aus  der  zugrunde  gelegten  Darstellung 
von  ^{Xq)  durch  Umordnen  derselben  nach  Potenzen  von  t  —  t^  (wo  t^ 
ein  gewisser,  dem  Kreise  f  <r  angehÖriger  Punkt  ist),  e(A2)  durch  Um- 
ordnen nach  Potenzen  von  t—  t^.  Die  beiden  Punkte  t^,  fg  in  der  ^-Ebene 
kann  man  durch  eine  Kurve  innerhalb  des  Kreises  \t'  <^r  verbinden,  die 
nicht  durch  den  Nullpunkt  geht.  Indem  man  jedem  Punkt  t^  dieser 
Kurve  dasjenige  Funktionselement  zuordnet,  das  man  durch  Umordnen, 
von  JP(f),  Q(t)  nach  Potenzen  von  t  —  t^  erhält,  gelingt  es,  e(Aj)  mit- 
e(A2)  durch  eine  aus  lauter  regulären  Funktionselementen  bestehende 
analytisch  zusammenhängende  Reihe  zu  verbinden. 
Aus  den  bewiesenen  Tatsachen  ergibt  sich: 

1.  Die  sämtlichen  regulären  FunJctionselemente  eines  analytischen  Ge- 
bildes machen  eine  einzige  analytische  Funktion  aus. 

2.  Jede  analytische  Funktion  hesfeht  aus  den  sämtlichen  regulären 
Funktionselementen  eines  durch  die  Funktion  eindeutig  bestimmten  ana- 
lytischen Gebildes. 

Dazu  tritt  der  weitere  Satz: 

3.  Die  irregulären  Funktionselemente  eines  analytischen  Gebildes  sind' 
nur  in  abzählbarer  Menge  vorhanden. 

Den  Beweis  führen  wir  mit  Hilfe  des  von  Poincare  und  Volterra^) 


1)  Poincare,  Rendiconti   del  Circolo   matematico  di  Palermo,   Bd.  2  (1888), 
S.  197—200.   Volterra,  Atti  della  Reale  Aeademia  dei  Lincei,   Ser.  4,  IV^,  S.  855. 


§  3.     Analytische  Funktion  und  analytisches  Gebilde.  15 

ausgesprochenen  Theorems,  daß  es  in  einem  analytischen  Gebilde  höch- 
sfens  abzahlbar  unendlichviele  reguläre  FunMionselemente  u  =  ^  (^  —  a) 
mit  vorgeschriebenem  MittelpunJct  2  =  a  gibt.  Denn  alle  diese  Elemente 
lassen  sich  aus  einem,  '^i,  von  ihnen  dadurch  erzeugen,  daß  Sß^  längs 
Kurven  in  der  ^-Ebene,  die  von  a  ausgehen  und  dorthin  zurückkehren^ 
in  regulärer  Weise  fortgesetzt  wird.  Zu  jeder  solchen  Kurve  kann  man 
aber  einen  aus  endlichvielen  geradlinigen  Strecken  bestehenden  Strecken- 
zug konstruieren,  der  in  solcher  Nähe  der  Kurve  verläuft,  daß  die  regu- 
läre analytische  Fortsetzung  längs  des  Streckenzuges  gleichfalls  möglich 
ist  und  zu  demselben  Endelement  führt  wie  die  Fortsetzung  längs  der 
Kurve.  Dabei  kann  man  noch  dafür  Sorge  tragen,  daß  die  Ecken  dieses 
Streckenzuges  relativ  zu  a  rationale  Koordinaten  besitzen;  diese  relativen 
Koordinaten  z  —  a  seien: 

* 
wo  immer  n'j,  n",  n^  ganze  Zahlen  ohne  gemeinsamen  Teiler  sind  und 
n^  >  0  [/■  =  1,  2,  , . ,  /(].  Wir  ordnen  diesem  Streckenzuge  die  Zahl 

h  h  h 

2  n'f'  ^  ^  n'f  '  +  2n^  =  N 
/=i  /=i  /=i 

zu.  Unter  den  von  a  ausgehenden  und  nach  a  zurückkehrenden  Strecken- 
zügen, deren  Ecken  sich  von  a  um  rationale  komplexe  Zahlen  unter- 
scheiden, gibt  es  gewiß  nur  endlichviele,  denen  dieselbe  Zahl  iV  zu- 
kommt. Wähle  ich  N  sukzessive  =  3,  4,  5, . . .,  so  bringe  ich  dadurch  alle 
diese  Streckenzüge  in  eine  abgezählte  Reihe.  Jeder  dieser  Streckenzüge 
bestimmt  entweder  ein  oder  Tiein  Funktionselement  mit  dem  Mittelpunkt 
a,  jenachdem  die  reguläre  Fortsetzung  von  ^j  längs  des  Streckenzuges 
sich  bewerkstelligen  läßt  oder  nicht.  Man  erhält  auf  diesem  Wege  aber 
auch  sicher  alle  dem  analytischen  Gebilde  angehörigen  regiilären  Elemente 
mit  dem  Mittelpunkte  a,  deren  Abzählbarkeit  damit  erwiesen  ist. 

Statt  der  ^^-Ebene  kann  ich  mich  der  aus  ihr  durch  stereographische 
Projektion  hervorgehenden  ^-Kugel  bedienen,  auf  der  auch  ^  =  00  durch 
einen  einzigen  Punkt  repräsentiert  wird.   Ist 

z  =  a  -^  tf',  u  =  Q{t)]  bezw.  z  =  t'f,  u  =  Q(t) 

ein  irreguläres  Element  eines  gegebenen  analytischen  Gebildes  in  seiner 
Normaldarstellung,  die  für  |^|  <y  gültig  sein  möge,  so  gibt  es  zu  jedem 
Wert  Zq  (=t=  a  bzw.  oo),  welcher  der  Bedingung 

(7)  ,^^  — a|<r^'  bezw.  i^;|>  r-^ 

genügt,  genau  (i  reguläre  Funktions demente  u  =  '^(z  —  Zq)  mit  dem 
Mittelpunkt  Zq,  die  der  durch  !  ^  |  <  r  bestimmten  ^-Umgebung  des  irre- 
gulären Elementes  angehören.    Wir  sagen  kurz:  das  irreguläre  Element 


16  Begriff  und  Topologie  der  ßiemannschen  Flächen. 

„induziert'^  im  Punkte  z^  jene  ^i  regulären  Elemente.  Die  Unglei- 
chung  (7)  bedeutet  auf  der  Kugel  eine  Kalotte,  die  ich  aber  jetzt  lieber 
durch  diejenige  größte,  nicht  über  sie  hinausgreifende  Kalotte  K  ersetze, 
deren  Mittelpunkt  in  a  (bzw.  oo)  liegt-^  der  Radius  von  K  heiße  x.  Ver- 
binde ich  Zq,  das  in  K  liege,  mit  dem  Mittelpunkt  innerhalb  der  Kalotte 
durch  einen  Großkreis-Bogen,  so  entsteht  das  irreguläre  Element  aus 
jedem  der  ^  in  z^  induzierten  Elemente  durch  analytische  Fortsetzung 
längs  dieses  Kreisbogens  von  Zq  nach  a  (bzw.  oo).  Hat  man  also  zwei 
verschiedene  irreguläre  Elemente  mit  demselben  Mittelpunkt  a  bzw.  cx), 
so  ist  es  ausgeschlossen,  daß  sie  in  einem  Punkte  z^  zwei  identische  re- 
guläre Elemente  induzieren.  Hat  man  zwei  irreguläre  Elemente  e^,  Cg  mit 
verschiedenen  Mittelpunkten  und  bezeichnen  wir  die  zugehörigen  Kalotten 
K  mit  K^,  K^,  ihre  Radien  mit  x^,  x^,  so  lasse  man  beide  Kalotten  um 
ihren  Mittelpunkt  so  zusammenschrumpfen,  daß  sie  nur  noch  den  halben 
Radius  yXj,  j^  besitzen.  Es  sei  etwa  x^  ^  x^.  Greifen  diese  beiden  klei- 
neren Kalotten  k^,  Jc^  übereinander,  so  bedeute ^g  einen  ihnen  gemeinsamen 
Punkt.  Ich  behaupte  dann,  keines  der  von  Cj  in  z^  induzierten  Elemente 
ist  mit  einem  von  Cg  daselbst  induzierten  Element  identisch.  Denn  der 
Mittelpunkt  von  Z,  liegt  innerhalb  der  Kalotte  K^,  ebenso  der  Großkreis- 
Bogen,  welcher  Zq  mit  diesem  Mittelpunkt  innerhalb  K^  verbindet.  Durch 
Fortsetzung  eines  der  von  e^  in  z^  induzierten  regulären  Elemente  längs 
dieses  nach  dem  Mittelpunkt  von  K^  führenden  Kreisbogens  erhält  man 
eines  der  dort  von  e^  induzierten  regulären  Elemente,  niemals  aber  das 
irreguläre  Element  e«.  Damit  ist  unsere  Behauptung  begründet. 

In  der  Weise  nun,  wie  wir  hier  den  irregulären  Elementen  Cj,  63 
die  (kleinen)  Kalotten  k^,  k^  zuwiesen,  ordnen  wir  jedem  irregulären  Ele- 
ment des  gegebenen  analytischen  Gebildes  eine  Kalotte  k  zu.  Wären  die 
irregulären  Elemente  nicht  bloß  in  abzählbarer  Menge  vorhanden,  so 
müßte  es  einen  rationalen  Punkt  Zq  geben,  der  in  mehr  als  bloß  abzählbar 
vielen  Kalotten  k  enthalten  ist.  Jedes  der  irregulären  Elemente,  zu  denen 
diese  Kalotten  gehören,  induziert  im  Punkte  z^  mindestens  ein  dem  analy- 
tischen Gebilde  angehöriges  reguläres  Element,  das  Zq  zum  Mittelpunkt  be- 
sitzt, und  zwar,  wie  wir  soeben  nachwiesen,  verschiedene  irreguläre  Elemente 
auch  immer  verschiedene.  Das  ist  aber  unmöglich,  da  es  nicht  mehr  als 
abzählbarviele  reguläre  Funktionselemente  mit  dem  Mittelpunkt  Zq  in 
dem  vorgelegten  analytischen  Gebilde  geben  kann. 

Das  analytische  Gebilde  unterscheidet  sich  demnach  nur  dadurch  von 
der  analytischen  Funktion,  daß  noch  ahzäJdharviele  irreguläre  Elemente 
hinzugetreten  sind. 

§  4  Begriff  der  Fläche. 

Es  ist  schon  am  Schluß  von  §  2  davon  gesprochen  worden,  daß  ein  ana- 
lytisches Gebilde  dadurch  sehr  an  Anschaulichkeit  gewinnt,  wenn  es  ge- 


§  4.    Begriff  der  Fläche.  17 


lingt,  in  der  Weise  ein  jedes  Element  des  Gebildes  durch  einen  Punkt 
einer  Raumfläche  ^^  zu  repräsentieren,  daß  diese  repräsentierenden  Punkte 
insgesamt  die  Fläche  ^  einfach  bedecken  und  jede  analytisch  zusammen- 
hängende Reihe  von  Elementen  des  analytischen  Gebildes  als  eine  ste- 
tige Kurve  auf  ^  erscheint.  Das  Problem,  eine  solche  das  analytische 
Gebilde  versinnlichende  Fläche  ^  ausfindig  zu  machen,  kann  freilich  von 
einem  rein  objektiven  Standpunkt  als  eine  nicht  sachgemäße  Fragestellung 
verworfen  werden,  da  der  dreidimensionale  Raum  innerlich  durchaus  nichts 
mit  analytischen  Gebilden  zu  tun  hat  und  man  sich  auf  ilin  auch  offen- 
bar garnicht  aus  logisch-mathematischen  Gründen  bezieht,  sondern  weil 
er  unserer  sinnlichen  Raumanschauung  besonders  nahesteht;  man  könnte 
es  als  einen  dem  wissenschaftlichen  Prinzip  widerstreitenden  Anthropo- 
morphismus  bezeichnen,  in  dieser  Weise  den  Dingen,  statt  sie  so  zu  nehmen, 
wie  sie  sind,  wesensfremde  Vorstellungen  aufzudrängen,  nur  um  unserm 
Bedürfnis  nach  „Bildern  und  Gleichnissen"  Genüge  zu  tun.  Diese  Vor- 
würfe des  reinen  Logikers  treffen  uns  jedoch  nicht,  wenn  wir  der  andern, 
auch  bereits  gestreiften  Auffassung  nachgehen,  welcher  das  analytische 
Gebilde  selbst  als  eine  zweidimensionale  Mannigfaltigkeit  erscheint,  auf  die 
sich  alle  die  Begriffe  der  Kontinuität,  die  uns  in  der  gewöhnlichen  Geo- 
metrie begegnen,  übertragen  lassen.  Im  Gegenteil:  es  hieße,  eine  der 
wesentlichsten  Seiten  des  Gegenstandes  übersehen,  wenn  man  sich  dieser 
Vorstellung  nicht  bediente. 

Der  Begriff  der  „zweidimensionalen  Mannigfaltigkeit"  oder  der 
„Fläche"  soll  für  uns  also  nicht  an  die  Idee  des  Raumpunktes  geknüpft 
sein,  sondern  eine  viel  allgemeinere  abstrakte  Bedeutung  erhalten.  Wenn 
überhaupt  irgend  eine  Gesamtheit  von  Dingen  (die  die  Rolle  der  „Punkte" 
übernehmen  werden)  gegeben  ist  und  definitionsgemäß  zwischen  ihnen 
ein  ähnlicher  kontinuierlicher  Zusammenhang  besteht  wie  zwischen  den 
Punkten  einer  Ebene,  so  sprechen  wir  von  einer  zweidimensionalen 
Mannigfaltigkeit.  Da  sich  aber  alle  Kontinuitätsbegriffe  auf  den  einen 
der  Umgebung  zurückführen  lassen,  so  gehört  zur  Erklärung  einer  zwei- 
dimensionalen Mannigfaltigkeit  zweierlei: 

1.  Angabe  derjenigen  Dinge,  welche  als  „Punkte"  der  Mannigfaltig- 
keit gelten  sollen; 

2.  eine  Erklärung  des  Begriffes  der  „Umgebung". 

In  präziser  Fassung:  wann  wollen  wir  sagen,  es  sei  eine  zweidimen- 
sionale Mannigfaltigkeit  ^  gegeben?   Wenn  folgendes  der  Fall  ist: 

Gegeben  eine  Gesamtheit  von  Bingen,  die  „Punkte  der  Mannig- 
faltigkeit ^"  heißen.  Zu  jedem  Funkt  p  der  Mannigfaltigkeit  ^  sind 
gewisse  Mengen  von  Punkten  der  Mannigfaltigkeit  als  „Umgebungen 
von  p  auf  ^"  definiert.  Jede  Umgebung  Uq  eines  Punktes  p^  der  Mannig- 
faltigkeit auf  ^  muß  Po  selbst  enthalten  und  eine  umkehrbar  eindeutige 
Abbildung  auf  die  inneren  Punkte  eines  gewöhnlichen  Euklidischen  Kreises 

Weyl:  Die  Idee  der  Riemannschen  Fläche  2 


18  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

Kq  (wobei  Po  in  den  MittelpunM  des  Kreises  ühergeht)  von  der  folgenden 
Beschaffenheit  gestatten: 

1.  ist  p  irgend  ein  Punkt  von  Uq  und  U  eine  nur  aus  PtmJden  von 
Uq  bestehende  Umgebung  von  p  auf  ^,  so  enthält  das  (durch  jene  Abbildung 
in  Kf^  entirorfene)  Bild  von  U  den  Bildpunht  von  p  im  Innern;  d.  h.  es 
läßt  sich  um  den  Bildpunkt  p  von  p  eine  Kreisfläche  h  beschreiben,  sodaß 
jeder  PunJct  von  k  Bild  eines  Punktes  von  U  ist; 

2.  ist  K  das  Innere  irgend  eines  ganz  in  Kq  gelegenen  Kreises  mit 
dem  Mittelpunkt  p,  so  gibt  es  stets  eine  Umgebung  U  von  p  auf  ^,  deren 
Bild  ganz  in  K  liegt. 

Wir  legen  jetzt  kurz  dar,  wie  auf  Grund  des  Begriffes  der  Umgebung 
alle  Kontinuitätsbegriffe  von  der  gewöhnlichen  Ebene  auf  beliebige 
zweidimensionale  Mannigfaltigkeiten  übertragen  werden  können. 

Ist  eine  Menge  (S  von  Punkten  der  Mannigfaltigkeit  '^  gegeben,  so 
heißt  der  Punkt  p  von  %  eine  Yerdichtungsstelle  (Häiifuiigspunkt) 
der  Menge  @,  falls  in  jeder  Umgebung  von  p  auf  ^  unendlichviele  Punkte 
von  (S  liegen.  —  Ein  zur  Menge  @  gehöriger  Punkt,  der  keine  Verdich- 
tungsstelle von  @  ist,  heißt  ein  isolierter  Punkt  in  @.  Hingegen  ist  pi 
ein  innerer  Punkt  von  @,  falls  es  eine  Umgebung  von  p  auf  %  gibt, 
deren  sämtliche  Punkte  @  angehören.  —  (5  heißt  abgeschlossen,  wenn 
jede  Verdichtungsstelle  von  (£  zu  @  gehört. 

Eine  stetige  Kurve  y  auf  f^  ist  gegeben,  wenn  jeder  reellen  Zahl  A 
des  Intervalls  0  ^  A  ^  1  ein  Punkt  p  (l)  auf  ^  so  zugeordnet  ist,  daß 
die  Bedingung  der  Stetigkeit  erfüllt  ist.  Diese  besagt:  Ist  A^  irgend  ein 
Wert  des  Parameters  A,  U^  irgend  eine  Umgebung  des  Punktes  p{^^  auf 
%f  so  gibt  es  stets  eine  positive  Zahl  s  von  der  Beschaffenheit,  daß  für 
alle  A,  welche  der  Bedingung  1  A  —  -^o  '  ^  ^  genügen,  der  Punkt  p{X)  zu 
Wq  gehört.  —  Die  Kurve  y  YCrbindet  den  Anfangspunkt  p(0)  mit  dem 
Endpunkt  p(l). 

Eine  Punktmenge  @  auf  %  heißt  ein  Gebiet,  wenn  1)  jeder  Punkt 
von  @  ein  innerer  Punkt  dieser  Punktmenge  ist  und  2)  sich  je  zwei  Punkte 
von  @  durch  eine  stetige  Kurve  auf  ^  verbinden  lassen,  die  ausschließlich 
aus  Punkten  von  @  besteht.  —  Wir  engen  den  bisher  benutzten  Begriff 
der  zweidimensionalen  Mannigfaltigkeit  %  noch  durch  die  weitere  Forderung 
ein,  daß  ^  selber  ein  Gebiet  sein  (d.  h.  aus  einem  Stück  bestehen)  soll. 

Ist  jedem  Punkte  p  einer  gewissen  Punktmenge  @  auf  %  eine  reelle 
oder  komplexe  Zahl  /"(p)  zugeordnet,  so  ist  in  @  eine  Funktion  /'  definiert; 
die  Zahl  /"(p)  ist  der  Wert  dieser  Funktion  im  Punkte  p.  Bezeichnet  p^, 
einen  beliebigen  Punkt  von  (5,  so  heißt  f  im  Punkte  po  stetig,  falls  zu 
jeder  positiven  Zahl  e  eine  Umgebung  U^  von  p^  auf  ^  existiert,  sodaß 
\f{p)  —  fiPo)  i  <  £  bleibt  für  alle  p,  die  sowohl  zu  (£  als  zu  U^  gehören» 


§  4.   Begriff  der  Fläche.  19 


Bedeuten  ^1,  f^j  zwei  zweidimensionale  Mannigfaltigkeiten  und  (5^  eine 
Punktmenge  auf  ^i,  ist  femer  jedem  Punkt  p^^'>  von  @j  ein  Punkt  p^^^  von 
|5j  zugeordnet,  so  ist  dadurch  eine  Al)l)ilduiig  YOii  6^  in  ^^  gegeben. 
Die  Menge  der  Bildpunkte  auf  ^^  ^^^^  ^^^  Bildmeiige  von  (S^  bezeichnet. 
Diese  Abbildung  heißt  stetig,  wenn  folgendes  zutrifft:  Ist  p^^)  irgend  ein 
Punkt  von  S^,  p{;^  sein  Bildpunkt  auf  ^^,  U'"^  irgend  eine  Umgebung  von 
-p^^)  auf  f^2,  so  gibt  es  immer  eine  Umgebung  U^^^  von  p(,^'  auf  ^^j,  derart 
daß  der  Bildpunkt  eines  jeden  gleichzeitig  zu  ©^  und  IV^^  gehörigen  Punktes 
ein  Punkt  von  U^-^  ist.  —  Das  stetige  Abbild  einer  abgeschlossenen  Menge 
ist  wieder  abgeschlossen.  —  Ist  p^^^(/l.)[0  ^  A  ^  1]  eine  stetige  Kurve 
auf  ^^,  deren  sämtliche  Punkte  der  stetig  in  einer  zweiten  Mannigfaltigkeit 
^2  abgebildeten  Menge  @^  angehören,  so  kann  man  auf  |<^o  dadurch  eine 
stetige  Kurve  definieren,  daß  man  jedem  Wert  des  Parameters  A  denjenigen 
Punkt  p^-)  auf  ^^  zuordnet,  der  bei  der  gegebenen  Abbildung  von  ©^  aus 
dem  Punkte  p^^^(A)  hervorgeht.  Diese  Kurve  heißt  das  Bild  der  gegebenen. 
—  Ist  eine  abgeschlossene  Menge  6^  (auf  ^j)  umkehrbar  eindeutig  und 
stetig  auf  eine  Teilmenge  @2  "^on  ^^3  abgebildet,  so  ist  auch  die  inverse  Äb- 
hildung  (welche  dadurch  zustande  kommt,  daß  man  jedem  Punkt  p^^^  von 
©2  denjenigen  einzigen  Punkt  p^^^  von  @^  zuordnet,  dessen  Bild  p^^^  ist) 
eine  stetige  Abbildung. 

Neben  den  Begriff  der  stetigen  Abbildung  im  gewöhnlichen  Sinne^ 
der  hauptsächlich  für  abgeschlossene  Mengen  in  Betracht  kommt,  tritt  ein 
Stetigkeitsbegriff,  der  in  analoger  Weise  auf  die  nur  aus  inneren  Punkten 
bestehenden  Gebiete  zugeschnitten  ist  und  für  den  es  bisher  an  einem 
Namen  mangelt;  ich  schlage  die  Bezeichnung  „gebiets-stetig"  vor.  Die 
Abbildung  einer  nur  aus  inneren  Punkten  bestehenden  Menge  ©^  auf  fVi 
heißt  gebietsstetig,  wenn  das  Abbild  S5[f^  einer  jeden  ganz  in  @i  gelegenen 
Umgebung  Uj,^^  eines  beliebigen  zu  @^  gehörigen  Punktes  p^^^  stets  den 
Bildpunkt  p|,^)  von  p[,^)  im  Innern  enthält.  Eine  umkehrbar  eindeutige 
und  umkehrbar  gebietsstetige  Abbildung  ist  auch  im  gewöhnlichen  Sinne 
stetig.  Ein  fundamentaler,  von  L.  E.  J.  Brouwer  bevdesener  Satz*)  besagt, 
daß  hiervon  auch  die  Umkehrung  zutrifft ;  eine  jede  umkehrbar  eindeutige 
stetige  Abbildung  einer  nur  aus  inneren  Punkten  bestehenden  Menge  ist 
samt  ihrer  inversen  gebietsstetig.  Durch  diesen  Satz  wird  der  Begriff  der 
Gebietsstetigkeit  wieder  überflüssig  gemacht.  Da  wir  aber  im  folgenden 
nirgends  Veranlassung  haben,  von diesemschwierigzubeweisenden Theorem 
Gebrauch  zu  machen,  möchte  ich  hier  gleichwohl  das  Wort  „gebietsstetig" 


l)MathematischeAnnalenBd.70(1911),S.  161—165;  Bd. 71(1912),  S. 305— 313; 
Bd.  72  (1912),  S.  55—56.  Brouwers  Untersuchungen  beziehen  sich  auf  w-dimen- 
sionale  Gebiete.  Den  zweidimensionalen  Fall,  der  für  uns  allein  in  Betracht 
kommt,  haben  bereits  früher  unter  Ziihülfenahme  des  sog.  „Jordanschen  Kurven- 
satzes" Schoenflies  (Göttinger  Nachrichten  1899,  S.  282—290),  Osgood  (ebendort 
1900,  S.  94—97)  und  F.  Bernstein  (ebendort  1900,  S.  98—102)  erledigt. 

2* 


20  Begriff  und  Topologie  der  Eiemannschen  Flächen. 

beibehalten.  —  Die  Forderungen  1.  und  2.,  die  wir  auf  S.  18  bei  der  De- 
finition der  zweidimensionalen  Mannigfaltigkeit  an  den  Begriff  der  Um- 
gebung stellten,  lassen  sich  jetzt  kurz  dabin  aussprechen:  Jede  Umgebung 
eines  FunJctes  p^  <^^^f  ^  ^äßt  sich  uml:ehrhar  eindeutig  und  umkehrbar  ge- 
hietsstetig  auf  das  Innere  eines  Kreises  abbilden  (wobei  p^  in  den  Kreis- 
mittelpunkt übergeht). 

Die  Definition  dessen,  was  als  „Umgebung"  eines  Punktes  auf  einer 
Mannigfaltigkeit  ^  betrachtet  werden  soll,  kann  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  geändert  werden,  ohne  daß  wir  dadurch  die  Mannigfaltigkeit  ^ 
als  verändert  ansehen  wollen.  Tasten  wir  nämlich  die  Erklärung  der- 
jenigen Dinge,  welche  als  Punkte  von  '^  zu  gelten  haben,  nicht  an,  er- 
setzen hingegen  die  ursprüngliche  („erste'^  Definition  des  Begrifi'es  der 
Umgebung  durch  eine  zweite,  die  der  eben  neu  formulierten  Forderung 
gleichfalls  genügt,  und  gilt  dann  der  .Satz:  Jede  nach  der  zweiten  Defini- 
tion als  Umgebung  von  p^  zu  bezeichnende  Pimktmenge  enthält  eine 
Punktmenge,  welche  nach  der  ersten  Definition  als  Umgebung  von  pQ 
anzusprechen  ist,  und  umgekehrt,  welches  auch  der  Punkt  p^  auf  ^  sei 
—  so  wollen  wir  übereinkommen,  die  durch  die  zweite  Definition  fest- 
gelegte Mannigfaltigkeit  als  von  der  durch  die  erste  festgelegten  nicht 
verschieden  zu  betrachten.  In  diesem  Übereinkommen  liegt  wiederum  eine 
„Definition  durch  Abstraktion"  vor,  deren  Berechtigungsnachweis  wir  dem 
Leser  überlassen  können.  Im  übrigen  wird  keiner  der  oben  aufgezählten 
Stetigkeitsbegriffe  dadurch,  daß  die  erste  Definition  der  Umgebung  durch 
die  zweite  ersetzt  wird,  irgendwie  tangiert:  eine  Punktmenge,  die  nach 
der  ersten  Definition  als  abgeschlossen  zu  bezeichnen  ist  oder  als  ein  Ge- 
biet, bleibt  dies  auch  nach  der  zweiten;  entsprechend  steht  es  mit  den  ste- 
tigen Funktionen,  den  stetigen  Kurven,  den  stetigen  Abbildungen  usw. 

Derjenige  Zweig  der  Mathematik,  der  es  mit  den  Kontinuitätseigen- 
schaften  der  zwei-  (und  mehr-)  dimensionalen  Mannigfaltigkeiten  zu  tun 
hat,  wird  als  Aiialysis  Situs  oder  Topologie  bezeichnet.  Diese  Dis- 
ziplin spielt  in  der  Funktionentheorie  seit  Riemann  eine  wichtige  Rolle, 
und  wir  werden  uns  in  den  folgenden  Abschnitten  noch  eingehender  mit 
der  Topologie  der  zweidimensionalen  Mannigfaltigkeiten  befassen  müssen. 
Zwei  Mannigfaltigkeiten  müssen  im  Sinne  der  Analysis  Situs  als  äqui- 
valent betrachtet  werden,  wenn  sie  sich  Punkt  für  Punkt  umkehrbar 
eindeutig  und  umkehrbar  gebietsstetig  aufeinander  abbilden  lassen.  Alle 
untereinander  äquivalenten  zweidimensionalenMannigfaltigkeiten  darf  man 
als  Verwirklichungen  einer  und  derselben  „idealen  Mannigfaltigkeit"  auf- 
fassen, in  der  die  individuellen  Züge,  durch  die  sich  diese  verschiedenen 
Yerwirklichungen  voneinander  unterscheiden,  ausgelöscht  sind  (Definition 
durch  Abstraktion).  Die  oben  zusammengestellten  Kontinuitäts begriffe 
sind  reine  Analysis-situs-Begriffe,  da  sie  sich  gegenüber  beliebigen  umkehr- 
bar-eindeutigen und  -gebietsstetigen  Abbildungen  invariant  verhalten.  In- 


§  4.    Begriff  der  Fläche.  21 


dem  wir  das  analytisclie  Gebilde  als  zweidimensionale  Mannigfaltigkeit  be- 
trachten, werden  wir  dazu  geführt,  die  Analysis-situs-Eigenschaften  dieser 
Mannigfaltigkeit  als  die  einschneidendsten  und  primitivsten  in  den  Vorder- 
grund zu  rücken.  Es  scheint  mir  eine  Forderung  der  Sachlichkeit  zu  sein, 
diese  Eigenschaften  dann  auch  nur  mit  Hilfe  solcher  Begriffe  und  Me- 
thoden zu  begründen,  welche  der  Analysis  situs  angehören.  Dieser  Forde- 
rung hat  Riemann  bei  seinem  Aufbau  der  Funktionentheorie  genügt. 

Ein  Teilgebiet  &  auf  einer  Mannigfaltigkeit  ^  ist  selber  eine  zwei- 
dimensionale Mannigfaltigkeit  @,  wenn  wir  als  Umgebung  eines  Punktes 
von  @  auf  @  jede  ganz  in  ®  enthaltene  Umgebung  dieses  Punktes  auf 
^  betrachten.  Jede  ganze  zu  &  gehörige  Kurve  auf  ^  ist  dann  auch  eine 
stetige  Kurve  auf  &  usw. 

Um  wesentliche  Sätze  über  zweidimensionale  Mannigfaltigkeiten  auf- 
stellen zu  können,  scheint  es  erforderlich  zu  sein,  diesen  Begriff  noch  einer 
weiteren  Einschränkung  zu  unterwerfen,  die  den  Zweck  hat,  die  Anwend- 
barkeit der  „ExJiaiistionsmethode"  auf  die  zu  untersuchenden  Mannigfaltig- 
keiten zu  gewährleisten.  Zur  Exhaustion  eines  ebenen  Gebietes  benutzt 
man  am  einfachsten  Dreiecke  (Verfahren  der  Triangidation).  Wir  werden 
demnach  fortan  nur  solche  Mannigfaltigkeiten  betrachten,  welche  sich  in 
einem  analogen  Sinne  wie  ein  ebenes  Gebiet  triangulieren  lassen,  und  es 
wird  diese  Einschränkung  deshalb  für  uns  unbedenklich  sein,  weil  wir 
hernach  für  jedes  analytische  Gebilde  den  Nachweis  der  Möglichkeit  seiner 
Triangulation  werden  erbringen  können. 

Ein  ebenes  Dreieck  läßt  sich  am  leichtesten  mit  Hilfe  der  zu  seinen 
Eckpunkten  gehörigen  homogenen  Schwerpunktskoordinaten  beschreiben. 
Dadurch  gelangen  wir  zu  der  folgenden  Erklärung.  Ist  jedem  Tripel 
(Ij,  ^2?  I3)  4=  (0,  0,  0)  von  drei  reellen,  nicht-negotiven  Zahlen  ein  Punkt  p 
der  Mannigfaltigkeit  ^  so  zugeordnet,  daß  1)  zwei  derartigen  Tripeln  dann 
und  nur  dann  derselbe  Punkt  p  zugeordnet  ist,  falls  beide  Zahlentripel 
das  gleiche  Verhältnis  (1^ :  Ig :  I3)  haben,  und  2)  die  Bedingung  der  Stetig- 
heit erfüllt  ist,  so  sagen  wir,  es  sei  auf  ^^  ein  Dreieck  A  definiert,  ^j :  Ig  •"  ^5 
heißt  das  Koordinatenverliältnis  von  p  in  A.  —  Die  Bedingung 
der  Stetigkeit  wird  besagen:  Ist  {l\,  II,  |^)  irgend  eines  der  in  Betracht 
kommenden  Tripel,  p°  der  zugeordnete  Punkt,  Uq  eine  beliebige  Umgebung 
von  p°  auf  fl^,  so  gibt  es  eine  positive  Zahl  e  von  der  Art,  daß  für  alle 
in  Betracht  kommenden  Tripel,  welche  die  Ungleichungen 

k-ll\<^,     \t,-ll\<e,     %-ll\<s 
befriedigen,  der  Bildpunkt  p  jener  Umgebung  Uq  angehört. 

Zur  Definition  des  Dreiecks  gehört  demnach  nicht  nur  die  Angabe 
derjenigen  Punkte  von  ^,  welche  ihm  angehören  sollen,  sondern  es  gilt 
erst  dann  als  vollständig  bestimmt,  wenn  jedem  seiner  Punkte  ein  Koor- 
dinatenverhältnis von  drei  nicht -negativen  Zahlen  zugewiesen  ist.    Die 


22 


Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 


Punkte  1:0:0,  0:1:0,  0:0:1  werden  als  die  drei  Eckeu  des  Dreiecks  zu 
bezeicimen  sein;  die  drei  Kanten  desselben  werden  durch  |^  =  0,  bezw. 
^2  =  0,  bezw.  Ig  =  0  geliefert. 

Die  Forderung  der  Möglichkeit  einer  Triangulation  werden  wir  nun 
[im  engsten  Anschluß  an  Brouwers  fundamentale  Arbeiten^)  und  in 
einiger  Übereinstimmung  mit  der  in  der  Enzyklopädie  entwickelten  Dehn- 
Heegaardschen  Theorie^)]  so  zu  fassen  haben.  Es  seien  auf  einer  Mannig- 
faltigkeit ^  endlich-  oder  unendlich  viele  Dreiecke  A  (die  „Elementardrei- 
ecke" der  Triangulation)  definiert,  sodaß  jeder  Punkt  der  Mannigfaltigkeit 
mindestens  einem  der  Dreiecke  A  angehört  und 
außerdem  folgende  Bedingun- 
gen erfüllt  sind: 


Fig.  1.     Innerer  Punkt,  Kantenpunkt,  Eckpunkt  einer  Triangulation. 


1)  Ist  p  ein  dem  A-Dreieck  A,,  angehöriger,  nicht  auf  den  Kanten 
von  Aq  gelegener  Punkt,  so  gehört  weder  p  noch  irgend  ein  Punkt 
einer  gewissen  Umgebung  von  p  zu  einem  der  von  Aq  verschiedenen 
Dreiecke  A. 

2)  Ist  p  auf  einer  Kante  Je  von  A^  gelegen,  jedoch  kein  Eckpunkt 
von  Aq,  so  gibt  es  ein  weiteres  A-Dreieck  A^,  dem  p  außerdem  noch  an- 
gehört; Aq,  A^  haben  alle  Punkte  auf  yt,  aber  keine  weiteren  gemein;  weder 
p  noch  irgend  ein  Punkt  einer  gewissen  Umgebung  von  p  gehört  zu 
einem  von  A^  und  A^  verschiedenen  A-Dreieck. 

3)  Ist  p  Eckpunkt  eines  Dreiecks  A,  so  gibt  es  endlich  viele  A-Drei- 
ecke:  Aß,  A^,  •  -,  A„  denen  der  Punkt  p  angehört;  in  allen  diesen  Drei- 
ecken ist  p  ein  Eckpunkt,  und  sie  hängen  in  der  Weise  in  einem  ein- 
zigen Zykel  zusammen,  daß  Aq  mit  A^  genau  eine  Kante,  Aj  mit  Ag 
eine  Kante,  •  •  • ,  schließlich  A^^  wieder  mit  Aq  eine  Kante  gemein 
hat^);  weder   p   noch   irgend   ein  Punkt  einer  gewissen  Umgebung  von 


1)  S.  namentlich  L.  E.  J.  Brouwer,  Über  Abbildung  von  Mannigfaltigkeiten, 
Math.  Ann.  Bd.  71  (1912),  S.  97  ff.  Ferner  J.  Hadamard  „Sur  quelques  applications 
de  l'indice  de  Kronecker"  im  2.  Bande  von  J.  Tannery,  Introduction  ä  la  theorie 
des  fonctions  d'une  variable,  2.  Aufl.  (Paris  1910).  Die  Auffassung  eiuer  belie- 
bigen geschlossenen  Raumüäche  als  eines  Polyeders  findet  sich  klar  entwickelt 
bei  Möbius,  namentlich  in  den  nachgelassenen  Papieren  „Zur  Theorie  der  Poly- 
eder und  der  Elementarverwandtschaft"  (1861),  Werke  Bd.  11,  S.  517  ff. 

2)  Enzyklopädie  III  AB  3,  S.  153  ff. 

3)  Diese  Konfiguration  bezeichnen  wir  als  einen  Dreiecks-Stern. 


§  4.   Begriff  der  Fläche.  23 

p  gehört  einem  nicht  in  dem  Zykel  A,-  (i  =  0,1,  •  ',Ji)  auftretenden 
Dreieck  A  an: 

dann  ist  die  31annigfaUi gleit  in  Elementardreiecke  A  zerlegt. 

Wir  ziehen  in  Zukunft  nur  solche  zweidimensionale  Mannigfaltig- 
keiten in  Betracht,  die  sich  in  Elementardreiecke  zerlegen  lassen;  für 
solche  Mannigfaltigkeiten  will  ich  die  kürzere  Bezeichnung  Fläche  ge- 
brauchen. Es  wird  alsbald  hervortreten,  welche  große  Bedeutung  der 
Möglichkeit  der  Triangulation  für  die  Analysis  situs  auf  einer  Fläche 
zukommt. 

Hat  man  eine  Fläche  ^  in  Elementardreiecke  A  zerlegt,  so  wird 
man  eine  geordnete  Folge  von  endlich  vielen  (untereinander  verschiedenen) 
dieser  Dreiecke  A: 

Ai,  A2,--,A„ 

als  eine  (einfache)  Kette  von  Dreiecken  bezeichnen,  falls  immer  Ay 
mit  Aj_^i  eine  Kante  gemein  hat;  die  Kette  „verbindet  A^  mit  A„.  (Hat 
auch  wieder  A„  mit  A^  eine  Kante  k  gemein,  so  ist  die  Kette  über  die 
Kante  k  hinüber  geschlossen?)  Der  Umstand,  daß  sich  je  zwei  Punkte  von 
%  durch  eine  stetige  Kurve  auf  ^1^  verbinden  lassen,  hat  zur  Folge,  daß 
je  zwei  Elementardreiecke  A  durch  eine  einfache  Kette  von  Dreiecken  A 
miteinander  verbunden  werden  können.  Zunächst  nämlich  kann  es  nur 
endlichviele  Dreiecke  A  geben,  die  Punkte  mit  einer  stetigen  Kurve 
4)  =  p(A)  [0  ^  A  ^  1]  gemein  haben.  Gäbe  es  unendlichviele,  so  bekäme 
man  eine  unendliche  Reihe  von  Kurvenpunkten  p  (A^)  [  /  =  1 , 2 ,  •  •  •] ,  von 
denen  keine  zwei  dem  gleichen  Dreieck  angehören;  ist  dann  X^  ein  Ver- 
dichtungswert der  Ij,  so  müßten  in  jeder  Umgebung  von  "i^il^  Punkte 
unendlich  vieler  Dreiecke  angetroffen  werden:  nach  den  an  jede  Triangu- 
lation zu  stellenden  Forderungen  1)  —  3)  ist  das  unmöglich.  Um  jetzt 
zwei  gegebene  Dreiecke  A,  Ag  und  A°,  durch  eine  Kette  zu  verbinden, 
verfahre  ich  so:  Ich  wähle  irgend  einen  Punkt  im  Innern  von  A^  und 
einen  Punkt  im  Innern  von  A"  und  verbinde  beide  auf  ^  durch  eine 
stetige  Kurve  p  =  p(A)  [0  ^  >l  ^  1].  Ich  achte  darauf,  wann  diese  Kurve 
zum  letzten  Mal  das  Dreieck  Aq  verläßt  —  ich  drücke  mich  so  aus,  als 
ob  X  die  Zeit  bedeute  — ,  d.  h.  ich  suche  den  größten  Wert  X  =  Aq,  für  den 
p(A)  zu  Aq  gehört.  Der  Punkt  P(Aq)  wird  auf  einer  Kante  k  von  A^  liegen. 
Ist  er  kein  Eckpunkt  (erster  Fall),  so  tritt  die  Kurve  jetzt  in  dasjenige 
Dreieck  über,  das  längs  k  an  Aq  angrenzt:  dieses  A^  wird  das  nächste 
Glied  in  der  zu  konstruierenden  Kette  sein.  Ist  hingegen  p(Ao)  ein  Eck- 
punkt, so  bilde  ich  den  ganzen  Dreieckstem  um  den  Eckpunkt  P(Aq) 
herum,  den  ich  als  eine  einzige  geschlossene  Kette  A^  A^  •  •  A^  auffassen 
kann.  Kommt  A°  unter  seinen  Dreiecken  vor,  so  bin  ich  bereits  fertig; 
sonst  achte  ich  darauf,  wann  die  Kurve  zum  letzten  Mal  den  Stern  ver- 
läßt.   Der  Punkt  p^,  durch  den  das  geschieht,  ist  sicherlich  kein  Punkt 


24  Begriff  und  Topologie  der  Eiemannschen  Flächen. 

Ton  Aß  (denn  Aq  ist  sclion  yorlier  zum  letzten  Mal  verlassen  worden); 
vielmehr  sei  in  der  Reihe  A^^,  •  • ,  A^  das  Dreieck  A^  das  erste  (und,  falls 
p()  kein  Eckpunkt,  auch  das  einzige),  dem  der  Punkt  p„  angehört.  Dann 
nehme  ich  Aj,  •  •,  A^  als  die  nächsten  Glieder  der  zu  konstruierenden 
Kette.  (Im  ersten  Fall  schreibe  ich  g  =  1.)  Jetzt  verfahre  ich  mit  A 
so  wie  anfangs  mit  A^  und  bekomme  das  oder  die  nächsten  Glieder  der 
gesuchten  Kette;  auf  das  letzte  der  so  neu  erhaltenen  Glieder  wende 
ich  wieder  das  gleiche  Fortsetzungsverfahren  an,  und  so  weiter.  Alle 
die  Glieder,  welche  ich  bekomme,  sind  Dreiecke,  die  Punkte  mit  der  Kurve 
gemein  haben.  Da  aber  für  die  Fortsetzung  entscheidend  immer  derjenige 
Moment  ist,  wo  die  Kurve  £um  letzten  Mal  das  Dreieck  oder  den  Stern 
verläßt,  komme  ich  auch  nie  zu  einem  schon  erhaltenen  Dreieck  zurück. 
Infolgedessen  muß  das  Verfahren,  da  überhaupt  nur  endlichviele  Dreiecke 
zur  Verfügung  stehen,  einmal  abbrechen;  das  wird  aber  erst  dann  geschehen,, 
wenn  ich  bis  zum  Endpunkt  der  Kurve,  d.  h.  bis  zum  Dreieck  A*'  vor- 
gedrungen bin.  Durch  die  geschilderte  Konstruktion  wird  demnach  in 
der  Tat  A^  mit  A°  durch  eine  einfache  Kette  verbunden. 

Hieraus  schließen  wir  weiter,  daß  die  Elementardreiecke  A  nur  eine 
endliche  oder  abzählbar  unendliche  Menge  bilden  können.  Wir  gehen 
von  einem  Dreieck  A^  aus,  bilden  dann  diejenigen  endlich  vielen  Dreiecke 
A,  welche  an  die  Kanten  und  Ecken  von  A^  anstoßeu,  darauf  diejenigen 
endlichvielen,  welche  an  die  freien  Kanten  und  Ecken  der  bis  jetzt  auf- 
genommenen Dreiecke  anstoßen,  u.  s.  f.  Dadurch  ordnen  wir  die  A  in 
eine  abzählbare  Reihe;  daß  dabei  jedes  Dreieck  A  schließlich  mit  auf- 
genommen wird,  folgt  eben  aus  dem  Satz  von  der  Möglichkeit  der  Ketten- 
verbindung. 

Eine  Punktmenge  auf  der  Fläche  ^,  die  keine  Verdichtungsstelle  be- 
sitzt, ist  endlich  oder  abzählbar.  Jedes  Dreieck  A  kann  nämlich  offenbar 
nur  endlichviele  Punkte  einer  solchen  Menge  aufnehmen.  Auf  Mannig- 
faltigkeiten, für  welche  wir  die  Zerlegbarkeit  in  Elementardreiecke  nicht 
voraussetzen,  ist  der  letzte  Satz  nicht  allgemein  richtig.  Wäre  die  Menge 
der  irregulären  Elemente  in  einem  analytischen  Gebilde  nicht  abzählbar,, 
so  könnte  das  analytische  Gebilde  gewiß  nicht  trianguliert  werden.  Um- 
gekehrt wird  diese  Tatsache,  daß  ein  analytisches  Gebilde  in  Wahrheit 
nur  abzählbar  viele  irreguläre  Elemente  enthält,  in  §  6  für  uns  der  wesent- 
liche Ausgangspunkt  werden  für  die  wirkliche  Triangulation  eines  be- 
liebigen analytischen  Gebildes. 

Gibt  es  überhaupt  keine  unendliche  Punktmenge  ohne  Verdichtungs- 
stelle auf  ^,  so  heißt  ^  geschlossen.  Eine  Menge  ohne  Verdichtungs- 
stelle erhält  man,  wenn  man  willkürlich  im  Innern  eines  jeden  Elementar- 
dreiecks A  einer  bestimmten  Zerlegung  von  ^  einen  Punkt  wählt.  Also: 
Eine  geschlossene  Fläche  läßt  sich  in  endlichviele,  niemals  aber  in  unendlich- 
viele  ElementardreiecJxe  zerlegen.  Aber  auch  umgekehrt :  Eine  offene  (=  un- 


§  5.    Beispiele  von  Flächen. 


25 


geschlossene)  Fläche  läßt  sich  in  unendlichviele,  niemals  ober  in  endlich- 
viele  Elementardreiecke  zerlegen.  Denn  ist  die  Anzahl  der  Elementardreiecke 
A  endlich,  so  hat  jede  unendliche  Punktmenge  auf  %  eine  Verdichtungs- 
stelle, da  auf  mindestens  eines  der  Dreiecke  A  unendlichviele  Punkte 
einer  solchen  Menge  entfallen  müssen. 

§  5.  Beispiele  von  Flächen. 

1.  Die  Euliidische  Ebene  (offen). 

2.  Das  Innere  eines  Quadrats  (offen). 


/ 

/  °. 

1/ 

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/    o 

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Y 

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A 

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/ 

/ 

A 

A 

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',"' 

~ 

-^ 

'/ 

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^ 

/ 

j ! 

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y^ 

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l\ 

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1  \ 

'/ 

/ 

y^ 

/ 

/ 

il 

,'/ 

^ 

^ 

/ 

l\ 

|/r  — 

— 

Fig.  2.     Triangulation  der  Ebene  und  der 
Fläche  %  (S.  28). 


Fig.  3.     Triangulation  des  Quadratinnem. 


Durch  die  beigefügten  Figuren  soll  eine  bestimmte  Triangulation  dieser 
Flächen  angedeutet  sein.  Dabei  ist  jedes  Dreieck  dadurch  zu  einem  „Dreieck 
auf  f5"  im  Sinne  von  §  4  zu  machen,  daß  man  die  Punkte  desselben  durch 
die  zu  den  Ecken  des  Dreiecks  gehörigen  homogenen  Schvv^erpunktskoor- 
dinaten  zur  Darstellung  bringt. 

3.  Die  projektive  Ebene.  Sie  kann  arithmetisch  definiert  werden  als 
Gesamtheit  der  aus  irgend  drei  reellen  Zahlen  (^j,  ^g?  I3)  +  (0,  0,  0)  zu 
bildenden  Verhältnisse  ^^ :  ^9  =  ^3-  -^^^  Begriff  der  Umgebung  ist  so  zu 
fassen,  daß  ein  variabler  „Punkt"  ^^  :  ^j  :  I3  dann  und  nur  dann  gegen 
den  festen  Punkt  |? :  1" :  ^3  konvergiert,  falls 

gegen  0  geht.  Eine  Triangulation  (in  zehn  Elementardreiecke)  wird  durch 
Figur  4  angedeutet;  dabei  ergibt  sich  ohne  weiteres,  wie  die  einzelnen 
Dreiecke  mit  Hilfe  der  zu  jedem  von  ihnen  gehörigen  projektiven  Drei- 
eckskoordinaten als  „Dreiecke"  in  unserm  allgemeinen  Sinne  aufgefaßt 
werden  können.  Die  projektive  Ebene  ist  geschlossen. 

4.  Die  Oberfläche  des  regulären  Oktaeders  zerfällt  auf  natürliche 
Weise  in  acht  Dreiecke,  die,  auf  ihre  Schwerpunktskoordinaten  bezogen^ 


26 


Begriff  und  Topologie  der  Riemannsclien  Flächen. 


als  Elementardreiecke  einer  Triangulation  aufgefaßt  werden  können.  Ge- 
schlossen. 

5.  Durch  Projektion  des  regulären  Oktaeders  von  seinem  Mittelpunkt 
aus  auf  die  Oberfläche  der  umbeschriebenen  Kugel  erhält  man  die  Kugel 
als  eine  in  acht  Elementardreiecke  (die  Oktanten)  zerlegte  Mannigfaltig- 
keit. Kugel  und  Oktaeder  sind  im  Sinne  der 
Analysis  situs  äquivalent. 

Das  Möhiiissche  Band})  Es  entsteht 
einem  langen  schmalen  Rechteck,  wenn 
man    dasselbe    im   drei- 
dimensionalen Raum  um 
180"  tordiert  und  so  zu- 
sammenbiegt,   daß     die 
Schmalseiten  des  Recht- 
ecks in  verkehrter  Lage 
zur    Deckung  kommen. 
Diese    Raumfläche    läßt 
sich,    auf  rechtwinklige 
Koordinaten    xys    bezogen,    mit    Hilfe 
zweier   reeller   Parameter  q,  cp   am   ein- 
fachsten  analytisch   so  zur  Darstellung 
bringen  ^) : 

ix='{a  —  ()  sin  \(p)  cos  qp 
\y  =  {a  —  Q  s\n\ cp)  sin (p 
\z  =  Q  cos  \q). 


Fig.  4     Triangulation  der  projektiven 
Ebene. 


Fig. 


MöbiusBches  Band. 


(p  ist  unbeschränkt  veränderlich,  q  an  die  Bedingung  p  |  <  A  geknüpft; 
a  und  h  bedeuten  positive  Konstante,  von  denen  h  die  kleinere  sein  muß. 
Im  Sinne  der  Analysis  situs  ist  das  Möbiussche  Band  offenbar  mit  der 
folgenden  Mannigfaltigkeit  ®  identisch: 

In  einer  Euklidischen  Ebene  mit  den  rechtwinkligen  Koordinaten 
Q,  (p  betrachten  wir  den  Streifen  j  ()  |  <  1  und  die  durch 

q'  =  {—IYq,     (p'  =  (p  +2n%     [w  =  0, +  1, +2,  •.•] 

'definierte  diskrete  Gruppe  V  von  Paddelbewegungen ^)  (p,  (p)  ->  {q  cp'). 


Ein 


1)  Möbius,  Werke,  Bd.  2,  S.  484—485  und  S.  519—521. 

2)  Die  durch  diese  Gleichungen  dargestellte  Fläche  ist  allerdings  keine 
Developpable. 

3)  Das  (niederdeutschem  Sprachgebrauch  entlehnte)  Wort  „Paddelbewegung" 
soll  darauf  hindeuten,  daß  die  Gruppe  erhalten  wird,  indem  man  die  Ebene 
fortgesetzt  um  eine  Achse  umklappt,  abwechselnd  links  herum  und  rechts  her- 
um, sie  dabei  aber  gleichzeitig  jedesmal  (um  das  Stück  2it)  in  Richtung  jener 
Achse  vorwärtsschiebt. 


§  5.    Beispiele  von  Flächen. 


27 


Punktsystem  S  in  dieser  Ebene  heißt  ein  System  hinsichtlich  T  äquiva- 
lenter Punkte  (oder  kürzer:  ein  Punktsystem  zu  f),  wenn  durch  jede 
Bewegung-  der  Gruppe  f  die  Punkte  von  S  ineinander  übergehen,  aber 
auch  jeder  Punkt  von  S  in  jeden  andern  durch   eine  Bew^ung  dieser 


Fig.  7b.  Triangulation  von  SB. 


Fig.  7a.     Punkt  auf  SB  mit  Umgebung  und  Winkel. 

Oruppe  übergeführt  werden  kann.  Ein  dem  Streifen  |  (>  <  1  angehöriges 
Punktsystem  zu  f  nennen  wir  einen  „Punkt"  der  zu  definierenden  Mannig- 
faltigkeit 8.  Ist  5'o  ein  solcher  „Punkt"  von  S  und  schlägt  man  um  die 
einzelnen  (Euklidischen)  Punkte  des  Punktsystems  Sq  lauter  kongruente 
Kreise  (Fig.  7  a),  die  ganz  im  Streifen  liegen,  so  bilden  diejenigen  Punkt- 
systeme S  zu  r,  die  in  jedem  dieser  Kreise  durch 
einen  Punkt  vertreten  sind,  eine  „Umgebung"  von 
Sq  auf  58.  Sagt  man  von  einem  gewöhnlichen 
Punkte,  der  dem  Punktsystem  5  zu  f  angehört, 
er  „liege  über"  dem  „Punkte"  S  von  93,  so  erscheint 
der  Parallelstreifen  als  eine  „Überlagerungsflä cJte" 
über  93,  welche  ©  unendlichviel-blättrig  überzieht,  ohne  jedoch  an  irgend 
einer  Stelle  relativ  zu  93  verzweigt  zu  sein.  Im  Parallelstreifen  wenden 
wir  die  Euklidische  Winkelmessung  an;  indem  wir  ihn  als  Überlagerungs- 
fläche  von  93  auffassen,  überträgt  sich  diese  Winkelmessung  ohne  wei- 
teres auf  93.  Dabei  wird  aber  das  Winkelmaß  nicht  bloß  bis  auf  ganz- 
zahlige Vielfache  von  2%,  sondern  auch  seinem  Vorzeichen  nach  unbe- 
stimmt (Fig.  7  a).  Dieser  Umstand  hängt  mit  einer  Eigenschaft  des  Mö- 
biusschen  Bandes  zusammen,  die  man  als  seine  „Einseitigkeit"  bezeichnet 
(ohne  die  Fläche  zu  verlassen  und  ohne  über  ihren  Rand  zu  klettern, 
kann  man  von  der  einen  Seite  auf  die  andere  kommen)  und  die  wir  her- 
nach ihrer   funktionentheoretischen 

-P,     1        .  ,  .  A,2  Ebene  m  =  0. 

Bedeutung  wegen  noch  genauer  ms 
Auge  fassen  werden.  —  Eine  Trian- 
gulation von  93  und  damit  desMöbius- 
schen  Bandes  deutet  Fig.  7  b  an. 

7.  Der  Toms  entsteht  (Fig.  8), 
wenn  man  einen  Kreis  vom  Radius 
r  um  eine  in  seiner  Ebene  gelegene  Achse,  die  den  Kreis  nicht  trifft, 
rotieren  läßt;  i2(>r)  möge  der  senkrechte  Abstand  des  Kreismittel- 
punktes von  der  Achse  sein.  Die  rechtwinkligen  Koordinaten  xyz  der 
Punkte  auf  der  Fläche  lassen  sich  mit  Hilfe  zweier  reeller  Parameter  6, 
<p,  deren  geometrische  Bedeutung  evident  ist,  in  der  Form 


Konstruktion  des  Torus. 


28  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

IX  =  (R  -\-  r  COS  6)  cos  (p, 
y  =  (B,  -{-  r  cos  6)  sin  (p, 
z  =  r  sin  <5 

darstellen.  Dem  Torus  kommt  als  einer  Fläche  im  dreidimensionalen 
Euklidisclien  Raum  eine  natürliche  (Euklidische)  Winkelmessung-  zu.  Ist 
eine  Kurve  auf  dem  Torus 

ip  =  fp{X),    ö  =  (y(A) 
gegeben,  wobei  ^.,  j    stetig  seien  und  durchweg  (  ,,  j    -f  (^)   4=  0,  so 

berechnet  sich  der  Differentialquotient  der  Bogenlänge  s  =  s{X)  dieser 
Kurve  aus: 


Führt  man  statt  6  einen  neuen  Parameter  ip  ein: 
(8) 


7    r  +  ^° 


+  cos  (? 

0 

so  kann  man  statt  dessen  schreiben 

(9)  ds^  =  e{d(p^  +  dV),  wo  e  =  (22  +  r  cos  6)\ 

Durch  (8)  ist  if  als  eindeutige,  stetig  differentiierbare  Funktion  von  6y. 

aber  auch  umgekehrt  6  als  eine  ebensolche  Funktion  von  t^»  erklärt.    Die 

Werte  (9,  t/;),  die  einem  bestimmten  Punkt  auf  dem  Torus  entsprechen,, 

sind  nur  bis  auf  ganzzahlige  Vielfache  von 

2rt 

t^         ,  f        d6  2jtr 

2  7t,    bzw. 


/■-^ 


YB^ 


cos  ö 

r 
0 

bestimmt.    Wir  werden   so   dazu  geführt,   in  einer  Euklidischen  Ebene 

mit  den  rechtwinkligen  Koordinaten  qp,  j/'  die  Translationsgruppe 

'  10  ,  '  ,     I  27rr 


/w  =  0,  ±1,  ±2,- 

U==0,  +  1,  +2,- 
zu  betrachten  und  ein  System  hinsichtlich  f  äquivalenter  Punkte,  ein 
sog.  „Puiiktgitter",  als  „Punkt"  einer  neuen  Mannigfaltigkeit  X  anzu- 
sprechen, über  der  sich  dann  die  Ebene  als  unendlichviel-blättrige,  aber 
nirgends  verzweigte  Überlagerungsfläche  ausbreitet.  Die  Euklidische 
Winkelmessung  der  Ebene  überträgt  sich  ohne  weiteres  auf  die  Mannig- 
faltigkeit 2,   und   es    resultiert  daraus  nicht  (wie  im  Falle  des  Möbius- 


5.   Beispiele  von  Flächen.  29 


sehen  Bandes)  eine  Unsicherheit  hinsichtlich  des  Winkelvorzeichens.  Auf 
diese  Mannigfaltigkeit  X  ist  der  Torus  vermittels  seiner  Darstellung 
durch  die  Parameter  cp,  ip  umkehrbar-eindeutig  und  -gebietsstetig  abge- 
bildet; aber  nicht  nur  das:  die  Abbildung  ist  auch  konform.  Die  Glei- 
chung (9)  besagt  nämlich,  daß  das  Verhältnis  eines  Bogenelements  ds 
auf  dem  Torus  zu  dem  Bildelement  {Ydcp^  -\-  äH'^)  in  der  ()Pj/;-Ebene 
=  ]/^=  i^  +  r  cos  ö  ist,  also  nur  von  der  Stelle,  an  der  sich  das  Bogen- 
element  befindet,  nicht  aber  von  dessen  Richtung  abhängt.  Diese  kon- 
forme Abbildung  liefert  die  Grundlage  für  die  Theorie  der  analytischen 
Funktionen  auf  dem  Torus.  —  Der  Torus  ist  geschlossen;  eine  Triangula- 
tion ist  durch  Fig.  2  gegeben,  wenn  das  dort  stark  ausgezogene  Rechteck, 
dessen  Seiten  den  Koordinatenachsen  parallel  sind,  die  Seitenlängen  2x 
und      ^''^       besitzt.    Auch  ist  in  dieser  Figur  ein  „Punkt"  von  %  durch 

Nullkreise  markiert. 

8.  Die  möglichen  simultanen  Stellungen  zweier  auf  einem  Ziffern- 
blatt spielender  Zeiger  sind  die  Punkte  einer  Mannigfaltigkeit,  auf  der 
man  eine  stetige  Kurve  beschreibt,  wenn  man  die  beiden  Zeiger  irgend- 
wie gleichzeitig  in  stetiger  Weise  bewegt.  Diese  Mannigfaltigkeit  ist 
offenbar  geschlossen  und  dem  Torus  äquivalent. 

9.  Damit  eine  Fläche  im  Sinne  der  Analysis  situs  gegeben  ist,  ge- 
nügt es,  die  Dreiecke,  aus  denen  sie  (nachdem  sie  in  einer  bestimmten 
Weise  trianguliert  ist)  besteht,  durch  irgendwelche  Symbole  (z.  B.  Num- 
mern) zu  kennzeichnen  und  die  Verknüpfung  dieser  Dreiecke  anzugeben. 
Am  einfachsten  geschieht  das  in  der  Weise,  daß  man  die  Ecken  nume- 
riert und  dann  jedes  Dreieck  in  der  Form  {efg)  [oder  (feg)  oder  •  •  •]  no- 
tiert, wenn  e,  f,  g  die  Nummern  seiner  Ecken  sind.^)  Das  so  entstehende 
Schema  wird  der  Bedingung  genügen,  daß  jede  Ecke  e^  nur  in  einem 
einzigen  endlichen  Zyklus  von  Dreieckssymbolen: 

(e^e^e.^,     {e^e^e^),     ■■-,     (ef^e^^^e^),     (e^e^e,) 

auftritt.  Ferner  wird  man  die  Eckennummern  in  keiner  Weise  so  in 
zwei  Klassen  teilen  können,  daß  jedes  Dreieckssymbol  entweder  drei 
Ecken  aus  der  einen  oder  drei  Ecken  aus  der  andern  Klasse  aufweist. 
Jedes  Schema  von  Symbolen  (efg),  das  diesen  Bedingungen  genügt,  de- 
finiert auch  eine  bestimmte  Fläche  im  Sinne  der  Analysis  situs  (samt 
einer  bestimmten  Triangulierung  derselben).  Diese  abstrakte  Art  der 
Beschreibung  eignet  sich  insbesondere  für  geschlossene  Flächen,  da  für 
diese  das  nur  aus  endlichvielen  Symbolen  bestehende  Schema  vollständig 
hingeschrieben  werden  kann.  Die  Aufstellung  aller  zulässigen  endlichen 
Schemata  ist  eine  rein  kombinatorische  Aufgabe.    Es  erhebt  sich  natür- 


1)  Möbius,  Werke  Bd.  II,  S.  478  f. 


30  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

lieh  sogleich  die  Frage,  wann  zwei  solche  endlichen  Schemata  eine  und 
dieselbe  Fläche  (in  verschiedener  Triangulierung)  darstellen;  die  weiteren 
Entwicklungen  über  Analysis  situs,  die  dieses  Kapitel  enthält,  werden, 
wichtige  Beiträge  zur  Beantwortung  dieser  Frage  liefern. 

Das  Schema  des  Tetraeders  und  damit  der  Kugel  lautet  beispiels- 
weise: 

(123)     (234)     (341)     (412). 

In  anderer,  oktaedrischer  Triangulierung  [vgl.  Fig.  5]  kann  die  Kugel 
durch  die  Tabelle 

(112)     (123)     (134)     (141) 

(II 12)     (II  2  3)     (II 3  4)     (II 41) 

beschrieben  werden.  Die  projeMive  Ebene  in  der  oben  [Fig.  4]  gezeich- 
neten Triangulation  besitzt  das  folgende  Schema^): 

(121)  (2  3 II)  (3  IUI) 

(12n)         (2  3 III)  (311) 

(1  n  III)     (2  III  I)  (3  I  II) 

(I  II  III). 

10.  Jedes  analytische  Gebilde  liefert  ein  Beispiel  für  eine  „Fläche" 
in  unserm  Sinne,  wenn  wir  die  dem  analytischen  Gebilde  angehörigen 
Funktionselemente  als  „Punkte"  betrachten  und  den  zur  Definition  der 
Fläche  erforderlichen  Begriff  „Umgebung"  mit  dem  in  §  2  behandelten 
Begriff  „analytische  Umgebung"  zusammenfallen  lassen.  Es  ist  zu- 
nächst klar,  daß  in  dieser  Deutung  jedes  analytische  Gebilde  zu  einer 
zweidimensionalen  Mannigfaltigkeit  wird;  nur  bleibt  noch  zu  beweisen,, 
daß  diese  Mannigfaltigkeit  stets  auch  einer  bestimmten  Triangulierung 
fähig  ist. 

§  6.    Analytische  Gebilde,  als  Flächen  betrachtet. 

Ein  Dreieck  A  auf  einer  beliebigen  zweidimensionalen  Mannigfaltig- 
keit %  kann  man  derartig  Punkt  für  Punkt  durch  ein  Euklidisches  Drei- 
eck D  mit  den  Ecken  1,  2,  3  repräsentieren,  daß  man  jedem  Punkt  von 
A,  der  nach  S.  21  ein  bestimmtes  Koordinatenverhältnis  Ij :  ^2  =  ^3  (^^  ^) 
besitzt,  denjenigen  Punkt  von  D  zuordnet,  dessen  homogene  Schwer- 
punktskoordinaten in  bezug  auf  die  Ecken  1,  2,  3  den  gleichen  Wert 
^x'-i%'-  ^3  besitzen.  Und  umgekehrt  darf  man  eine  Punktmenge  A  auf  f^, 
die  umkehrbar  eindeutig  und  stetig  auf  ein  Euklidisches  Dreieck  D  ab- 
gebildet ist,  auf  Grund  dieser  Abbildung  als  ein  Dreieck  auf  ^^  ansprechen. 
Jede  in  D  gelegene  geradlinige  Strecke  ist  dann  Bild  einer  ganz  in  A 


1)  Die  in  den  ersten  beiden  Zeilen  stehenden  Dreiecke   ziehen  sich  durchs 
Unendliche. 


§  6.  Analytische  Gebilde  als  Flächen.  31 

verlaufenden  Kurve  auf  ^,  die  wir  als  „Elemeutarstrecke"  in  A  be- 
zeichnen, und  jedes  ganz  in  D  gelegene  Euklidische  Dreieck  D*  ist  Bild 
eines  Dreiecks  A*  auf  der  Mannigfaltigkeit;  A*  nennen  wir  ein  „Teil- 
dreieck** von  A. 

^  sei  in  bestimmter  Weise  in  Elementardreiecke  zerlegt.  Eine  an- 
dere Zerlegung  t,'  derselben  Mannigfaltigkeit  in  Elementardreiecke  nen- 
nen wir  eine  Uuterteihing  der  ersten,  ^,  wenn  jedes  Elementardreieck 
der  Zerlegung  ^'  Teildreieck  eines  Elementardreiecks  der  Zerlegung  t, 
ist.  Ist  ^  eine  gegebene  Zerlegung  in  Elementardreiecke,  so  kann  man 
sich  sehr  leicht  eine  solche  Folge  von  Triangulationen  ^^  t^,  ^3,  •  •  •  ver- 
schaffen, daß  1)  ^^  =  ^  ist,  2)  jedes  ^„^^  eine  Unterteilung  des  vorher- 
gehenden ^„  ist  und  3)  die  Teilung  t,^  mit  unbegrenzt  wachsendem  n  l3e- 
liel)ig  fein  wird.  Das  letzte  soll  besagen:  Ist  |)  ein  beliebiger  Punkt 
von  ^,  IX  eine  beliebige  Umgebung  von  p  auf  ^,  so  gibt  es  immer  einen 
Index  n  derart,  daß  dasjenige  Elementardreieck  (oder  ausnahmsweise: 
diejenigen  Elementardreiecke)  von  2;„,  in  welchem  (welchen)  p  liegt,  selber 
ganz  in  U  enthalten  ist  (sind).  Waren  auf  ^  irgend  abzählbar  unend- 
lichviele  Punkte  p^i  p3>  " " '  gegeben,  so  können  wir  diese  Folge  von  immer 
feiner  werdenden  Unterteilungen  noch  so  einrichten,  daß  pg  unter  den 
bei  der  Teilung  ^3  auftretenden  Eckpunkten  enthalten  ist,  P3  unter  den 
Eckpunkten  der  Teilung  ta  usw.  Von  dieser  Bemerkung  werden  wir  so- 
gleich Gebrauch  machen. 

Zunächst  soll  gezeigt  werden,  daß  jedes  Gebiet  ö)  auf  einer  Fläche 
^  (das  nach  S.  21  selbst  als  eine  zweidimensionale  Mannigfaltigkeit  auf- 
gefaßt werden  kann)  einer  Triangulation  fähig  ist,  wenn  dies  für  %  zu- 
trifft. Man  gehe  aus  von  einer  Triangulation  t,  =  t,^  von  %  und  konstruiere 
dazu  eine  Folge  von  Unterteilungen  t,^,  ^3,  ...,  deren  Feinheitsgrad  mit 
wachsendem  Index  unter  jede  Grenze  herabsinkt.  Es  seien  V^  diejenigen 
Dreiecke  von  t,^,  die  ganz  innerhalb  %  liegen;  V^  diejenigen  Dreiecke  von 
^2,  die  ganz  in  @  liegen,  aber  nicht  Teile  der  V^  sind;  T^  diejenigen  Dreiecke 
von  ^3,  die  ganz  in  @  liegen,  aber  weder  Teile  von  Dreiecken  r^  noch 
von  Tg  sind;  usw.  Alle  die  Dreiecke  r^,  r2,  Tg,  ...,  die  in  ihren  inneren 
Punkten  durchweg  verschieden  sind,  aber  zusammen  das  ganze  Gebiet  % 
erfüllen,  mögen  mit  einem  gemeinsamen  Namen  „die  Dreiecke  f"  heißen. 
Auf  den  Kanten  eines  DreiecJcs  f  liegen  nur  endlichviele  Ecken  von  Drei- 
ecJcen  T.  Lägen  daselbst  nämlich  unendlichviele,  so  hätten  sie  eine  Ver- 
dichtungsstelle p.  Zu  p  gehört  eine  Umgebung  U,  die  ganz  in  @  gelegen 
ist,  und  es  findet  sich  ein  Index  n,  so  daß  alle  Dreiecke  der  Teilung  ^„, 
welche  p  enthalten,  ganz  in  U  und  damit  ganz  in  &  gelegen  sind.  Im 
Innern  des  Dreieckpaars  (oder  Dreiecksterns)  von  ^„,  welches  p  enthält, 
kann  aber,  abgesehen  vielleicht  von  p  selbst,  kein  Eckpunkt  von  Drei- 
ecken r  liegen.  Das  ist  ein  Widerspruch.  —  Unsere  Konstruktion  wird 
jetzt  so  fortgesetzt:  Ein  einzelnes  Dreieck  f,  es  heiße  f,  läßt  sieh  so  in 


32  BegriiF  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

endlicliTiele  Teildreiecke  zerlegen,  daß  die  Ecken  dieser  Teildreiecke  ge- 
nau alle  die  auf  den  Kanten  von  P"  gelegenen  Ecken  der  Dreiecke  f  sind 
(Fig.  9).  Führen  wir  diesen  Teilungsprozeß  nicht  nur  mit  f",  sondern  mit 
jedem  Dreieck  f  aus,  so  gewinnen  wir  dadurch  die  gewünschte  Zerlegung 
von  @  in  Elementardreiecke. 

Durch  Überlegungen  ganz  analoger  Art  ge- 
lingt nun  auch  der  am  Schluß  des  vorigen  Para- 
graphen angekündigte  Nachweis,  daß  jedes  ana- 
lytische Gebilde  0,  als  zweidimensionale  Mannig- 
faltigkeit aufgefaßt,  in  Elementardreiecke  zerlegt 
werden   kann.    Wir   operieren  mit  einer  ^f-Kugel, 

Fig.  9.     Zerlegung  in  Teil-  "n       i  j.  ■        ■        x.    ^  j.         tut    •  /j         i 

dreiecke.  deren  Funktcn  wir  m  bekannter  Weise  (durch 
stereographische  Projektion)  die  Werte  der  komplexen  Veränderlichen  2 
einschließlich  oo  zugeordnet  denken.  Ein  zu  (jr  gehöriges  Funktions- 
element:   

u  =  Potenzreihe  in  yz  —  a 

nennen  wir  einen  „über  dem  Punkte  ^  =  a  der  ^-Kugel  gelegenen"  Punkt 

von  Cr;  schreitet  u  nach  Potenzen  von  -^r^  fort,  so  liegt  das  betreffende 

yz 

Funktionselement  über  dem  Punkt  oo  der  ^-Kugel.  Cr  erscheint  dieser  Aus- 
drucksweise gemäß  als  eine  gewisse  Überlagerungsfläche  über  der  ^-Kugel, 
als  ein  Gebilde  von  der  Art,  wie  es  Riemann  in  seiner  berühmten 
Dissertation^)  zur  Untersuchung  mehrdeutiger  analytischer  Funktionen 
eingeführt  hat,  und  das  seitdem  unter  dem  Namen  ,,Riemannsche  Fläche" 
die  Theorie  dieser  Funktionen  beherrscht. 

Wir  markieren  auf  der  Kugel  die  abzählbarvielen  Punkte  a^,  a^,  . . . , 
über  denen  verzweigte  Funktionselemente  („Terzweigiingspiiukte")  von 
G  liegen,  t,^  bedeute  die  Zerlegung  der  Kugel  in  ihre  acht  Oktanten,  die 
gemäß  §  5,  Beispiel  5)  als  Dreiecke  auf  der  Kugel  gelten  sollen;  ^^,  ^^, 
^3,  ...  sei  eine  mit  t,^  beginnende  Folge  von  Triangulationen  der  Kugel 
von  der  Beschaffenheit,  daß  immer  ^^^^  eine  Unterteilung  von  g^  ist,  a„ 
als  Eckpunkt  der  Teilung  ^^  auftritt,  und  t^  mit  unbegrenzt  wachsen- 
dem n  beliebig  fein  \\ärd.  Wir  betrachten  ein  Dreieck  D  auf  der  Kugel, 
das  in  irgendeiner  dieser  Einteilungen  ^„  auftritt.  Eine  Punktmenge  A 
auf  G  wird  als  ein  über  D  gelegenes  dreieckiges  Stück  von  Cr  zu  bezeichnen 
sein,  wenn  die  Beziehung 

»zu  A  gehöriger  Punkt  p  ->  Kugelpunkt,  über  dem  p  liegU 
eine  umkehrbar  eindeutige  stetige  Abbildung  zwischen  den  Punkten  von 
A  und  D  ist.   A  erscheint  dann  zufolge  dieser  Abbildung  als  ein  auf  G 
definiertes  Dreieck. 


1)  Werke,  2.  Aufl.,  S.  7—9. 


§  6.    Analytische  Gebilde  als  Flächen.  33 

Wir  suchen  nun  zunächst  diejenig-en  Dreiecke  A*  auf  Gr  auf,  welche 
über  einem  sphärischen  Dreieck  der  Teilung  ^^  liegen  und  keinen  Ver- 
zweigungspunkt enthalten;  solcher  Dreiecke  A*  wird  es  endlich-  oder  un- 
endlichviele  geben,  vielleicht  existiert  aber  auch  gar  keines.  Daraufsuchen 
Avir  diejenigen  Dreiecke  AI  auf  Cr,  welche  über  einem  Dreieck  der  Teilung 
^2  liegen,  welche  höchstens  einen  und  zwar  einen  über  a,  gelegenen  Verzwei- 
gungspunkt besitzen  und  welche  nicht  Teile  von  Dreiecken  A*  sind;  darauf 
diejenigen  Dreiecke  A3  auf  G,  welche  folgende  Eigenschaften  besitzen:  jedes 
A3  muß  über  einem  Kugeldreieck  der  Teilung  ^3  liegen,  darf  höchstens 
einen  einzigen  Verzweigungspunkt  enthalten  und  dieser  muß  dann  über  a^ 
oder  über  a^  liegen,  und  A3  darf  nicht  Teil  eines  Dreiecks  A*  oder  A^  sein; 
usw.  Die  Dreiecke  A*  (A*,  A^,  A3, . . .),  in  ihren  inneren  Punkten  durchweg 
verschieden,  erfüllen  zusammen  die  ganze  Fläche  0.  In  der  Tat:  ist  e 
irgendein  Element  von  G,  das  über  dem  Punkte  a  der  ^-Kugel  liegt,  und  ist  k 
eine  Kalotte  um  a,  in  der  die  Normaldarstellung  von  e  gültig  ist,  n  aber 
ein  Index  von  der  Art,  daß  alle  Dreiecke  Z)„  der  Teilung  £;„,  welche  a 
enthalten,  ganz  in  Je  liegen,  und  a,  falls  es  Verzweigungspunkt  ist,  mit 
einem  der  Punkte  a^,  a.,,  . . .,  a„  zusammenfällt:  so  liegt  über  jedem  dieser 
Dreiecke  Z)„  mindestens  ein  Dreieck  auf  G,  welches  e  enthält.  Diese  Drei- 
ecke auf  G  sind  Dreiecke  A*,  wenn  sie  nicht  bereits  als  Teile  in  Dreiecken 
A*  oder  A*  . . .  oder  A*  _  ^  enthalten  waren. 

Ohne  Einführung  neuer  Eckpunkte  läßt  sich  jetzt  mit  jedem  Drei- 
eck A*  eine  solche  Einteilung  in  endlichviele  Dreiecke  vornehmen,  daß 
die  dadurch  entstehenden  Dreiecke  A  auch  noch  diese  Eigenschaft  be- 
kommen: jeder  Punkt,  der  für  ein  A  Eckpunkt  ist,  ist  in  allen  (endlich- 
vielen)  Dreiecken  A,  denen  er  angehört,  gleichfalls  ein  Eckpunkt.  Um 
einzusehen,  daß  wir  damit  eine  Zerlegung  von  G  in  Elementardreiecke 
A.  gewonnen  haben,  beachte  man  folgende  leicht  zu  beweisende  Tatsachen: 

Zwei  Dreiecke  A,  die  über  einem  und  demselben  Dreieck  der  ^-Kugel 
liegen,  haben  entweder  keinen  Punkt  gemein  oder  einen  einzigen  Eckpunkt, 
der  dann  ein  Verzweigungspunkt  ist. 

Zwei  Dreiecke  A,  die  über  zwei  verschiedenen  Dreiecken  der  ^^-Kugel 
mit  gemeinsamer  Kante  liegen,  haben  entweder  keinen  Punkt  gemein  oder 
einen  Eckpunkt,  der  dann  ein  Verzweigungspunkt  ist,  oder  eine  ganze 
Kante,  die  über  der  gemeinsamen  Kante  der  beiden  Kugeldreiecke  liegt. 

Zwei  Dreiecke  A,  die  über  zwei  Kugeldreiecken  ohne  gemeinsamen 
Punkt  oder  mit  nur  einem  gemeinsamen  Eckpunkt  liegen,  haben  entweder 
keinen  Punkt  oder  einen  Eckpunkt  gemein. 

Ist  e  unverzweigter  Eckpunkt  eines  Dreiecks  A,  so  machen  die  Drei- 
ecke A,  welche  e  enthalten,  einen  einzigen  Zykel  aus,  der  Dreieck  für 
Dreieck  über  einem  Stern  der  ^-Kugel  liegt.  Ist  e  ein  Verzweigungspunkt 
(fi  —  1)**'  Ordnung  (}i  ^  2),  so  ist  er  Eckpunkt  für  alle  Dreiecke  A,  die 
€  enthalten;  diese  gruppieren  sich  um  e  in  einem  einzigen  Zykel,  und 

Weyl:  Die  Idee  der  Riemann»chen  Fläche  3 


34  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

z"war  liegen  je  ju.  Dreiecke  des  Zykels  über  einem  und  demselben  Dreieck 
der  ^'-Kugel. 

§  7.  Begriff  der  Riemannschen  Fläche. 

Ist  e  ein  zu  G  gehöriges  Element  und 

z  =  F(t\u=  Q(t) 

eine  für  |  ^  i  <  >*  [^'  >  0]  gültige  Darstellung  desselben,  so  gehört  zu  jedem 

tf  i  ^  '  <  r,  ein  Element  e„  das  durch  Umordnen  der  Entwicklung  von  e: 

z  =--  P(t  +  t'),  u=^Q{t-\-  t') 

nach  Potenzen  von  f  entsteht.  Dieser  Übergang  t  — >  e^  ist  eine  umkehr- 
bar eindeutige  gebietsstetige  Abbildung  des  Kreises  t  <Cr  auf  eine  ge- 
v/isse  Umgebung  des  Punktes  e  auf  G :  der  Parameter^  ersckeint  so  als 
eine  in  dieser  Umgebung  definierte  stetige  Funktion  auf  G;  wir  bezeich- 
nen ihn  als  eine  zum  Punkte  e  gehörige  „Ortsimiformi^ierende".  Jede 
andere  zu  e  gehörige  Ortsuniformisierende  t  ist  für  hinreichend  kleine  t 
in  der  Form 

darstellbar.  Eine  komplexwertige  Funktion  f,  die  in  einem  Gebiet  von 
G  definiert  ist,  wird  in  einem  Punkte  e  dieses  Gebietes  regulär-analytisch 
heißen,  w^emi  sie  sich  in  einer  gewissen  Umgebung  von  e  als  reguläre 
Potenzreihe  der  zu  e  gehörigen  Ortsuniformisierenden  t  darstellen  läßt: 

Welche  Ortsuniformisierende  dabei  t  bedeutet,  ist  gleichgültig;  wenn  eine 
solche  Darstellung  durch  eine  Ortsuniformisierende  möglich  ist,  so  ist  f 
in  der  gleichen  Art  auch  durch  jede  andere  Ortsuniformisierende  dar- 
stellbar (natürlich  immer  nur  in  einer  gewissen,  noch  von  der  Wahl  der 
Ortsuniformisierenden  abhängigen  Umgebung  von  e). 

Enthält  die  Entwicklung  von  z[z  =  F{{)\  in  der  Darstellung  des 
Funktionselements  e  keine  negativen  Potenzen  von  t,  so  ist  das  konstante 
Anfangsglied  z^  dieser  Entwicklung  allein  von  e,  nicht  aber  von  der  Dar- 
stellung des  Elements  e  abhängig;  z^^  wird  als  der  Wert  der  komplexen 
Veränderlichen  z  im  „Punkte"  C  zu  bezeichnen  sein.  Beginnt  jene  Ent- 
wicklung mit  negativen  Potenzen  von  t,  so  hat  das  Gleiche  für  eine  jede 
Darstellung  des  Funktionselements  e  statt,  und  der  Wert  von  z  im  Punkte 
e  ist  =  oo.  Auf  diese  Weise  erscheint  z  als  eine  nherall  his  auf  isolierte 
ünendlichkeitssteUen  definierte  eindeutige  regulär-analytische  FunMion  auf 
der  „Fläche"  G.  Ganz  analog  können  wir  u  als  eine  bis  auf  Pole  in  ganz 
G  eindeutig  erklärte  regulär-analytische  Funktion  auffassen.  Als  unab- 
hängiges Argument  in  beiden  Funktionen  figuriert  nicht  eine  komplexe 
Veränderliche  im  gewöhnlichen  Sinne  (d.  h.  nicht  ein  Punkt,  der  in  einem 


§  7.    Begriff  der  Riemannschen  Fläche.  35 

ebenen  Gebiet  variiert),  sondern  ein  auf  der  „Riemannschen  Fläche"  G 
variabler  Punkt. 

Für  die  Behauptung,  daß  z  und  u  analytische  Funktionen  auf  der 
Fläche  G  sind,  ist  es  wesentlich,  daß  G  nicht  bloß  als  eine  Fläche  im 
Sinne  der  Anahjsis  sitiis  gegeben  ist.  Denn  auf  einer  Fläche,  von  der  allein 
Analysis-situs-Eig-enschaften  in  Betracht  g-ezogen  werden,  kann  man  wohl 
von  stetigen  Funktionen  sprechen,  nicht  aber  von  „stetig  differentiier- 
baren",  „analytischen"  (oder  gar  „ganzen  rationalen")  Funktionen  oder 
dergl.  Um  auf  einer  Fläche  ^  analytische  Funktionentheorie  in  analoger 
Weise  wie  in  der  komplexen  Ebene  treiben  zu  können,  muß  vielmehr 
(außer  der  Definition  der  Fläche)  eine  Erklärung  abgegeben  sein,  durch 
welche  der  Sinn  des  Ausdrucks  „analytische  Funktion  auf  der  Fläche" 
so  festgelegt  wird,  daß  sich  alle  Sätze  über  analytische  Funktionen  in  der 
Ebene,  die  „im  Kleinen"  gültig  sind,  auf  diesen  allgemeineren  Begriff 
übertragen.  „Im  Kleinen"  gültige  Sätze  sind  dabei  solche,  deren  Richtig- 
keit immer  nur  für  eine  gewisse  Umgebung  eines  Punktes,  über  deren 
Größe  der  Satz  selbst  keine  Auskunft  gibt,  behauptet  wird.  Durch  eine 
solche  Erklärung  des  Ausdrucks  „analytische  Funktion  auf  f^"  wird  die 
Fläche  ^  zur  Kiemannsehen  Fläche.  Diese  Auffassung  des  Begriffs 
der  Riemannschen  Fläche,  in  anschaulicher  Form  zuerst  von  F.  Klein  in 
seiner  Schrift  „Über  Riemanns  Theorie  der  algebraischen  Funktionen  und 
ihrer  Integrale"^)  entwickelt,  ist  allgemeiner  als  diejenige,  deren  sich  Rie- 
mann  selbst  in  seinen  grundlegenden  Arbeiten  über  die  Theorie  der 
analytischen  Funktionen  bedient.  Es  kann  aber  kein  Zweifel  sein,  daß 
erst  bei  dieser  verallgemeinerten  Fassung  die  Riemannschen  Ideen  in 
ihrer  vollen  Einfachheit  und  Kraft  hervortreten.  Zu  ihr  hat  übrigens  Rie- 
mann  selbst  durch  die  in  seinem  Habilitationsvortrag^j  entwickelten,  die 

1)  Leipzig  1882.  Siehe  ferner  Klein,  Neue  Beiträge  zur  Riemannschen  Funk- 
tionentheorie, Math.  Ann.  Bd.  21  (1883),  §§  1—3  [S.  146—151].  Flächen,  die 
durch  Ränderzuordnung  geschlossen  sind,  als  Träger  analytischer  Funktionen 
kommen  bereits  früher  vor  (s.  Riemann,  Art.  12  der  „Theorie  der  Abelschen 
Funktionen",  Werke  S.  121;  H.  A.  Schwarz  in  seiner  fundamentalen  Arbeit  über 

die  Integration  der  partiellen  Differentialgleichung  ^^^  +  ^—^  =  0  aus  dem  Jahre 

1870,  Gesammelte  mathematische  Abhandlungen  Bd.  II,  S.  161 ;  Dedekind,  Grelles 
Journal  Bd.  83,  1877,  S.  274 ff.  Frei  im  Raum  gelegene  Flächen  wurden,  freilich 
nur  zu  Analysis-situs-Untersuchungen,  zuerst  herangezogen  von  Tonelli  (1875; 
Atti  dei  Lincei,  ser.  II,  t.  2)  und  Clifford  (1876;  Mathematical  Papers,  S.  249  ff.). 
Klein  selbst  hat,  wie  er  in  der  Vorrede  zu  seiner  Schrift  „Über  Riemanns 
Theorie"  (pag.  IV)  mitteilt,  den  ersten  Anstoß  zu  seiner  Auffassung  durch  eine 
gelegentliche  mündliche  Bemerkung  von  Prym  (1874)  erhalten.  Bei  Klein  handelt 
es  sich  immer  nur  um  geschlossene  Gebilde.  Der  allgemeinste  Begriff  findet  sich 
explizit  wohl  erst  bei  Koebe,  vgl.  z.  B.  Göttinger  Nachrichten  1908,  S.  338—339 
(Fußnote). 

2)  „Über  die  Hypothesen,  welche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen",  Werke, 
2.  Aufl.,  S.  272—287. 

3* 


36  Begriff  und  Topologie  der  RiemannBchen  Flächen. 

M-dimensionalen  Mannigfaltigkeiten  betreffenden  Begriffsbildungen  den 
Grund  gelegt,  und  es  darf  wohl  als  sicher  angenommen  werden,  daß  für 
Riemann  die  in  jenem  Vortrag  ausgesponnenen  Gedanken  in  enger  Be- 
ziehung zu  seinen  funktionentheoretischen  Untersuchungen  standen,  ob- 
wohl diese  Beziehungen  von  ihm  nicht  ausdrücklich  hervorgehoben 
werden. 

AUgemeiue  Definition  des  Begriffs  der  Riemannschen  Fläche. 
Liegt  eine  Fläche  ^  vor  und  ist  außerdem  für  jeden  Punkt  pQ  von  ^J  und 
jede  in  irgend  einer  Umgebung  von  p^  vorhandene  Funktion  /"(p)  auf  f^ 
erklärt,  wann  /'(p)  im  Punkte  pQ  regulär-analytisch  heißen  soll,  so  ist  da- 
mit eine  Riemannsclie  Fläche  ^^  gegeben,  als  deren  Punkte  die  Punkte 
von  ^  betrachtet  werden.  Jene  Erklärung  aber  muß  den  folgenden  Bedin- 
gungen genügen: 

1.  Ist  Po  irgend  ein  Punkt  von  ^,  so  gibt  es  eine  Funktion  t{'p),  die 
nicht  nur  im  Punkte  p^  {woselbst  sie  den  Wert  0  besitzt)  sondern  auch  in 
allen  Punkten  p  einer  geivissen  Umgebung  von  p^  auf  ^  regulär-analytisch 
ist  und  von  dieser  Umgebung  ein  umkehrbar-eindeutiges,  -gebietsstetiges  Bild 
in  der  komplexen  t-Ebene  entwirft;  eine  solche  Funktion  heißt  eine  Orts- 
uniformisierende  zu  p^. 

2.  Ist  /"(p)  irgend  eine  im  Punkte  po  regulär-analytische  Funktion  und 
t{p)  eine  zu  p^  gehörige  Ortsuni formisierende,  so  gibt  es  stets  eine  Um- 
gebung Uq  von  Po,  in  welcher  f()fi)  sich  als  eine  reguläre  Potenzreihe  in  t{p) 

(10)  /-(p)  =  «0  +  «i^(p)  +  aSo?)y  +  •  • . 

darstellen  läßt. 

Aus  diesen  Forderungen  ergibt  sich:  Ist  x  neben  t  eine  andere  zu 
Po  gehörige  Ortsuniformisierende,  so  muß  in  einer  gewissen  Umgebung 
von  Po  eine  Darstellung 

T  =  y^t  -{-  y^t^  -\ 

gültig  sein.  Da  sich  aber  auch  umgekehrt  t  in  analoger  Weise  durch  t 
ausdrücken  muß,  ist  notwendig  y^  =}=  0.  Um  die  Analytizität  einer  Funk- 
tion /\p)  im  Punkte  po  nachzuweisen,  genügt  es  daher  stets,  die  Existenz 
einer  Darstellung  (10)  durch  eine  einzige  zu  po  gehörige  Ortsuniformi- 
sierende ^(p)  zu  erweisen. 

Sind  irgend  zwei  Riemannsche  Flächen  f^^,  %^  gegeben,  so  heißt 
eine  Abbildung,  welche  f^^  Punkt  für  Punkt  umkehrbar-eindeutig  und 
-gebietsstetig  so  auf  ff^  abbildet,  daß  jede  in  irgend  einem  Punkte  von 
^y  regulär-analytische  Funktion  durch  diese  Abbildung  in  eine  Funktion 
auf  ^2  übergeht,  die  im  Bildpunkt  regulär-analytisch  ist,  eine  konforme 
Abbildung.  Der  Grund  für  diese  Benennung  wird  bald  ersichtlich  wer- 
den. Zwei  Riemannsche  Flächen,  welche  sich  konform  aufeinander  abbilden 
lassen,   werden  als   (konform-)   äquivalent  und  nur  als  verschiedene 


§  7.   Begriff  der  Riemannsclien  Fläche.  37 

Yerwirklichungen  einer  und  derselben  idealen  Riemannschen  Fläche  zu 
betrachten  sein.  Als  innere  Eigenschaften  einer  Riemannschen  Fläche 

werden  stets  nur  solche  gelten  können,  die  gegenüber  konformer  Abbil- 
dung invariant  sind,  welche  also,  wenn  sie  einer  Riemannschen  Fläche  ^ 
zukommen,  auch  jeder  mit  dieser  äquivalenten  Riemannschen  Fläche 
anhaften.  Alle  Analysis-situs-Qualitäten  gehören  selbstverständlich  zu 
diesen  inneren  Eigenschaften  einer  Riemannschen  Fläche. 

Jedes  Teilgebiet  einer  Riemannschen  Fläche  ist  selbst  eine  Riemann- 
sche  Fläche.  Jede  Ortsuniformisierende  zu  einem  Punkt  p  bildet  eine  ge- 
wisse Umgebung  von  p  konform  auf  ein  ebenes  Gebiet  ab.  Dabei  ist  die 
Ebene  gleichfalls  als  Riemannsche  Fläche  aufzufassen  und  zwar  so,  wie 
es  dem  elementaren  Begriif  der  analytischen  Funktion  in  der  komplexen 
Gaußschen  Zahlenebene  entspricht. 

Wir  haben  oben  erörtert,  in  welchem  Sinne  ein  analytisches  Gebilde 
als  Riemannsche  Fläche  angesehen  werden  kann.  Aber  die  Begriffe  „ana- 
lytisches Gebilde"  und  „Riemannsche  Fläche"  fallen  nicht  zusammen. 
Durch  ein  analytisches  Gebilde  [s,  u)  ist  uns  nicht  bloß  eine  Riemann- 
sche Fläche  gegeben,  sondern  gleichzeitig  zwei  bis  auf  Pole  reguläre 
Funktionen  z  und  u  auf  ihr.  0  und  ii  genügen  dabei  folgender  Bedingung : 
Es  gibt  keine  zwei  verschiedene  Punkte  p?,  pg  auf  der  Riemannschen  Fläche, 
zugehörige  Ortsuniformisierende  ^j,  bzw.  t^  und  zwei  nach  ganzen  Potenzen 
von  t  fortschreitende  Reihen  P(t),  Q  (t)  von  der  Art,  daß 

2  =  Pißi),  u  =  Q(t{)  in  der  Umgebung  von  p?, 

z  =  ^(^2)7  ^  ^  Qih)  ^  dßr  Umgebung  von  p2 

ist.  Zu  einer  beliebigen  RiemannschenFläche  bekommt  man  immer  dadurch, 
daß  man  auf  ihr  irgend  zwei  bis  auf  Pole  reguläre  Funktionen  z,  11  aus- 
zeichnet, welche  der  eben  formulierten  Bedingung  genügen,  ein  ana- 
lytisches Gebilde.  Wenn  es  aber  überhaupt  ein  solches  Funktionenpaar 
2,  u  gibt,  so  läßt  es  sich  auch  immer  auf  unendlichviele  verschiedene 
Arten  wählen;  z.  B.  kann  ich  statt  z,  u  irgend  zwei  lineare  Kombinationen 
von  z,  u  benutzen: 

z'  =  az  -{-  hu,     u  =  Az  +  Bu 

[a,  h;  A,  B  konstant;  aB  —hA=^0]. 

Daß  zu  jeder  vorgegebenen  Riemannschen  Fläche  ivirklich  ein  FimJc- 
tionenpaar  (z,  u),  d.  h.  ein  analytisches  Gebilde  gehört,  ist  eine  Grundtat- 
sache der  Riemannschen  Funktionentheorie,  deren  Beweis  für  geschlossene 
Riemannsche  Flächen  in  Kap.  II  dieser  Schrift  mit  Hilfe  des  von  Riemann 
zu  dem  gleichen  Zweck  verwendeten  Thomson -Dirichletschen  Prinzips 
erbracht  werden  wird. 


38  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

Wir  zählen  nunmehr  einige  invariante  Begriffe  auf,  welche  das  Ver- 
halten von  Funktionen  und  Kurven  auf  Riemannschen  Flächen  betreffen. 

Beginnt  die  Entwickhmg  einer  im  Punkte  p^  regulären  Funktion 
f(p)  nach  Potenzen  der  zu  p^  gehörigen  Ortsuniformisierenden  t  mit  dem 
Gliede  a^t'"  (a„=t=  0),  so  ist  p^  eine  Nullstelle  der  m'"''  Ordnung  \onf 
Wir  sagen  auch:  f  hat  an  der  Stelle  po  ^lie  Ordnung  m.  Ist  t(p)  irgend 
eine  andere  Ortsuniformisierende  zu  pQ, 

^  =  Ci  r  4-  ^2  T-  H (q  4=  0; , 

so  beginnt  die  Entwicklung  von  f  nach  Potenzen  von  r  mit  dem  Gliede 
a^Cj^"'-T'";  daraus  folgt  die  „Invarianz"  der  Ordnung  m  einer  Nullstelle. 
Gestattet  eine  Funktion  f(p)  in  einer  gewissen  Umgebung  des  Punktes 
pQ,  abgesehen  vom  Punkte  p^  selbst,  eine  Entwicklung 

/■  =  ^  4 +  ^  +  0^0  +  «1  ^  H [«-  n  +  0,  )e  ganz  und  >  0] , 

so  hat  f  an  der  Stelle  po  einen  Pol  w'"  Ordnung;  wir  sagen  auch:  /"hat 
an  der  Stelle  p^  die  Ordnung  —  n.  Invarianzbeweis  wie  oben.  Hat  die 
Funktion  /"( p)  an  der  Stelle  p^  die  Ordnung  k  (^  0)  und  5f(p)  die  Ordnung 

l,  so  hat  fg  in  p^  die  Ordnung  k  -\- l,      die  Ordnung  k  —  l. 

Ist  eine  eindeutige  Funktion  f  in  der  Umgebung  des  Punktes  p^,  ab- 
gesehen von  diesem  Punkte  selbst,  regulär-analytisch,  so  kann  man  ihr 
entweder  im  Punkte  pg  einen  solchen  Wert  erteilen,  daß  sie  auch  in 
Po  regulär  ist,  oder  sie  hat  in  p,,  einen  Pol,  oder  sie  hat  dort  eine 
wesentlich -singulare  Stelle.  Im  letzten  Fall  kommt  f{p)  in  jeder 
Umgebung  von  p^  jedem  Wert  beliebig  nahe. 

Sind  z,  u  zwei  in  einem  Gebiet  @  der  Riemannschen  Fläche  bis  auf 
Pole  reguläre  Funktionen,  so  ist  auch  jeder  rationale  Ausdruck  Il(z,u) 
von  z,  u  in  @  bis  auf  Pole  regulär.  Indem  man  nämlich  für  z,  u  ihre  Ent- 
wicklungen nach  Potenzen  der  zu  einem  Punkt  des  Gebietes  gehörigen 
Ortsuniformisierenden  t  einsetzt,  erhält  man  für  R(z,u)  eine  nach  ganzen 
Potenzen  von  t  fortschreitende  Reihe,  die  höchstens  endlichviele  negative 
Potenzen  enthält.  Also  auch  dort,  wo  sich  für  R  durch  direktes  Ein- 
setzen der  We)ie  von  z  und  u  zunächst  ein  unbestimmter  Ausdruck  von 
der  Form  ~  ergibt,  liegen  in  Wahrheit  keine  Stellen  der  Unbestimmtheit  vor. 

Eine  reelle  Funktion  U  heißt  an  einer  Stelle  p^  eine  harmonische 
oder  Potential-Funktion,  falls  es  eine  in  diesem  Punkte  regulär-analy- 
tische Funktion  gibt,  mit  deren  Realteil  Uin  einer  gewissen  Umgebung  von 
Po  übereiustimrat.  Ist  ü  in  allen  Punkten  eines  Gebietes  harmonisch,  aber 
nicht  =  const.,  so  kann  U  in  keinem  Punkte  dieses  Gebietes  ein  Maximum 
(größten  Wert)  oder  Minimum  (kleinsten  Wert;  besitzen.  Es  gibt  daher  auf 
einer  geschlossenen  Riemannschen  Fläche  außer  der  Konstanten  keine  über- 
cdl  harmonisclie  und  a  fortiori  keine  überall  regulär-analt/tische  (eindeutige) 


§  7.    Begriff  der  Riemannschen  Fläche.  39 

Fmiktion.  —  Damit  eine  reelle  Funktion  U  an  der  Stelle  pQ  stetig  diffe- 
rentiierbar  ist,  muß  U,  das  sich  in  einer  gewissen  Umgebung  von  pQ  als 
Funktion  der  zu  pp  gehörigen  Ortsuniformisierenden  t  =  x  ^  iy  ix,  y  reell) 
auffassen  läßt,  für  hinreichend  kleine  Werte  von  \t\  stetige  erste  DifiFe- 

rentialquotienten  -^—,  -^—  besitzen.     Welche  Ortsuniformisierende  t  bei 
^  dx      dy 

Anwendung  dieses  Kriteriums  herangezogen  \vird,  ist  natürlich  gleich- 
gültig. Ahnlich  kann  man  von  2 mal,  3 mal,  .  .  .  stetig  differentiierbaren 
Funktionen  sprechen. 

Eine  Kurve  p  =  p(A)  [0  ^  A  ^  1]  läßt  sich  in  einer  solchen  Um- 
gebung eines  ihrer  Punkte  p(A(,)  =  p^,  welche  durch  die  zu  p^  gehörige 
Ortsuniformisierende  t  umkehrbar  eindeutig  und  konform  auf  ein  Gebiet 
der  ^-Ebene  abgebildet  wird,  in  der  Form  t  =  t{X)  darstellen.  Stimmt 
t{X)  für  reelle  l,  die  hinreichend  nahe  an  Iq  liegen  und  dem  Intervall  (Ol) 
angehören,  mit  einer  konvergenten  Potenzreihe  6^  (A  —  Xq)  -\-  h^  (A  —  A(,)^+  •  •  • 

überein,  in  der  l)^  =  (~\  4=  0,  so  heißt  die  Kurve  für  A  =  A^  analy- 
tisch. Der  Invarianzbeweis  ist  trivial.  Indem  man  den  durch  t  = 
hiT  -\-  h^T^  -\-  •  ■  ■  definierten  Parameter  r  als  Ortsuniformisierende  ver- 
wendet, erscheint  ein  gewisses  Stück  der  Kurve,  das  p(Ao)  enthält,  in  der 
T-Ebene  als  ein  Stück  der  reellen  Achse.  Unter  einer  analytischen  Kurve 
schlechthin  mrd  eine  solche  zu  verstehen  sein,  die  für  alle  Werte  des  von 
0  bis  1  laufenden  Parameters  A  analytisch  ist. 

Wenn  nur  bekannt  ist,  daß  der  Diiferentialquotient     r  für  Werte  A, 

•die  hinreichend  nahe  an  Aq  und  im  Intervall  (Ol)  liegen,  existiert  und  in 
X  stetig  ist,  für  A  =  Ag  aber  einen  Wert  =|=  0  besitzt,  so  nennen  wir  die 
Kurve  für  A,,  stetig  differentiierbar.    Sind 

(11)  p  =  m,  p  =  m 

1  2 

zwei  von  demselben  Punkt  Po  =  P  (0)  =  p  (0)  ausgehende,  für  A  =  0  stetig 
differentiierbare  Kurven, 

t  =  t(X) ,     t  =  l(A)     [0  ^  A  ^  AJ 

die  Bilder  der  Anfangsbögen  jener  beiden  Kurven  in  der  Ebene  der  zu 
Po  gehörigen  Ortsuniformisierenden  t,  so  wollen  wir  den  Winkel  0-,  welchen 
diese  Bögen  im  Nullpunkt  der  ^- Ebene  miteinander  bilden  und  der  bis 
auf  ganzzahlige  Vielfache  von  2jt  bestimmt  ist  durch  die  Gleichungen 


dt\                   ... 

(^);.  =  o^'"^ 

[r,,r,>0; 

^,,^,  reell] 

auch  als   Winkel  der  beiden  von  p^  ausgehenden  Kurven  (11)  auf  der 


40  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

Riemannsclieii  Fläche  bezeichnen.  Dieses  Winkelmaß  ist  darum  eine  In- 
Yariante,  weil  der  Übergang  von  einer  Ortsuniformisierenden  t  zu  einer 
andern  x  vermittelt  wird  durch  ivinlcelireue  Abbildung  eines  den  Nullpunkt 
enthaltenden  Gebietes  der  /-Ebene  auf  ein  ebensolches  Gebiet  derr-Ebene.. 
Auf  einer  Riemannschen  Fläche  existiert  demnach  ein  invariantes  WinJiel- 
maß})  Der  oben  erklärte  Begriff  der  „konformen"  Abbildung  fällt  nach 
Einführung  dieses  Winkelmaßes  zusammen  mit  dem  Begriff  der  umkehr- 
bar-eindeutigen ivinheltreuen  Abbildung. 

Eine  Singularitäten  freie  Fläche  im  Euklidischen  Raum,  wie  Kugel 
oder  Torus,  auf  der  (nach  Verabredung  über  den  Drehungssinn)  eine  be- 
stimmte natürliche  Euklidische  Winkelmessung  existiert,  läßt  sich  auf 
eine  einzige  Art  so  als  Riemannsche  Fläche  auffassen,  daß  die  ihr  als 
Riemannsche  Fläche  in  der  ebengeschilderten  Weisezukommende  Winkel- 
messung mit  der  natürlichen  übereinstimmt.  Dabei  muß  die  MögKchkeit, 
eine  Umgebung  jedes  Punktes  jener  Fläche  winkeltreu  (im  Euklidischen 
Sinne)  auf  ein  ebenes  Gebiet  abzubilden,  erwiesen  sein.-) 

Für  die  Kugel  liefert  die  stereographische  Projektion  eine  auf  der 
ganzen  Kugel  bis  auf  einen  einzigen  Pol  1.  Ordnung  reguläre  Funktion 
z,  die  jeden  Wert  einschließlich  oo  einmal  und  nur  einmal  annimmt.  Jede 
andere  bis  auf  Pole  reguläre  Funktion  auf  der  Kugel  ist  eine  rationale 
Funktion  von  z,  so  daß  die  Theorie  der  bis  auf  Pole  regulären  Funktionen 
auf  der  Kugel  wesentlich  mit  der  der  rationalen  Funktionen  einer  Veränder- 
lichen z  übereinstimmt.  Die  Wahl  der  Unabhängigen  z  ist  freilich  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  willkürlich;  denn  als  solche  eignet  sich  außer 
z  auch  jede  Funktion  z\  die  aus  z  durch  eine  lineare  Transformation 

^'  =  "^y        [ö   l  c,  d  konstant:     ad  —  hc  ^  Ol 

hervorgeht.  Die  Lage  und  Vielfachheit  der  Nullstellen  und  Pole  einer 
von  wesentlichen  Singularitäten  freien  analytischen  Funktion  kann  auf 
der  Kugel  willkürlich  vorgeschrieben  werden,  wenn  nur  die  Gesamtord- 
nung der  Nullstellen  mit  der  Gesamtordnung  der  Pole  übereinstimmt. 
Ganz  anders  gestalten  sich  die  Dinge  auf  dem  Toms  (vgl.  Kap.  II). 
Als  inneren  Grund  für  die  großen  Unterschiede,  die  zwischen  dem  Ver- 

1)  Daß  in  gewissem  Sinne  auch  eine  derartige  Längenmessung  existiert,  ist 
eine  tief  liegende  Tatsache  aus  der  Theorie  der  „üniformisierung".  Vgl.  §§  19,  20' 
dieses  Buches. 

2)  Vgl.  L.  Lichtenatein,  Beweis  des  Satzes,  daß  jedes  hinreichend  kleine,  im 
wesentlichen  stetig  gekrümmte,  singularitätenfreie  Flächenstück  auf  einen  Teil  einer 
Ebene  zusammenhängend  und  in  den  kleinsten  Teilen  ähnlich  abgebildet  werden  kann. 
Abhandlungen  der  K.  Preuß.  Akademie  der  Wissenschaften  vom  Jahi-e  1911,  Anhang. 
—  Schwierigkeiten  entstehen,  falls  die  Raumfläche  Ecken  besitzt.  Über  dieses  Pro- 
blem vgl.  H.  A.  Schwarz  in  der  bereits  zitierten  Arbeit,  Gesammelte  Abhandlungen 
Bd.  2,  S.  161;  es  fand  seine  Lösung  durch  Koebe,  Göttinger  Nachrichten  1908,. 
S.  359—360,  und   R.  König,   Mathematische  Annalen  Bd.  71,    1912,  S.  184—205. 


§  7.    Begriff  der  Riemannsclien  Fläche.  41 

halten  der  Funktionen  auf  dem  Torus  einerseits,  der  Funktionen  auf  der 
Kugel  anderseits  bestehen,  läßt  sich  fast  überall  der  eine  Umstand  nach- 
weisen (der  nicht  in  dem  Bereich  der  Funktionentheorie,  sondern  der  Ana- 
lysis  Situs  liegt!),  daß  auf  dem  Torus  ein  System  zweier  geschlossener, 
sich  gegenseitig  in  einem  Punkte  treffender  Kurven  gezogen  werden  kann 
(qp  =  0  und  r^  =  0  in  der  Bezeichnung  von  §  5,  Beispiel  7),  welches  den 
Torus  nicht  zerlegt  —  während  ein  solches  System  auf  der  Kugel  nicht 
existiert.  Bilden  wir  den  Torus  konform  auf  die  Funktgitter-Mannigfaltig- 
keit  X  ( §  5)  ab,  so  erscheinen  die  von  wesentlichen  Singularitäten  freien 
Funktionen  auf  dem  Torus  als  solche  eindeutige,  bis  auf  Pole  reguläre 
Funktionen  der  komplexen  Veränderlichen  w  =-=  tp  -\-  «>,  welche  doppel- 
periodisch sind  mit  den  Perioden  2:t,  ,  d.  i.  als  elliptische  Funk- 
tionen (von  rein  imaginärem  Periodenverhältnis  =  ——= 

Zwei  Tori  sind  als  Flächen  im  Sinne  der  Analysis  situs  stets  äqui- 
valent. Sie  können  jedoch  im  allgemeinen  nicht  konform  aufeinander  abge- 
bildet werden,  sondern  dies  ist  dann  und  nur  dann  möglich,  wenn  für  beide 

Tori  der  „Modul"  -^^^~  ""'  denselben  Wert  hat.  Das  Wort  „Modul" 

hat  hier  diese  Bedeutung:  Ist  in  einer  Schar  Riemannscher  Flächen,  die 
alle  untereinander  im  Sinne  der  Analysis  situs  äquivalent  sind,  irgendwie 
jeder  von  ihnen  eine  Zahl  so  zugeordnet,  daß  zwei  Flächen  der  Schar 
jedenfalls  dann  dieselbe  Zahl  zugeordnet  erscheint,  falls  die  beiden  Flächen 
A"ow/brw2-äquivalent  sind,  so  heißt  jene  Zahl,  in  ihrer  Abhängigkeit  von  den 
Riemannschen  Flächen  der  Schar  betrachtet,  ein  Modul  der  Schar.  Die 
Tatsache,  daß  Äquivalenz  im  Sinne  der  Analysis  situs,  allgemein  zu  reden, 
die  konforme  Äquivalenz  Riemannscher  Flächen  nicht  nach  sich  zieht, 
ist  von  prinzipieller  Wichtigkeit.  —  Die  Punkte  des  einen  Torus  stellen 
wir  uns  dar  als  die  Punktgitter  einer  w^^-Ebene  mit  den  Perioden  2  n  und 
2xia-.  =  23ri         ^^^^  ,  die  Punkte  des  zweiten  Torus  als  die  den  Perioden 

2jt  und  2jtia2  [a^  >  0]  entsprechenden  Punktgitter  einer  w;2 -Ebene.  Liegt 
eine  konforme  Abbildung  des  einen  Torus  auf  den  andern  vor,  so  ist 
jedem  Gitter  w^  ein  Gitter  Wg  so  zugeordnet,  daß,  wenn  wir  dem  Gitter 
w^  eine  unendlichkleine  Verrückung  du\  erteilen,  das  Bildgitter  w^  eine 
unendlichkleine  Verrückung  dw^  erfährt,  deren  Verhältnis  -r^    zu  du\ 

nur  von  dem  Gitter  w^,  nicht  aber  von  der  Richtung  der  Verrückung 
du\  abhängt;  in  seiner  Abhängigkeit  vom  Gitter  u\  betrachtet,  ist  dieses 
Verhältnis  eine  regulär-analytische  Funktion  auf  dem  ersten  Torus,  muß 
also  =  const.  =  A  sein.  Daraus  folgt,  daß  sich  die  konforme  Abbildung 
in  dem  Sinne  durch  eine  Formel 
(12)  ^2  =  Äw^+  B     [Ä,  B  Konstante] 


42  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

darstellen  lassen  muß,  daß  man  aus  (12),  wenn  man  für  w^  die  sämtlichen 
Punkte  eines  w^- Gitters  einsetzt,  immer  die  sämtliclien  Punkte  iv^  des 
korrespondierenden  Wg- Gitters  erhält.  Eine  einfache  Gitterbetrachtung 
zahlentheoretischer  Natur  lehrt,  daß  dies  nur  möglich  ist,  wenn  yl  =  +  1 

oder  =  -t-   -    ist:  im  ersten  Fall  wird  a„  =  a,,  im  zweiten  a^  =  —   sein. 
-^  aj         '  SU  ^       «1 

Auf  jeden  Fall  ist  demnach  für  die  Möglichkeit  der  konformen  Abbildung 

der  beiden  Tori  die  Gleichung 

die  notwendige  (und  offenbar  auch  hinreichende)  Bedingung.  Dies  stimmt 
mit  unserer  Behauptung  überein,  da 

r_ YE^  -r*  _         -R* 

yR^  —  r*  r         "  rVB^  -  r* 

ist. 

Wir  schließen  diesen  Paragraphen  mit  einigen  allgemeinen  Bemer- 
kungen über  die  Idee  der  Riemannschen  Fläche.  Der  Grundgedanke,  der 
ihrer  Einführung  zugrunde  liegt,  ist  keineswegs  auf  die  komplexe  Funk- 
tionentheorie beschränkt.  Eine  Funktion  von  zwei  reellen  Veränderlichen 
X,  y  ist  eine  FunUion  in  der  Ebene;  aber  es  ist  gewiß  ebenso  berechtigt, 
Funktionen  auf  der  Kugel,  auf  dem  Torus  oder  überhaupt  auf  einer  Fläche 
zu  untersuchen  als  gerade  in  der  Ebene.  Solange  man  sich  freilich  nur 
um  das  Verhalten  der  Funktionen  „im  Kleinen"  kümmert  —  und  dar- 
auf beziehen  sich  die  meisten  Betrachtungen  der  Analysis  — ,  ist  der  Be- 
griff der  Funktion  von  zwei  reellen  Veränderlichen  allgemein  genug, 
da  sich  die  Umgebung  eines  jeden  Punktes  einer  zweidimensionalen  Mannig- 
faltigkeit durch  X,  y  (oder  x  -\-  iy)  zur  Darstellung  bringen  läßt.  Sobald 
man  aber  zur  Untersuchung  des  Verhaltens  von  Funktionen  „im  Großen^'' 
fortschreitet,  bilden  die  Funktionen  in  der  Ebene  einen  wichtigen,  aber 
speziellen  Fall  unter  unendlichvielen  andern  gleichher echtigten;  Riemann 
und  Klein  haben  uns  gelehrt,  bei  diesem  speziellen  Fall  nicht  stehen  zu 
bleiben.  Auf  die  komplexe  Funktionentheorie  angewendet,  heißt  das:  be- 
vor man  zum  Studium  irgendeiner  Gattung  von  Funktionen  schreitet,  muß 
immer  zunächst  diejenige  Fläche  definiert  sein,  die  das  Variabilitätsgebiet 
des  unabhängigen  Arguments  abgibt  \  darauf  muß  erMärt  iverden,  was  auf 
dieser  Fläche  „analytische  Funktion""  heißen  soll,  wodurch  die  Fläche  zur 
Riemannschen  Fläche  tvird;  und  nun  erst  kann  man  sich  an  die  Funk- 
tionen selbst  heranmachen.  Dementsprechend  hat  man  an  den  Funktionen 
Eigenschaften  dreier  verschiedener  Stufen  zu  beachten:  1.  und  das  sind  die 
einschneidendsten:  die  Analysis-situs-Qualitäten  der  Riemannschen  Fläche, 
auf  der  die  Funktionen  existieren,  2.  die  inneren,  nicht  dem  Bereich  der  Ana- 
lysis Situs  angehörigen  Eigenschaften  dieser  Riemannschen  Fläche  (z.  B.  be- 
stimmter Wert  eines  „Moduls"),  3.  diejenigen  Eigenschaften  (wie  etwa  Lage 


§  7.    Begriff  der  Riemannschen  Fläche.  43 

und  Ordnung  der  Nullstellen  und  Pole),  durch  die  sich  Funktionen  hinsicht- 
lich ihres  Verhaltens  auf  derselben  Riemannschen  Fläche  unterscheiden. 
Auf  diesem  Standpunkt  spielt  der  Weierstraßsche  Begriff  des  analytischen 
Gebildes  nur  eine  sekundäre  Rolle:  er  kommt  erst  dadurch  zustande,  daß 
man  zwei  auf  einer  und  derselben  Riemannschen  Fläche  existierende  Funk- 
tionen kombiniert.  Es  ist  ein  natürlicher  Schritt,  statt  nur  zweier  Funk- 
tionen dann  auch  etwa  drei  oder  vier  oder  noch  mehr  Funktionen  des- 
selben variablen  Punktes  auf  einer  Riemannschen  Fläche  simultan  zu 
betrachten.  Diesen  Schritt  tun,  heißt  geometrisch  gesprochen  nichts  anderes 
als:  vom  Studium  der  ebenen  analytischen  „Kurven"  zu  dem  der  Kurven 
im  dreidimensionalen,  vierdimensionalen,  usw.,  Raum  übergehen. 

Die  eindeutigen,  bis  auf  Pole  überall  regulären  Funktionen  auf  einer 
Riemannschen  Fläche  ^  werden  wir  meist  kurz  als  die  „Funktionen 
auf  der  Fläche**  bezeichnen.  Für  geschlossene  Riemannsche  Flächen  wer- 
den wir  in  Kap.  II  eine  Übersicht  über  alle  diese  Funktionen  gewinnen. 
Man  kann  aber  auch  folgende  allgemeinere  Klasse  von  zu  ^  gehörigen 
Funktionen  ins  Auge  fassen:  Man  gebe  sich  ein  Funktionselement  auf 
^  (d.  h.  eine  Potenzreihe,  die  nach  ganzen  Potenzen  der  zu  einem  Punkte 
pQ  von  ^  gehörigen  Ortsuniformisierenden  t  fortschreitet);  man  kann 
dann  versuchen,  dieses  Funktionselement  längs  aller  möglichen  Wege  auf 
^  in  analoger  Weise  analytisch  fortzusetzen,  wie  das  für  den  Fall  der  Ebene 
in  §  1  geschildert  wurde.  Ist  eine  solche  Fortsetzung  auf  allen  Wegen  ein- 
deutig möglich,  d.  h.  so,  daß  man  höchstens  auf  Pole  stößt,  niemals  aber  auf 
Punkte,  über  die  hinaus  eine  Fortsetzung  überhaupt  unmöglich  ist  („natür- 
liche Grenzen")  oder  mehrdeutig  wird  (Verzweigung  relativ  zu  ^),  so 
braucht  die  dadurch  entstehende  Funktion,  wie  das  Beispiel  tv  =  q)  -\-  ii' 
auf  dem  Torus  zeigt,  keineswegs  eindeutig  zu  sein;  sondern  im  allge- 
meinen wird  eine  solche  durch  analytische  Fortsetzung  gewonnene  Funk- 
tion erst  eindeutig  auf  einer  gewissen,  über  ^  ohne  Grenzen  und  ohne 
Verzweigungen  sich  ausbreitenden  Überlagerungsfläche.  Es  ist  nun  bei 
vielen  Fragen,  namentlich  in  der  üniformisierungsiheorie,  von  großer 
Wichtigkeit,  den  Bereich  der  eindeutigen  Funktionen  auf  ^  zu  dem  um- 
fassenderen Bereich  aller  (endlich-  oder  unendlich -vieldeutigen)  Funk- 
tionen zu  erweitern,  die  auf  ^  unverzweigt  und  ohne  wesentlich  singulare 
Stellen  und  natürliche  Grenzen  sind.  Das  legt  uns  die  Verpflichtung  auf, 
in  diesem  Kapitel,  dessen  Rest  den  für  die  Funktionentheorie  grund- 
legenden Fragen  der  Analysis  situs  gewidmet  ist,  mit  jeder  Fläche  ^  zu- 
sammen die  dazu  gehörigen  IJherlagerungsflächen  zu  betrachten. 

§  8,  Schlichtartige  Flächen. 
Eine  Fläche  f<^  in  einer  bestimmten  Triangulation  t,  bezeichne  ich 
mit  %;..  Als  Elementarstrecke  auf  %^  gilt  jede  ganz  in  einem  Dreieck 
A  von  t,  enthaltene  Elementarstrecke  in  A  (s.  §  6,  S.  31).    Dadurch  daß 


44  BegriflF  und  Topologie  der  Riemannsclien  Flächen. 

das  eine  der  beiden  Enden  der  Elementarstrecke  als  Anfangspunkt,  das 
andere  als  Endpunkt  bezeichnet  wird,  ist  diese  Strecke  gerichtet.  Endlich- 
viele  Elementarstrecken  <?i  (Jg  •  •  G„  bilden  einen  Streckenzug,  wenn  immer 
der  Endpunkt  von  6,^  mit  dem  Anfangspunkt  von  ö^^^  [h=l,2,  •• ,  n — 1] 
zusammenfällt.  Haben  irgend  zwei  Strecken  eines  Streckenzuges  nur 
dann,  wenn  sie  aufeinander  folgen,  einen  (und  auch  nur  einen)  Punkt 
gemein,  so  iiberschiieidet  sieh  der  Streckenzug  nicht:  er  ist  ein  „ein- 
facher'^ Streckenzug.  Stimmt  der  Endpunkt  von  6^  mit  dem  Anfangs- 
punkt von  6^  überein,  so  ist  der  Streckenzug  geschlossen;  6^  ist  dann 
die  auf  (?^  folgende  Strecke  (zyklische  Anordnung).  Ein  geschlossener 
Streckenzug,  in  dem  zwei  Strecken  nur  dann  einen  Punkt  gemein  haben, 
wenn  sie  aufeinanderfolgen,  wird  als  Polygon  bezeichnet. 

Zuei  Punkte  eines  Gehieis  (5}  avf  '^^  lassen  sich  stets  durch  einen 
einfachen  StrecTienzug  verbinden,  der  ganz  in  @  terläufi.  Man  kann  näm- 
lich die  beiden  Punkte  zunächst  durch  eine  ganz  in  @  verlaufende  Kurve 
y  verbinden.  Von  der  Einteilung  t,  kann  man  eine  so  feine  Unterteilung 
l'  herstellen,  daß  alle  Elementardreiecke  von  t',  welche  Punkte  mit  y 
gemein  haben,  in  @  liegen.  Durch  die  auf  S.  23  f.  angegebene  Konstruktion 
erhält  man  eine  einfache  Kette  von  Dreiecken  der  Einteilung  t,',  welche 
dasjenige  Dreieck  von  t,' ,  in  dem  der  Anfangspunkt  von  y  liegt,  mit  dem 
den  Endpunkt  von  y  enthaltenden  Dreieck  verbindet.  Die  Dreieckskette 
läßt  sich  dann  sofort  durch  einen  einfachen  Streckenzug  ersetzen,  der 
die  Dreiecke  der  Kette  sukzessive  in  je  einer  Strecke  durchquert.  —  Femer: 
Ist  6  irgend  ein  Streckenzug  auf  %;-,  so  kann  man  eine  solche  Unter- 
teilung l'  von  l  angeben,  daß  die  Strecken,  aus  denen  6  besteht,  Kanten 

der  Teilung  t,'  (oder  aus  Kanten  von  t,' 
zusammengesetzt)  sind,  daß  also  6  auf 
%■-■  ein  Kantenzug  ist. 

Von  einer  abgeschlossenen  Menge 
©    auf  ^   sagen   wir,   sie   zerlegt   % 
nicht,   wenn   die   Punkte  von  %,  die 
Fig.  10.   Einfacher  streokenzug  mit         nicht  ZU  (S  gehören,  ein  einziges  Ge- 
anstoflenden  Dreiecken.  \^^q^  ausmacheu.  Ein  einfacher  Strecken- 

zug G  zerlegt  %r  nickt.  Wir  machen  zum  Beweise  eine  solche  Untertei- 
lung ^'  von  t„  daß  6  als  Kantenzug  erscheint.  Die  an  6  anstoßendem 
Dreiecke  von  t,'  lassen  sich  dann  in  solcher  Weise  durchnumerieren:  1,. 
2,  3,  .  .  . ,  daß  je  zwei  aufeinanderfolgende  Dreiecke  in  dieser  Numerie- 
rung eine  nicht  zu  6  gehörige  Kante  gemein  haben.  Durch  die  Figur 
ist  der  Beginn  einer  solchen  Numerierung  angedeutet^).  Ich  behaupte,, 
daß  irgend  zwei  Punkte  p  und  q  von  %  miteinander  durch  eine  stetige^ 
6  nicht  treffende  Kurve  verbunden  werden  können.  Ich  verbinde  p  und 
1)  Man  wird  dabei  freilich  nicht  immer  vermeiden  können,  daß  dasselbe 
Dreieck  gelegentlich  zwei-  oder  mehrmals   mit  verschiedenen  Nummern  auftritt. 


§  8.    Schlichtartige  Flächen.  45 

q  durch  eine  Kurve  y  auf  i^.  Trifft  y  den  Streckenzug-  (?,  so  sei  p  '  der 
erste,  q'  der  letzte  Schnittpunkt,  p"  ein  Punkt  auf  y  so  kurz  vor  p', 
daß  p"  in  einem  der  an  6  anstoßenden  Dreiecke  liegt;  q"  ein  Punkt  auf 
y  so  kurz  hinter  q',  daß  auch  q"  noch  in  einem  solchen  Dreieck  geleg-en 
ist.  Mit  Hilfe  der  oben  erwähnten  Dreiecksnumerierung  kann  ich  dann  p" 
und  q"  durch  einen  Streckenzug  verbinden,  der  6  nicht  trifft  und  durch 
die  an  6  anstoßenden  Dreiecke  in  der  Reihenfolge  ihrer  Numerierung 
hindurchläuft.  Dieser  Streckenzug  bildet  zusammen  mit  dem  Bogen  pp" 
und  dem   Bogen  Q^"(\  von  y  eine  Kurve,  wie  wir  sie  wünschen. 

Ist  (S  eine  abgeschlossene  Menge,  welche  i^^-  nicht  zerlegt,  und  6 
eine  Elementarstrecke  auf  '^^,  welche  die  beiden  Endpunkte,  sonst  aber 
keinen  Punkt  mit  (S  gemein  hat,  so  zerlegt  die  Vereinigungsmenge  (£  +  (J 
die  Fläche  ^^  entweder  garnicht  oder  in  zwei  Gebiete.  Ich  kann  mir  beim 
Beweise  6  als  die  gemeinsame  Kante  zweier  Dreiecke  A^,  A«  von  ^  vor- 
stellen. Po  sei  ein  Punkt  von  6,  der  keiner  der  Endpunkte  ist,  poq^  eine 
kleine  ins  Innere  von  A^  führende  Elementarstrecke,  die  keinen  Punkt 
mit  @  gemein  hat,  pQq2  eine  ebensolche  ins  Innere  von  Ag  führende 
Strecke.  Ich  behaupte:  jeden  nicht  zu  @  -|-  ^  gehörigen  Punkt  p  von  ^ 
kann  ich  ohne  Überschreitung  von  @  +  <?  entweder  mit  (\y  oder  mit  q^ 
verbinden.  Ich  verbinde  zunächst  p  mit  q^  ohne  Überschreitung  von  (S  durch 
die  Kurve  y.  Treffe  ich  dabei  6  zum  ersten  Male  im  Punkte  p^  (der  keiner 
der  Endpunkte  von  6  sein  kann!),  so  werde  ich  einen  Punkt  p/  kurz  vorp^ 
so  angeben  können,  daß  der  Teilbogen  p/p^  von  y  entweder  ganz  in  A^  oder 
ganz  in  A2  liegt.  Je  nachdem  das  eine  oder  das  andere  der  Fall  ist,  kann 
ich  von  diesem  Bogen  aus  mittels  einer  einzigen  Elementarstrecke  in  A^ 
bezw.  A3,  welche  weder  (5  noch  ö  trifft,  zu  der  Strecke  poqi,  bezw.  p^qg 
gelangen.  —  Insbesondere  wird  ^  durch  (£  +  (J  überhaupt  nicht  zerlegt, 
wenn  sich  q^  mit  q^  (d.  h.  ein  Punkt  auf  dem  einen  mit  einem  Punkt  auf 
dem  andern  „  fZ/e/'  von  6)  ohne  Überschreitung  von  @  -f  <?  verbinden  läßt. 

Die  Kombination  der  in  den  beiden  letzten  Absätzen  bewiesenen 
Tatsachen  liefert  das  Resultat,  daß  /e^fes  Polygon  die  Fläche  '^^  in  höchstens 
zwei  Gebiete  zerlegt;  denn  ein  Polygon  kann  entstanden  gedacht  werden 
durch  Hinzufügung  einer  einzelnen  Strecke  ((?)  zu  einem  einfachen  Strecken- 
zug ((S).  Wird  %^  wirklich  durch  jedes  Polygon  zerlegt,  so  heißt  die 
Fläche  %  (nach  Koebe)  schlichtartig.  Daß  es  nicht-schlichtartige  Flächen 
gibt,  zeigt  das  Beispiel  des  Torus. 

Satz:  Ist  eine  Fläche  '^  in  der  Triangulation  t,l  schlichtartig,  so  ist 
sie  auch  schlichtartig,  falls  sie  in  irgend  einer  andern  Weise  ^11  in  Ele- 
mentar dreiecTic  zerlegt  wird. 

Wir  unterscheiden  die  auf  die  eine  und  die  andere  Zerlegung  be- 
züglichen Begriffe  wie  „Strecke",  „Polygon"  und  dergl.  durch  Zusatz  einer 
I,  bzw.  n.  Wäre  f^  in  der  Triangulation  ^  II  nicht  schlichtartig,  so  gäbe 
<8s  ein  Polygon  H,  jth,  das  %  nicht  zerlegt,    ön  sei  eine  Strecke  von  äh, 


46 


Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 


Fig.  11.     Zum  Invarianzbeweis  der  Schlichtartigkeit. 


von  der  wir  annelimen  können,  daß  sie,  abgesehen  vielleicht  von  ihren 
Endpunkten,  im  Innern  eines  Dreiecks  An  verläuft  i).  Wir  kreuzen  (Fig.  11) 
6u  durch  eine  ganz  im  Innern  dieses  Dreiecks  An  gelegene  Elementar- 
strecke II,  m  =  q'q",  welche  Gn  in  p  treffen  möge,  q'  läßt  sich  mit  q" 
ohne  Überschreitung  von  :nn  durch  eine  stetige  Kurve  und  also  auch  durch 
einen  einfachen   Streckenzug  I,  wir  nennen  ihn  Ij,  verbinden.   Ich  darf 

annehmen,  daß  Ti  ab- 
gesehen von  seinen  bei- 
den Endpunkten  kei- 
nen Punkt  mit  der 
Strecke  Tu  gemein 
hat.2) 

Da  Ti  die  Fläche 
nicht  zerlegt  und  das 
Polygon  jTii  (wenn  ich 
aus  ihm  eine  kleine, 
den  Punkt  p  enthaltende  Strecke  fortlasse)  einen  Punkt  auf  dem  einen 
Ufer  von  Tu  mit  einem  Punkt  auf  dem  andern  Ufer  ohne  Über- 
schreitung von  Zi  -f  Tu  verbindet,  wird  ^  durch  Zi  +  Tn  nicht  zer- 
legt. Jetzt  fasse  ich  eine  Strecke  <?i  von  Zi  ins  Auge,  von  der  ich 
wieder  voraussetzen  kann,  daß  sie  keine  Kante  eines  Dreiecks  I  ist,  kreuze 
sie  in  dem  Dreieck  I,  in  dem  sie  liegt,  durch  eine  kleine  Strecke  I,  tj,, 
und  verbinde  die  Endpunkte  von  Ti  durch  einen  einfachen  Streckenzug" 
Ti,  der  Zi  +  th  nicht  überschreitet.  Ich  darf  annehmen,  daß  Ti  mit 
Ti  nur  die  Endpunkte  gemein  hat;  ni  =  Ji  -\-  xi  ist  dann  ein  Poly- 
gon I,  das  ^  nicht  zerlegt,  da  die  Kurve  Zj  +  ""^ii  zwei  an  den  beiden 
Ufern  von  6i  einander  gegenüberliegende  Punkte  ohne  Überschreitung- 
von  :ii  verbindet.  ^  kann  also  auch  in  der  Triangulierung  ^  I  nicht 
schlichtartig  gewesen  sein.^) 

1)  Wenn  nämlich  alle  Strecken  Ton  ttjj  Kanten  sind,  können  wir  eine  be- 
liebige von  ihnen,  Cjj,  durch  einen  einmal  gebrochenen  Streckenzug  ersetzen,  der 
in  einem  der  beiden  an  Cjj  anstoßenden  Dreiecke  verläuft,  ohne  daß  jtu  der  Ei- 
genschaft, 5  nicht  zu  zerlegen,  verlustig  geht. 

2)  Sonst  sei  nämlich  q'  derjenige  Punkt,  wo  Ij,  von  q'  nach  q"  durchlaufen^ 
die  Strecke  ^q'  zum  letzten  Mal  trifft,  und  q  '  derjenige  Punkt,  wo  nach  diesem 
Moment  Ij'die  Strecke  :|jq"  zum  ersten  Mal  trifft,  Zj  aber  der  zwischen  diesen, 
beiden  Ereignissen  durchlaufene  Teil  von  Ij:  dann  hat  Ii  mit  der  Strecke  II,. 
Tji  =  q  q  nur  die  Endpunkte  gemein,  und  wir  könnten  Xj  durch  Zi,  Tjj  durch. 
Tjj  ersetzen. 

3)  Wir  haben  damit  ein  Stück  des  .,Jordanschen  Kurvensatzes"  bewiesen,, 
welcher  aussagt,  daß  jede  einfache  geschlossene  Kurve  auf  einer  schlichtartigen 
Fläche  (insbesondere  in  der  Ebene)  diese  Fläche  zerlegt.  Außer  dem  ersten  (lücken- 
haften) Beweis  von  C.  Jordan  selbst  in  seinem  Cours  d'analyse,  2.  Aufl.,  Bd.  I^ 
S.  91—99,  siehe  namentlich  Brouwer,  Math.  Ann.,  Bd.  69  (1910),  S.  169—175. 


§  9.    Überlagerungsflächen,  einfacher  Zusammenhang  usw.  47 

§  9.  Überlagerungsfläclien.  Einfach  zusammenhängende  Flächen.  Mono- 
dromiesatz  und  Cauchyscher  Integralsatz. 

Schärfer  noch  als  der  Begriff  der  Schlichtartigkeit  ist  der  des  ein- 
fachen  Zusammenhangs,  der  in  enger  Beziehimg  zu  der  Konstruktion  von 
Überlagerungsflächen  steht.  Ist  %  eine  gegebene  Fläche,  die  „Grund- 
fläche", so  wollen  wir  die  Fläche  §  eine  Überlagerungsfläche  über  % 
nennen,  wenn  jedem  Punkt  p  auf  ^  ein  einziger  Punkt  p  auf  ^  als 
„Spurpuukt**  von  p  zugeordnet  ist;  wir  sagen  dann  auch,  p  liegt  über 
p.  Diese  Zuordnung  soll,  jedenfalls  dann,  wenn  wir  ^  als  (relativ  zu  %} 
unyerzweigt^)  bezeichnen,  die  folgende  Bedingung  erfüllen:  Ist  p^  ein 
beliebiger  Punkt  von  f^,  so  gibt  es  stets  eine  Umgebung  von  p^  auf  ^, 
welche  durch  jene  Zuordnung  umkehrbar  eindeutig  und  umkehrbar  gebiets- 
stetig auf  ein  Gebiet  von  ^  bezogen  ist.  ^  möge  eine  in  diesem  Sinne 
unverzweigte  Überlagerungsfläche  über  ^  bedeuten.  P  =  p{^')  [0  ^2.^  1] 
sei  eine  von  dem  Punkte  Po  =  p  (0)  ausgehende  Kurve  y  auf  ^,  Po  ein 
Punkt  auf  ^  über  p^.    Es  können  dann  (vgl.  §  1)  zwei  Fälle  eintreten: 

entweder:  es  gibt  eine  einzige  von  po  ausgehende  stetige  Kurve 
p  =  p  (A)  [0  ^  A  ^  1]  auf  ^,  sodaß  für  jeden  Wert  des  Parameters  A  der 
Punkt  p(A)  über  p  (A)  liegt; 

oder:  es  existiert  eine  Schwelle  Aß  (0<Ao^l),  sodaß  wohl  über  jedem 
Teilbogen  0  ^  A  ^  Aq  von  y,  für  welchen  A^  <  Aq  ist,  eine  (^und  auch 
nur  eine)  von  p^  ausgehende  Kurve  auf  ^  liegt,  dies  aber  nicht  mehr  der 
Fall  ist,  sobald  Aq^Aq.  Diesen  letzten  Fall  kann  man  so  auffassen:  Wenn 
man  die  stetige  Änderung  eines  Punktes  p  auf  ^,  dessen  Spurpunkt 
auf  5^  die  Kurve  y  beschreibt,  von  p^  aus  verfolgt,  so  stößt  man,  bevor 
das  Ende  erreicht  ist,  über  dem  Punkte  p  (Aq)  von  ^  auf  eine  Grenze  der 
Überlagerungsfläche. 

Tritt  immer  nur  der  erste  Fall  ein,  welches  auch  der  Punkt  pg  auf 
^  und  welches  auch  die  von  dem  Spurpunkte  p^  von  p^  ausgehende  Kurve 
y  sein  mag,  so  werden  wir  die  Überlagerungsfläche  demgemäß  als  un- 
begrenzt zu  bezeichnen  haben.  Liegt  über  jedem  Punkte  von  ^  ein  ein- 
ziger Punkt  der  unverzweigten  unbegrenzten  Überlagerungsfläche  5,  sa 
ist  ^  einblättrig  und  nicht  wesentlich  von  ^  verschieden.  Gehören  zu 
einer  Fläche  ^  keine  andern  unverzweigten  unbegrenzten  Überlagerungs- 
flächen als  nur  einblättrige,  so  heißt  ^  einfach  zusammenhängend-). 


1)  Das  Wort  drückt  das,  was  es  laut  Definition  besagen  soll,  eigentlich 
nicht  vollständig-  aus;  richtiger  (aber  auch  umständlicher)  wäre  es,  zu  sagen 
„unverzweigt  und  ungefaltet". 

2)  Diese  Definition  hebt  diejenige  Eigenschaft  der  einfach  zusammenhängenden 
flächen  hervor,  welche  für  die  funktionentheoretischen  Anwendungen  die  ent- 
cheidende  ist. 


48 


Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 


Z.  B.  ist  das  Innere  Ä  eines  Kreises  der  Euklidischen  Zahlenebene 
eine  einfach  zusammenhängende  Fläche.  Wir  betrachten,  um  das  nach- 
zuweisen, eine  beliebige  unverzweigte  unbegrenzte  Überlagerungsfläche 
Ä  über  ^,  ö  sei  ein  Punkt  auf  ^,  der  über  dem  Mittelpunkt  o  von  ß  liegt. 
Indem  wir  zu  jeder  von  ü  ausgehenden  geradlinigen  Strecke  Op  in  ^  die- 
jenige in  ö  beginnende  (und  etwa  in  p  endigende)  Kurve  auf  ^  aufsuchen, 
von  der  jene  Strecke  die  Spur  ist,  erhalten  wir  zu  jedem  Punkte  p  von 
^  einen  bestimmten  darüber  gelegenen  Punkt  p  von  ^.  Können  wir 
zeigen,  daß  diese  Zuordnung  p  — >  p  umkehrbar  gebietsstetig  ist,  so  ist 
damit  der  einfache  Zusammenhang  von  Ä  erwiesen;  denn  dann  müssen  alle 
von  ö  ausgehenden  Kurven  auf  Ä,  deren  Spurlinien  von  0  nach  p  laufen, 
in  demselben  Punkte  p  münden,  und  Ä  ist  einblättrig. 

Um  aber  jenen  Nachweis  zu  erbringen,  verfahren  wir  so:  Der  Punkt 
q  beschreibe  auf  ^,  von  ö  ausgehend  und  in  p  endigend,  diejenige  Kurve, 
von  der  die  geradlinige  Strecke  (?  =  Op  die  Spur  in  ^  ist,  und  q  sei  in 
jedem  Moment  der  Spurpunkt  von  q.  Jedem  Punkt  q  ==  q,,  können  wir 
einen  Kreis  ]cc\q  mit  dem  Mittelpunkt  qQ  so  zuordnen,  daß  ein  q,,  ent- 
haltendes Gebiet  @  auf  Ä  existiert,  welches  vermöge  der  Zuordnung 
»PunM  auf  ^  — >-  Spurpunht  in  ^«  umkehrbar-eindeutig  und  -gebiets- 
stetig auf  kq^  abgebildet  wird.  Solange  q  sich  auf  demjenigen  Kurven- 
bogen bewegt,  dessen  Spur  die  durch  ]cC\q  aus  6  ausgeschnittene  Strecke 
6(\q  ist,  liegt  q  in  diesem  Gebiet  @.  Wir  können  nach  dem  sog.  Heine- 
Borelschen  Theorem,  das  den  Grundlagen  der  Infinitesimal-Analysis  an- 
gehört^), endlich  viele  Punkte  der  Strecke  6  (vgl.  Fig.  12) 

qo  =  0.  Qu  qj,--,  ^n-n  q»  =  P  (in  dieser  Reihenfolge) 
so   auswählen,   daß  die  zugehörigen  Intervalle  (7  0,  öq^,  tfq,,...,  «?p  die 

ganze  Strecke  Op 
derart  bedecken,  daß 
immer  q^  +  j  im  In- 
nern des  Kreises  Z;q^ 
[h  =  0,l,..,  «-!] 
gelegen  ist.  Es  sei 
jetzt  (j'  =  Op'  eine 
geradlinige  Strecke 
von  0  aus,  deren  End- 
punkt p'  in  Jcp  liegt 

rig.  12.     Einfacher  Zusammenhang  der  Kreisfläche.  und     die     im   ÜbriffCn 

in   solcher  Nähe   von   op   verläuft,    daß    sie    einen   Punkt    q[    enthält, 
4er  gleichzeitig  im  Innern  von  Jco  und  Jcq^  liegt,  einen  Punkt  q'^,  der 


1)  Vgl.  etwa  Lebesgue,    Le9on8  sur  l'integration,  Paris  1904,   S.  104 — 105. 


§  9.  Überlagerungsflächen,  einfacher  Zusammenhang  usw.  49 

gleichzeitig  im  Innern  von  kq^  und  ]cq„  liegt,  usw.,  schließlich  einen  Punkt 
q^  _  1,  der  gleichzeitig  dem  Innern  von  ^  il  „  _  2  ?  ^  ^n  _  i  angehört.  Wir  ziehen  die 
geradlinigen  Strecken  q^C{[,  q^^^f --^  %-i^n-iy  PP-  Diejenige  von  ö  aus- 
gehende Kurve  auf  S\  deren  Spur  das  Dreieck  0  q^  q^  0  ist,  ist  geschlossen,  da 
dieses  Dreieck  ganz  in  Z;o  liegt.  Diejenige  von  q^  ausgehende  Kurve,  deren 
Spur  das  Viereck  qiq2il2'1'i^i  ist,  schließt  sich,  weil  das  Viereck  ganz  in  Jcq^ 
liegt.  Aus  diesen  beiden  Tatsachen  folgt,  daß  die  von  ö  ausgehende  Kurve, 
deren  Spur  das  Dreieck  oqjq^O  beschreibt,  sich  schließt.  In  der  gleichen 
Weise  fortfahrend,  kommen  wir  zu  dem  Ergebnis,  daß  die  in  ö  beginnende 
Kurve,  deren  Spur  das  Dreieck  Opp'o  ist,  geschlossen  ist;  daß  also  die 
in  p  beginnende  Kurve,  deren  Spur  die  Strecke  pp'  ist,  in  demselben 
Punkte  p'  mündet,  wie  die  von  ö  ausgehende  Linie,  deren  Spurpunkt  die 
Strecke  0'  =  Op'  beschreibt.  Damit  ist  der  gewünschte  Nachweis  erbracht. 

Es  folgt  daraus:  Wenn  ^  eine  un verzweigte  unbegrenzte  Überlage- 
rungsfläche  über  einer  beliebigen  Grundfläche  ^  ist,  p^  ein  Punkt  auf  ^ 
mit  der  Umgebung  U,  p^  ein  über  po  gelegener  Punkt  von  f|^,  so  gibt  es  ein 
einziges,  pg  enthaltendes  Gebiet  U  auf  ^,  das  vermöge  der  Zuordnung 
»Punkt  von  '^  — >  Spurpunkt  auf  ^«  umkehrbar  eindeutig  und  umkehrbar 
gebietsstetig  auf  U  abgebildet  erscheint.  In  ganz  analoger  Weise  erkennt 
man,  daß,  wenn  A  ein  den  Punkt  p^  enthaltendes  Elementardreieck  einer 
bestimmten  Triangulation  ^  von  ^  ist,  über  A  eine  p^  enthaltende  Punkt- 
menge A  liegt,  welche  durch  jene  Zuordnung  umkehrbar  eindeutig  und 
stetig  auf  A  abgebildet  ist  und  sich  dadurch,  daß  man  jedem  Punkt  von 
A  dasselbe  Koordinatenverhältnis  ^1 :  b2  =  I3  zuweist,  das  dem  Spurpunkt 
in  A  entspricht,  in  ein  Dreieck  auf  ^  verwandelt.  Es  geht  daraus  hervor: 
Konstruiert  man  zu  jedem  Elementardreieck  A  von  t,  die  sämtlichen  da- 
rüber gelegenen  Dreiecke  A  auf  ^,  so  erhält  man  eine  Triangulation 
t  von  §. 

Femer  können  wir  schließen :  Ermittelt  man  zu  zwei  Kurven  y',  y" 
auf  |5,  welche  die  gleichen  Punkte  pQ,  p^  miteinander  verbinden,  die- 
jenigen beiden,  von  einem  Punkt  pg  über  pj,  ausgehenden  Kurven  auf  %, 
von  denen  /,  y"  die  Spurlinien  sind,  so  führen  beide  zu  dem  gleichen 
Endpunkt  p^  über  p^,  falls  y,  y"  hinreichend  nahe  beieinander  verlaufen. 
Die  letzte  Bedingung  formuliert  sich  genauer  so:  y  und  y"  sollen  sich 
derart  in  endlichviele  konsekutive  Teilbögen 

r\iY'2>'--,  Vn-,  bzw.  y';,  //, . . . ,  y;' 
zerlegen  lassen,  daß  immer  y'n  und  y'h  ganz  der  Umgebung  eines  geeigneten 
Punktes  q^  auf  %  angehören.  Insbesondere  läßt  sich,  wenn  y  gegeben  ist, 
y"  derart  als  Streckenzug  auf  ^^  (nachdem  ^  in  bestimmter  Weise  triangu- 
liert  ist)  konstruieren,  daß  die  Kurven  y  und  y"  auf  jeder  unverzweigten, 

Weyl:  Die  Idee  der  Eiemannsohen  Fläche  4 


50  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

unbegrenzten  Überlagerungsfläche  fj  zu  dem  gleichen  Endpunkt  führen^ 
wenn  man  sie  nur  beide  auf  ^  von  demselben  Anfangspunkt  ausgeben  läßt. 
Eine  unverzweigte,  unbegrenzte  Überlagerungsfläche  ^  über  ^  pflegt 
man  als  regulär  zu  bezeichnen,  wenn  es  niemals  vorkommt,  daß  von 
zwei  Kurven  auf  ^,  welche  in  ^  die  gleiche  Spurlinie  besitzen,  die  eine 
geschlossen,  die  andere  ungeschlossen  ist.  Ist  ^  regulär  und  sind  p^,  p^' 
irgend  zwei  Punkte  auf  ^,  die  „sich  decken"  (d.  h.  den  gleichen  Spur- 
punkt in  5  besitzen),  so  gibt  es  eine  einzige  umkehrbar  eindeutige  und  um- 
kehrbar gebietsstetige  Abbildung  von  %  in  sich,  bei  der  jeder  Punkt  p  in 
einen  ihn  deckenden  p'  und  insbesondere  po  in  %  übergeht.  Diese  „Deck- 
traiisforiiiatioiieii  toii  ^  in  sich"  bilden  eine  Gruppe  f,  und  in  f,  als  ah- 
strakte  Gruppe  aufgefaßt,  kommt  die  Beziehung  von  %  zu  j^,  soweit  sie 
Analysis-situs-Charakter  besitzt,  zu  reinem  und  vollständigem  Ausdruck. 
Um  die  Existenz  der  Decktransformation 

T:  p  ->  r 

nachzuweisen,  verbinde  man  Po  mit  p  auf  %  durch  eine  Kurve  y  und 
zeichne  diejenige  von  p^  ausgehende  Kurve  y'  auf  f|,  deren  Spurlinie  auf 
5  mit  der  Spurlinie  von  y  übereinstimmt.  Den  Endpunkt  p'  von  y'  ordne 
man  p  zu.  p'  ist  von  der  Wahl  der  p^  mit  p  verbindenden  Kurve  y  wegen 
der  vorausgesetzten  Regularität  von  ^  unabhängig.  Sind  nämlich  y,  y^ 
zwei  solche  Kurven,  so  ist  die  Kurve  y  —  y^,  die  aus  y  und  der  rück- 
wärts durchlaufenen  Linie  y^  besteht,  geschlossen.  Also  ist  auch  die  von 
Po  ausgehende  Kurve  {y  —  yj,  deren  Spurlinie  mit  der  von  y  —  yi  zu- 
sammenfällt, geschlossen]  d.  h.  y'  und  y[  führen  zu  demselben  Endpunkt 
p'.  —  Es  ist  klar,  daß  die  Repräsentation  einer  Überlagerungsfläche  ^ 
durch  eine  abstrakte  Gruppe  T  in  der  geschilderten  Weise  nur  für  reguläre 
Überlagerungsflächen  möglich  ist. 

Unter  allen  unverzweigten  unbegrenzten  Überlagerungsflächen,  die 
zu  einer  gegebenen  Fläche  ^  gehören,  gibt  es  eine,  welche  die  „stärkste" 
ist^);  sie  wird  durch  die  Aussage  charakterisiert:  Eine  Kurve  y  auf 
ihr  ist  nur  dann  geschlossen,  wenn  alle  auf  irgendwelchen  unver- 
zweigten unbegrenzten  Überlagerungsflächen  von  ^  gelegenen  Kurven, 
welche  dieselbe  Spurkurve  auf  ^  besitzen  wie  y,  geschlossen  sind.  Die 
„universelle  Üherlagerungsfläche"^  ist  zufolge  dieser  Eigenschaft 
regulär,  und  die  Gruppe  ihrer  Decktransformationen,  als  abstrakte  Gruppe 
betrachtet,  ist  eine  Analysis-situs-Invariante  der  Grundfläche  §.  Außer- 
dem ist  §  einfach  zusammenhängend.  Denn  wäre  ^*  eine  mehr  als  ein- 

1)  Poincare,  Bulletin  de  la  societe  mathematique  de  France,  Bd.  11,  1883,. 
S.  113—114. 


§  9.  Überlagerungsflächen,  einfacher  Zusammenhang  usw.  51 

blättrige  unverzweigte  und  unbegrenzte  Überlagerungsfläche  über  ^,  so 
könnte  man  auf  fjr*  eine  ungescblossene  Linie  ziehen,  deren  Spurkurve 
auf  f^  geschlossen  ist.  Da  aber  ^*  auch  eine  unverzweigte  unbegrenzte 
Überlagerungsfläche  über  ^  ist,  widerspricht  diese  Möglichkeit  ohne 
weiteres  der  charakteristischen  Eigenschaft  von  ^. 

Die  universelle  Überlagerungsfläche  läßt  sich  z.  B.  so  erklären: 
Jede  von  einem  festen  Punkt  p^  von  ^  ausgehende  Kurve  y  definiert 
einen  „Punkt  von  ^'\  von  dem  wir  sagen,  daß  er  über  dem  Endpunkt 
von  y  liegt;  zwei  solche  Kurven  y,y'  definieren  dann  und  nur  dann  den- 
selhen  Punkt  auf  %,  wenn  auf  jeder  unverzweigten  unbegrenzten  Über- 
lagerungsfläche über  §  zwei  von  demselben  Punkt  ausgehende  Kurven, 
deren  Spurlinien  y,  y  sind,  stets  in  demselben  Punkte  enden.  —  y^  sei 
eine  Kurve  auf  %  von  p^  nach  p,  welche  den  Punkt  p  auf  %  definiert, 
U  eine  Umgebung  von  p  auf  %.  Hänge  ich  an  y^  alle  möglichen  von  p 
ausgehenden,  in  U  verlaufenden  Kurven  y  an,  so  sage  ich,  die  durch 
alle  so  entstehenden  Kurvenzüge  J'o  +  7  definierten  Punkte  auf  %  bil- 
deten eine  „Umgebung"  U  von  p.  Über  jedem  Punkt  von  U  liegt, 
weil  U  einfach  zusammenhängend  ist,  ein  einziger  Punkt  von  U, 
und  infolgedessen  erfüllt  unser  Begrifl*  der  „Umgebung"  die  an  ihn  zu 
stellenden  Anforderungen  (§  4).  Jede  Triangulierung  von  %  überträgt 
sich  sogleich  auf  '%,  sodaß  wir  ein  Recht  haben,  %  als  „Fläche"  zu  be- 
zeichnen ^). 

Jede  einfach  z n so mmenl längende  Fläche  ist  schlichtartig.  Liegt  näm- 
lich auf  einer  triangulierten  Fläche  ^J"  eiii  ^^^  Kanten  bestehendes  Po- 
lygon 71,  das  sie  nicht  zerlegt,  so  kann  man  über  %  in  der  folgenden 
Weise  stets  eine  unverzweigte  unbegrenzte,  zweiblättrige  Überlagerungs- 
fläche  konstruieren^):  Jedem  Elementardreieck  A  von  ^  ordnet  man  zwei 
„über  A  liegende  Dreiecke"  A^,  A,  zu.  Sind  A',  A"  zwei  längs  einer 
dem  Polygon  it  nicht  angehörigen  Kante  zusammenhängende  Dreiecke 
von  £;,  so  sollen  längs  der  entsprechenden  Kante  A'^  und  A'j^'  miteinander 
zusammenhängen  und  ebenso  A'g  mit  Ag.  Gehört  die  gemeinsame  Kante 
von  A',  A"  aber  dem  Polygon  n  an,  so  heften  wir  längs  der  entsprechen- 


1)  Ist  %  geschlossen  und  demgemäß  in  endlichviele  Elementardreiecke  zer- 
legt, so  handelt  es  sich  bei  der  Konstruktion  von  %  nur  darum,  von  jeder  der 
endlichvielen  geschlossenen  Dreiecksketten  auf  %  festzustellen,  ob  sie  sich  auch 
auf  %  schließt,  und  dies  muß  sich  natürlich  durch  ein  bestimmtes  endliches  Ver- 
fahren entscheiden  lassen.  Vgl.  die  genetische  Konstruktion  von  %  bei  Koebe, 
Über  die  Uniformisierung  beliebiger  analytischer  Kurven  II,  Grelles  Journal  Bd.  139, 
1911,  S.  271—276. 

2)  Die  Beschreibung  der  Überlagerungsfläche  geschieht  nach  der  in  §  5, 
Beispiel  9  allgemein  geschilderten  Methode. 


52 


Begriff  und  Topologie  der  Biemannschen  Flächen. 


den  Kante  A'^  mit  Ag  zusammen  und  Ag  mit  Aj'.  —  Daß  jedes  gerad- 
linige Polygon  in  der  Euklidischen  Ebene  diese  zerlegt,  ist  ein  spezieller 
Fall  unseres  Satzes,  da  sich  der  einfache  Zusammenhang  der  Euklidischen 
Ebene  in  genau  der  gleichen  Weise  einsehen  läßt,  wie  der  einfache  Zu- 
sammenhang des  Kreisinnern. 

Es  ist  von  Wichtigkeit,  zu  entscheiden,  wann  ein  aus  endlichvielen 
Dreiecken  zusammengesetztes  Gebiet  einfach  zusammenhängend  ist.  Auf 
einer  triangulierten  Fläche  f^-  sei  also  ein  Gebiet  Sß  gegeben,  das  aus- 
schließlich aus  Punkten  der  Elementardreiecke  A^,  Ag,  •••,  A„  von  ^  be- 
steht, aber  auch  alle  inneren  Punkte  dieser  Dreiecke  wirklich  enthält; 
eine  Kante  dieser  Dreiecke  soll  entweder  (abgesehen  vielleicht  von  ihren 
Bndpnnkien) gans  zu  ^  gehören  [innere  Kante]  oder  soll  mit  keinem  Punkt 
zu  ^  gehören  [Randkante] ;  ein  Eckpunkt,  von  dem  nur  innere  Kanten 
ausgehn,  soll  stets  innerhalb  ^  liegen.  Ein  solches  Gebiet  ^  nen- 
nen wir  ein  Polyeder,  und  zwar  ein  oifenes,  falls  es  wenigtens  eine 
Randkante  besitzt,  eine  geschlossenes,  wenn  keine  Randkanten  vor- 
handen sind.  ^  kann  nur  dann  ein  geschlossenes  Polyeder  sein,  wenn 
%  eine  geschlossene  Fläche  und  ^  mit  ^  identisch  ist.  Ein  aus  Kanten 
bestehender  einfacher  Streckenzug,  der  bis  auf  seine  beiden  nicht  inner- 
halb ^  liegenden  Endpunkte  ganz  zu  ^  gehört,  werde  ein  Querschnitt 
genannt.  Wenn  ^  offen  ist  und  nicht  nur  aus  einem  einzigen  Dreieck 
A^  besteht,  gibt  es  Querschnitte  in  ^  (z.  B.  bilden  eine  oder  zwei  Kan- 
ten eines  Dreiecks  A^,  von  dem  wenigstens  eine  Kante  Randkante  ist, 
einen  solchen).  Ein  Querschnitt  zerlegt,  wie  die  in  §  8  angestellten  Be- 
trachtungen zeigen,  ^  entweder  gar  nicht  oder  in  zwei  Gebiete,  die  dann 
gleichfalls  offene  Polyeder  sind.  Ist  das  offene  Polyeder  ^  einfach 
zusammenhängend,  muß  jeder  Querschnitt  ^  zerlegen;  dies  erkennt 
man  genau  so,  wie  oben  aus  dem  einfachen  Zusammenhang  gefolgert 
wurde,  daß  jedes  geschlossene  Polygon  zerlegt.  Es  gilt  hier  auch  die 
Umkehrung:  ein  offenes  Polyeder,  das  durch  jeden  Querschnitt  zerlegt 
wird,  ist  einfach  zusammenhängend.     (Ein  geschlossenes  Polyeder,  das 

durch  jedes  aus  Kan- 
ten bestehende  Poly- 
gon zerlegt  tvird,  ist 
einfach  zusammen- 
hängend.) 

1.  ^  sei  ein  offe- 
nes Polyeder,  das  die 
Fig.  13.   Querschnitte.  Voraussctzung       des 

Satzes  erfüllt,  und  werde  durch  den  Querschnitt  6  in'^^,  ^2  zerlegt.  Dann 
erfüllt  auch  jedes  der  beiden  Polyeder  '^^,  ^2  diese  Voraussetzung.  Ein 
beliebiger  Querschnitt  6^  von  ^^  ist  nämlich  entweder  selbst  ein  Quer- 
schnitt ö'  in  ^  oder  läßt  sich  zu  einem  solchen  durch  Hinzufügen  eines 


§  9.  Überlagerungßflächen,  einfacher  Zusammenhang  usw.  53 

oder  zweier  Streekenzüge,  die  Teile  von  6  sind,  ergänzen  (Fig.  13).  Man 
fasse  zwei  Dreiecke  ins  Auge,  die  längs  einer  zu  6^  gehörigen  Kante  an- 
einander grenzen,  und  im  Innern  jedes  dieser  Dreiecke  einen  Punkt  p* 
bzw.  |)**  Da  ^  durch  6'  zerlegt  wird,  lassen  sich  p*  und  p**  innerhalb 
^  ohne  Überschreitung  von  e'  nicht  verbinden  (S.  40).  p*,  p**  liegen 
beide  in  ^j,  sind  aber  dem  Gesagten  zufolge  innerhalb  ^^  ohne  Über- 
schreitung von  (?!  nicht  verbindbar;  d.  h.  ^^  wird  durch  6^  zerlegt. 

2.  Wir  betrachten  eine  Überlagerungsfläche  $  (unverzweigt,  un- 
begrenzt) über  ^.  Ai,  Aj  seien  zwei  Dreiecke,  die  längs  einer  Kante 
e"  von  6  aneinandergrenzen,  so  daß  A^  zu  ^j,  A^  zu  ^3  gehört;  A^,  \ 
zwei  über  Aj,  bzw.  Ao  liegende  Dreiecke  auf  ^  mit  gemeinsamer  Kante. 
Setzen  wir  nun  voraus,  der  zu  beweisende  Satz  wäre  bereits  für  Polyeder, 
die  aus  weniger  Dreiecken  bestehen  als  ^,  bewiesen,  so  schließen  wir, 
daß  ^1  und  %^  einfach  zusammenhängend  sind.  Infolgedessen  können 
wir  jedem  Dreieck  A  von  ^  ein  darüber  gelegenes  A  von  ^  so  zu- 
ordnen, daß  Ai  dem  Dreieck  Aj,  Äg  dem  Dreieck  A2  zugeordnet  erscheint 
und  irgend  zwei  Dreiecken  A,  deren  gemeinsame  Kante  eine  innere 
Kante  von  ^,  oder  ^,^2  ist,  stets  zwei  Dreiecke  A  entsprechen,  die  gleich- 
falls eine  Kante  gemein  haben.  Ist  p^  ein  Endpunkt  von  0",  ohne  End- 
punkt des  Querschnitts  6  zu  sein,  so  liegt  über  dem  Stern  ©  der  sich 
um  Po  gruppierenden  Elementardreiecke  von  ^^  (©  gehört  ganz  zu  ^) 
ein  Dreieckszykel  (S  auf  ^,  der  A^,  Ag  und  über  jedem  Dreieck  A  von 
©  (wegen  der  Unverzweigtheit  von  ^)  ein  einziges 
Dreieck  A  enthält,  und  dabei  kann  A  kein  anderes  Drei- 
eck sein  als  eben  dasjenige,  das  durch  unsere  Zuordnung 
dem  A  zugewiesen  war  (s.  Figur  14).  Ist  <?'  die  im 
Eckpunkt  p^  auf  e°  folgende  Kante  von  6,  L\,  Ag  die 
beiden  Dreiecke  in  ^1,  bzw.  ^2  °^i^  ^^^^  gemeinsamen 
Kante  e',  so  folgt  daraus,  daß  die  diesen  von  uns  zu- 
geordneten Dreiecke  A'^,  Ag  gleichfalls  eine  Kante  ge- 
meinsam haben.  Indem  wir  so,  den  Querschnitt  6  von 
6^  aus  nach  beiden  Richtungen  durchlaufend,  von  Kante  ^'^-  ^*- 

zu  Kante  fortschließen,  gelangen  wir  zu  der  Einsicht,  daß  die  Dreiecke  A 
auch  über  den  Querschnitt  6  hinüber  miteinander  zusammenhängen.  Da- 
mit ist  die  Einblättrigkeit  von  ^,  also  der  einfache  Zusammenhang  von 
^  bewiesen.  Denn  für  ein  Polyeder,  das  aus  einem  einzigen  Dreieck  be- 
steht, kann  an  der  Richtigkeit  unseres  Satzes  nicht  gezweifelt  werden. 

Die  Bedeutung  der  Vberlagerungsflächen  für  die  komplexe  Funktionen- 
tJieorie  geht  schon  daraus  hervor,  daß  jede  zu  einer  Biemannschen  Fläche 
^  gehörige  unverzweigte,  unbegrenzte  Überlagerungsfläche  ^  selbst  ohne 


54  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

weiteres  eine  Riemaimselie  Fläche  ist.  Indem  man  nämlich  allen  über 
einem  Punkt  p  von  ^  gelegenen  Punkten  der  Überlagerungsfläche  den 
gleichen  Funktionswert  zuordnet  wie  dem  Punkte  p,  erhält  man  aus 
jeder  Ortsuniformisierenden  t(jj))  zu  einem  Punkte  :po  von  %  eine  be- 
stimmte Ortsuniformisierende  t  zu  jedem  der  über  p^  gelegenen  Punkte 
von  fl,  und  erhält  man  zu  jeder  von  wesentlichen  Singularitäten  freien  Funk- 
tion auf  f5  eine  Funktion  gleichen  Charakters  auf  ^.  Jede  Funktion  auf 
der  beliebigen  unverzweigten,  unbegrenzten  Überlagerungsfläche  %  er- 
scheint aber  wieder  als  eine  eindeutige  Funktion  auf  der  universellen 
Überlagerungsfläche  ^,  so  daß  deren  Betrachtung  geeignet  ist,  die  aller 
andern  nicht  so  kräftigen  Überlagerungsflächen  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  zu  ersetzen.  Unter  den  Funktionen  auf  %  sind  die  Funktionen  f 
auf  der  Grundfläche  %  durch  die  Eigenschaft  charakterisiert,  daß  sie  sich 
gegenüber  der  Gruppe  der  Decktransformationen  von  %  invariant  ver- 
halten; d.  h.  sie  erfüllen  die  Identität 

/•(p)  =  /-(pr), 

wenn  die  Zuordnung  T :  p — >-p  T  irgend  eine  dieser  Decktransforma- 
tionen ist. 

Die  funktionentheoretische  Ausnutzung  des  einfachen  Zusammen- 
hangs einer  Fläche  beruht  auf  dem  folgenden  Monodro miesatz : 

Ist  '^  eine  einfach  susamnienhängende  Fläche, 

-^  =  «_,„^~"'  H \-  ÜQ -{- a^^t  +  ttc^t^  -{ [t  =  Ortsuniformisierende  zu  p^], 

ein  zu  einem  Funli  p^  von  %  als  MittelpunM  gehöriges  Funktionselement 
und  stößt  man  bei  der  analytischen  Fortsetzung  von  z  längs  beliebiger 
Wege  auf  ^  niemals  auf  andere  kritische  Punkte  denn  auf  gewöhnliche 
Pole,  so  erhält  man  durch  diese  Fortsetzung  eine  in  ^  eindeutige,  bis  auf 
Pole  regulär-analytische  Funktion. 

Beweis:  In  analoger  Weise  wie  die  universelle  Überlagerungsfläche 
definiert  wurde,  kann  man  eine  unverzweigte,  unbegrenzte  Überlagerungs- 
fläche über  %  erklären,  welche  die  Eigenschaft  besitzt,  daß  auf  ihr  eine 
Kurve,  deren  Spurlinie  auf  ^  von  pQ  nach  pg  zurückläuft,  dann  und  nur 
dann  geschlossen  ist,  falls  Fortsetzung  des  Funktionselements  z  längs 
der  Spurlinie  zu  dem  Anfangselement  zurückführt.  Wegen  des  voraus- 
gesetzten einfachen  Zusammenhangs  von  %  muß  diese  Überlagerungs- 
fläehe  einblättrig  sein.  Damit  ist  bereits  der  Beweis  des  Monodromie- 
satzes  erbracht. 

Ein  spezieller  Fall  des  Monodromiesatzes  ist  der  Cauchysche  Integral- 
satz. Um  ihn  allgemein  formulieren  zu  können,  müssen  wir  von  den  „Diffe- 
rentialen" auf  einer  Riemannschen  Fläche  sprechen.  Während  eine  „Funk- 
tion" dadurch  charakterisiert  ist,  daß  sie  an  jeder  Stelle  ihres  Definitions- 


§  9.  Überlager ungsflächen,  einfacher  Zusammenhang  usw.  55 

bereichs  einen  bestimmten  Wert  hat,  kommt  einem  Differential  dz  sm 
einer  Stelle  p  nicbt  an  sich,  sondern  nur  im  Verhältnis  zu  dem  Diffe- 
rential dt  einer  jeden  zu  p  gehörigen  Ortsuniformisierenden  t  ein  bestimm- 
ter Wert  idz)\  zu;  sind  t,  r  zwei  zu  derselben  Stelle  p  gehörige  Orts- 
uniformisierende,  so  muß  dabei  stets 


("'-)?-(<'-)?•©,., 


■sein.  Eine  im  Gebiet  %  regulär-analytische  Funktion  z  besitzt  ein  Diffe 
rential  dz,  für  welches 

ist,  wenn  p  irgend  ein  Punkt  von  %,  t  irgend  eine  zu  p  gehörende  Orts- 
uniformisierende  bedeutet.  Auch  eine  harmonische  Funktion  u  gibt  zu 
-einem  Differential  dtv  Veranlassung  —  gemäß  der  Formel 

Durch  Multiplikation  eines  Differentials  dz  mit  einer  Funktion  f  ent- 
steht ein  neues  Differential  dZ: 

{dZ)f=^f{p)-idz)f. 

Ist  an  einer  Stelle  p :  {dz)f  =  0  für  eine  zu  p  gehörige  Ortsuniformisie- 
rende  t,  so  ist  dies  für  jede  Ortsuniformisierende  zu  p  der  Fall;  p  ist 
dann  eine  Nullstelle  von  dz.  Sind  dZ,  dz  zwei  in  demselben  Gebiet 
%  erklärte  Differentiale  und  besitzt  dz  nirgendwo  eine  Nullstelle,  so  ist 

rf-  =  f  eine  Funktion  in  @ ; 

{dz)f 

ist  nämlich  von  der  Wahl  der  Ortsuniformisierenden  t  unabhängig. 

Gibt  es  eine  Umgebung  des  Punktes  p,,  (mit  der  Ortsuniformisie- 

dz 
jrenden  t),  in  der  dz  und  dt  existieren,  dt  ^  0  und  ^  regulär-analytisch 

dz 
ist,  so  heißt  dz  an  der  Stelle  po  regulär-analytisch.    Hat  ^-  eine  Null- 
stelle m*"  Ordnung  für  ^  =  0,  so   sagen  wir  auch  von  dem  Differential 
4z,  es  habe  in  p^  eine  Nullstelle  m*^'  Ordnung  (oder  sei  von  der  Ord- 
nung m)-  hat  -T2  einen  Pol  n^"''  Ordnung  {dz  ist  dann  in  der  Umgebung 

von  Po  mit  Ausschluß  dieses  Punktes  selbst  definiert),  so  sagen  wir,  dz 
habe  in  po  einen  Pol  «*"  Ordnung  (oder  sei  von  der  Ordnung  —  w). 
Diese  Ordnungszahlen  sind  von  der  Wahl  der  Ortsuniformisierenden  t 


56  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

Tinabhängig.  Das  Gleiche  gilt  von  dem  Besiduum  ^)  des  DiiFerentials  dz 
an  der  Stelle  p^,  d.  i.  dem  Koeffizienten  A_^  der  Entwicklung 

^'  =  Ä_J-  +  •  ••  +  A_,t-'  +  A,  +  A,t  +  A,f  +  ... 

Das  Differential  einer  bis  auf  Pole  regulären  Funktion  ist  selbst,  abge- 
sehen von  Polen,  regulär  analytisch  und  hat  nirgendwo  ein  von  0  ver- 
schiedenes Residuum.  Die  Umkehrung  dieses  Satzes,  soweit  sie  richtig 
ist,  bildet  den  Inhalt  des  Cauchyschen  Integralsatzes  in  seiner  allgemeinen 
Formulierang. 

Ist  dz  ein  in  einem  einfach  zusammenhängenden  Gebiet  %  bis 
auf  Fole  reguläres  Differential,  das  nirgenduo  ein  Besiduum  =t=  0  besitzt,, 
so  gibt  es  eine,  abgesehen  von  Polen,  reguläre  eindeutige  Funldion  z,  deren 
Differential  mit  dem  gegebenen  dz  in  ganz  @  übereinstimmt. 

Beweis:  pQ  sei  eine  Stelle  in  @,  an  der  sich  dz  regulär  verhält,  und 
es  gelte  mit  Bezug  auf  eine  zu  |)p  gehörige  Ortsuniformisierende  t  für 
hinreichend  kleine  t  die  Entwicklung 

^^^^A,  +  A,t  +  A^t^^---. 

Dann  bilde  man  das  Funktionselement 

z  =  A,t  +  A,'l^A,^'^+--.. 

Dieses  Element  gestattet  auf  jeder  von  po  ausgehenden,  in  @  verlaufen- 
den Kurve  y  eine  analytische  Fortsetzung,  bei  der  man  auf  keine  andern 
kritischen  Punkte  als  au/  Pole  stößt  (mit  Hilfe  dieser  analytischen  Fort- 
setzung definieren  wir  das  Integral   Tc^^^),  und  so  erhält  man  nach  dem 

Y 

Monodromiesatz  eine  eindeutige  Funktion  z  in  (^  von  der  gewünschten 
Beschaffenheit. 

§  10.  Einseitigkeit  und  Zweiseitigkeit  von  Flächen.  Der  Residnensatz. 

Es  sei  in  der  Euklidischen  Ebene  eine  geschlossene  Kurve  ß  mit 
bestimmtem  Durchlaufungssinn  gegeben,  ferner  ein  nicht  auf  S  gelegener 
Punkt  0  und  in  dem  Büschel  der  Halbgeraden  durch  0  (kürzer:  in  0)  ein 
bestimmter  Drehungssinn  :\ .  Verfolgen  wir,  während  der  variable  Punkt  P 
die  Kurve  ß  einmal  im  vorgeschriebenen  Sinne  durchläuft,  die  stetige 
Änderung  des  Winkels  tp,  den  die  Strecke  OP  mit  einer  festen  Halb- 
geraden durch  0  bildet,  so  wird  die  Differenz 

«Wert  von  (p  am  Ende  —  Wert  von  (p  am  Anfang  der  Durchlaufung* 
ein  ganzzahliges  Vielfaches  2 Witt  von  27i  sein;  die  ganze  Zahl  n  heißt  die 
Ordnung  von  0  in  Bezug  auf  £,  in  Zeichen 

1)  Man  muß  durchaus  daran  festhalten,  daß  das  Residuum  etwas  ist,  was 
einem  Differential.,  nicht  einer  Funktion  zukommt. 


§  10.  Einseitigkeit  und  Zweiseitigkeit  von  Flächen. 


n  =  ord(O) . 

e 

Diese  Zahl  n  hängt,  außer  von  dem  Punkte  0  und  der  in  bestimmter 
Weise  durchlaufenen  Kurve  ®,  noch  von  dem  Drehungssinn  i\  in  0  ab; 
ersetzen  wir  diesen  durch  den  entgegengesetzten,  so  wechselt  n  sein  Vor- 
zeichen. 

Die  Möglichkeit,  auf  einer  beliebigen  Fläche  einen  Drehungssinn 
festzulegen,  beruht  auf  dem  folgenden  fundamentalen  Satz: 

Ist  ein  Gebiet  @  der  EuldidiscJien  Ebene  auf  ein  ebensolches  Gebiet 
®'  umleJirbar  eindeutig  und  umkehrbar  gebietsstetig  abgebildet,  wobei  dem 
Funkte  0  von  @  der  PiinJct  0'  entsprechen  möge-  ist  ferner  in  0  ein 
bestimmter  Drehungssinn  \  gegeben,  so  kann  man  in  0'  einen  Drehungs- 
sinn -\'  so  festlegen,  daß  die  Ordnung  des  Punktes  0  in  Bezug  auf  jede 
nicht  durch  0  gehende,  in  &>  verlaufende  geschlossene  Kurve  mit  der  Ord- 
nung von  0'  in  Bezug  auf  die  Bildkurve  übereinstimmt. 

Zum  Beweise  benutzen  wir  einen  festen  Kreis  f  in  ®  mit  dem  Mittel- 
punkt  0  {x,  y  bedeuten  Cartesische  Koordinaten): 

x  =  acos2iil,     y=-asm27cl     [O^A^l]; 

in  Bezug  auf  !  besitzt  0  die  Ordnung  1.  Wir  entscheiden  uns  in  0'^ 
zunächst  willkürlich  für  einen  der  beiden  möglichen  Drehsinne,  und  nennen 
dann  n^  die  Ordnung  von  0'  in  Bezug  auf  die  Bildkurve  f  von  f.  Der 
Beweis  zerfällt  in  zwei  Teile: 

1.  Ist  S  eine  beliebige  geschlossene  Kurve  in  %,  die  nicht  durch  0 
geht,  n  =  ord  (0),  so  ist 

ord  (0')  =  w  •  Wq- 

2.  Wo  ist  =  -f  1  oder  —  1 . 
Beiveis  von  1.: 

x^x{l),    y  =  y{l)     [O^A^l] 

sei  die  Kurve  S;  wir  teilen  sie  so  in  Teilbögen  ein 

daß  auf  jedem  dieser  Teilbögen  die  Wertschwankungen  des  Azimuts  cp 

kleiner  als   -  bleiben.   Pq,  P^,  ...,  P^_i  seien  die  den  Werten  0,  A^,  ,.., 

^r-\  entsprechenden  Kurvenpunkte.  Verfolgen  wir  also  die  stetige  Ände- 
rung des  Winkels  cp  =  (p{X),  den  OB  mit  einer  festen  durch  0  gehenden 
Halbgeraden  einschließt,  während  P  den  h^^^  Bogen  (E^^:  A^_ ^  ^  A  ^  2^  durch- 
läuft, so  kommen  niemals  zwei  qo-Werte  vor,  deren  Unterschied  absolut 

^—  wäre.    S^  ordnen  wir  den  durch  die  Halbgeraden  OBj^_^,  OP,^  aus 

!  ausgeschnittenen  Kreisbogen  f^:  Qf,_iQh  zu  und  bringen  ihn  mit  Hilfe 


58  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

eines  Parameters  A  so  zur  Darstellung-:  x  =  rc^(A),  y  =  ^^(/l),  daß  wenn  X 
monoton  von  A^_i  bis  /.^  wächst,  der  zugeordnete  Punkt  {xy)  jenen  Kreis- 
bogen monoton  von  Qf,_i  nach  Q/^  durchläuft.  Die  Verbindungsstrecke 
eines  Punktes  P  auf  ©^  mit  einem  Punkte  Q  auf  f^ 
enthält  niemals  den  Punkt  0;  denn  dann  würden  die 
Halbgeraden  OP,  OQ  den  Winkel  -t  miteinander  ein- 
schließen, was  unmöglich  ist. 

ß  =  !,  +  !,+  •••  +  f, 

ist  eine  geschlossene  Kurve,  die  den  Kreis  f  stück- 
weis monoton  und  im  ganzen  «-mal  umläuft.  Die 
Bildkurve  Ä'  von  Ä  umläuft  demnach  stückweis 
monoton  und  im  ganzen  n-mal  f ';  infolgedessen  hat 
0'  mit  Bezug  auf  ^'  die  Ordnung  n  •  Hq. 
Ist  u  eine  Zahl  ^  0  und  ^  1 ,  so  stellen  die  Gleichungen 

X  =  ax(X)  -H  (1  —  .u)  xJl) 

y  =  iiit/lA)  -h  (1  -  a)  y,{l)      '•  >^-^  -      -    "^ 

«ine  geschlossene  Kurve  (5^  dar,  die  nicht  durch  0  hindurchgeht,  deren 
Bildkurve  G^  also  nicht  durch  0'  hindurchgeht.  Bezeichnen  wir  mit  n^ 
die  Ordnung  von  0'  in  Bezug  auf  S«,  so  variert  infolgedessen  und  weil 
ß,'  stetig  von  ji  abhängt,  «„  stetig  mit  /i,  muß  aber  immer  eine  ganze 
Zahl  sein  und  ist  demnach  konstant  für  0  ^  a  ^  1.  Für  ."  =  1  ist  S^  =  S 
und  stimmt  für  a  =  0  mit  der  Kurve  Ä  überein.    Darum  muß 

ord  (0')  =  ord  (0')  =  w  •  n^ 

sein. 

Beweis  von  2.:  Ist  (5  eine  abgeschlossene  Menge  in  der  Euklidischen 
Ebene  und  P  irgend  ein  nicht  zu  (5  gehöriger  Punkt,  so  nennen  wir  die 
Gesamtheit  der  mit  P  durch  stetige,  @  nicht  treffende  Kurven  verbindbaren 
Punkte  ein  durcli  @  bestimmtes  Gebiet.  Zwei  durch  @  bestimmte  Ge- 
biete sind  entweder  völlig  identisch  oder  haben  keinen  einzigen  Punkt 
gemein.  Die  Grenze  eines  Gebietes  wird  von  allen  Paukten  gabildet,  die 
ohne  dem  Gebiete  selbst  anzugehören,  Verdichtuugsstellen  von  Punkten 
des  Gebietes  sind.  Die  Grenze  eines  durch  (S  bestimmten  Gebietes  @  ist 
■eine  abgeschlossene  Teilmenge  ©*  von  (5.  &  ist  dann  auch  eines  der  durch 
•@*  bestimmten  Gebiete. 

Hieraus  geht  für  !'  hervor:  Die  geschlossene  Kurve  f  bestimmt  in 
der  Ebene  zwei  Gebiete;  das  eine,  S,  welches  wir  das  innere  nennen,  be- 
steht aus  allen  Bildpunkten  der  innerhalb  !  gelegenen  Punkte;  das  andere, 
■das  „äußere",  2t,  enthält  alle  weitentfernten  Punkte  der  Ebene.  Als  „weit 
entfernt"  haben  diejenigen  Punkte  der  Ebene  zu  gelten,  die  außerhalb 
«ines  Kreises  um  0'  liegen,  der  die  ganze  Kurve  f  im  Innern  enthält. 


§  10.  Einseitigkeit  und  Zweiseitigkeit  von  Flächen.  59 

Jeder  Punkt  von  !'  gehört  sowohl  zur  Grenze  von  S  als  von  St.  Ein 
Teilbogen  von  f  bestimmt  nur  ein  einziges  Gebiet. 

In  jedem  Punkte  der  Ebene  legen  wir  zur  Bestimmung  seiner  Ordnung 
in  Bezug  auf  !'  denselben  Drehungssinn  zugrunde.  Läßt  man  dann  einen 
Punkt  in  der  Ebene  stetig  wandern,  ohne  daß  er  f  trifft,  so  muß  sich 
seine  Ordnung  in  Bezug  auf  V  stetig  ändern  und  also  konstant  bleiben. 
Sowohl  für  alle  Punkte  von  %  als  für  alle  Pimkte  von  3  existiert  daher 
■eine  konstante  Ordnung;  dieselbe  ist  für  3(:  =  0,  da  die  weitentfernten 
Punkte  gewiß  die  Ordnung  0  in  Bezug  auf  f  haben.  Von  den  Punkten 
von  3  behaupten  wir,  daß  ihre  Ordnung  =  +  1  ist. 

Durch  0'  legen  wir  eine  Gerade.  Verfolgen  wir  diese  von  0'  aus 
nach  beiden  Seiten,  so  müssen  wir  in  beiden  Richtungen  zum  ersten  Mal 
auf  einen  Punkt  von  !'  treffen.  Die  beiden  so  erhaltenen  Punkte  E,  F 
von  f  zerlegen  diese  Kurve  in  zwei  Teilbogen.    Der  eine  von  ihnen,  t[, 

bildet  zusammen  mit  der  geradlinigen  Strecke  FE  eine  geschlossene  Kurve 

Gj,  der  andere,  f,',  ^^  der  Strecke  EF  eine  zweite  geschlossene  Kurve 
Gg.  Die  Strecke  EF  kreuzen  wir  im  Punkte  0'  durch  eine  kleine  auf 
EF  senkrechte  Strecke  Oj^Oo,  die  ganz  in  S  liegt.  Die  Ordnung  eines 
Punktes  P  in  Bezug  auf  G^  springt  offenbar  um 

+  1,  wenn  P,  die  Strecke  0,  0.,  monoton  durch-  ^,^i<^-  iJr^>-~^ 

laufend,  0'  passiert^):  y^  g       ///     ®=f\\ 

ord  (OJ  -  ord  (0,)  =  ±  1 .  t'Y  c-'-^^'-f^o.  ^l 

Da  ©1,  aus  einem  die  Ebene  nicht  zerlegenden    /^-^^"^"^  ^ 

Teilbogen  von  f  und  einer  geradlinigen  Strecke  ^^g^'^-  Gebietsteiiimg  durch  die 
bestehend,  die  Ebene  in  höchstens  zwei  Gebiete 

3i,2(^  zerlegen  kann,  muß  0^  oder  0^  demjenigen  dieser  beiden  Gebiete  Sl^ 
angehören,  in  welchem  die  weitentfernten  Punkte  der  Ebene  liegen;  einer 
der  beiden  Punkte  0^,  0.^,  etwa  Oj,  muß  also  in  Bezug  auf  (5^  die  Ord- 
nung 0  haben;  dann  hat  0^  in  bezug  auf  S^  die  Ordnung  +  1  und  liegt 
in  dem  anderen  der  beiden  durch  G^  bestimmten  Gebiet  3^. 

Ebenso  erkennt  man,  daß  G,  die  Ebene  in  zwei  Gebiete  ^2)  ^2  2:er- 
legt,  von  denen  STg  die  weitentfernten  Punkte  der  Ebene  enthalten  möge, 
und  daß  ferner  einer  der  beiden  folgenden  Fälle  eintreten  muß: 

1)         ord(OJ=0,     ord(02)==±l;      0^  Uegt  in  ST^ ; 


1)  Denn  der  Winkel,  unter  dem  die  Strecke  FE  von  P  aus  erscheint,  kon- 
vergiert gegen  -f-  ^r  oder  —  -x,  je  nachdem  P  von  0^  aus  oder  von  0^  aus  gegen 
O'  rückt;  die  gesamte  Winkeländerung  aber,  die  ein  durch  P  gehender  Strahl 
erleidet,  dessen  anderer  Endpunkt  die  Kurve  f^  beschreibt,  hängt  stetig  von  P 
ab,  auch  an  der  Stelle  P  =  0' . 


60  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

2)         ord  (Ol)  =  ±  1 ;     ord  (0^)  =  0;     Oj  liegt  in  STj . 

Im  Falle  1)  ergäbe  sieh  in  Übereinstimmung  mit  unserer  Behauptung 
ord  (Ol)  =  ord  (Ol)  +  ord  (0,)  =  ±  1 . 

Wir  zeigen  jetzt,  daß  2)  unmöglich  ist. 

Die  Punkte  von  t^  liegen,  wenn  wir  von  den  Endpunkten  E,  F  ab- 
sehen, in  Stj.  Denn  in  beliebiger  Nähe  eines  Punktes  Q  von  H.  finden 
sich  Punkte  von  21,  und  diese  sind  mit  den  weit  entfernten  Punkten  der 
Ebene  durch  stetige  Kurven  verbindbar,  welche  f '  nicht  trefi'en,  also  ganz 
in  51  verlaufen,  und  daher  auch  die  Strecke  EF  und  !i  -f  EF  =  Si  nicht 
treffen.  In  beliebiger  Nähe  von  Q  finden  sich  also  Punkte,  die  zu  Slj 
gehören,  und  da  der  Punkt  Q  nicht  auf  ßj  liegt,  muß  daher  Q  selbst  in 
2(i  liegen.  Si  besteht  aus  allen  Punkten  J,  die  mit  Oj  durch  Kurven  C  ver- 
bin dbar  sind,  die  (Sj  nicht  treflfen.  C  liegt  selbst  ganz  in  Si,  und  da  fj 
außer  seinen  Endpunkten  in  SIj  liegt,  triff't  c  auch  V^  nicht,  also  auch 
nicht  V^  -f  EF  =  Sg.  Träte  jener  zweite  Fall  ein,  so  läge  Oi  gleichzeitig 
in  Sg;  und  es  würde,  da  C  die  Kurve  Sj  nicht  trifft,  auch  J  in  S2  Hegen. 
Jeder  Punkt  von  Si  wäre  demnach  ein  Punkt  von  '^^.  Ebenso  erkennt 
man  das  Umgekehrte;  demnach  wäre  Si  identisch  mit  ^j.  l'i  gehört,  ab- 
gesehen von  den  Endpunkten,  nicht  zur  Grenze  von  Si,  ebensowenig  l[ 
zur  Grenze  von  Sa-  Ist  nun  Si  =  Sj ,  so  kann  danach  die  Grenze  von  Si 
nur  aus  Punkten  der  Strecke  EF  bestehen.  Das  ist  aber  widersinnig, 
da  die  Strecke  EF  die  Ebene  nicht  zerlegt.  Die  Unhaltbarkeit  der  An- 
nahme 2)  ist  erwiesen. 

Der  durch  den  Fundamentalsatz  zu  Anfang  dieses  Paragraphen  fest- 
gelegte Drehungssinn  a'  heiße  der  Bild-Drehungssinn  von  ^  bei  der 
Abbildung  S'  des  Gebietes  @  auf  ©':  A  „geht"  durch  die  Abbildung 
S'  „über"  in  \'.  Hat  man  ©  durch  eine  umkehrbar-eindeutige  und 
-gebietsstetige  Abbildung  S'  auf  ©',  durch  eine  andere  solche  Abbildung 
S"  auf  @"  abgebildet,  so  geht  der  durch  S'  erzeugte  Bilddrehungssinn 
\'=\S'  von  \  in  den  durch  S"  erzeugten  Bilddrehungssinn  h"  =  \S" 
über  durch  die  Abbildung  S'~'^S'\  welche  ©'  in  @"  transformiert. 

Diese  Tatsachen  genügen,  um  die  Möglichkeit  zu  erkennen,  in  einem  be- 
liebigen Punkte  Po  einer  gegebenen  Mannigfaltigkeit  f^  einen  Drehungssinn 
Ä  festzulegen.  Bei  jeder  umkehrbar-eindeutigen  und  -gebiets stetigen  Ab- 
bildung S  einer  Umgebung  von  pQ  auf  ein  Gebiet  der  Euklidischen  Ebene,, 
bei  welcher  p^  in  0  übergehe,  wird  A  sich  in  einem  in  0  herrschenden 
Bilddrehungssinn  ■^y.S  kundgeben.  Hat  man  zwei  solche  Abbildungen 
S  und  T,  so  existiert  stets  eine  Umgebung  von  p^,  von  der  beide  Ab- 
bildungen ein  umkehrbar-eindeutiges  und  -gebietsstetiges  Bild  in  der  Eukli- 
dischen Ebene  entwerfen.  Die  Bilddrehungssinne  ^;S,  aT  müssen  von 
solcher  Art  sein,  daß  \S  durch  die  Abbildung  S~'^T  übergeht  in  \T. 


§  10.  Einseitigkeit  und  Zweiseitigkeit  von  Flächen.  61 

(Die  explizite  Angabe  eines  Drehungssinnes  ^  kann  natürlich  nur  „bild- 
lich" dadurch  geschehen,  daß  man  für  irgendeine  hestimmte  Abbildung 
S  den  Bilddrehungssinn  aÄ  in  der  Euklidischen  Ebene  gibt). 

Legt  man  in  irgend  zwei  Punkten  der  Ebene  0^,  Og  den  gleichen 
Drehungssinn  Ai  =  -^2  zur  Bestimmung  der  Ordnung  dieser  Punkte  zu- 
grunde, so  macht  sich  das  darin  bemerkbar,  daß  0^,  0^  sicher  immer 
dann  in  Bezug  auf  eine  geschlossene  ebene  Kurve  ß  die  gleiche  Ordnung 
besitzen,  falls  sich  Oj,  0^  durch  eine  ß  nicht  treffende  Kurve  verbinden 
lassen.  Liegen  0^,  0^  in  einem  Gebiet  @,  das  durch  eine  umkehrbar-ein- 
deutige und  -gebietsstetige  Abbildung  <S"  in  ®'  übergeführt  wird,  so  zeigt 
diese  Bemerkung,  wenn  wir  sie  auf  Kurven  S  anwenden,  die  in  %  liegen, 
daß  aus  Ai=  ^2 

folgt.   Danach  ergibt  sich  naturgemäß  folgende  Definition : 

Ist  in  jedejn  Punkte  einer  Mannigfaltigkeit  ^  ein  Drehimgssinn  \ 
festgelegt,  so  heißt  derselbe  im  Funkt  pg  stetig,  falls  es  eine  Umgebung  von 
Po  gibt  derart,  daß,  wenn  diese  irgendwie  umkehrbar-eindeutig  und  -gebiets- 
stetig auf  ein  ebenes  Gebiet  abgebildet  wird,  der  Bildsinn  von  \  in  allen 
Punkten  dieses  Gebietes  derselbe  ist. 

Und  nur  dann,  wenn  \  überall  stetig  ist,  wird  man  sagen,  daß  auf  der 
Mannigfaltigkeit  ^1^  ein  einheitlicher  Drehungssinn  definiert  ist.  Wenn 
eine  solche  „einheitliche"  Festlegung  eines  Drehungssinnes  auf  ^  möglich 
ist,  heißt  IJ  zweiseitig  (Beispiele:  Euklidische  Ebene,  Kugel,  Torus),  sonst 
einseitig^)  (Beispiele:  projektive  Ebene,  Möbiussches  Band).  Eine  geschlos- 
sene Kurve  auf  ^  kann  von  zweierlei  Art  sein:  gehe  ich  von  einem  bestimm- 
ten Drehungssinn  \  in  einem  Punkte  der  Kurve  aus  und  setze  diesen  längs 
der  Kurve  stetig  fort,  so  komme  ich  in  dem  Anfangspunkt  entweder  mit 
demselben  oder  dem  entgegengesetzten  Drehungssinn  an.  Auf  zweiseitigen 
Flächen  gibt  es  nur  Kurven  der  ersten  Art,  auf  einseitigen  sowohl  Kurven 
der  ersten  als  der  zweiten  Art.  Daraus  erklären  sich  die  Namen.  Daß 
sich  der  Drehungssinn  längs  einer  Kurve  zweiter  Art  umkehrt,  äußert  sich 
nämlich  an  einer  einseitigen  Raumfläche  wie  dem  Möbiusschen  Bande  darin, 
daß  ich,  längs  dieser  Kurve  wandernd,  von  der  einen  „Seite"  der  Fläche 
auf  die  andere  gelange,  so  daß  die  Fläche  in  Wahrheit  gar  nicht  zwei 
getrennte  „Seiten"  hat.  Über  jeder  einseitigen  Fläche  '^  existiert  eine  un- 
verzweigte, unbegrenzte,  zweiblättrige,  zweiseitige  Überlagerungsfläche, 
auf  der  eine  Kurve  dann  und  nur  dann  geschlossen  ist,  falls  ihre  Spur- 
kurve auf  ^  geschlossen  und  außerdem  von  der  ersten  Art  ist.  Die  beiden 
Blätter  dieser  Überlagerungsfläche  kann  man  als  die  eine  und  die  andere 
„Seite"  von  ^  betrachten. 


1)  Diese  Definition   der  Einseitigkeit   wurde  von   Klein,   Math.  Ann.  Bd.  9 
<1876),  S.  479  gegeben. 


62  Begriff  und  Topologie  der  Riemannsclien  Flächen. 

Wir  denken  uns  jetzt  die  Fläche  ^,  von  der  wir  annehmen  wollen,, 
daß  sie  zweiseitig  ist  und  also  auf  ihr  ein  einheitlicher  Drehungssinn 
festgelegt  ist,  in  einer  bestimmten  Triangulierung  ^  vorliegend.  Ein  Drei- 
eck A  dieser  Triangulierung  mit  den  Ecken  1,  2,  3  ist  dadurch  auf  ein 
ebenes  gleichseitiges  Dreieck  D  abgebildet,  daß  man  die  Koordinaten- 
Verhältnisse  ^^i^^'^sf  welche  den  Punkten  von  A  entsprechen,  mit  den 
homogenen  (in  bezug  auf  die  Ecken  von  D  gebildeten)  Schwerpunkts- 
koordinaten der  Bildpunkte  in  I)  identifiziert.  Diese  Abbildung  S  ist  für 
das  Innere  von  A  und  D  umkehrbar-gebietsstetig.  ^  erzeugt  also  in  allen 
inneren  Punkten  vonD  einen  bestimmten  Bilddrehungssinn  ^  ä,  und  zwar 
in  allen  Punkten  denselben;  dieser  aber  induziert 
in  der  aus  der  Figur  hervorgehenden  Weise  einen 
bestimmten  Umlaufssinn  auf  dem  Rande  von  i> 
und  damit  eine  bestimmte  zyklische  Eckenreihen- 
folge oder  Indikatrix  von  D  bzw.  A:  entweder 

(123)  =  (231)  =  (312) 
^     oder 
^''-  '''■  i'L^Su.^'^  ""'  (213)  =  (132)  =  (321). 

Nachdem  man  so  für  jedes  Dreieck  A  der  Triangulierung  eine  be- 
stimmte Indikatrix  erhalten  hat,  betrachte  ich  zwei  solche  Dreiecke  Aj 
mit  den  Ecken  123  und  A^  mit  den  Ecken  124,  die  längs  der  Kante  12 
aneinandergrenzen.  Ich  behaupte :  bei  der  mit  der  vorgegebenen  Indikatrix 
erfolgenden  Umlaufung  von  A3  wird  die  Kante  12  in  entgegengesetzter 
Richtung  durchlaufen,  wie  bei  der  durch  die  Indikatrix  vorgeschriebenen 
Umlaufung  von  A^.  Ich  drücke  das  kurz  dadurch  aus,  daß  ich  sage,  die  In- 
dikatrix von  A3  ist  mit  der  von  A^  kohärent.  Man  zeichne  in  der  Ebene 
zwei  gleichseitige  Dreiecke  Dg  =  (123),  B^  =  (124),  die  mit  der  Kante  12 
aneinanderstoßen.  Aj  ist  durch  die  Koordinatenverhältnisse  seiner  Punkte 
auf  D3  stetig  abgebildet  (die  Abbildung  heiße  S^)  und  A^  auf  D^  (Abbildung 
S^).  Dabei  entsprechen  sich  die  mit  gleichen  Ziffern  bezeichneten  Ecken. 
Die  gemeinsame  Kaute  von  A3,  A^  ist  zweimal,  sowohl  durch  S^  als  durch 
S^,  auf  die  gemeinsame  Kante  von  D^,  D^  abgebildet.  Für  diese  Kante 
ist  S'^S^  eine  umkehrbar-eindeutige  stetige  Abbildung,  bei  der  jedes  der 
beiden  Enden  in  sich  übergeht.  Ich  wähle  einen  Punkt  p  auf  der  Kante 
12  (der  keiner  der  Endpunkte  ist),  einen  Punkt  pj  im  Innern  von  Ag^ 
einen  Punkt  p^  im  Innern  von  A^: 

Pz^PsS^,  Pa=P^S,;  p'=-pS„  p'=-pS,. 
Man  kann  D^  leicht  so  umkehrbar  eindeutig  und  stetig  auf  sich  selbst  ab- 
bilden (Abbildung  S4),  daß  jede  von  ^/  ausgehende  Strecke  J9*^  {p  am  Rande 
vonDJindie  Strecke  2?^^  übergeht,  auf  der  Kante  12  aber  5^  mit  iSj^^Sg  über- 
einstimmt. Durch  Figur  18  wird  eine  solche  Abbildung  angedeutet.  Dann 
wird  durch  diejenige  Abbildung  T3,  welche  für  A3:  *=  S^,  für  A^:  =  S^s^ 


§  10.  Einseitigkeit  und  Zweiseitigkeit  von  Flächen. 


6  3 


Abbildung  eines  Dreiecks  /;,  auf 
sich  selbst. 


ist,  das  Innere  von  A3  +  A^  umkehrbar-eindeutig  und  -gebietsstetig  auf 
das  Innere  des  Rhombus  B^  -\-  B^  abgebildet.  Analog  werde  eine  Ab- 
bildung T^  konstruiert,  die  für  A4  mit  S^  übereinstimmt.  T-^T^  ist  eine 
umkehrbar  eindeutige  stetige  Abbildung  des  Rhombus  B^  -]-  B^  in  sich, 
bei  der  das  geradlinige  Strahlen- 
büschel durch  den  Punkt  p^  in  das 
geradlinige  Strahlenbüschel  durch 
den  Punkt  p^  übergeht  und  jeder 
Punkt  auf  dem  Rande  des  Rhombus 
festbleibt.  Man  zeichne  das  Bild  -\  T^ 
des  in  den  Punkten  pg  und  p  herrschen- 
den Drehungssinnes  Ä.  Es  ist  dann 
Ä  T3  in^^  derselbe  Drehungssinn  wie 
in  p^.  Der  Endpunkt  eines  beweg- 
lichen Strahles  durch  den  Punkt  ^3 
oder  p^,  der  um  diesen  mit  dem  Drehsinn  ix  T3  herumkreist,  durchlaufe 
den  Rand  des  Rhombus  etwa  in  der  Richtung  13241.  Durch  die  Ab- 
bildung T~^2\  geht  Ä  J\  im  Punkte  J9^  über  in  ä  T^  im  Punkte  p^.  Dem- 
nach beschreibt  der  Endpunkt  eines  beweglichen  Strahles  durch  j)*,  der  um 
diesen  Punkt  im  Drehsinn  -\  T^  kreist,  offenbar  den  Rhombus  gleichfalls 
in  der  Richtung  13241.  Das  Gleiche  gilt  infolgedessen  auch  für  einen 
Strahl  durch  p^,  der  diesen  Punkt  mit  dem  Drehsinn  \  T^  umkreist. 
Ä ^3  =  -^  ^3  in^3  ist  aber  maßgebend  für  die  Indikatrix  von  B^,  \T^=  \S^ 
inp^  maßgebend  für  die  Indikatrix  von  D^;  in  dem  angenommenen  Fall 
wäre  (321)  die  Indikatrix  von  Dg,  (412)  diejenige  von  B^. 

Ein  einheitlicher  Drehsinn  A  auf  der  triangulierten  Fläche  ^^  in- 
duziert also  in  jedem  Elementardreieck  A  von  t,  eine  Indikatrix,  die  für 
je  zwei  aneinanderstoßende  Dreiecke  miteinander  kohärieren.  Unsere  Über- 
legung liefert  aber  sofort  auch  das  umgekehrte  Resultat:  Wenn  jedem 
Dreieck  A  von  t,  eine  Indikatrix  so  zugeordnet  ist,  daß  dieselben  für  je 
zwei  aneinanderstoßende  Dreiecke  kohärieren,  so  ist  dadurch  ein  einheit- 
licher Drehsinn  .\  auf  ^  festgelegt,  der  in  jedem  A  die  betreffende  In- 
dikratix  induziert.-^)  Eine  zweiseitige  Fläche  ^;.  vermag  man  also  daran 
zu  erkennen,  daß  es  möglich  ist,  jedem  A  eine  solche  Indikatrix  zuzu- 
weisen, daß  je  zwei  aneinanderstoßenden  Dreiecken  Indikatrizen  zukommen^ 
die  miteinander  in  Kohärenz  stehen. 


1)  Durch  diese  Eigenschaft,  daß  man  allen  Elementardreiecken  kohärente 
Indikatrizen  erteilen  kann,  definieren  Möbius  (1865;  Werke  Bd.  II,  S.  477  u.  482) 
und  auch  Brouwer  (Math.  Ann.  Bd.  71,  S.  101)  die  zweiseitigen  Flächen.  Den 
Nachweis  dafür,  daß  diese  Eigenschaft  einer  Fläche  unabhängig  von  der  Art 
ihrer  Triangnlation  zukommt,  erbringt  Brouwer,  Math.  Ann.  Bd.  71,  S.  324  (Fuß- 
note) in  anderer  Weise,  als  es  hier  geschehen  ist;  sein  Beweis  ist  auch  für  n-di- 
mensionale  Mannigfaltigkeiten  gültig. 


64  Begriff  uüd  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

Beispiel:  Aus  dem  in  §  5  ang-egebenen  Schema  der  projektiven  Ebene 
ergibt  sich  rein  kombinatorisch  deren  Einseitigkeit.   Das  Schema  lautete: 

(I  n  III) 


(1  n  III)  (1 2  ni)  (I  n  3) 

/\  /\  /\ 

X     \.,  /     \  /     \ 

(1  n  2)    (13  UI)      (I  2  1)     (3  2  IH)       (l  1  3)     (2  II  3) 

In  dieser  Schreibweise  steht  jedes  Dreieck  der  letzten  Zeile  in  mittelbarer 
Kohärenz  zu  (I II III);  als  inkohärent  geschriebenes  ZwischengKed  tritt 
je  ein  Dreieck  der  zweiten  Zeile  auf.  Wäre  die  projektive  Ebene  zwei- 
seitig, so  müßten  in  dem  Schema  je  zwei  unter  den  sechs  Dreiecken  der 
letzten  Zeile,  in  denen  zwei  gleichlautende  Ziffern  vorkommen,  in  Kohärenz 
stehen;  in  Wahrheit  kommen  jedoch  drei  Inkohärenzen  vor: 

(1  n  2)  (13  ni)  (3  2  ni) 

I  I  I 

(I  2  1)  (II  3)  (2  II  3) 

[Zusatz:  In  den  oben  durchgeführten  allgemeinen  Überlegungen 
haben  wir  benutzt,  daß  man  jedes  Dreieckpaar  einer  Triangulation  um- 
kehrbar eindeutig  und  stetig  auf  einen  Rhombus  abbilden  kann  (wobei 
Ecke  in  Ecke  übergeht).  Auf  gleiche  Art  kann  man  einen  Dreiecksstern 
so  auf  ein  reguläres  Polygon  der  Euklidischen  Ebene  umkehrbar  ein- 
deutig und  stetig  abbilden,  daß  der  innere  Eckpunkt  des  Sterns  in  den 
Polygonmittelpunkt,  die  Randecken  des  Sterns  in  die  Polygonecken  über- 
gehen. Zerlegt  man  dieses  Polygon  irgendwie  so  in  Dreiecke  D,  daß  auf 
der  Peripherie  des  Polygons  keine  neuen  Ecken  entstehen,  und  der  Poly- 
gonmittelpunkt ins  Innere  eines  der  Dreiecke  IJ  fällt,  so  hat  man  dadurch 
die  ursprüngliche  Triangulation  der  Fläche  im  Innern  des  einen  Dreiecks- 
sterns so  verändert,  daß  ein  Punkt,  der  früher  Eckpunkt  war,  jetzt  ins 
Innere  eines  Elementardreiecks  zu  liegen  kommt.] 

Gehen  wir  von  einem  festen  Elementardreieck  Ag  der  triangulierten 
Fläche  ^;  aus,  dem  wir  eine  bestimmte  Indikatrix  erteilen,  und  ist  A 
irgend  ein  anderes  zur  Teilung  t.  gehöriges  Elementardreieck,  so  kann 
man  A^  mit  A  durch  eine  einfache  Kette  von  Dreiecken  verbinden: 

(K)  Ao,  Ai,  A^,--,  A„  =  A. 

Man  erteile  A^  die  mit  der  Indikatrix  von  Aq  kohärierende  Indikatrix, 

A^  diejenige,  welche  mit  der  von  A^  kohäriert  usw.;  so  bekommt  jedes 

Dreieck  der  Kette  und  endlich  auch  A  selbst  eine  bestimmte  Indikatrix. 

Ist 

(K')  Ao  =  Ao,  Ai',  A2,  •••,  A;  =  A 

■eine    andere  einfache  Kette,    welche   Aq    mit   A   verbindet,    so   können 


§  10.    Einseitigkeit  und  Zweiseitigkeit  von  Flächen. 


65 


wir  auch  in  dieser  Kette  die  Indikatrix  von  Aq  nach  dem  Prinzip  der 
Kohärenz  fortsetzen.  Gelangen  wir  in  jeder  Kette  zu  derselben  Indika- 
trix von  A,  und  zwar,  welches  auch  das  Enddreieck  A  sein  mag-,  so  muß 
die  Fläche  zweiseitig  sein.  Wenn  sie  einseitig  ist,  wird  es  demnach  für 
ein  gewisses  Dreieck  A  zwei  Ketten  (K)  und  {K')  geben,  die  für  das 
Enddreieck  A  zu  verschiedenen  Indikatrizen  führen.  Ich  notiere  die- 
jenigen Dreiecke  der  Kette  (-K"),  die  auch  in  (K')  auftreten,  in  derjenigen 
Reihenfolge,  wie  sie  in  (K)  vorkommen: 
(13)  Ao,  A.,  A,,...,A„. 

Es  sei  etwa  Aj  (vielleicht  erst  A,„)  das  erste  Dreieck  unter  diesen,  dem 
in  der  Kette  (K')  eine  andere  Indikatrix  zukommt  wie  in  der  Kette 
(K),  und  Aj  das  in  der  Reihe  (13)  A,  vorangehende  Dreieck.  Das  Stück 
der  Kette  (K),  welches  A^.  mit  A,  verbindet,  liefert  zusammen  mit  dem 
von  Aj  zu  A^  führenden  Stück  der  Kette  {K')  eine  (sich  nicht  über- 
schneidende) geschlossene  Dreieckskette.  In  dieser  kehrt  sich  die  Indi- 
katrix, wenn  man  sie  nach  dem  Prinzip  der  Kohärenz  fortsetzt,  um.  Auf 
einer  einseitigen  Fläche  muß  demnach  die  Undurchführbarkeit  einer  der 
Kohärenzbedingung  genügenden  Indikatrix  bereits  in  einer  einfachen  ge- 
schlossenen Dreieckskette  Kq  zum  Austrag  kommen. 

Zeichnet  man  in  jedem  Dreieck  einer  solchen  Kette  Kq  eine  Ele- 
mentarstrecke 6,  die  von  einem  Punkt  der  Kante,  an  die  das  vorher- 
gehende Dreieck  der  Kette  K^  anstößt,  zu  einem  Punkte  derjenigen  Kante 
hinüberführt,  an  die  das  nächstfolgende  Dreieck  stößt,  und  zwar  so,  daß 
diese  Elementarstrecken  0  zusammen  ein  geschlossenes  Polygon  tc  bilden, 
HO  hat  7t  keine  getrennten  Ufer:  denkt  man  sich  7t  als  einen  Graben,  an 
dem  eine  Promenade  entlangläuft,  so  führt  uns  diese  Promenade  nach 
einmaligem  Umlauf  nicht  zum  Ausgangspunkt  zurück,  sondern  endet  auf 


Fig.  19.     Dreieckskette,  in  der  sich  die  (durch  Drehkreise  bezeichnete)  Indikatrix  umkehrt,  und 

Polygon  (rt)  ohne  getrennte  Ufer,     (^j "  ist  mit  p '  ohne  Überschreitung  von  /r  durch  einen  Weg 

verbunden,  der  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  von  n  verläuft.) 

dem  gegenüberliegenden  Ufer  von  7t.  Dies  wird  durch  die  Figur  deutlich 
werden,  in  der  die  Dreiecke  der  Kette  Kq  durch  Euklidische  Dreiecke 
repräsentiert  sind  und  die  stark  ausgezogenen  Strecken  das  Polygon  7t 
bilden.  Die  Eigenschaft  von  7t,  keine  getrennten  Ufer  zu  besitzen,  for- 

Weyl:  Die  Idee  der  Riomannschen  Fläche.  5 


66  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

muliert  sich  streng  so:  Kein  einziges  derjenigen  Gebiete  auf  fj,  welche  n 
enthalten,  wird  durch  n  zerlegt.  Es  geht  daraus  hervor,  daß  schlichtartige 
Flächen  stets  zweiseitig  sind. 

Umgekehrt:  auf  einer  ziveiseitigen  Fläche  kann  es  nie  vorkommen, 
daß  ein  Polygon  %  keine  getrennten  Ufer  besitzt.  Indem  wir  ^,  wenn  nötig, 
durch  eine  Unterteilung  ersetzen,  können  wir  annehmen,  daß  tt  a.us  lauter 
Kanten  besteht.    Die  Ecken  von  n  seien,  in  dieser  Reihenfolge, 

1,  2,  3,  4,  .  •  • ,  »?,  w  +  1  =  1,  •  •  . 
Da  die  Fläche  zweiseitig  sein  soll,  kommt  jedem  Dreieck  eine  bestimmte 
Indikatrix  zu,  und  diese  kohärieren  miteinander.  Unter  den  beiden  Dreiecken 
mit  der  Kante  12  ist  eines,  bei  dessen  durch  die  Indikatrix  vorgeschrie- 
benen Umlaufung  die  Kante  12  in  der  Pfeilrichtung  durchlaufen  wird. 
Es  heiße  A**.  Von  A**  ausgehend,  bilde  ich  in  der  durch 
^3  die  Figur  veranschaulichten  Weise  die  Dreiecke  A^,  A^, 
A^,  •  •  • ,  die  alle  an  tc  grenzen  und  von  denen  je  zwei  auf- 
einanderfolgende eine  nicht  zu  tc  gehörige  Kante  gemein 
haben.  Diejenigen  Dreiecke  dieser  Kette,  welche  eine  auf 
TT  liegende  Kante  h,  h-\-l  besitzen,  tragen  eine  solche  In- 
dikatrix, daß  bei  der  durch  sie  bestimmten  Umlaufung  die 

Kante  Ji,  h  +  1  in  der  Pfeilrichtung  beschrieben  wird.  { Man 
Fig.  20.  Linkes  Ufer  erkennt  das  in  der  Figur  z.  B.  für  A^,  indem  man  die  In- 
dikatrix von  A°  durch  die  Bedingung  der  Kohärenz  in  der 
Kette  A^A^A^A^  fortsetzt.}  Nach  endlich  vielen  Schritten  komme  ich 
zum  erstenmal  wieder  zu  einem  Dreieck,  das  12  als  Kante  besitzt.  Dessen 
Indikatrix  muß  lauten:  (12*);  es  kann  demnach  nur  das  Dreieck  A°  und 
nicht  das  andere  Dreieck  A?  mit  der  Kante  12  sein,  da  dies  die  Indika- 
trix (2  1  *)  besitzt.  Die  so  aus  A*^  gewonnene  Dreieckskette  bildet  das 
eine  Ufer  von  ;;i;,  die  in  ähnlicher  Weise  aus  dem  anderen  Dreieck  A", 
mit  der  Kante  12  abzuleitende  Kette  das  andere  Ufer. 

Jede  Riemannsche  Fläche  ist  zweiseitig. 

Es  sei  pQ  ein  Punkt  einer  Riemannschen  Fläche,  t',  t"  zwei  beliebige 
Ortsuniformisierende  zu  pQ,  welche  eine  gewisse  Umgebung  von  pQ  je  auf 
ein  ebenes  Gebiet  @',  bezw.  @"  abbilden,  wobei  dem  Punkte  pQ  der  Punkt 
^'=0,  bzw.  t"  ==  0  entspricht.  Diese  Abbildungen  mögen  T',  T"  heißen. 
Die  Abbildung  2"-^J"'  von  ©'  auf  ®  "  wird  vermittelt  durch  eine  Formel 

t"  =  reguläre  Funktion  von  (t')  in  ©'. 
\'  sei  derjenige  Drehsinn  im  Nullpunkte  der  ;f-Ebene,  der  die  positive 
reelle  Achse  durch  90"  hindurch  in  die  positive  imaginäre  Achse  über- 
führt. Entsprechend  werde  der  Drehsinn  -\  "  im  Nullpunkte  der  ^"-Ebene 
definiert.  Ich  behaupte:  durch  die  Abbildung  j'-ij"  geht  ~\'  in  -\" 
über.    Dieser  Umstand   erlaubt   es,   a'  und  A "  als  die  durch   die  Ab- 


§  10.    Einseitigkeit  und  Zweiseitigkeit  von  Flächen.  67 

bildungen  T',  T"  erzeugten  Bilder  eines  bestimmten  Drehsinnes  ^  in 
Po  anzusehen,  der  dadurch  in  einer  von  der  Wahl  der  Ortsuniformi- 
sierenden  unabhängigen  Weise  festgelegt  ist.  Da  der  so  zu  jedem  Punkte 
Po  der  Riemannschen  Fläche  bestimmte  Drehsinn  -\  auch  überall  stetig 
ist  —  daran  ist  dann  nichts  mehr  zu  beweisen  — ,  steht  die  Zweiseitigkeit 
der  Riemannschen  Flächen  fest. 

Ich  schlage  um  t'  =  0  in  @'  einen  kleinen  Kreis  !': 
t'  =  ae''f  (0^9^2jr) 
[a  >  0  ist  der  konstante  Radius].   Das  durch  T'-^T"  in  ®"  entworfene 
Bild  von  V  heiße  !".    Gemäß  der  Definition  des  BegriJÖfes  „Ordnung"  ist 

2n:iord.  (r'  =  0)=    f^^" 
t"  J    t 

t" 

Es  gilt  aber 

f*;  =  (j,  +  a^^aj'+aj''^--  •)dt', 

wobei  die  Potenzreihe  in  einem  Kreise  der  T- Ebene,  der  f  im  Innern 
enthält,  konvergiert.  Also  folgt 


rdt"       rat'     ^    . 


und  damit  ist  erwiesen,  daß  ord.  {t"  =—  0)  =  +  1  und  nicht  =  —  1  ist, 

f" 
oder  daß  ä'  durch  die  Abbildung  T'~^T"  in  -\"  übergeht. 

Ist  die  Riemannsche  Fläche  j^  irgendwie  trianguliert,  so  induziert 
der  eben  festgelegte  „positive"  Drehsinn  a  in  jedem  Dreieck  eine  „posi- 
tive" Indikatrix.  Ist  dz  ein  in  allen  Punkten  eines  Elementardreiecks 
der  triangulierten  Fläche  einschließlich  des  Randes  reguläres  Differential, 
so  ist  das  um  den  Rand  des  Dreiecks  mit  positiver  Indikatrix  erstreckte 
Integral  von  dz  gleich  Null.  Ist  dz  in  dem  ganzen  Dreieck  einschließlich 
des  Randes  regulär,  abgesehen  von  einem  im  Innern  gelegenen  Pol,  so  ist 
dieses  Integral  hingegen  ^2  jt  i  mal  dem  Residuum  von  dz  in  jenem  Pole. 

Ist  dz  auf  einer  geschlossenen  Riemannschen  Fläche  bis  auf  Pole 
regulär,  so  kann  man  ^  derart  in  Elementardreiecke  zerlegen,  daß  die  Pole 
ins  Innere  der  Dreiecke  und  niemals  zwei  oder  mehr  Pole  ins  Innere  desselben 
Dreiecks  fallen  (S.  64).  Integriert  man  Trf^;  um  alle  Dreiecke  mit  posi- 
tiver Indikatrix  und  addiert,  so  bekommt  man  2;r/  mal  der  Summe  aller 
Residuen  von  dz.  Umläuft  man  aber  alle  Dreiecksumfänge  mit  positiver 
Indikatrix,  so  wird  wegen  der  Kohärenz  dabei  jede  Kante  zweimal,  aber 
im  entgegengesetzten  Sinne  durchlaufen.  Infolgedessen  muß  jene  Inte- 
gralsumme anderseits  =  0  sein,  und  wir  gewinnen  den  Satz: 

Die  Summe  der  Residuen  eines  auf  einer  geschlossenen  Riemannschen 
Fläche  bis  auf  Pole  regidären  Differentials  ist  0. 

5* 


ßg  BegriflF  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

§  11.  Integralfunktionen.  Gesclileclitszahl.  Kanonische  Zersclineidnng. 

Der  Prozeß  der  Integration  von  Differentialen  auf  einer  Riemann- 
schen Fläche  kann  für  beliebige  Flächen  durch  folgende  Yerallgemei- 
nerung  ersetzt  werden. 

Eine  Kurveufunktion  F  ist  auf  einer  Fläche  ^  definiert,  wenn 
jeder  Kurve  y  auf  %  eine  Zahl  F{y)  zugeordnet  ist;  F{y)  wird  dann  als 
der  Wert  von  F  für  die  Kurve  y  bezeichnet.  Fällt  für  zwei  Kurven 
y\  y"  der  Endpunkt  von  y  mit  dem  Anfangspunkt  von  y"  zusammen, 
so  kann  man  aus  ihnen  eine  einzige  Kurve  7  =  7'  +  y"  zusammensetzen; 
ist  stets 

Fiy'  +  y")  =  F{y')  +  F{y"\ 

so  heißt  die  Kurvenfunktion  linear.  Eine  lineare  Kurvenfunktion  hat 
für  eine  geschlossene  Kurve  einen  ^^'ert,  der  sich  nicht  ändert,  wenn 
man  den  Anfangspunkt  der  geschlossenen  Kurve  auf  ihr  verschiebt.  Hat 
F  für  jede  geschlossene  Kurve  den  Wert  0,  so  schreiben  wir  i^  ~  0  {F 
homolog  0).  Es  gibt  dann  eine  „Punktfunktion"  /"(p)  auf  der  Fläche, 
sodaß  für  jede  Kurve 

F{y)  =  m^)-m.) 
ist,  wenn  pj,  p«  Anfangs-  und  Endpunkt  von  y  bedeuten.  Wir  betrachten 
nur  solche  lineare  Kurvenfunktionen,  welche  „im  Kleinen"  überall  «-^^  0 
sind;'  diese  mögen  „Integralfunktionen"  heißen.  Es  soll  also  zu  jedem 
Punkt  der  Fläche  eine  Umgebung  von  der  Art  geben,  daß  für  jede  in 
dieser  Umgebung  verlaufende  geschlossene  Kurve  y^:  F{y^  =  0  ist.  Für 
eine  Integralfunktion  F  ist  stets 

F{-  y)^-  Fiy), 
wenn  —  y  den  in  entgegengesetztem  Sinne  durchlaufenen  Weg  y  bedeutet: 

y :  p  =  p(A)  [0  ^  A  ^  1];        -  y  :  P  -  \i(l  -  ^)  [0  £  ?^  £  1]. 
Auf  einer   einfach  zusammenhängenden  Fläche,  insbesondere  daher  auf 
der  universellen  Überlagerungsfläehe,  ist  jede  Integralfunktion   ~0. 

Integralfunktionen  kann  man  mit  konstanten  Faktoren  multiplizieren 
und  addieren.  Integralfunktionen  F^,...,  F^,  zwischen  denen  eine  Ho- 
mologie 

q  F,  -f-  .  .  .  +  c,„  F„,  ~  0 

mit  konstanten  nicht  sämtlich  verschwindenden  Koeffizienten  c  besteht, 
heißen  linear  abhängig.  Gibt  es  endlich  viele,  etwa  h,  linear  unab- 
hängige Integralfunktionen  F^,  .  .  .  ,  F^  von  der  Art,  daß  jede  Integral- 
funktion F  einer  linearen  Kombination  dieser  h  Integralfunktionen  mit 
konstanten  Koeffizienten  homolog  ist,  so  bilden  i^[,  .  .  .  ,  Ff^  eine  „Basis** 
der  linearen  Schar  der  inhomologen  Integralfunktionen,  und  die  Anzahl 
h  der  Basisfunktionen  (die  off"enbar  für  jede  Basis  die  gleiche  ist)  wird 


§  11.    Geschlecht  einer  Fläche.  69 

saninienhangsgrad''^)  der  Fläche  ^,  deren  Integralfunktionen  wir  be- 
trachten. Gibt  es  keine  endliche  Basis  für  die  Integralfunktionen,  so  be- 
sitzt f5  einen  unendlich  hohen  Zusammenhangsgrad. 

Wir  fassen  insbesondere  ein  Polyeder  ^  ins  Auge  und  gehen  darauf  aus, 
seinen  Zusammenhangsgrad  h  durch  die  Anzahl  d  der  Dreiecke  von  ^,  die 
Anzahlen  e,  k  seiner  inneren  Ecken  und  Kanten  auszudrücken.  In  jedem 
der  endlich  vielen  Dreiecke  A,  aus  denen  Sß  zusammengesetzt  ist,  tragen 
wir  den  Schwerpunkt  (1:1:1)  ein.  Sind  (wie  in  der  folgenden  Über- 
legung stets)  Aj ,  A2  irgend  zwei  dieser  Dreiecke,  die  längs  einer  inneren 
Kante  von  ^  aneinanderstoßen,  §j,  §2  i^^^  Schwerpunkte,  so  hat  für  jede 
innerhalb  Aj  -f  Ag  verlaufende,  von  §j  nach  §3  führende  Kurve  y  die 
Integralfunktion  F('y)  denselben  Wert,  den  wir  mit  Xa.^^^  [F]  bezeich- 
nen wollen.  Dies  liegt  daran,  daß  nicht  nur  ein  einzelnes  Dreieck, 
sondern  auch  das  Dreieckspaar  A^  -f  Ag  einfach  zusammenhängend  ist. 
Es  ist  immer  x^^^^  =  —  x&^^i'  ^^^  ^  ^^^  innerhalb  ^  gelegener  Eckpunkt, 
Aj,  Ag,  .  .  .  ,  A^  die  sich  um  e  gruppierenden  Dreiecke  in  zyklischer  An- 
ordnung, so  muß 

(e)  a:AiA2  +  ^^^2^3  +  •  •  •  +  Xa^^i  =  0 
sein,  weil  auch  jeder  Dreiecksstern  einfach  zusammenhängend  ist.  (Die 
linke  Seite  dieser  Gleichung  ändert  ihr  Vorzeichen,  wenn  wir  die  zyk- 
lische Anordnung  der  Dreiecke  A^,  d.  i.  die  Indikatrix  im  Dreiecksstern 
umkehren.)  Geben  wir  das  System  der  Zahlen  Xs^  ^^  irgendwie  den  aus- 
gesprochenen Bedingungen  gemäß  vor,  so  erkennt  man  ohne  Mühe,  daß 
es  immer  eine  Integralfunktion  gibt,  der  diese  x^^  Ag  in  der  angegebenen 
Weise  zugehören  ^).    Eine  Integralfunktion  F  ist   dann  und  nur  dann 


1)  Diese  Zahl  entspricht  der  „Zusammenhangszahl"  Riemanns,  ist  aber  für 
geschlossene  Flächen  um  1  niedriger  als  diese.  Vgl.  Schläfli,  Grelles  Journal 
Bd.  76,  S.  152,  Fußnote,  und  Klein,  Math.  Ann.,  Bd.  7,  S.  550,  Fußnote. 

2)  Z.  B.  folgendermaßen:  In  einem  einzelnen  Dreiecksstern  kann  ich  den 
Dreiecken  A^, .  .  . ,  Ar(Ar  + 1  =  AJ  Zahlen  g^,  ■ .  ■  ■,  gr  igr  +  1=  g^)  so  zuordnen, 
daß 

^Ai  i^i=  gi  —  gi-,   «A2  As  =  ^s  —  i/2  1  •  •  •  '   ^Ar  Al   =  fi'i    —  9r 

ist.  Ich  definiere  im  Innern  dieses  Sterns  eine  Punktfunktion  f,  die  im  Innern 
des  Dreiecks  Ai :  =  gi  ist,  auf  der  Kante,  die  A/  von  Aj  +  1  trennt,  von  den  End- 
punkten abgesehen,  den  konstanten  Wert  \  {gi-\-gi  +  i\  besitzt,  im  gemein- 
samen Eckpunkt  der  Dreiecke  Ai  dem  arithmetischen  Mittel  der  r  Zahlen  gi 
gleich  wird.  Für  eine  innerhalb  dieses  Sternes  verlaufende  Kurve  y  =  (pj  pj)  de- 
finiere ich  F{y)  =  /'(pj)  —  /'(pi).  In  der  Wahl  der  gi  steckt  insofern  eine  Willkür, 
als  ich  sie  alle  um  dieselbe  Zahl  vermehren  kann;  das  ist  aber  auf  F{y)  ohne 
Einfluß.  Liegt  y  im  Innern  zweier  Dreieckssterne  zugleich  (die  dann  ein  Drei- 
eckspaar, in  welchem  y  gelegen  ist.  gemein  haben),  so  hängt  der  Wert  von  F{y) 
auch  nicht  davon  ab,  welchen  der  beiden  Dreieckssterne  ich  in  der  angegebenen 
Weise  zur  Berechnung  benutze.  Ist  y  eine  beliebige  Kurve,  so  kann  ich  sie  in 
endlich  viele  konsekutive  Bögen  7,,  7,,  . .  .  yn  derart  zerlegen,  daß  jedes  yi  ganz 
im  Innern  eines  Dreiecksstems  liegt.   Ich  setze  dann: 


70  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

'-^  0,  wenn  jedem  Dreieck  A  von  ^  eine  Zahl  ^f^  entspricht,  sodaß  für 
alle  Dreieckspaare  A^Ag,  die  eine  innere  Kante  von  ^  gemein  haben, 

ißt. 

Wenn  wir  von  je  zwei  entgegengesetzt  gleichen  Zahlen  x^^^^,  Xao\i 
immer  nur  eine  beibehalten  und  der  gemeinsamen  Kante  der  Dreiecke 
Aj,  Ag  zuordnen,  so  haben  wir  Ic  „Unbekannte"  X]  zwischen  ihnen  be- 
stehen die  e  linearen  homogenen  Gleichungen  (e),  die  den  einzelnen  inneren 
Eckpunkten  e  von  ^  entsprechen.  Sind  diese  Gleichungen  linear  unab- 
hängig voneinander?  Angenommen,  es  bestünde  zwischen  ihren  linken 
Seiten  eine  Identität  mit  den  Koeffizienten  y^.  Betrachten  wir  eine  Kante 
ef,  deren  beide  Eckpunkte  e,  f  im  Innern  von  ^  liegen.  Die  beiden  zu 
den  Ecken  e  und  f  gehörigen  Gleichungen  mögen  in  solcher  Form  ge- 
schrieben sein,  daß  sie  zwei  kohärenten  Indikatrizen  der  beiden  zu  e  und 
f  gehörigen  Dreieckssteme  entsprechen: 

(e):      A„A„A3,...,  A. 

(t):    a;  =  a„z^;  =  a„  a;,...,a.;. 

Die  Unbekannte  X/^^ao  tritt  dann  nur  in  diesen  beiden  Gleichungen  und 
zwar  mit  entgegengesetztem  Vorzeichen  auf,  und  es  muß  daher  ye=  2/f 
sein.  Ist  hingegen  e»  eine  Kante,  deren  einer  Eckpunkt  e  im  Innern,  de- 
ren anderer  •  am  Rande  von  ^  liegt,  so  schließt  man  auf  gleiche  Weise 
?/e  =  0.  Ist  ^  offen,  so  kann  man  von  jedem  inneren  Eckpunkt  aus  einen 
Kantenzug  an  den  Rand  legen  e  f . . .  I  •  und  findet 

^e  =2/f  =  ---  =  2/1  =  0. 

Ist  ^  geschlossen,  aber  einseitig,  so  kann  man  von  e  aus  einen  nach  e 
zurückkehrenden  Kantenzug  ziehen,  auf  dem  sich  die  Indikatrix  um- 
kehrt: an  diesem  entlang  von  Eckpunkt  zu  Eckpunkt  schließend,  be- 
kommt man  ye  =  —  ye,  also  gleichfalls  y^  =  0.  Ist  ^  geschlossen  und 
zweiseitig,  so  versehe  man  alle  Dreieckssterne  auf  ^  mit  Indikatrizen, 
die  unter  einander  kohärent  sind,  und  schreibe  jede  der  Gleichungen  (e) 
dieser  Indikatrix  entsprechend.  Dann  findet  man,  da  man  jede  Ecke 
mit  jeder  durch  einen  Kantenzug  verbinden  kann,  daß  alle  y^  einander 
gleich  sind,  und  es  besteht  dann  wirklich  zwischen  den  linken  Seiten  der 
Gleichungen  (e)  die  Identität  mit  den  Koeffizienten  y^  =  1.  Setzen  wir 
£  =  0  für  geschlossene  zweiseitige  Polyeder,  sonst  £  =  1,  so  haben  die 
Gleichungen  (e)  also  ]c  —  e  -f  1  —  £  linear  unabhängige  Lösungen. 


F{7)  =  F(n)  +  Fiy,)  +  .  .  .  +  F(y„). 
Es  kommt  nach  dieser  Erklärung  immer  derselbe  Wert  heraus,  welche  Eintei- 
lung in  Teilbögen  yj  ich  auch  vornehme.  Um  die  beiden  für  zwei  verschiedene 
Teilungen  sich  ergebenden  Werte  zu  vergleichen  und  ihre  Übereinstimmung  fest- 
zustellen, brauche  ich  nur  beide  Teilungen  gleichzeitig  anzubringen.  F{y)  ist 
eine  Integralfunktion,  wie  wir  sie  wünschen. 


§  11.    Geschlecht  einer  Fläche.  71 

Ordnet  man  willkürlich  jedem  Dreieck  A  von  ^  eine  Zahl  g^  zu, 
so  erhält  man  durch  die  allgemeine  Formel  x^^ö...  =  gs^  —  9^i  stets  eine 
Lösung  der  in  Frage  stehenden  Gleichungen;  von  den  so  entstehenden 
Lösungen  werden  wir  sagen,  daß  sie  ~  0  sind.  Die  Zahlensysteme  [g^] 
bilden  eine  lineare  Schar  vom  Grade  d.  Ein  solches  System  liefert  dann 
und  nur  dann  für  alle  g^^  —  g\i  die  0,  wenn  g^  für  alle  Dreiecke  A  den- 
selben Wert  hat  (wir  benutzen  dabei,  daß  ^  zusammenhängend  ist).  Die 
Lösungen  von  (e),  welche  •^  0  sind,  bilden  also  eine  lineare  Schar  vom 
Grade  d  —  1.  Der  Überschuß 

(jc-e-\-l-€)-{d-l)  =  {7c-e-d+2)-£ 
gibt  die  gesuchte  größte  Anzahl  h  der  linear  unabhängigen  Inte- 
gralfunktionen auf  ^.  Es  folgt  aus  der  durch  die  obigen  BetracJttungen 
aufgedeclden  Bedeutung  von  h,  daß  diese  Größe  für  geschlossene  Flächen 
von  der  Art  ihrer  Triangulation  völlig  unabhängig  ist^)-,  außerdem  muß 
stets  h^O  sein. 

Daß  zwischen  l  geschlossenen  Wegen  y^,  y^,--,  yi  die  Homologie^ 
Ci7i  +C2J/2  -f  ...  -fc^y,  ~0 
mit  den  Zahlen  c,  als  Koeffizienten  besteht,  soll  besagen,  daß  für  jede 
Integralfunktion  F  die  Gleichung 

c,F{Vx)  +  ^2^(72)  +  • .  •  +  c,F{y:)  =  0 
statthat.  Hat  die  Fläche,  welche  wir  betrachten,  den  endlichen  Zusammen- 
hangsgrad h,  so  besteht  zwischen  l  >  h  geschlossenen  Wegen  stets  eine 
solche  Homologie  mit  nicht  lauter  verschwindenden  Koeffizienten.   Man 
braucht  nämlich  nur  die  h  homogenen  linearen  Gleichungen 

^1 FM  +  ^2^^(72)  +  •  •  •  +  <^-My:)  =  0       [^  =  1, . . . ,  Ä] 

zu 


1)  Gewöhnlich  wird  die  Zusammenhangszahl  (nach  Riemann)  mit  Hilfe  der 
Zerschneidung  der  gegebenen  Fläche  in  eine  einfach  zusammenhängende  er- 
klärt, wobei  man  innerhalb  der  Analysis  situs  nicht  umhin  kann,  als  Zer- 
schneidungslinien  beliebige  stetige  Kurven  zuzulassen;  die  Beweise  dafür  aber, 
daß  die  so  definierte  Zahl  durch  die  Fläche  allein  bestimmt  ist,  sind  nicht 
streng  und  scheinen  sich  auch  nur  schwer  in  strenge  Form  bringen  zu 
lassen.  Indem  wir  hier  eine  neue  Definition  zu  Grunde  legten,  welche  zu  den 
funktionentheoretischen  Anwendungen  (Theorie  der  Abelschen  Integrale)  in  eng- 
ster Beziehung  steht,  ist  dieser  Übelstand  vermieden  worden.  Man  darf  wohl  sagen, 
daß  unser  Verfahren  den  eigentlichen  Kern  der  von  Weierstraß,  Hensel-Lands- 
berg  u.  a.  in  der  Theorie  der  algebraischen  Funktionen  angewendeten  Methode, 
zunächst  das  Verhalten  der  Integrale  zu  untersuchen  und  daraus  Schlüsse  über 
die  Integrationsiregre  zu  ziehen,  in  einer  von  allen  funktionentheoretischen  Zu- 
fälligkeiten befreiten  Form  vor  Augen  stellt.  —  Die  für  geschlossene,  zwei- 
seitige, einfach  zusammenhängende  Polyeder  gültige  Gleichung  e  -\-  d  —  k  ^  2 
wird  als  die  Eidersche  Polyederformel  bezeichnet.  S.  Euler,  Petrop.  Novi  Comm. 
4  (1752—53),  S.  109. 

2)  Vgl.  Poincare',  Analysis  situs,  Journal  de  l'Ecole  polytechnique,  Ser.  2, 
Bd.  1  (1896),  S.  19. 


72  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

lösen,  um  solche  Koeffizienten  zu  ermitteln.  Es  muß  demnaeh  eine  ge- 
wisse Anzahl  h'  (^  h)  von  geschlossenen  Wegen  7^, . . . ,  fh'  geben,  sodaß 
zwischen  diesen  keine  Homologie  (mit  Koeffizienten,  die  nicht  alle  0  sind) 
besteht,  wohl  aber  zwischen  je  h'  -{-  1  geschlossenen  Wegen.  7i,..., /// 
bilden  dann  eine  Basis  für  die  Schar  der  inhomologen  geschlossenen  Wege, 
und  li  ist  der  Grad  dieser  Schar.  In  analoger  Weise,  wie  oben  h'  ^  h 
gefunden  wurde,  beweist  man  h  ^  /«';  demnach  ist  li  =  h. 

Die  besondere  Natur  der  ObjeJde  (geschlossenen  Wege),  aus  denen  un- 
sere Schar  bestellt,  bringt  es  mit  sich,  daß  eine  Basis  ^i, . . . ,  y^  so  ausfindig 
ge7nacht  tverden  lann,  daß  für  jeden  geschlossenen  Weg  eine  Homologie 

r  ^  n^7i  +  ■  •  •  +  nnyn 
mit  ganzzahligen  Koeffizienten  w,,  ...,  n,,  stattfindet.    Es  sei  zunächst 
y'i}  y\i'-'i  y'h  eine   beliebige  Basis   der  geschlossenen  Kurven.  Jeder  ge- 
schlossenen Linie 

yr^r^y\  i-r^y'^  +  ...  +  ny, 
ordne  man  in  einem  Cartesischen  /i-dimensionalen  Raum  den  Punkt  mit 
den  Koordinaten  (r^,  r^,...,  r^)  zu: 

y^{r„r^,...,r^. 
Das  System  G  der  so  den  sämtlichen  geschlossenen  Kurven  y  entspre- 
chenden Punkte  bildet  ein  „Gitter";  d.  h.  mit  jedem  Punkt  (r^,  r^,...,  r^) 
gehört  auch   (—  r^,  —  r^,...,  —  rj  zu   G,  und  wenn  {r[,  r'^,  . . . ,  r'^\ 
(^■'i'j  *"2>  •  •  • ;  *"a)  irgend  zwei  zu  G  gehörige  Punkte  sind,  so  ist  auch  immer 

(^'i  +  <,  r'^  +  <,....  r;  +  r;') 

in  G  enthalten.  Denn  aus  zwei  geschlossenen  Wiegen  y,  y"  kann  man 
stets  einen  geschlossenen  Weg 

y^y+  y" 
dadurch  erhalten,  daß  man  /  von  einem  seiner  Punkte  p'  aus  einmal 
umläuft,  dann  von  p'  längs  einer  beliebigen  Kurve  6  nach  einem  Punkte 
p"  von  y"  geht,  /'  von  p"  aus  umläuft  und  schließlich  längs  6  in  um- 
gekehrter Richtung  nach  p'  zurückkehrt.  Insbesondere  gehören  alle  Punkte 
mit  ganzzahligen  Koordinaten  zu  G. 

Es  liegen  aber  nicht  in  beliebiger  Nähe  des  Nullpunktes  (0,  0, ... ,  0) 
Gitterpunkte,  sondern  es  existiert  eine  ganze  Zahl  N  von  der  Beschafi'en- 
heit,  daß  die  Koordinaten  eines  jeden  zu  G  gehörigen  Punktes  sich  durch 
Multiplikation  mit  iV  in  ganze  Zahlen  verwandeln.  Beweis:  Da  die 
Koeffizienten  der  Gleichungen  (c)  ganze  Zahlen  sind,  kann  man  ins- 
besondere /(  ganzzahlige  Lösungen 

KJ      [i=l,2,...,Ä] 
angeben,  aus  denen  sich  alle  andern  im  Sinne  der  Homologie  linear  zu- 
sammensetzen lassen.    Diesen  h   Lösungen  entsprechen  h  linear  unab- 
hängige Integralfunktionen  F^,  deren  Werte  für  jede  geschlossene  Kurve 


§  11.    Geschlecht  einer  Fläche.  73 

ganze  Zahlen  sind^).  Setzen  wir  die  von  0  verschiedene  Determinante 

j  =  l,2,..,li 

SO  ergibt  sich  unsere  Behauptung  in  Anbetracht  der  Gleichungen 

rrF,{y[)+  uF.iy,)  +  . . .  +  r,F,{y\)  =  F,{y),    [i  =  1,  2,  . . . ,  A] 
auf  deren  rechten  Seiten  ganze  Zahlen  stehen. 

Unter  allen  (endlich  vielen)  Gitterpunkten  von  der  Form 

(r„0,.-.',0)     [0<r,^l] 

'A~(rW,0,...,0) 
derjenige,  für  welchen  r^  seinen  kleinsten  Wert  hat;  unter  den  endlich- 
vielen  Gitterpunkten  von  der  Form 

(r„rj,  0,.-.,0)     [0^r,<.f);     0<r,^l] 
—  deren  es  sicher  welche  gibt  —  femer 

j.,^(r(^r(^0,-.-,0) 
derjenige,  für  welchen  H^>  möglichst  klein  ist;  unter  allen  Gitterpunkten 

(r„r,,r„0, •■•,())     [0  ^  r,  <;f ),     0^r,<rf',     0<r3^1] 

y,^{rf,rf,rf,Q,.--,^) 
derjenige,  für  den  r^^^  am  kleinsten  ausfällt;  usw.   Die  geschlossenen  Kurven 
7i,  y^,  7z^  •  •  •■)  yh  bilden  dann  eine  Basis,  wie  wir  sie  suchen.^)    Denn  ist 
7  ~  (rj,  r2,  . . . ,  r^)  ein  beliebiger  zu   G  gehöriger  Punkt,  so   kann  man 
der  Reihe  nach  die  ganzen  Zahlen  nj^,  n^_-^,  . . .,  w^  so  bestimmen,  daß 

y  -  hhyn  +  ^h-x  Tk-i  +  •  •  •  +  "iJ'i)  ~  (^1,  r„  ...,  ?,) 
0£T.<rf^(i  =  h,  h—  1,  ••-,  1) 

wird.    Dann  aber  schließt  man  aus  der  Bedeutung  von  y^^,  7/,_i,  ...,  /i 
sukzessive 

^.  =  0,     ^-1  =  0,  ■••,?,  =  0, 
und  das  Endergebnis  ist  das  behauptete: 

7~W;iy^H l-n^y^-hn^y^- 

Nur  eine  Basis   {y^] ,  durch  die  sich  alle  geschlossenen  Kurven  im 


1)  Um  den  Wert  F(y)  einer  Integralfunktion  F  für  einen  geschlossenen 
Weg  7  zu  berechnen,  kann  man  •/  durch  einen  in  hinreichender  Nähe  von  y  verlau- 
fenden geschlossenen  Streckenzug  :r  ersetzen  (S.  49);  wir  nehmen  ihn  so  an,  daß  er, 
ohne  durch  Ecken  hindurchzugehen,  die  Kanten  in  allen  Treffpunkten  überkreuzt. 
Geht  7t  an  einer  beliebigen  solchen  Kreuzungsstelle  aus  dem  Dreieck  Aj  in  das  Drei- 
eck Aj  hinüber,  so  ist  F{'/)  =  F(7i)  gleich  der  über  alle  Kreuzungsstellen  zu 
erstreckenden    Summe  ^J^a-a,  [F]- 

2)  Dieses  Schlußverfahren  wird  von  Minkowski  als  „Adaption  eines  Zahlen- 
gitters in  bezug  auf  ein  enthaltenes  Gitter"  bezeichnet.  Vgl.  Diophantische  Appro- 
ximationen (Leipzig  1907),  S.  90—95 


74  Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 

Sinne  der  Homologie  linear-liomog-en  und  (janszahlig  ausdrücken  lassen, 
wollen  wir  von  jetzt  ab  als  eine  wirkliche  Basis  gelten  lassen.  Der 
Übergang  von  einer  solchen  wirklichen  Basis  zu  einer  andern  wird  ver- 
mittelt durch  lineare  Transformation  mit  ganzzahligen  Koeffizienten,  deren 
Determinante  =  +  1  sein  muß. 

Über  der  geschlossenen  Fläche  ^^  vom  Zusammenhangsgrad  Ji  gibt  es 
eine  unverzweigte  unbegrenzte  (reguläre)  Überlagervmgsfläche  ^,  auf  der 
eine  Kurve,  deren  Spurkurve  auf  '^  geschlossen  ist,  sich  dann  und  nur 
dann  schließt,  falls  jene  Spurkurve  i^  0  ist.  Alle  Integralfunktionen  auf 
^  werden,  wenn  man  sie  als  Integralfunktionen  auf  ^  betrachtet,  der  0  ho- 
molog; daher  nenne  ich  %  die  Überlageruiigsfläche  der  lutegralfuuk- 
tioiien.  Ist  y^,  .  .  .,  y^  eine  Basis  für  die  geschlossenen  Wege  auf  ^  und 
bezeichnen  wir  allgemein  mit  p/S,.  denjenigen  Punkt  auf  ^5>  zu  dem  man 
gelangt,  wenn  man,  von  dem  beliebigen  Punkt  p  auf  ^  ausgehend,  auf  ^ 
einen  Weg  zurücklegt,  dessen  Spurlinie  in  ^  geschlossen  und  ~  y^  ist, 
so  bedeuten  die  S-  Decktransformationen  von  ^  in  sich  und  erzeugen  zu- 
sammen die  gesamte  Gruppe  dieser  Decktransformationen,  die  eine  kommu- 
tative  (Abelsche)  Gruppe  ist: 

[Wj,  Wg,  ...,  n,^  durchlaufen  unabhängig  voneinander  alle  ganzen  Zahlen]. 

Im  Falle  der  geschlossenen  zweiseitigen  Flächen  hat  Riemann  für 
die  im  Kap.  II  zu  besprechenden  funktionentheoretischen  Anwendungen 
eine  besondere  Basis  der  geschlossenen  Wege,  die  sog.  Icanonische  Zerschnei- 
dung, konstruiert.^)  Wir  gründen  diese  Konstruktion  auf  die  folgenden 
Überlegungen. 

Auf  einem  einfach  zusammenhängenden  Polyeder  ist  jede  Integral- 
funktion ~  0,  also  sein  Zusammenhangsgrad  h  =  0.  Von  diesem  Satz 
gilt  auch  die  Umkehrimg.  Würde  z.  B.  das  offene  Polyeder  ^^,  für  welches 
h  ==  0  vorausgesetzt  wird,  nicht  einfach  zusammenhängend  sein,  so  führe 
man  einen  (aus  n  Kanten  bestehenden)  Querschnitt,  der  'iß  nicht  zer- 
legt. Dadurch  wird  '^  in  ein  Polyeder  ^'  verwandelt,  dessen  Anzahlen 
sich  aus  den  Formeln 

d' =  d ,     k'=k  —  n,     e'=e  — (w— 1) 

berechnen,  und  für  ^'  ergäbe  sich  h'  =  —  1,  was  unmöglich  ist. 

Es  sei  auf  einer  in  bestimmter  Triangulierung  ^  vorliegenden  ge- 
schlossenen zweiseitigen  Fläche  ^-  ein  ^  nicht  zerlegendes  Polygon  :r 
gegeben,  das  aus  Kanten  von  t,  besteht.  Es  läßt  sich  dann,  da  7t  die  Fläche 
nicht  zerlegt,  ein  Polygon  7t'  auf  ^^  zeichneu,  das  ;r  an  einer  einzigen 
Stelle  überkreuzt,  sonst  aber  keinen  Punkt  mit  7t  gemein  hat.    Machen 

1)  Riemann,  Theorie  der  Abelschen  Funktionen,  Werke,  2.  Aufl.,  S.  129—130. 


§  11.    Geschlecht  einer  Fläche.  75 

wir  eine  solche  Unterteilung  g*  von  ^,  daß  auch  ä'  ganz  aus  Kanten  be- 
steht, so  ist  ;r  4-  ;r'  eine  abgeschlossene  Punktmeuge  von  solcher  Art, 
daß  sie  nicht  nur  ^  unzerlegt  läßt,  sondern  überhaupt  jedes  Gebiet,  dem 
sie  angehört.  Die  Dreiecke  von  ^*,  welche  Kanten 
auf  ;r  +  ^'  liegen  haben,  lassen  sich  nämlich  in 
einer  einzigen  geschlossenen  Kette  so  anordnen  (wo- 
bei allerdings  Dreiecke  in  der  Kette  mehrfach  auf- 
treten können),  daß  je  zwei  aufeinanderfolgende  Drei-  '^ 
ecke  der  Kette  eine  nicht  zu  ;r  -f  ;r'  gehörige  Kante 
gemein  haben.  Bei  der  Herstellung  dieser  Anordnung  ^-^  ^i.  Rückkehrschnitt - 
wird  davon  Gebrauch  gemacht,  daß  tc  sowohl  als  tc'  paar, 

getrennte  Ufer  besitzt,    ti  -\-  :x'  nennen  wir  ein  Rückkehrschiiittpaar. 
Hat  man  auf  ^^  q  sich  gegenseitig  nicht  treffende  Rückkehrschnitt- 
paare 

^1+^1%       ^2  +  ^2  ?  •  •  ■  ?       ^5  +  ^9  > 

die  |5:  nicht  zerlegen,  so  kann  man  einen  willkürliehen  Punkt  p^  auf  der 
Fläche  (der  nicht  auf  diesen  q  Rückkehrschnittpaaren  liegt)  durch  ein- 
fache Streckenzüge  öj,  ...,  6^  mit  den  Kreuzungspunkten  der  Rückkehr- 
schnittpaare verbinden.  Die  6  können  wir  so  wählen,  daß  sich  je  zwei 
von  ihnen  außer  in  pQ  nicht  schneiden  und  daß  <?.  mit  dem  i'®**  Rückkehr- 
schnittpaar den  Kreuzungspunkt,  sonst  aber  keinen  Punkt  gemein  hat, 
die  übrigen  Rückkehrschnittpaare  jedoch  überhaupt  nicht  trifft:  wir  haben 
dann  ein  „Gespann"  von  q  Rückkehrschnittpaaren,  das  durch  die  „Zügel" 
6  an  den  Punkt  pQ  befestigt  ist.  Machen  wir  eine  solche  Unterteilung  ^* 
von  ^,  daß  das  ganze  Schnittsystem 

1  =  1 

aus  Kanten  besteht,  so  erkennen  wir,  daß  es  nicht  nur  f^,  sondern  jedes  Ge- 
biet, das  U  ganz  enthält,  unzerlegt  läßt  (Fig.  22).  Indem  wir  die  Verbindung 
der  Dreiecke  über  die  Kanten  des  Schnittsystems  hinüber  lösen,  erhalten 
wir  aus  dem  geschlossenen  ein  offenes  Polyeder  ^'.  Die  Anzahl  der  Drei- 
ecke d  ist  bei  dieser  Operation  dieselbe  geblieben;  die  Anzahl  Ä;  —  e  ist 
um  2q  —  1  gesunken.  Es  muß  also  (wenn  h  den  Zusammenhangsgrad 
von  ^  bedeutet) 

li-{2q-l)^l  oder  2q£h 
sein.  Ist  noch  2q  <  h,  so  ist  ^'  nicht  einfach  zusammenhängend.  Wir 
zeichnen  dann  in  ^'  einen  Querschnitt  v,  der  ^'  nicht  zerlegt,  und  ver- 
binden zwei  Punkte,  die  sich  an  den  beiden  Ufern  einer  zu  v  gehörigen 
Kante  gegenüberliegen,  durch  ein  v  nicht  treffendes  Polygon  jr,^^i  in  ^', 
Wir  lassen  von  i'  am  Anfang  und  Ende  ein  kleines  Stück  der  ersten  bezw. 
letzten  Kante  fort  und  verbinden  Anfang  und  Ende  des  so  verstümmelten 


76 


Begriff  und  Topologie  der  Riemannschen  Flächen. 


Kanonische 
Zerschneidung 


Qiierschnittes  v~  durch  einen  Streckenzug  r  innerhalb  ^',  der  in  solcher 
Nähe  des  Schnittsystemes  U  bleibt,  daß  er  auch  Tt'g  +  i  nicht  treffen  kann. 
v~  +  t  =  7t^_^_^  ist  dann  ein  geschlossenes  Polygon,  das  ^'  nicht  zerlegt, 
da  jr^'^i  die  beiden  Ufer  einer  zu  ;r^^^  gehörigen 
Strecke  ohne  Überschreitung  von  7C^_^^  innerhalb  ^' 
1  ist  ein  weiteres  Kückkehrschnitt- 
paar,  das  mit  den  vorigen 
keinen  einzigen  Punkt  ge- 
mein hat  und  mit  ihnen 
\\  zusammen  ^  immer  noch 
nicht  zerlegt. 

Wenn  die  Zahl h>2q 
ist,  muß  sie  folglich 
sein.  Dies  zeigt,  daß  die  Zahl 
zweiseitige  geschlossene  Flächen 
nur  gerade  sein  kann.  Setzen  wir  h  =  2p, 
so  gibt  es  ein  Gespann  von  p  Rückkehr- 
schnittpaaren n  -\-  %' ,  die  mit  Hilfe  von 
Zügeln  6  an  einen  Punkt  pj,  der  Fläche  befestigt  sind,  p  heißt  das  Ge- 
schlecht von  ^.  Wir  können  annehmen  (indem  wir  eventuell  von  der  ur- 
sprünglichen Triangulation  t,  zu  einer  Unterteilung  t,*  übergehen),  daß 
alle  diese  Linien  n,  %' ,  6  aus  Kanten  bestehen;  sie  liefern  die  kano- 
nische Zerschneidung  von  %;■*  in  ein  einfach  zusammenhängendes  Po- 
lyeder %^. 

Jedes  Dreieck  von  ^;.*  sei  dem  Prinzip  der  Kohärenz  gemäß  mit 
einer  Indikatrix  versehen.  Von  zwei  Elementardreiecken  der  Triangu- 
lation, die  längs  einer  gerichteten  Kante  12  aneinanderstoßen,  nennen  wir 
dasjenige,  dessen  Indikatrix  =  (12*)  ist,  das  linke,  das  andere  das  rechte. 
Den  Zügeln  6  erteilen  mr  die  Richtung  von  p^  nach  den  Kreuzungs- 
punkten, den  %,  7i'  einen  solchen  Umlaufssinn,  daß  ti'  die  Linie  %  von 
rechts  nach  links  {n  also  n'  von  links  nach  rechts)  überkreuzt. 

Wir  betrachten  eine  Litegralfunktion  F  auf  ^.  Es  gibt  auf  ^y* 
eine  Punktfunktion  f,  so  daß  für  jede  in  f|^^  verlaufende  Kurve  y,  deren 
Anfangs-  und  Endpunkt  p^,  pg  heißen  sollen, 

F(y)  =  f{^,)-f{V.) 
ist.    Es  seien  A',  A"  zwei  Dreiecke,   die  eine  dem  kanonischen  Schnitt- 
system gehörige  Kante  x  gemein  haben  (A'  liege  auf  dem  linken,   A" 
auf  dem  rechten  Ufer  des  betreffenden  Schnittes; ;  dann  gibt  es  in  A'  -f  A" 
eine  Funktion  /"g,  so  daß  für  jede  in  A'  -f-  A"  verlaufende  Kurve  y  =  (P1P2) 

^ir)  =  /o(p2)-/o(Pi). 


Es  muß  dann 


/•=^-f  c'in  A',         f=fo  +  c" 


A" 


Geschlecht  einer  Fläche.  77 


sein,  wo  c\  c"  Konstante  sind,  c"  —  c  nenne  ich  den  Sprung  von  F 
auf  X.  Betrachtet  man  einen  Dreiecksstern,  der  sich  um  eine  auf  dem 
kanonischen  Schnittsystem  geleg'ene  Ecke  gruppiert,  die  mit  keinem  der 
Kreuzungspunkte  zusammenfällt,  so  stellt  sich  heraus,  daß  der  Sprung 
von  F  für  alle  Kanten,  die  demselben  der  Sclinitte  n,  %',  6  angehören, 
den  gleichen  Wert  besitzt.    Er  sei 

=  a^  für  :r,,  =  a/  für  %■,         =  c^  für  <?.. 

Betrachtet  man  den  Dreiecksstern,  der  sich  um  den  Kreuzungspunkt  des 
i*^"^  Rückkehrschnittpaares  gruppiert,  so  ergibt  sich  C-  =  0.  Die  Zügel 
6-  können  demnach  fortgelassen  werden.  Die  Zahlen  a-,  a-  werden  die 
Perioden  der  Integralfunktion  an  den  Schnitten  :r^,  n-  genannt. 

Ist  y  eine  beliebige  geschlossene  Kurve,  so  kann  dieselbe  zur  Be- 
rechnung von  F{'y)  ersetzt  werden  durch  ein  in  hinreichender  Nähe  von 
y  verlaufendes  Polygon;  dies  werde  so  angenommen,  daß  es  die  Rückkehr- 
schnittpaare an  endlich  vielen  Stellen  überkreuzt,  die  keine  Eckpunkte 
der  Triangulation  sind.  Ist  +  «,.  die  Anzahl  von  Malen,  die  jenes  Poly- 
gon 7t^  von  links  nach  rechts  überkreuzt,  vermindert  um  die  Anzahl  von 
Malen,  in  der  dasselbe  von  rechts  nach  links  geschieht,  und  hat  —  «/ 
die  analoge  Bedeutung  für  ;r/,  so  ist  offenbar 

F{y)^^n,a,-^n;a:- 

anderseits 

a^  =  F\:i:),         -  a!  =  F(ä.). 

Die  7t ^,  7C.  bilden  also  eine  wirkliche  Basis  für  die  geschlossenen  Wege. 

Das  Geschlecht p  ist,  wie  Möbius  und  Jordan^)  bewiesen  haben,  die  ein- 
zige Analysis-situs-Invariante  der  geschlossenen  zweiseitigen  Flächen.  Der 
Satz  nämlich,  daß  zwei  geschlossene  zweiseitige  Flächen,  welche  im  Sinne 
der  Analysis-situs  äquivalent  sind,  dasselbe  ^j  besitzen  müssen,  läßt  sich 
umkehren.  Es  verursacht  keine  große  Mühe,  den  Jordanschen  Beweis  zu 
einem  den  in  dieser  Schrift  angestellten  Analysis-situs-Betrachtungen 
an  Strenge  ebenbürtigen  umzumodeln;  wir  wollen  jedoch  darauf  nicht 
eingehen.  Welche  einschneidende  Bedeutung  dem  Geschlecht  einer  ge- 
schlossenen Riemannschen  Fläche  für  die  Theorie  der  Funktionen  auf 
dieser  Fläche  zukommt,  wird  zur  Genüge  aus  den  funktionentheoretischen 
Sätzen  des  nächsten  Kapitels  hervorgehen. 

Es  ist  leicht,  geschlossene  zweiseitige  Flächen  im  dreidimensionalen 
Euklidischen  Raum  von  verhältnismäßig  einfacher  Natur  anzugeben, 
deren  Geschlechtszahl  ^  einen  gegebenen  Wert  hat;  z.B.  besitzt  eine  mit  p 
Henkeln  versehene  Kugel  das  Geschlecht  p. 


1)  Möbius,  „Theorie  der  elementaren  Verwandtschaffc"  (1863),  Werke  Bd.  II, 
S.  435—471:  C.Jordan,  Journal  de  mathematiques ,  Ser.  2,  Bd.  11  (1866),  S.  105. 
Ferner:  W.  Dyck,  Math.  Ann.  Bd.  32  (1888),  S.  457. 


Zweites  Kapitel. 

Funktionen  auf  Riemannschen  Fläclien. 

§  12.    Das  Dirichletsche  Integral. 

(S  sei  in  der  Euklidischen  Ebene  mit  den  rechtwinkligen  Koordi- 
naten xy  eine  abgeschlossene,  ganz  im  Endlichen  gelegene  Punktmenge. 
Man  zeichne,  um  den  Flächeninhalt  von  (5  zu  bestimmen,  in  der  Ebene 
das  Quadratnetz  von  der  Seitenlänge  a,  das  durch  die  Parallelen 

y  =  ms  {m  beliebige  ganze  Zahl) 

zur  X-Achse  und  die  Parallelen 

X  =  ns  in  beliebige  ganze  Zahl) 

zur  1/ -Achse  erzeugt  wird.  Ist  dann  i^  die  Anzahl  der  ganz  aus  inneren 
Punkten  von  (£  bestehenden  Quadrate  des  Netzes,  a^  (">  i^  aber  die  An- 
zahl derjenigen  Quadrate  des  Netzes,  die  überhaupt  Punkte  mit  (£  gemein 
haben,  so  existieren^)  die  Grenzwerte 

lim  £^?j  =  I,         lim  s^a^  =  A. 

Fällt  I  =  A  aus,  so  nennt  man  diese  Zahl  den  Inhalt  von  ©.  Diejenigen 
Punkte  von  @,  in  deren  beliebiger  Nähe  nicht  zu  (S  gehörige  Punkte  an- 
getroffen werden,  bilden  die  Begrenzuu;?  von  ©.  Damit  @  ein  bestimm- 
ter Inhalt  zukommt,  ist  offenbar  notwendig  und  hinreichend,  daß  die 
Begrenzung  von  ß  den  Inhalt  0  besitzt. 

Eine  stetig  differentiierbare  Kurve,  und  umsomehr  eine  analytische 
oder  stückweis  analytische  Kurve  in  der  Ebene  besitzt  den  Inhalt  0.  Die 
stetig  differentiierbare  Kurve  y  von  der  Länge  l  kann  man  nämlich  in 

n  -\-  1  Teilbogen  je  von  der  Länge  .  r  teilen.  Benutzen  wir  dann  ein 
QuadratnetzvoneinerKantenlänge£=— ,    so   kann   ein  solcher  einzelner 

1)  C.  Jordan,  Cours  d'analyse,  2.  Aufl.,  Bd.  1,  S.  28. 


§  12.    Das  Dirichletsche  Integral.  79 

Teilbogen  offenbar  mit  höchstens  vier  Quadraten  des  Netzes  Punkte  ge- 
mein haben;  im  ganzen  wird  es  also  höchstens  4(«  +  1)  Quadrate  des 
Netzes  geben,  die  Punkte  von  y  enthalten: 

woraus  die  Richtigkeit  der  Behauptung  lim  a^  -8^=0  hervorgeht.^) 

f  =  0 

Liegt  die  abgeschlossene  Punktmenge  (S,  von  der  wir  jetzt  ein  für 
allemal  annehmen,  daß  sie  einen  Inhalt  J  besitzt,  ganz  in  einem  Gebiet 
@,  in  welchem  eine  stetige  Funktion  f  definiert  ist,  so  hat  das  Integral 

Ijfdxdy  einen  klaren  Sinn.  Einen  Näherungswert  desselben  berechnet 
g 

man,  wenn  man  den  Inhalt  s^  eines  jeden  zu  @  gehörigen  Quadrates  des 
£- Netzes  mit  dem  Wert  von  f  im  Mittelpunkt  dieses  Quadrates  multi- 
pliziert und  alle  diese  von  den  einzelnen  Quadraten  herrührenden  Bei- 
träge addiert.  Die  so  ermittelte  Zahl  konvergiert  gegen  den  Wert  des 
Integrals,  wenn  man  s  gegen  0  gehen  läßt.  Es  ist  dabei  gleichgültig, 
ob  man  nur  über  die  ganz  innerhalb  (£  gelegenen  Quadrate  des  Netzes 
summiert,  oder  außerdem  auch  einige  oder  alle  an  den  Rand  von  (S 
stoßenden  Quadrate  mitberücksichtigt.  Ist  @  in  endlichviele  abgeschlossene 
Mengen  (S^,  (Sg,  ••-,©„  mit  bestimmtem  Inhalt  zerlegt  (so  daß  die  (£.  in 
ihren  inneren  Punkten  durchweg  verschieden  sind,  jedes  (5^  ein  Teil  von 
S  ist,  aber  auch  jeder  Punkt  von  (5  in  mindestens  einem  der  ©■  enthalten 
ist),  so  ergibt  sich  aus  der  Definition  ohne  weiteres  das  Additionsgesetz 

n 

fffdxdy  =  ^fffdxdy. 
e  j  =  1    ®i 

Ist  %  umkehrbar-eindeutig  und  -gebietsstetig  auf  ein  Gebiet  ®'  der 
a;y -Ebene  abgebildet: 

(14)  x'  =  x'{xy),         y'  =  y' {xy) 

wobei  die  Differentialquotienten 


dx' 
dx 

dx' 

dy 

dy' 

dy' 

Ty 

stetige  Funktionen  von  xy  sein  sollen  und  ihre  Determinante  d  überall 
H=  0,  so  gilt  die  Transformationsformel 


JJfdxdy^JJ^dx'dy'. 


1)  Der    Beweis    stammt    von    C.  Jordan    (Cours    d'analyse,    2.  Aufl.,    Bd.  1, 
S.  107). 


80  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

Dabei  ist  ©'  das  Bild  von  ®,  und  in  dem  Integral  rechts  ist  -y  vermöge 

der  Transformationsformeln  als  Funktion  von  x\  y    auszudrücken. 

Ist   u   eine   stetig-   differentiierbare   Funktion  in  @,  so  pflegt  man 
(übrigens  mit  geringem  historischen  Recht) 


»^(")  =//[(!-:)' +©>^^^ 


als  das  Dirichletsche  Integral  zu  bezeichnen.  Es  ist  gegenüber  konformer 
Abbildung  invariant.  In  der  Tat:  ist  die  Abbildung  (14)  konform  (rf=4=  0  ist 
dann  eine  Folge  der  vorausgesetzten  Umkehrbar-Eindeutigkeit  der  Ab- 
bildung), so  ist  zufolge  der  Riemann-Cauchyschen  Differentialgleichungen 

\rx)   +bV   =Lte)    ^\w)\\-\dx)   +UyjJ' 


.=.( 


also 


ax_Y     /dx\ 

Jx)    +  \dy) 


lim + m>'y  -lim + im^^^y- 

Dieses  Invarianzgesetz  ermöglicht  es,  das  DiricJdet- Integral  einer  stetig 
diflFerentiierbaren  Funktion  nicht  nur  in  der  Ebene,  sondern  auf  einer 
beliebigen  Riemannschen  Fläche  zu  bilden. 

Es  sei  also  ^  eine  geschlossene  Riemannsche  Fläche,  und  u  eine 
stetig  differentiierbare  Funktion  auf  ihr;  wir  wollen  erklären,  was  unter 
dem  Dirichletschen  Integral  D(it)  von  u  auf  ^  zu  verstehen  ist.  Ist  p 
ein  Punkt  auf  fj  und  z  eine  zu  p  gehörige  Ortsuniformisierende,  die  eine 
Umgebung  von  p  auf  ein  den  Punkt  3  =  0  enthaltendes  Gebiet  der 
ir-Ebene  abbildet,  so  ist  ein  ganz  diesem  Gebiete  angehöriger  Kreis 
\z\'^a  Bild  einer  Punktmenge  auf  ^,  die  wir  einen  ^-Kreis  um  p  nen - 
nen.  Die  Punkte,  für  welche  \z\=a  ist,  bilden  die  Peripherie  jenes 
Kreises.  Ordnet  man  jedem  Punkt  p  willkürlich  eine  Ortsuniformisierende 
2  und  einen  ^-Kreis  K  zu,  so  kann  man  unter  diesen  K  eine  endliche  An- 
zahl K,  {l  =  1,  2,  •••,  n\  zu  den  Punkten  p^  mit  den  Ortsuniformisieren- 
den  Zi  gehörig)  so  auswählen  (Heine -Borelsches  Theorem),  daß  jeder 
Punkt  der  Fläche  im  Innern  eines  der  n  Kreise  K^  gelegen  ist.  (Das 
Heine-Borelsche  Theorem  für  eine  beliebige  geschlossene  Fläche  ergibt 
sich,  wenn  man  auf  ihr  eine  Folge  von  Triangulationen  bildet,  von  denen 
jede  eine  Unterteilung  der  vorhergehenden  ist  und  die  schKeßlich  beliebig 
fein  werden.)  Die  Peripherien  Xj  der  Kj  sind  geschlossene  analytische 
Linien  und  schneiden  sich  daher  nur  in  endlich  vielen  Punkten.  Infolge- 
dessen bestimmt  die  abgeschlossene  Menge  x^  +  ^3  H h  5f„  auf  '^  nur 

endlich  viele  Gebiete,   die   wir,   nachdem  jedes  von  ihnen  durch  Hinzu- 


§  12.    Das  Dirichletsche  Integral.  81 

fügung  seiner  Grenze  zu  einer  abgeschlossenen  Menge  gemacht  ist,  mit 
@,,  @2>  •••?  ®r  bezeichnen.  Die  Begrenzung  jedes  (S^  besteht  aus  end- 
lich vielen  analytischen  Kurvenstücken.  Jedes  (B^  liegt  ganz  in  einem 
der  Kreise  Kj,  und  5,  ist  dann  eine  zu  ©^  gehörige  Uiiiformisiereude, 
d.  h.  eine  in  allen  Punkten  eines  gewissen,  (S^  enthaltenden  Gebietes 
reguläre  Funktion,  welche  von  diesem  Gebiet  ein  umkehrbar-eindeutiges 
und  -gebietsstetiges  konformes  Abbild  in  der  ^-^-Ebene  entwirft.  Wir 
denken  uns  jedem  @^  in  bestimmter  Weise  eine  zu  (S^  gehörige  Unifor- 
misierende  ^^  =  ^a  +  'Vk  zugeordnet  und  bilden  dann 

A  =  l       ©A 

Dabei  ist  u  in  (S^  als  Funktion  von  x^yi^  ausgedrückt  zu  denken,  und  @^ 
bezeichnet  zugleich  das  durch  2^  von  diesem  Stück  der  Riemannschen 
Fläche  entworfene  ebene  Bild.  Die  so  ermittelte  Zahl  J)(u)  ist  gemäß  dem 
Invarianzgesetz  unabhängig  davon,  ivelche  Uniformisierende  ^^  =  ^a  +  ^Vh 
in  jedem  Stück  ©^  benutzt  wird.  Sie  ist  aber  auch  unabhängig  von  der 
speziellen  Art  der  verwendeten  Zerschneidung  in  die  uniforniisierbaren 
Stücke  (£^.  Wählen  wir  nämlich  irgendwie  anders  Punkte  p[,  ...,  :p^,, 
zugehörende  Uniformisierende  /  und  ^fj, -Kreise  K[,  mit  den  Peripherien 
x',  in  solcher  Weise,  daß  die  K[,  die  ganze  Fläche  bedecken!  Die  ii[,  ..., 
x'^,  mögen  %  in  die  Stücke  ^[,  ...,  ©,'.,  zerlegen,  und  zu  jedem  %„  sei 
^//  ^  ^A'  "1"  '^y'h'  ^^^  Uniformisierende.    Wir  bilden  von  neuem 

Dann  ist,  wie  ich  behaupte, 

D(u)  =  D'(w)- 

Man  bringe  nämlich  die  Schnitte  x^,  %\,  gleichseitig  au.  Da  sich  diese 
Linien  untereinander  nur  in  endlich  vielen  Punkten  schneiden,  zerlegen 
sie  die  Fläche  in  endlich  viele  Stücke 


e; 


j=l,  2,  •..,/,;    7.  =  1,  2,  •••,  rl 


U'  =  l,  2,  ■•.,  ^;;  Ä'=  1,2,  •••,/] 

In  der  ersten  Bezeichnung  ist  jedes  (£,, .  ein  Teil  von  @^,  in  der  zweiten 
jedes   (£^,^.,  ein  Teil  von  %^,.    Nach  dem  Additionsgesetz  ist 

Weyl:  Die  Idee  der  ßiemannschen  Fläche.  6 


82  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen, 

nach  dem  Invarianzgesetz 

um + im  '^^^'y^usm + om^'^'y^^ 

daher 

D(ti)  =  D'(w). 

Zu  jeder  stetig  differentiierbaren  Funktion  u  auf  %  gibt  es  also  eine 
Zahl  D(m).    Sie  hat  folgende  Eigenschaften: 

1.  Sie  ändert  sich  nicht,  wenn  man  u  durch  u-\-  c  ersetzt,  wo  c  eine 
Konstante  ist;  sie  ist  niemals  negativ  und  nur  dann  0,  wenn  u  auf  der 
ganzen  Fläche  konstant  ist. 

2.  Ist  p  irgendein  Punkt  auf  der  Fläche,  Z'=x  -\-iy  eine  zugehörige 
Ortsuniformisierende  und  K  :  | ;?  |  <^a  ein  ^-Kreis,  so  gilt 

K 

wo  R{u)~^0  ist  und  sich  nicht  ändert,  wenn  man  n  durch  irgendeine 
stetig  diiferentiierbare  Funktion  auf  ^  ersetzt,  die  für  alle  nicht  in  K  lie- 
genden Punkte  mit  u  übereinstimmt. 

3.  D(m)  trägt  quadratischen  Charakter.  Das  gibt  sich  darin  kund: 
sind  M,  V  irgend  zwei  stetig  diiferentiierbare  Funktionen  auf  ^  und  be- 
deuten A,  ^  willkürliche  Konstante,  so  ist 

D(>lM  -f  iiv)  =  A2D(m)  -f  2AiiiD(Mü)  -f  /a2D(ü) 

eine  quadratische  Form  in  l,  ^. 

Auch  auf  einer  nicht  geschlossenen  Riemannschen  Fläche  läßt  sich 
von  einer  stetig  differentiierbaren  Funktion  u  das  Dirichletsche  Integral 
bilden,  das  hier  allerdings  auch  den  Wert  oo  besitzen  kann.  Eine  un- 
geschlossene Fläche  wird  man  derartig  durch  Peripherien  Xj  von  abzähl- 
bar vielen  „Kreisen"  K,  zerschneiden  müssen,  daß  jeder  Punkt  nur  endlich 
vielen,  aber  mindestens  einem  der  Kreise  Kj  angehört. 

§  13.  Über  das  Poissonsche  Integral. 

Als  Hilfsmittel  für  unsere  Untersuchungen  brauchen  wir  die  Lösung 
der  sog.  ersten  Randwertaufgabe  der  Potentialtheorie  für  den  Kreis  mit 
Hilfe  des  Poissonschen  Integrals.  Ist  auf  dem  Einheitskreis  der  komplexen 
2-lShene  eine  stetige  Funktion  gegeben,  deren  Wert  an  der  Stelle  t,  =  ^f 
mit  w(qp)  bezeichnet  werden  möge,  so  liefert  die  Gleichung 


13.    Über  das  Poissonsche  Integral.  83 


eine  für  |^j  <  1  regulär -analytische  Funktion  f(3),  deren  Realteil  am 
Rande  die  Werte  u{(p)  annimmt;  d.  h.  diejenige  Funktion  ti,  welche  im 
Innern  des  Einheitskreises  =  dem  Realteil  von  f(2),  für  Werte  t,  =  e'^ 
auf  dem  Einkeitskreise  aber  =n(q))  gesetzt  wird,  ist  eine  in  der  ganzen 
abgeschlossenen  Kreisfläche  «^  |  ^  1  stetige  Funktion.^)  Benutzen  wir 
Polarkoordinaten  2  =  re^f,  so  können  wir  schreiben: 

(15)  27tu=  I     ,     ,    \~''\ ^,u(d-)d&. 

^      ^  J  1  -{-  r^  —  2r  cos  (cp  —  d')    ^    -^ 

0 

Es  gibt  außer  u  nicht  etwa  noch  eine  andere  im  Innern  des  Einheitskreises 
reguläre  Potentialfunktion  ü,  welche  in  dem  erklärten  Sinne  am  Rande 
des  Kreises  die  Werte  ii  {(p)  annimmt.  Denn  dann  würde  ü  —  u  eine  in 
der  abgeschlossenen  Kreisfläche  stetige  Funktion  sein,  die  im  Innern  als  re- 
guläre Potentialfunktion  nirgends  ein  Maximum  oder  Minimum  annehmen 
kann,  und  die  am  Rande  =  0  ist.  Demnach  müßte  sowohl  das  Maximum 
wie  das  Minimum  von  ü  —  u  (für  j  ^  |  ^  1)  =  0  sein,  d.  h.  ü  ^  u. 

Das  Poissonsche  Integral  (15)  liefert  einen  wichtigen  Konvergenz- 
satz: Ist  u^,  11^,  W3,  ...  eine  Folge  von  PotentialfunJctionen,  die  alle  für 
I  ^r  I  <  1  regulär  sind  und  gleichmäßig  für  \s\^q  gegen  eine  Grenzfunhtion 
u  konvergieren,  wenn  q  irgendeine  positive  Zahl  <  1  bedeutet,  so  ist  die 
GrenzfunJdion  u  gleichfalls  eine  für  ^  |  <  1  reguläre  PotentialfunMion. 
Unter  den  angegebenen  Umständen  muß  nämlich  zufolge  des  Poisson- 
schen  Integrals 

271 

27tu^(r&'P)  =  /   ,^    ,    ^'~''' ^,u(qe'»)dd- 

J  q   -\- r^  — '.i qr  coa  [cp  —  &)    ''^-'      ^ 
0 

sein  für  r  <  q.   Der  Grenzübergang  liefert 

27tu{reJ<P)  =  C^^^'-:zJ:L ^u(q^»)d» , 

J  q   -{- r^—  2 qr  cos  {cp  —  &)    ^^      ^        ' 
0 

und  hier  steht  auf  der  rechten  Seite  eine  für  r  <  g  reguläre  Potential- 
funktion. Ist  q^  eine  positive  Zahl  <  1  und  wähle  ich  q>  q^  und  <  1, 
so  erkennt  man  noch,  daß  in  einem  beliebigen  konzentrischen  Kreise, 
dessen  Radius  <  1  ist  (|  -?  |  ^  q^)  nicht  nur  u^^  gleichmäßig  gegen  u,  sondern 

1)  H.  A.  Schwarz,  Gesammelte  Abhandlungen,  Bd.  11,  S.  186—198.  Den  Be- 
weis findet  man  in  fast  allen  Lehrbüchern    der  Funktionentheorie  dargestellt. 

6* 


34  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

auch  alle  Ableitungen  von  n^  beliebig  hoher  Ordnung  gleichmäßig  gegen 
die  entsprechenden  Ableitungen  von  u  konvergieren. 

Der  Zusammenliang  der  Potentialtheorie  mit  dem  Birichletschen  Inte- 
gral geJit  aus  folgendem  Satz  hervor: 

Ist  V  eine  im  EinJieitsh-eis  K :  \s  ^  1  stetige,  im  Innern  desselben 
stetig  differentiierhare  Funliion  mit  oidlichem  DiricJdetschen  Integral 

K 
und  u  diejenige  für  j  ;s   <  1  reguläre  PotentialfunMion,  deren  Randwerte 
auf  \z\  =  1  mit  denen  von  v  übereinstimmen,  so  ist 

(16)  D(«)^D(r). 

Dabei  soll  das  Dirichletsche  Integral  hier  als  „uneigentlicJies"  Integral 
gemeint  sein,  nämlich  als  Limes  des  Integrals 

für  lim  2  =  1.  Wir  verwenden  allgemein,  wenn  0  ^  Q'i  <  ^a  ^  1  i^^>  ^^ 
Bezeichnung 

Der  gewöhnliche  Beweis  von  (16)  verläuft  so:  Man  setzt  iv  =  v  —  ii-^ 
partielle  Integration  :  Greensche  Formel)  liefert: 

J)(wu)  =J  {iv ~j^ ^^dcp  -jj  tvAu  dxdy     (a u  =  |^,  +  .--?)  , 

und  da  im  Innern  von  K:  Au  =  0,  am  Rande  iv  =  0  ist, 

J)(ivu)  =  0; 

D(v)  =  D(m  +  M7)  =  D(w)  +  2D(wu)  +  D(w) 

=  l)(w)  +  D(j(;)^D(w). 

Will  man  diesen  Schluß  streng  machen,  so  darf  man  zunächst  alle  Dirich- 
letschen  Integrale  nur  über  \s  ^  g(<  1)  erstrecken  und  hat  hernach  q 
gegen  1  konvergieren  zu  lassen.   Es  kommt  dann  darauf  an,  einzusehen,  daß 

J>,(wu)  =  qJ[tv'^)^^d<p 
0 

für  limg  =  1  gegen  0  geht.  Nun  weiß  man  wohl,  daß  ivlqe^f)  mit  gegen 
1  gehendem  q  gleichmäßig  in  9?  zu  0  konvergiert,  aber  es  läßt  sich  keines- 


§  13.    Über  das  Poissonsche  Integral.  85 

wegs  sagen,  daß  „—  im  ganzen  Einheitskreise  beschränkt  bleibt;  man  kann 

nur  behaupten,  daß  (1  —  0  ^  ™i^  limr  =  1  gleichmäßig  in  tp  gegen  0 
konvergiert,  und  das  reicht  natürlich  nicht  aus,  um  auf  \im.Ti^{ivu)  =  0  zu 

schließen.  Diese  Schwierigkeiten  wird  man  sich  vor  Augen  halten  müssen, 
um  den  folgenden,  von  Hadamard  und  Zaremba^)  herrührenden  Beweis 
recht  zu  würdigen. 

Die  Randwerte  v{e^f)  mögen  kürzer  t;(g))  genannt  werden.  Ent-\vi ekelt 
man  das  Poissonsche  Integral  (15)  nach  Potenzen  von  r,  so  bekommt  man 

w  =  Y  +  a^rcos^  +  «2^"  cos2(p  -\-  ■  •- 

+  &i r  sin qp  +  h^r-  s\Ti2(p  +  •  •  • 

2  .-r  2  rt 

ci'„=     I  v{cp)  cos  n<pd(p ,     h„=  -  1  v(q))suxnq)d(p  . 

0  0 

Diese  Entwicklung  entspricht  im  Gebiet  der  Potentialfunktionen  der  Po- 
tenzreihe in  der  Theorie  der  analytischen  Funktionen.  In  der  Tat  sind 
r"cos«9P,  r"  sin  n(p  nichts  anderes  als  realer  und  imaginärer  Teil  von  2". 
Die  Potentialfunktionen 

besitzen  die  folgenden  Eigenschaften: 

[  D  (P^,  Q^J  =  0     ohne  Ausnahme, 

(I)  D,/P„,PJ  =  0,     D^($„,  ^J  =  0     außer  fürn  =  m, 

I  D,(-Pn)  =  I>,(^„)  =  2^ 

und  wenn  wir  allgemein 

JJuvdxdy  =  Jj(mv) 

setzen,  auch  noch  diese: 

I'^qi^ny  Qir)  =  ^     ohne  Ausnahme, 
J,(^n,  Pm)  =  J,(^n,  QJ  =  0     außcr  für  w  =  TW , 

Die  Entwicklung  von  u  können  wir  schreiben: 


1)  Hadamard,  Sur  le  principe  de  Dirichlet,  Bulletin  de  la  Societe  mathö- 
matique  de  France,  Bd.  34  (1906),  S.  135—139.  Zaremba,  Sur  le  principe  du  mi- 
nimum,  Bulletin  de  lAcademie  des  sciences  de  Cracovie,  Juli  1909,  S.  206  flF. 


Funktionen  auf  Riemannsch.en  Flächen. 


(17)  u  -  f  =^K^„  (^2/)  +  K  Qn  {^y)\ , 

v^o Ä  =  a^^y:tn,  B^^  =  h^y7in  Konstante  sind,  die  sich  als  Flächeninte- 
grale in  der  Form 

(18)  ^„=D(r,PJ,     B„  =  'D(v,QJ 

darstellen  lassen.    Nach  der  Greenschen  Formel  ist  nämlich  z.  B. 

!>,(«.  ^")  =  V  {^~^)r=  ^"^  =y'^q''J v{qe''P)cos7i(pdcp. 

0  ''     ^  0 

Durch  den  Grenzübergang  lim  ^  =  1  folgt  daraus  in  der  Tat 

2« 

jy(y,  P„)  =1/—  /  v{(p)  cosnq)d(p  =  Yhtc-  a^  =  A^. 

0 

Die  Reihe  (17)  konvergiert  für  |^1^3(<1)  gleichmäßig  und  absolut 
samt  allen  ihren  Ableitungen.  Man  kann  daher  B^(m)  aus  ihr  durch 
gliedweises  Quadrieren  und  nachfolgendes  gliedweises  Integrieren  be- 
rechnen.   Die  Formeln  (I)  ergeben  dann: 

(19)  D^(^.)=2'r''r^;-f  PI). 

n  =  l 

Anderseits  folgt  auf  Grund  der  gleichen  Formeln  und  der  Ausdrücke  (18) 

D(t;  -^[4,P„+  P„^J)  =  D(»  -^{Al  -f  P?). 
»1=1  1=1 

Es  muß  die  Reihe 

^{A  +  ^r.) 
n  =  X 

demnach,  wie  weit  man  sie  auch  fortsetzt,  immer  ^D(v)  bleiben;  das 
hat  ihre  Konvergenz  zur  Folge.  Verbinden  wir  damit  die  Gleichung  (19), 
so  haben  wir 

D^(w)^D(tO, 
und  durch  den  Grenzübergang  lim q=l  folgt  die  Existenz  von  D {u), 
und  daß 

(20)  D(m)^D(i;) 

ißt. 

Unter  allen  Funktionen,  ivekhe  in  den  Piandiverten  mit  v  überein- 
stimmen, erteilt  also  die  PotentialfunJction  dem  DiricMetschen  Integral 
seinen  kleinsten  Wert.  Setzen  wir  v  —  u  =  iv,  so  muß  zufolge  dieses 
Satzes  nicht  nur  für  A  =  1,  sondern  jeden  reellen  konstanten  Wert  von  X 


§  13.   Über  das  Poissonsche  Integral.  87 

D(M)^D(t<  +  liv) 
sein,  oder  anders  geschrieben: 

Das  hat  die  Gleichung 

Ji{uiv)  =  0 
zur  Folge,  die  uns  in 

D(v)  =  D(m)  +  D(«-)  =  D(m)  +  D(?;  -  u) , 
eine  schärfere  Aussage  liefert,  als  die  Ungleichung  (20)  enthielt.    Ins- 
besondere zeigt  sich,  daß  in  (20)  nur  dann  das  Gleichheitszeichen  gelten 
kann,   wenn   y  —  w  ==  const.,   oder   da   diese   Differenz    am   Rande   ver- 
schwindet, V  mit  u  identisch  ist. 

Aus  (19)  folgt  durch  den  Grenzübergang  lim  g  =  1: 

(21)  Ji{u)==^{Al  +  Bl). 

n  =  l 

Denn  einerseits  ist 

I>,':W)^2(^«  +  ^")'       ^^^°      ^{tt)£^Ul  +  ^n), 
n  =  1  n  =  1 

anderseits  liefert 

die  für  jedes  n  gültige  Ungleichung 

n 


:,  b-,  =  — k  sind  die  Werte  von  t^,  t^—  im  Nullpunkt.    Be- 
'     ^       Y^  ox'  dy  ^ 


^'       ]/:r 
halten  wir  in  (21)  rechts  nur  das  erste  Glied  bei,  so  finden  wir  demnach 

Wenden  wir  diese  Ungleichung,  statt  auf  den  Einheitskreis,  auf  den 
Kreis  x^  mit  dem  Mittelpunkt  -t(l  <  s  =  >•  <  1)  und  dem  Radius  1  —  r 
an,  so  folgt: 

2 


[r.)  + 


mw^--^'ffm'^(^)>'y 


(23)  £^^,-D,^.M- 

Der  Kreis  x^  ist  nämlich  ganz  in  dem  Kreisring  2r  —  1^   z    ^1  ent- 


88  Funktionen  auf  Riemannsclien  Flächen, 

halten.  Da  lim  D2^_i(m)  =  0  ist,  schließt  diese  Ung-leichung  eine  Aus- 
sage über  das  Verhalten  der  Ableitungen  ^~,  w~  am  Rande  des  Einheits- 
kreises in  sich. 

Wie  (21)  auf  dem  Wege  über  (19)  sich  aus  den  Formeln  (I)  ergibt, 
erhalten  wir  mit  Benutzung  des  Formelsystems  (II): 


J  w- 


2/  ~^  2n(w-f  1) 


In  Verbindung  mit  (21)  liefert  das  die  Ungleichung 

(24)  3{u-'';)<Id{h). 

Diese  Ungleichung  steht  in  engem  Zusammenhang  mit  einem  interessanten 
elementaren  Problem  der  Analysis.  Fragt  man  sich,  wie  gut  man  eine 
Funktion  v  von  zwei  Argumenten  xy  in  einem  Bereich  &  durch  eine 
Konstante  annähern  kann,  so  sagt  darüber  der  erste  Mittelwertsatz  der 
Differentialrechnng  aus,  daß  sich,  wenn  ich  als  Annäherungskonstante 
den  Wert  von  v  in  einem  festen  Punkt  (x^yo)  nehme. 


I  v{^y)  -  ^i^'oVo) !  £  Max.  ]/(|^)'+  (f^)'x  Entfernung  {xy;  x,y^) 

ergibt.  Hier  wird  als  Fehler  das  Maximum  des  absoluten  Betrages  der 
Differenz  \v  —  Vq\  angesehen,  und  dessen  Größe  erweist  sich  als  wesent- 
lich bestimmt  durch  das  Max.  1/  (^^  j  +  U—j  .  Beurteilen  wir  aber  den 
Fehler,  wie  es  der  Methode  der  kleinsten  Quadrate  entspricht,  nach  dem 
Quadratintegral      I  {v  —  v^ydxdy,   so  wird  man  erwarten  dürfen,   daß 

die  durch  geeignete  Wahl  der  Konstanten  Vq  erzielbare  Annäherung  be- 
stimmt ist  durch  den  Wert  von 


flu 


f^'+m>'^- 


Diese  Vermutung  wird  durch  die  obige  Ungleichung  bestätigt  für  den 

Fall,  daß  der  Bereich  &  der  Einheitskreis  und  v  eine  Potentialfunktion  ist. 

Von  der  letzten  Voraussetzung  wollen  wir  uns  befreien,  indem  wir, 

unter  Verwendung  der  oben  benutzten  Bezeichnungen,  allgemein  beweisen: 

(25)  j(^-|)^iD(^)- 

—  ist  im   allgemeinen   nicht  der  Wert  von  v  im  Mittelpunkt,  son- 
dern  der   Mittelwert   von    v   auf   dem   Rande   des   Kreises: 


§  13.    Über  das  Poissonsche  Integral.  89 

0 

Wir  bedienen  uns  der  Schwarzsehen  Ungleichung 

^*o  ^       'o  'o 

für  die  man  auch  schreiben  kann 


V  f(f±9yc^x£yj)'dx  +  y fg^dx 
b  0  0 

\f{x),  g{x)  sind  irgend  zwei  stetige  Funktionen  im  Intervall  0  ^  a;  ^  1]. 
Sie  ergibt  sich  daraus,  daß  die  quadratische  Form  in  Au: 

1 
J\/l  •  fix)  4-  ^  ■  g{x)ydx  =  A/12  +  2BAa  +  Titt^ 

0 

nicht  negativ  werden  kann  und  also  ihre  Diskriminante 

Ar-B2^0 
sein  muß. 

Für  eine  im  abgeschlossenen  Einheitskreis  stetige,  am  Rande  ver- 
schwindende, im  Innern  stetig  diiFerentiierbare  Funktion,  wie  es  w  =  v — u 
ist,  erhalten  wir  mittels  der  Schwarzsehen  Ungleichung 

/     r  ~-    2 


< 


(0<ri<r,<l) 


Integriert  man  diese  Ungleichung  nach  cp  und  läßt  dann  n  gegen  1  kon- 
vergieren, so  ergibt  sich,  da 

ist,  die  Beziehung 

2« 

(26)  j\w(:r^f)Yd^  £\g\.  m  {w). 

b 

Von  dieser  Ungleichung  werden  wir  sogleich  noch  eine  wichtige  An- 
wendung machen.  Vorerst  ersetzen  wir  rechts  DJ:(f(;)  durch  das  größere 
D(if),  multiplizieren  mit  rdr  und  integrieren  nach  r  von  0  bis  1.  Dann 
ergibt  sich,  da 


90  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 


/ 


^1^7^ 


1        7  1 


4 


(27)  3(:iv)£i-Diw). 

Wir  kombinieren  (27 )  mit  (24).    Es  ist 

j(.-|)^2[j(«-^)  +  J(«-)] 

—  zufolge  der  Ungleicliung  (a  +  ßY  ^  2[a-  +  /3^]  —  daher  nach  (24) 
und  (27) 

£  |[D(M)  +  'Dm]  =  \D{v). 

Damit  ist  (25)  bewiesen.  Wir  bemerken  nochmals,  daß  sich  in  (25)  der 
Faktor  |  durch  den  kleineren  -  ersetzen  läßt,  wenn  r  eine  Potential- 
funktion ist  oder  am  Rande  verschwindet. 

Ist  V  in  einem  Gebiet,  das  den  Einheitskreis  im  Innern  enthält^ 
stetig  differentiierbar,  so  wird  dadurch,  daß  wir  im  Einheitskreise  v  durch 
n  ersetzen,  der  Wert  des  Dirichlet-Integrals  herabgedrückt.  Da  wir  jedoch 
in  den  beabsichtigten  Anwendungen  nur  stetig  differentiierbare  Funk- 
tionen gebrauchen  können,  die  Funktion  v  aber,  welche  außerhalb  des 
Einheitskreises  mit  v,  innerhalb  desselben  mit  ii  übereinstimmt,  im  allge- 
meinen über  den  Rand  des  Eiuheitskreises  hinüber  diese  Eigenschaft 
nicht  besitzt,  müssen  wir  dort  den  Funktionsverlauf  von  v  so  „glätten", 
daß  doch  der  Wert  des  Dirichletschen  Integrals  von  v  dabei  sich  so 
wenig  ändert,  als  man  nur  will.  Wir  wollen  also  zeigen:  es  gibt  eine 
stetig  differentiierbare  Funktion  r,  welche  außerhalb  des  Einheitskreises 
mit  V  übereinstimmt,  und  deren  über  den  Einheitskreis  erstrecktes  Dirich- 
letsches  Integral  D  (r)  sich  so  wenig,  wie  man  will,  von  D(v)  =  D  (u) 
unterscheidet. 

Ich  wähle  g  >  |  und  <  1  und  bilde  mit  x  (r)  =  [\^)   die  Funktion  ^) 

Iu  für  \2   ^q 
u  +  ;^(r)  (v  —  ii)  für  q  ^    z    =  r  ^  1 . 

Da  lir')  bei  r  =  q  von  2.  Ordnung  verschwindet,  geht  diese  Funktion 

V  samt  ihren  ersten  Differentialquotienten  stetig  über  den  Kreis  z  =q 
hinüber.  Gegen  den  Rand  des  Einheitskreises  zu  konvergiert  v  —  v  mit 
seinen  beiden  ersten  Differentialquotienten  gleichmäßig  gegen  0.  Wenn 
man  v  außerhalb  des  Einheitskreises  also  mit  v  zusammenfallen  läßt,  ist 

V  auch  über  den  Rand  des  Einheitskreises  stetig  und  stetig  differentiierbar. 
Denn  es  ist  beispielsweise 

Iß-  -  »)  -  h(r)  -  1]  '-^  +  (V  -  u)  2  ^  (für  j  <  r  <  1). 


1)  Nach  S.  Zaremba,  Krakauer  Berichte,  Juli  1909,  S.  246  ff. 


§  13.    Über  das  Poissonsche  Integral.  91 

x{r)  —  1  wird  bei  r  =  1  von  1.  Ordnung  Null,  und  aus  der  Ungleichung 
(23)  geht  daher  hervor,  daß  der  erste  auf  der  rechten  Seite  stehende 
Summand  bei  Annäherung  an  die  Peripherie  des  Einheitskreises  vom 
Innern  aus  gleichmäßig  gegen  0  geht;  daß  der  zweite  Summand  das- 
selbe tut,  bedarf  kaum  der  Erwähnung. 

Wir  schätzen  jetzt  das  über  den  Einheitskreis  zu  erstreckende Dirichlet- 
Integral 

J)(v  —  u)  =  DJ  Ixir)  {v  —  u)] 
ab.    Da 

ist,  so  erhält  man  für  dieses  Integral  einen  Wert  ^  dem  doppelten  von 

Der  erste  Summand  hier  ist  wegen  %'  ^1: 
der  zweite,  da  nach  (26) 


iv'd(f  £  (],  -  l)  J)](w)      {q  <  r  <  1)  ist: 


0 

1 

9 

Im  ganzen  kommt  also 

D(r)  -  D(rO  =  D({-  -  u)  £  |Di(w;), 

und  das  kann  durch  geeignete  Wahl  von  q  so  klein  gemacht   werden 
wie  man  will. 

§  14.  Ansatz  zum  Beweis  der  Existenztheoreuie.   Aufstellung  der 
Elementardifferentiale. 

Statt  eine  analytische  Funktion  auf  der  vorgegebenen  geschlossenen 
Riemannschen  Fläche  ^  zu  konstruieren,  suchen  wir  zunächst  nur  den 
Realteil  einer  solchen,  d.  i.  eine  reelle  auf  der  Fläche  harmonische  Funk- 
tion. Eine  überall  reguläre  Potentialfunktion  auf  der  Fläche  existiert 
aber  (wenn  man  von  der  Konstanten  absieht)  nicht.  Wir  werden  daher 
für  die  harmonische  Funktion  an  einer  Stelle  eine  Singularität  zulassen, 
und  zwar  die  einfachste,  welche  es  gibt:  sie  soll  sich  dort  verhalten  wie 
der  Realteil  einer  analytischen  Funktion,  die  einen  Pol  1.  Ordnung  be- 
sitzt. Wir  gehen  also  darauf  aus,  folgendes  Existenztheorem  zu  beweisen: 

Ist  0  mit  der  Ortsuniformisierenden  Zq  =  Xq  -\-  iy^  ein  uillkürliclier 


92  Funktionen  auf  Riemann sehen  Flächen. 

Punkt  auf  ^,  so  gibt  es  eine  in  allen  von  0  verschiedenen  Funkten  reguläre 

Potential fimliion  U  auf  ^,  die  in  der  Umgebung  von  0  sich  von     „  ^ 

^0  +  Vo 
um  eine  in  0  reguläre  PotentialfunMion  unterscheidet. 

U  ist  offenbar  bis  auf  eine  additive  Konstante  durcb  diese  Eigen- 
schaften eindeutig-  bestimmt.  Mag  auch  ^  keine  wirkliche  Fläche  im  Raum 
sein,  sondern  eine  Riemannsche  Fläche  in  dem  abstrakten  Sinne,  wie  er 
in  Kap.  I  eingeführt  ist,  es  wird  trotzdem  erlaubt  sein,  U  als  Potential 
einer  inkompressiblen,  stationären,  wirbelfreien  Flüssigkeitsströmung  auf 
^  zu  betrachten,  einer  Strömung,  die  überall,  abgesehen  von  dem  einen 
Punkte  0,  auch  quellenfrei  ist;  im  Punkte  Oaber  sitzt  eine  „Doppelquelle" 
vom  Momente  27r,  deren  Richtung  mit  der  positiven  a:,,- Achse  überein- 
stimmt. Es  gehört  allerdings  einige  Kühnheit  dazu,  aus  dieser  hydrody- 
namischen Deutung  auf  die  Existenz  von  U  zu  schließen.^) 

Würde  sich  von  ü  das  Dirichletsche  Integral  bilden  lassen,  so  hätten 
wir  dieses  als  die  Energie  der  Flüssigkeits Strömung  anzusprechen.  Leider 
wird  das  Integral  aber  wegen  des  Verhaltens  von  ü  an  der  Stelle  0  un- 
endlich. Wir  verfahren  deshalb  so.  Wir  schlagen  um  0  einen  ^Q-Kreis 
'^o  • !  ^0  I  ^  ^0  ^^^  bilden  in  ihm  die  Funktion 

0=       ^ 


4  +  yl  '  «§ 

Sie  hat  die  Eigenschaft,  auf  der  Peripherie  von  Kq  die  normale  Ableitung 
0  zu  besitzen.   Benutzen  wir  nämlich  Polarkoordinaten  Zq  =  r^e'^",  so  ist 
^  cos  qp        r^  cos jp,  ^ 

^0  COS  qpo         cos  qp„      „..  g0 


Wir  betrachten  jetzt 


ü  überall  auf  ^,  außer  in  Kq 


U-(P  in  Kq. 


Diese  Funktion  hat  längs  der  Peripherie  x^  von  K^  einen  Sprung,  ist 
aber  sonst  stetig  differentiierbar.  Auch  läßt  sich  der  außerhalb  Kq  herrschen- 
de Wertverlauf  von  u  noch  ein  Stück  über  x^  nach  innen  hinein  als  stetig 
differentiierbare  (sogar  als  reguläre  Potential-)  Funktion  fortsetzen  (CT); 
ebenso  läßt  sich  das  innerhalb  K^  herrschende  u  ein  Stück  über  Xq  hinaus  als 
stetig  differentiierbare  (sogar  als  reguläre  Potential-)  Funktion  (JJ —  0) 
fortsetzen.  Infolgedessen  kann  man  das  Dirichletsche  Integral  1)(m)  in  der 
oben   auseinandergesetzten  Weise   bilden,  wenn   man   unter   die  Kreis- 


1)  Auf  diese  und  ähnliche  physikalische  Anschauungen  stützt  sich  die 
Darstellung  in  der  erwähnten  Kleinschen  Schrift  vom  Jahre  1882;  vgl.  die  dort 
gezeichneten,  sehr  instruktiven  Strömungsbilder. 


§  14.    Existenzsätze.     ElementardiflFerentiale.  93 

peripherieu  a^,  längs  denen  ^  in  die  Stücke  @/,  zersclmitten  wurde,  immer 
auch  den  Kreis  x^  aufnimmt. 

Unter  allen  Funliionen  v,  ivelche  längs  ^o  denselben  Sprung  besitzen 
wie  u,  die  sonst  aber  stetig  differentiierbar  sind,  erteilt  u  dem  Dirichletschen 
Integral  D(v)  seinen  Meinsten  Wert.  Die  hier  zum  Vergleich  mit  u 
herangezog-enen  Funktionen  v  wollen  wir  noch  etwas  genauer  charakte- 
risieren. Ich  schlage  dazu  um  0  einen  ^^-Kreis  K^  :  1  ^^^  ^  &o>  "^^^  etwas 
größerem  Radius  b^  als  a^.  ^  —  K^,  nenne  ich  die  „gelochte''  Fläche,  K^ 
das  „Loch",  K*  den  „Deckel",  den  Kreisring  «(,  <  ^r^  [  <  Sq,  in  dem  der 
Deckel  über  die  gelochte  Fläche  hinübergreift,  den  „  Verschlußring".  Zur 
Konkurrenz  zugelassen  wird  eine  Funktion  v  dann,  wenn  sie  in  der  ge- 
lochten Fläche  stetig  differentiierbar  ist  und  im  Loch  mit  einer  im  ganzen 
Deckel  stetig  differentiierbaren  Funktion  v*  übereinstimmt,  zu  der  sie 
im  Verschlußring  in  der  Beziehung  ü  =  v*  -f  ^  steht.  Ist  v  das  Zeichen 
für  irgendeine  Konkurrenzfunktion,  so  soll  allemal  v*  die  hier  charak- 
terisierte stetig  diiferentiierbare  Funktion  im  Deckel  bedeuten.  Die  Dif- 
ferenz zweier  Konkurrenzfunktionen  ist  auf  ganz  ^  stetig  differentiierbar. 

Um  nun  den  Existenzbeweis  von  U  oder  u  zu  führen,  stellen  wir 
uns  das  Minimalproblem,  unter  allen  Konkurrenzfunktionen  v  diejenige 
u  herauszufinden,  für  welche  das  Dirichletsche  Integral  D(v)  den  klein- 
sten Wert  erhält.  Das  Thomson-Dirichletsche  Prinzip  behauptet,  daß 
eine  solche  Minimalfunktion  u  existiert/)  Auf  dieses  Prinzip  hat  Rie- 
mann  seine  Existenzbeweise  gegründet,  doch  stimmt  sein  Ansatz  nicht 
völlig  mit  dem  unseren  überein.^)  Die  Weierstraßsche  Kritik  zeigte,  daß 
die  Evidenz,  welche  dem  Dirichletschen  Prinzip  inne  zu  wohnen  scheint, 
nur  vorgetäuscht  ist.^)  Man  suchte  deshalb  durch  andere  Methoden  die 
Riemannschen  Existenzsätze  sicherzustellen,  und  dies  war  zuerst  Schwarz 
und  C.  Neumann,  namentlich  mit  Hilfe  des  sog.  alternierenden  Verfahrens, 
in  glänzender  Weise  gelungen.^)  Später  ist  jedoch  das  Dirichletsche 
Prinzip  von  Hilbert  streng  bewiesen  worden.^)  An  seinen  Beweis  knüpft 
eine  größere  Reihe  von  Arbeiten  anderer  Autoren  an,  durch  die  der  Be- 

1)  Seit  1847  von  W.  Thomson  (Lord  Kelvin)  in  verschiedenen  Arbeiten  an- 
gewandt. Der  Name  ,,Dirichletsches  Prinzip"  rührt  von  Riemann  her,  der  diese 
Schlußweise  aus  Dirichlets  Vorlesungen  kannte. 

2)  Die  hier  zugrunde  gelegte  Form  des  Ansatzes  wurde  vom  Verf.  (außer  in 
der  Vorlesung,  aus  der  die  vorliegende  Schrift  entstanden  ist)  in  der  Sitzung  vom 
16.  Jan.  1912  der  Göttinger  Mathematischen  Gesellschaft  vorgetragen. 

3)Überda8sog.DirichletEchePrinzip,(1870),WeierstraßWerke,Bd.2,  S.49— 54. 

4)  H.  A.  Schwarz,  Berliner  Berichte  1870  (Ges.  Abhandlungen  II,  S.  133—171). 
C.  Neumann,  sächsische  Berichte  1870;  ders.,  Vorlesungen  über  Riemanns  Theorie 
der  Abelschen  Integrale,  2.  Aufl.,  Leipzig  1884,  S.  388—471. 

5)  Hilbert,  „Über  das  Dirichletsche  Prinzip",  Festschrift  zur  Feier  des  löOjähri- 
gen  Bestehens  der  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen,  1901,  abge- 
druckt in  Math.  Ann.  Bd.  59,  S.  161—186;  „Zur  Theorie  der  konformen  Abbil- 
dung", Göttinger  Nachrichten,  1909,  S.  314—323. 


94  Funktionen  auf  Riemannscten  Fläclien. 

weis  ZAvar  nicht  dem  Grundgedanken  nach,  aber  in  manchen  Einzel- 
heiten vereinfacht  wurde.^)  Das  Dirichletsche  Prinzip  gehört  seit  diesen 
Untersuchungen  wieder  zu  den  mächtigsten  Hilfsmitteln  der  Analysis. 
Zur  Rechtfertigung  des  Ansatzes  unseres  Problems  als  einer  Mini- 
malaufgabe soll  zunächst  gezeigt  werden,  daß  die  Minimalfunktion  u, 
falls  sie  existiert  (sie  ist  dann  selbst  eine  zur  Konkurrenz  zugelassene 
Funktion),  die  gewünschten  Eigenschaften  besitzt,  d.  h.  ii  ist  in  jedem 
Punkt  der  gelochten  Fläche,  das  zugehörige  ii*  in  jedem  inneren  Punkte 
des  Deckels  regulär-harmonisch. 

1.  Ist  p  ein  Punkt  der  gelochten  Fläche,  2  eine  zugehörige  Orts- 
uniformisierende,  K  ein  ^-Kreis  um  p,  der  ganz  in  der  gelochten  Fläche 
liegt,  so  kann  ich  u,  falls  es  in  K  nicht  harmonisch  ist,  durch  diejenige 
Potentialfunktion  u  in  K  ersetzen,  welche  am  Rande  von  K  mit  ii  über- 
einstimmt. Für  diese  ist  dann  das  über  K  erstreckte  Dirichletsche  In- 
tegral DK(i^)<  Dk(w).  Durch  das  am  Schluß  von  §  13  geschilderte 
Glättungsverfahren  bekomme  ich  eine  über  den  Rand  von  K  hinüber 
stetig  differentiierbare  Funktion  ü,  welche,  außer  in  K,  mit  u  überein- 
stimmt, deren  über  K  erstrecktes  Dirichletsches  Integral  aber  so  wenig 
von  Dk(w)  abweicht,  wie  ich  nur  will.  Insbesondere  kann  ich  denmach 
erzielen,  daß  auch  Dk(«^)  noch  <  Dk(m)  ist.  ü  ist  eine  Konkurrenzfunk- 
tion, für  welche  das  über  ganz  ^  erstreckte  Integral  D  (m)  einen  kleineren 
Wert  besitzt  als  für  u.  Dieser  Widerspruch  zeigt,  daß  u  in  K  eine  re- 
guläre Potentialfunktion  sein  muß. 

2.  Es  sei  p  ein  innerer  Punkt  des  Deckels  und  K  in  der  ^^Q-Ebene 
ein  ganz  dem  Deckel  angehöriger  Kreis  um  p. 
Ist  u*  nicht  harmonisch  in  p,  so  kann  man  u* 
durch  eine  im  ganzen  Deckel  stetig  differentiier- 
bare Funktion  w*  ersetzen,  die  außerhalb  K  mit  u* 

übereinstimmt  und  für  welche  Dk(m*)  <Dk(^*) 
ist.  Es  gibt  dann  eine  einzige  Konkurrenzfunk- 
tion ü,  die,  außer  in  K,  =  u  ist  und  deren  zu- 
gehöriges (ü)*  im  Deckel  mit  u*  übereinstimmt. 
Fig.  23.  Für  diese  ist,  wie  ich  jetzt  zeigen  will,  das  über 

die  ganze  Fläche  erstreckte  Integral  D{ü)  <  D{u),  und  die  Annahme, 
daß  M*  in  p  keine  regulär-harmonische  Funktion  war,  ist  damit  wider- 
legt.   Beim  Beweise  nehmen  wir  der  Allgemeinheit  wegen  an,  daß  K  den 

1)  Ich  nenne  insbesondere  die  in  den  Rendicouti  del  Circolo  matematico  di 
Palermo,  Bd.  22 — 24(1906—07)  erschienenen  Abhandlungen:  B.  Levi,  Sul  principio 
diDixichlet;  Fubini,  II  principio  di  minimo  e  i  teoremi  di  esistenza  per  i  problemi 
al  contoruo  relativi  alle  equazione  alle  derivate  parziali  di  ordini  pari;  Lebesgue, 
Sur  le  Probleme  de  Dirichlet;  die  Arbeit  von  S.  Zaremba,  Sur  le  principe  du 
minimum,  in  den  Krakauer  Berichten,  Juli  1909,  und  die  von  R.  Courant, 
Über  die  Methode  des   Dirichletschen  Prinzips,  in  Bd.  72  der  Math.  Ann.  (1912). 


§  14.    Existenzsätze.     Elementardifferentiale.  95 

Lochrand  Xq  schneidet.  Es  zerfällt  dann  (Fig.  23)  K  durch  x^  in  zwei 
Teile  K',  K",  von  denen  K'  zu  Kq  gehöre.     Die  zu  beweisende  Gleichung 

D(m)  -  D(w)  =  D^(w*)-D^(^;*)(>  0) 

ist  mit  der  folgenden  identisch: 

(28)         D^„(H*  +  0)-D^„(i7*+  0)  =  D^.(m*)  -  D^^Ju*). 

Da  O  in  K"  und  auch  noch  über  den  Rand  von  K"  hinaus  eine  reguläre 
Potentialfunktion  ist,  gilt  z.  B. 

D^4«*+  0)  =  D^„(;u*)  +  D^„(0)  -  2J\i''l~ds, 

wobei  das  letzte  Integral  über  den  Rand  von  K"  zu  erstrecken  ist  {ds 
bedeutet  das  Bogenelement  dieses  Randes,  und  die  Randnormale  n  weist 

ins  Innere  von  K").  Da  aber  t^—  auf  x^  gleich  0  ist,  braucht  jenes  In- 
tegral nur  über  denjenigen  Teil  x"  der  Peripherie  von  K  erstreckt  zu 
werden,  der  außerhalb  Kq  verläuft.  Unsere  Behauptung  reduziert  sich 
danach  auf 


j 


^  ^  dn 


In  dieser  Form  ist  sie  selbstverständlich,  da  längs  der  Peripherie  von 
K:  H*  =  H*  ist.    Man  sieht  hieraus,  daß  es  für  die  Richtigkeit  unseres 

Ansatzes  entscheidend  war,  dem  singulären  Bestandteil  -s— r— ,  das  GHed 
2  hinzuzufügen,  welches  bewirkte,  daß  auf  dem  Lochrande  die  normale 

Ableitung  von  0  gleich  0  wurde. 

Da  wir  die  Gültigkeit  des  Dirichletschen  Prinzips  auch  für  unge- 
schlossene Riemannsche  Flächen  erweisen  werden,  können  wir  auf  einer 
solchen  gleichfalls  w,  u*  und  TJ  bilden.  Die  Konkurrenzbedingungen  für 
die  Funktionen  v  sind  dann  noch  durch  die  weitere  Forderung,  daß  D(r) 
endlich  sein  soll,  einzuschränken.  Die  Potentialfunktion  U  kann  auf  einer 
ungeschlossenen  Fläche  nicht  mehr  vollständig  durch  ihre  Singularität 
an  der  Stelle  0  charakterisiert  werden.  Sie  ist  aber  eindeutig  bis  auf  eine 
additive  Konstante  bestimmt,  wenn  wir  in  ihre  Beschreibung  außer  der 
Angabe  der  charakteristischen  Singularität  in  0  noch  diese  Tatsache  auf- 
nehmen: Für  jede  stetig  differentiierbare  Funktion  iv,  die  =  0  ist  für  alle 
Punkte  in  einer  (wenn  auch  noch  so  kleinen)  Umgebung  von  0  und 
welche  ein  endliches  Dirichletsches  Integral  besitzt,  gilt 

Schlagen  wir  nämlich  um  0  einen  in  Kq  gelegenen  %Kreis  K^*:  j  Zq  \  ^Cq. 


96  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

SO  klein,  daß  überall  iu  Kq*  die  Funktion  w  =  0  ist,  dann  folgt  zunächst 
aus  der  für  jedes  konstante  l  gültigen  Ungleichung 

die  Beziehung  J){ti,w)  =  0.  Der  Unterschied 

'D{U,tv)  —  D(it,  w) 
ist  aber 


//(: 


d<t>   dw    .    30    dw 


d(Po- 


,dx,  dx,  "^  Ty:  dyj  '''^o  "^^0 

Co  §  I  20  1  =  «0 

30  "1  '•o=«0 
0 

Auf  Ko  ist  1^  =  0,  auf  K*^*:  tv  =  0-  folglich 

Die  weiterhin'  noch  in  diesem  Paragraphen  zu  besprechenden  Er- 
weiterungen der  Methode  des  Dirichletschen  Prinzipes  nehmen  wir  nur 
für  geschlossene  Flächen  vor. 

Statt  — —  kann  ich  als  Singularität  in  0  auch 


oder  allgemeiner 


(Polw*"'^  Ordnung;  n  ganz  und  positiv)  vorschreiben.  Für  0  habe  ich  dann 
den  Ansatz 

cos  cos 

sin  >*  9^0    ,       „    sin^^^'o 


smqpo 

% 

'"o 

xl^yl 

coswqp,, 

sinwqpo 

zu  machen;  in  allen  Fällen  ist(„— j  ==  0.  Jede  der  so  gewonnenen 

Potentialfunktionen  gibt  zu  einem  Differential  dt  Veranlassung  (vgl.  S.  55), 
Dasselbe  ist  außer  in  0  überall  regulär  und  wird  in  0  unendlich  wie 

-r^,      bzw. -«^^,, 

während  der  Realteil  ^)  des  über  irgend  eine  geschlossene  Kurve  erstreckten 
Integrales  fdr  stets  0  ist.  Die  gefundenen  Differentiale  sind  von  der 
2.  Gattung,  d.  h.  sie  haben  nirgends  ein  von  0  verschiedenes  Residuum. 
Als  Differentiale  3.  Gattung  werden  solche  bezeichnet,  die  von  0  ver- 


1)  Für  den  Real-  und  Imaginärteil  einer  komplexen  Größe  c  =  a  -{-  ib  werden 
wir  die  Zeichen  a  =  9tc,  b  =  ^c  verwenden. 


§  14.   Existenzsätze.    Elementardifferentiale.  97 

scliiedene  Residuen  besitzen;  ein  Differential  heißt  aber  von  der  1.  Gat- 
tung, wenn  es  nirgendwo  einen  Pol,  g-eschweige  denn  ein  von  0  verschie- 
denes Residuum,  besitzt. 

Es  seien  lund2  zwei  Punkte  innerhalb  Kq,  1',  2'  ihre  in  der  ^^-Ebene 
durch  die  Methode  der  reziproken  Radien  konstruierten  Spiegelbilder^)  in 
bezug  auf  x^.  r^,  r^\  )\,  r't  seien  die  Längen  der  Radienvektoren  von  den 
Punkten  1,  2;  1',  2'  nach  einem  variablen  Punkt  der  %Ebene,  fp<^^  q)^^ 
(p'i,  qP2  die  zugehörigen  (nur  bis  auf  ganzzahlige  Vielfache  von  2;r  be- 
stimmten) Azimuts  (Winkel  mit  der  Richtung  der  positiven  a^Q-Achse). 
Wenn  wir  eine  Potentialfunktion  finden  wollen,  die  außer  in  1  und  2 
regulär  ist,  in  1  aber  unendlich  wird  wie  lg  r^,  in  2  wie  —  Ig'o,  so 
nehmen  wir 

^  =  (}s  >\  -  lg-  >-2)  +  (k  K  -  lg  '•■2)  • 

Die  normale  Ableitung  von  O  auf  x^  ist  0.  Der  Verschlußring  ist  so 
schmal  zu  nehmen,  daß  die  Punkte  1',  2'  nicht  in  den  Deckel  zu  liegen 
kommen.  Das  entstehende  Potential  U  gibt  zu  einem  Differential  dcoi.2 
Veranlassung,  das  in  1  und  2  je  einen  Pol  1.  Ordnung  mit  dem  Residuum 
-j-  1,  bzw.  —  1  besitzt.  Sind  p,  q  irgend  zwei  Punkte  auf  ^,  so  kann  man 
längs  einer  p  mit  q  verbindenden  Kurve  solche  Punkte  p  =  1,  2,  3, . . . , 
q  =  w  Zwischenschalten,  daß  nach  unserer  Methode 


gebildet  werden  können. 

dcOpcf  =  ^«12    +  rfcö,3  +  .  .  .  +  rfüL»,^  _  1   „ 

ist  dann  ein  Differential,  das  nur  bei  p,  q  je  einen  Pol  1.  Ordnung  von 
den  Residuen  +  1  bzw.  —  1  besitzt.  Sind  p^,  po,  •  •  • ,  p,^;  po  irgend  n  -{-  1 
verschiedene  Punkte  auf  der  Fläche  und  Ä^,  A.j,  ...,  A^^  beliebige  kom- 
plexe Zahlen  mit  der  Summe  0,  so  ist 

n 

1  =  1  '  " 

ein  Differential,  das  an  den  Stellen  p^,  pg  •••>  P,,  J^  einen  Pol  1.  Ordnung 
mit  den  Residuen  Ä^,  A^, . . . ,  A^  besitzt,  während  es  sich  an  allen  übrigen 
Stellen  (auch  in  Pq)  regulär  verhält.  Man  sieht,  daß  man  die  Residuen 
eines  bis  auf  Pole  regulären  Differentials  unter  der  Bedingung,  daß  ihre 
»Summe  gleich  0  sein  muß,  beliebig  vorschreiben  kann. 

Kehren  wir  zu  dem  Kreis  K^  mit  den  beiden  in  ihm  exzentrisch  ge- 
legenen Punkten  1,  2  zurück. 

1)  Wir  können  K^  so   annehmen,   daß    weder   1  noch  2  im  Mittelpunkt  dieses 
Kreises  liegt. 

Weyl:  Die  Idee  der  Riemannschen  Fläche.  7 


98  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

ist  im  Versclilußringe  (und  noch  etwas  über  seine  Grenzen  hinaus)  eine 
eindeutige  reguläre  Potentialfunktion.  Nach  dem  Dirichletschen  Prinzip 
existiert  daher  eine  reguläre  Potentialfunktion  u  in  der  gelochten  Fläche 
und  eine  reguläre  Potentialfunktion  m*  im  Deckel,  die  im  Verschlußringe 
in  der  Beziehung  u  =  u*  -\-  0  zueinander  stehen.  Das  zugehörige  U  ist 
nicht  eindeutig,  sondern  bekommt  in  1  und  2  Windungspunkte  unendlich 
hoher  Ordnung.  Schneiden  wir  aber  die  Fläche  in  irgend  einer  stetigen, 
innerhalb  K^  von  1  nach  2  führenden  Kurve  6q  auf,  so  ist  U  in  der  zer- 
schnittenen Fläche  eindeutig.  Dies  ergibt  sich  ohne  weiteres  aus  dem 
Umstände,  daß  inbezug  auf  eine  geschlossene,  in  dem  Deckel  liegende 
Kurve  y,  welche  6^  nicht  schneidet,  in  der  ^'ß-Ebene  die  Punkte  1  und  2 
dieselbe  „Ordnung"  haben  (vgl.  S.  56).  U  gibt  trotz  seiner  Mehrdeutig- 
keit zu  einem  in  der  unzers chnittenen  Fläche  eindeutigen  Differential 
dco\^  Veranlassung,  das  nur  bei  1  und  2  Pole  1.  Ordnung  mit  den  Resi- 
duen +  i  besitzt,  Ist  die  Linie  <?q  eine  Elementarstrecke  auf  der  trian- 
gulierten   Fläche   ^,   so   wird  'Sifd(o[^  =  0    sein   für  jede  geschlossene 

y 
Kurve  y,  welche  diese  Strecke  nicht  trifft,  für  ein  Polygon  ß  aber,  das 
(Jq  an  einer  einzigen  Stelle  von  rechts  nach  links  überkreuzt,  wird 

Ist  a  eine  geschlossene  Kurve  auf  ^,  so  können  wir  so  dicht  Punkte 
1,  2,  3, . . . ,  w  auf  a  verteilen,  daß  jede  einzelne  der  Teilkurven  12,  23,  . . , 
n  1,  in  die  a  dadurch  zerlegt  wird,  ganz  innerhalb  eines  Kreises  wie  K^ 
zu  liegen  kommt.  Indem  wir  dann 


^^^'«  ^  Ä(^"'iä  +  ^'^'^»  +  ■  •  •  -f  ^£d; 


bilden,  erhalten  wir  ein  überall  ohne  Ausnahme  reguläres  Differential 
dir  ;  es  hat  die  Eigenschaft,  daß  für  jede  geschlossene  Kurve  /,  die  a  nicht 
trifft,  der  Realteil  Yonfdw^  =  0  ist.  War  aber  a  ein  Polygon  und  ist  ß 

Y 

ein  solches  Polygon,  das  a  an  einer  einzigen  Stelle  von  rechts  nach  links 
überkreuzt,  so  wird 


'Sifdw^  =  1. 


Die  kanonische  Zerschneidung  dient  dazu,  nachzuweisen,  daß  durch 
lineare  Zusammensetzung  aus  den  Differentialen  dic^  jedes  beliebige  Diffe- 
rential 1.  Gattung  erzeugt  werden  kann.  Sind  nämlich 

die  Rückkehrschnittpaare  einer  kanonischen  Zerschneidung  und  schreiben 
wir  zur  Abkürzung  dw^  =  dw,^,  so  gilt 


§  14.   Existenzsätze.   Elementardifferentiale.  99 

und  alle  andern  Ausdrücke  von  der  Form  üi  jdu\  sind  =  0.  Ist  nun 
der  Realteil  Yonjdw  gleich  c^,  so  wird 

«A 

(29)  9^  /  I  div  —  (cj  du\  —  Ci  dw^)  —  (c^  dw^  —  c^  dw^  ~  •  •  •  J 

bei  Integration  über  eine  jede  geschlossene  Kurve  =  0,  da  diese  „Integral- 
funktion" für  die  2p  Kurven  «^  verschwindet,  die  eine  Basis  der  ge- 
schlossenen Wege  bilden.  Infolgedessen  ist  (29),  von  einem  festen  An- 
fangspunkt nach  einem  variablen  Endpunkt  integriert,  eine  eindeutige 
und  zwar  regulär-harmonische  Funktion  dieses  Endpunktes;  da  aber  eine 
solche  außer  der  Konstanten  nicht  existiert,  ergibt  sich  die  Identität: 

dw  =  {c^dw^  —  c^div^  -j-  {c^dw^  —  c^div^  +  . . . , 

d.  h.  aus  den  2p  Differentialen  dw^  läßt  sich  jedes  Bifferential  1.  Gattung 
auf  eine  und  nur  eine  Weise  mit  Hilfe  konstanter  reeller  Faktoren  zu- 
sammensetzen: die  dic\  bilden  eine  „reelle"  Basis  der  Differentiale  1.  Gat- 
tung. —  Der  Übergang  von  einer  reellen  Basis  der  Differentiale  1.  Gat- 
tung zu  einer  anderen  wird  vermittelt  durch  lineare  Transformation  mit 
beliebigen  reellen  Koeffizienten  und  einer  von  0  verschiedenen  Deter- 
minante. Aus  den  2p  Difi'erentialen  du\  einer  reellen  Basis  kann  man 
sich  solche  (etwa  du\, ... ,  dWj )  auswählen,  daß  zwischen  diesen  keine 
lineare  Beziehung  mit  beliebigen  konstanten  komplexen  Koeffizienten 
besteht,  wohl  aber  zwischen  je  ^  -f  1  Differentialen  der  Basis.  Da  dann 

(30)  du\, . . . ,  dtv.^:,  idw^, . . . ,  idiVq 

in  reellen  Sinne  linear  unabhängig  sind,  muß  2q  ^  2p  sein.  Da  aber 
jedes  Differential  der  Basis  und  damit  jedes  Differential  1.  Gattung  über- 
haupt sich  linear  mit  komplexen  Koeffizienten  aus  dwj^,  .  .  .,  dw,^,  also 
linear  mit  reellen  Koeffizienten  aus  den  Differentialen  (30)  zusammen- 
setzen läßt,  muß  2q^2p,  folglich  q=p  sein.  Aus  den  Differentialen 
einer  reellen  Basis  kann  man  demnach  eine  aus  p  Differentialen  beste- 
hende „komplexe"  Basis  dw^ ,...,  dw^  herauslösen.  Jedes  Differential 
1.  Gattung  div  gestattet  eine  und  nur  eine  Darstellung  der  Form 

div  =  Ci  dwy  -\-  ...  -\-  Cp  dw^ 
mit  komplexen  Konstanten  Cj, . . . ,  C  . 

Lautet  die  Potenzentwicklung  eines   beliebigen  Differentials  dv  an 
einer  Stelle  pj,  zu  dem  die  Ortsuniformisierende  z^  gehört, 


100  Funktionen  auf  Eiemannschen  Flächen. 


so  nennen  wir 


■  +  ^)d.-, 


den  Haiiptteil  von  dv  an  der  Stelle  pj.  Gibt  man  auf  einer  geschlosse- 
nen Riemannschen  Fläche  von  einem  Differential  dv  die  Pole  und  die 
Hauptteile  an  diesen  beliebig  vor,  doch  so,  daß  die  Summe  der  Residuen 

=  0  ist,  und  außerdem  den  Realteil  Yon  j  dv  für  2  p  linear  unabhängige 

y 
geschlossene  Wege  y,  so  gibt  es  ein  und  nur  ein  Difierential  dv,  das  den 
gestellten  Anforderungen   genügt;   es   kann  durch   additive  Zusammen- 
setzung  aus    den   oben  von  uns  mit  Hilfe  des  Dirichletscheu  Prinzipes 
konstruierten  ElemeDtardifferentialeii  gewonnen  werden. 

§  15.  Beweis  des  Dirichletschen  Prinzips.^) 

Die  Konkurrenzbedingungen  für  die  Funktion  v  seien  wie  im  vorigen 
Paragraphen  festgelegt,  aus  dem  wir  auch  alle  anderen  Bezeichnungen 
herübernehmen.  Es  ist  zunächst  zu  bemerken,  daß  es  überhaupt  Kon- 
kurrenzfunktionen gibt  (auch  im  Falle  nicht -geschlossener  Flächen), 
z.  B.  solche,  die  außer  in  den  Punkten  von  Kq  überall  =  0  sind,  d  sei 
die  untere  Grenze  des  Dirichletschen  Integrals  D(i;)  für  alle  Konkurrenz 
funktionen;  dann  vnrd  stets  J)(v)'^  d  sein,  aber,  wenn  e  eine  beliebig 
kleine  positive  Größe  ist,  werden  immer  noch  Konkurrenzfunktionen 
V  existieren,  für  welche  ^{v)  <C  d  -}-  £  ausfällt.  Ist  v  eine  Konkurrenz- 
funktion, so  ist  auch  immer  v  -\-  a,  wo  a  eine  willkürliche  reelle  Kon- 
stante ist,  eine  solche,  die  übrigens  dem  Dirichletschen  Integral  denselben 
Wert  wie  v  erteilt.  Wir  können  infolgedessen  die  Konkurrenzbeding- 
ungen noch  durch  die  Forderung  einschränken,  daß  das  Randintegral 
von  V*  um  den  Kreis  Kn 


,/; 


d(Po=  0 


sein  soll.   Ist  jeder  Konkurrenzfunktion  v  irgendwie  eine  Zahl  &{v)  zuge- 
ordnet, so  wird  eine  Limesgleichung  wie 

lim^(v)  =  -9-0 


1)  Bei  der  Durchführung  des  Beweises  ist  hauptsächlich  die  S.  94 
zitierte  Arbeit  von  Zaremba  zugrunde  gelegt  worden.  Diese  bezieht  sich  jedoch 
nur  auf  ebene  Bereiche  und  zwar  auf  die  Lösung  der  ersten  Randwertaufgabe 
der  Potentialtheorie  für  solche  Bereiche).  Wie  das  Dirichletsche  Prinzip  für  be- 
liebige Riemannsche  Flächen  zu  begründen  ist,  zeigt  R.  König.  Konforme  Ab- 
bildung der  Oberfläche  einer  räumlichen  Ecke,  Leipziger  Habilitationsschrift  1911, 
abgedruckt  in  Math.  Ann.  Bd.  71,  S.  184 — 205.  Unser,  von  dem  Riemann- 
Hilbertschen  abweichender  Ansatz  bringt  weitgehende  Vereinfachungen  mit  sich. 


§  15.    Beweis  des  Dirichletschen  Prinzips.  101 

bedeuten,  daß  zu  jeder  positiven  Zahl  s  eine  positive  Zahl  d  derart  an- 
gegeben werden  kann,  daß  für  alle  Konkurrenzfunktionen  v,  für  welche 
D(i')  <  fZ  +  d  ist,  der  Unterschied  &iv)  —  &q  <  £  wird.  Die  notwendige 
und  hinreichende  Bedingung  dafür,  daß  ein  lini'9'(u)  in  diesem  Sinne 
existiert,  ist  die,  daß  zu  jedem  positiven  £  ein  positives  d  gefunden 
werden  kann  derart,  daß  für  irgend  zwei  Konkurrenzfunktionen  i\,  ig, 
welche  dem  Dirichletschen  Integral  Werte  <.  d  -\-  ö  erteilen, 

&{1\)-&(V,)     <£ 

wird. 

Der  Satz,  den  wir  zu  beweisen  haben,  lautet:  Es  gibt  eine  Kon- 
JiurrenzfunJction  u  mit  der  Ui genschaft  D(m)  =  d. 

Wir  beginnen  diesen  Nachweis  mit  der  jB.  LeviscJien  Ungleichung^), 
welche  aussagt,  daß  zwei  Konkurrenzfunktionen  i\,  v^,  deren  Dirichlet- 
sches  Integral  der  unteren  Grenze  d  nahekommt,  eine  Differenz  i\  —  v^ 
besitzen,  deren  Dirichlet-Integral  sehr  klein  ist: 

y-D{v,^-t,)  ^yD(z;j)^7  +  yW(y,)'^^d. 
Sind   nämlich  A^,  X^  irgend   zwei   Konstante,   A^  +  /lg  =t=  0,    so    ist   mit 
i'i,  Vg  auch 

eine  Konkurrenzfunktion,  und  daher 

Diese  Ungleichung  verliert  ihre  Gültigkeit  für  Xj  -\-  X^  =  0  nicht.  Die 
quadratische  Form  von  Aj,  X^: 

Xl[Div,)  -d]  +  2X,X,[J){v,v,)  -d]  +  A|[D(i;„)  -  d] 
ist  also  stets  >  0,  und  darum  muß 


[-D(v,)-d][J)iv,)-d]>[D{v,v,)-dY 

Es  ist  aber 

0  £  Div,  -  V,)  =  D(i'J  -  2J)(v,v,)  +  D(tg 

=  [DM  -d]  +  [D(.,)  -d]-  2[J)iv,v,)  -  d] 

£  [DK)  -d]  +  [D{v,)  -d]  +  2y[-D{v,)  -  d]  [-D(v,)  - 

-d] 

=  lyD{v,)-d+yj){v,)-d\'- 

Aus  der  Levischen  Ungleichung  kann  man  bereits  etwas  ähnliches 
schließen  wie,  daß  v  selber,  wenn  man  es  so  variiert,  daß  T)(v)  seiner 
unteren  Grenze  d  entgegengetrieben  wird,  gegen  eine  Grenzfunktion 
konvergiert,  die  dann  die  gesuchte  Minimalfunktion  sein  wird.  Ist  näm- 


1)  B.  Levi,  Sul  principio  di  Dirichlet,  Rendiconti  del  Circolo  Matematico  di 
Palermo,  Bd.  22  (1906),  S.  293—360,  §  7. 


102  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

lieh  p  irgendein  Punkt  auf  der  Fläche,  2t  =  x  -{-  iy  eine  Ortsuniformisie- 
rende  zu  p,  K  :  z\  ^  a  ein  ^-Kreis  und  (S  eine  beliebige  abgeschlossene 
Menge  in  K,   die   in  der  ^-Ebene   einen  bestimmten  Inhalt  besitzt,   so 

liefert  die  Schwarzsehe  Ungleichung,  angewandt  auf  —'        ^    und  1: 


!//! 


aS-aI?H^^^  £ciy7t.yi}{v,-v,). 


Es  existieren  also  gleichmäßig  für  alle  in  K  gelegenen  Bereiche  (£  die 
Grenzwerte 

lim  f   f  ^  dxdij,  lim  /    f  -     dxdy. 

D.  h.:  ich  kann  zwar  nicht  von  den  Dilferentialquotienten   k- ,  2'   selber 

schließen,  daß  sie  konvergieren,  wohl  aber  gilt  dies  von  den  flächenhaft 
integrierten  DifFerentialquotienten.  Es  ist  bequemer,  statt  der  Differential- 
quotienten auf  die  Funktion  v  selbst  zurückzukommen;  wir  werden  dann 
sehen,  daß  in  demselben  Sinne 


lim 


\j  jvdxdy 


existiert.  Wenn  die  Minimalfunktion  u  vorhanden  ist,  muß  dieser  Limes 
außerdem  =  j  J  udxdy  sein.  Nehmen  wir  für  @  den  Kreis  K  selbst  und 

beachten,  daß  u  eine  Potentialfunktion  sein  wird,  daß  also  (jedenfalls, 
wenn  K  ganz  in  der  gelochten  Fläche  liegt) 

ffudxdy 

i —  =  Mittelwert  von  m  in  K 

na' 

ist,  so  wird  man  darauf  geführt,  den  gewünschten  Existenzbeweis  so  zu 
erbringen,  daß  man  den  Wert 

dem  Mittelpunkt  des  Kreises  als  Funktionswert  u  zuordnet  und  dann 
zeigt,  daß  die  dadurch  erhaltene  Funktion  wirklich  die  Minimalfunktion 
ist:  Weil  die  Grenzfunktion  u  eine  Potentialfunktion  sein  wird,  ist  die 
vorgenommene  konvergenzerzeugende  Integration  über  Kreise  im  Limes 
einflußlos. 

Zur  Ausführung  dieses  Gedankenganges  schreitend,  müssen  wir  zu- 
nächst das  Dirichlet-Integral  von  v^  —  v^  durch  das  Quadratintegral  von 
Vj  —  ^2  ersetzen.   Zu  dem  Zweck  zeigen  wir:  Ist  p  ein  Punkt,  z  eine  zu- 


§  15.    Beweis  des  Dirichletschen  Prinzips  103 

gehörige  Ortsuniformisierende,  K  :  s^  a  ein  ^-Kreis,  so  gibt  es  eine 
Zahl  C  von  der  Art,  daß  für  jede  stetig  differentiierbare  Funktion  w  auf 

der  Fläche,  deren  Randintegral  1 7vd(pQ  um  Kg  den  Wert  0  hat, 

0 

ffw^dxdy£C-J){tv) 

ist. 

Wir  bilden  eine  Kette  von  Punkten  p^  =  0,  pj,  p.,}  •  •  •>  P«  =  P  ^^it 
zugehörigen  Ortsuniformisierenden  ^q,  2^,  2^,  . ..,  z^^=  z  und  schlagen  um 
jeden  Punkt  p.  einen  ^.-Kreis  K,- :  ^^^  ^  a,  (um  p^  den  Kreis  Kq,  um 
p  =  p„  den  Kreis  K  =  K^J;  es  ist  dafür  Sorge  getragen,  daß  immer  K,.^j 
über  K.  greift  (d.h.  K-  und  K^.^^  innere  Punkte  gemein  haben).  Dann 
wird  zunächst  nach  §  13 

Ko  K„ 

Für  Kq  trifft  also  unsere  Behauptung  zu;  wir  werden  daraus  schließen, 
daß  sie  für  Kj  gleichfalls  gültig  ist.  Nach  dem  eben  benutzten  Satz  gibt 
es  jedenfalls  eine  Konstante  c,  sodaß 


J'f 


al 


ist.  Bezeichnet  ©g^  die  aus  den  sowohl  in  K^  als  Kj  gelegenen  Punkten 
gebildete  Punktmenge,  so  hängen  in  (Sq^  die  Variablen  ^1=  Xi-\-  iy^, 
-^0  =  ^0  +  ^Vo  durch  eine  Transformation  zusammen,  die  auch  über  die 
Grenze  von  ©o^  hinaus  noch  regulär  analytisch  ist.  Die  Funktional- 
determinante 

hat  daher  in  ©q^  eine  obere  Grenze  J/q^,  und  es  ist: 

©OJ  ©Ol 

^^1)  £  M,,fJtv'^dx,dy,£M,,JJw'dx,dp,£Mj-^J){tv), 

anderseits 

(32)       yy  ^^^' ""  ^^'^^1  ^^1 = ~^  ^  ^^^')  • 

Bedeutet  Jq^  den  Inhalt  der  Bildmenge  von  ©oj  in  der  ^i -Ebene: 


104  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

so  liefert  die  Addition  von  (31  \  (32)  wegen 

c''£2[iv'i-(c-wy]: 

und  dann 

1 1  w^dx^dy^  ^  2|   j  j{tv  —  c^dx-^dy^  +  c^a\n\ 

Damit  ist  der  Beweis  für  K^  erbracht.  Von  K^  schließen  wir  jetzt 
auf  Kg  usf.  und  kommen  schließlich  bei  K„  =  K  an.  Wenden  Avir  das  Ergeb- 
nis auf  die  Differenz  zAveier  Konkurrenzfunktionen  v^,  v^  an,  so  haben  wir 

(33)         fßv^  ~  v,ydxdy  £  C[yi}{v,)-d  +yW(^j-'d]  '• 
Den  Mittelwert 

K 
einer   in    K    stetigen   Funktion    bezeichne  ich   allgemein   mit   M  f.    Die 

Punkte  auf  der  gelochten  Fläche  und  die  Punkte  im  Deckel  betrachte 
ich  gesondert.  Liegt  p  auf  der  gelochten  Fläche,  so  werde  K  so  genommen, 
daß  auch  K  ganz  in  der  gelochten  Fläche  liegt.  Es  existiert  dann  ge- 
mäß der  letzten  Ungleichung 

lim  M  V  =  M. 

Ist  p  ein  Punkt  im  Deckel,  Z(^{p)  =  c„,  so  möge  z^  —  c^  als  Ortsuniformi- 
sierende  z  angenommen  werden,  und  der  r-Kreis  K  liege  ganz  im  Deckel. 
Es  existiert 

lim  M  v*  =  u*. 

Wir  behaupten:  u,  u*  hängen  nur  von  p  ah,  nicJit  aber  von  der  Wahl  der 
Ortsuniformisierenden  z  und  von  dem  z-Kreise  K. 

Ich  führe  den  Beweis  für  die  Punkte  p  in  der  gelochten  Fläche  durch. 
Sei  also  z  =  x  -\-  iy  eine  andere  Ortsuniformisierende  zu  p,  K':  j/j  ^  a' 
ein  ^'-Kreis.  Ich  nehme  zunächst  an,  daß  K'  ganz  in  K  gelegen  ist.  v  sei 
diejenige  Potentialfunktion  in  K,  die  am  Rande  mit  v  übereinstimmt.  Es 
ist  J^Y^iv)  ^  \)^{v),  und  es  gibt  eine  Konkurrenzfunktion  f,  die  außer  in 
K  mit  V  übereinstimmt  und  für  welche 


§  15.    Beweis  des  Dirichletschen  Prinzips.  105 

DK(t^-F)=DK(r)-DK(^') 
so  klein  ist,  wie  man  will.   Es  gilt 

infolgedessen  muß 

J)^(T^  -v)=  Dk(.)  -  DK(r)  £  4[D(t;)  -  d] 
sein.   Da  'c  —  v  am  Rande  des  Kreises  K  verschwindet,  folgt  daraus 

ff{d  -  vfdxdy  £  a'[J)(v)  -  d] 
und  mittels  der  Schwarzsehen  Ungleichung 

Da  V  Potentialfunktion  ist,  ist  M  F^  =  v{p),  also  haben  wir: 
K,z 

lim  M  V  =  lim  r(p),        lim  r(p)  =  m. 

In  K'  hängen  z  und  /  durch  eine  auch  über  die  Grenzen  von  K'  hinaus 
analytische   Transformation   zusammen;    ist   M  eine    obere    Grenze   für 

l^i    i^'<,gilt 

f  f(v  — vfdxdy' £a^M[D{v) -d]: 

lim  M    y  =  lim   M  v. 
«    K\z'  '    K\z' 

Da  aber  v   auch  in  den  Variablen  x',   y    Potentialfunktion   ist,    muß 

M   V  =  i;(p)  sein;  daher 
K',  z 

lim   M  u  =  lim  i;(|))  =  lim  M  v. 

Wenn  K'  nicht  in  K  liegt,  benutzen  wir  als  Zwischenglied  einen  /-Kreis 
K'^,  der  sowohl  in  K'  als  in  K  liegt.   Dann  liefert  unsere  Schlußweise: 

1)  lim  M  !;  =  lim   M  u;         2)  lim  M  v  =  lim   M  v, 

'  K,2        ^  k;,s'  V  K\z'        »  k;,/ 

Avoraus  sich  auch 

lim  M  V  =  lim  M  v 
K,  z  K',  z' 

in  diesem  Falle  ergibt.  Wenn  man  die  analogen  Schlüsse  für  die  Punkte 
des  Deckels  durchführen  will,  hat  man  in  dem  Fall,  daß  K  über  den 
Lochrand  hinübergreift,  die  aus  den  Ausführungen  auf  S.  95  sich  er- 
gebende Beziehung 


106  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen, 

1>kW-I>k(^)=I>kM-1>k(^*) 
zu  beachten,  durch  welche  die  Gleichung-  (;,     )         =0  ausgenutzt  wird. 

Die  Zahl  u,  bzw.  ii*  ordnen  wir  als  Funktionswert  dem  Punkte  p 
zu;  wir  haben  dann  eine  in  der  gelochten  Fläche  definierte  Funktion  u(p) 
und  eine  Funktion  ^<*(p)  im  Deckel.  Zur  Untersuchung  der  Funktion 
m(P)  in  der  gelochten  Fläche  betrachte  ich  alle  Punkte  q,  welche  in  dem 
^-  Kreis  K  um  p  liegen,  und  führe  die  folgenden  Überlegungen  an  dem 
Bilde  von  K  in  der  ^r-Ebene  (in  welchem  p  der  Nullpunkt  ist)  aus.  Um 
q  schlage  ich  (in  der  ^- Ebene)  den  Kreis  K^,  der  K  von  innen  berührt; 
sein  Radius  ist  q  =  a  —  \s{c\)\.  Es  gilt,  wenn  v^  neben  v  eine  zweite 
Konkurrenzfunktion  ist  und  v  die  alte  Bedeutung  hat,  nach  Formel  (33), 
in  der  wir  ü,  durch  v  ersetzen, 


fß 

K, 


\v  -  v.ydx  dij£C  (v'D(v)  -  d  +  VJ)(v,)  -  d)\ 


also 


z^(  q)-  Mt;,  I  ^  -^  W^W-  d  +  >/D(v  J-  d)  . 


Hierin  führe  ich  mit  v^  den  Grenzübergang  lim  D(t'i)  =  d  aus: 

VC 


>(q)-r(q)|^  ' ,-Vl>{v)-d. 

tJ(q)  konvergiert  mithin  gleichmäßig  gegen  u(q)  in  einem  beliebigen  konzen- 
trischen Kreise,  der  ganz  innerhalb  K  liegt,  n  ist  demnach  in  p  eine  Poten- 
tialfunktion (S.  83),  und  auch  die  ersten  Abteilungen  von  v  konvergieren 
in  demselben  Sinne  gleichmäßig  gegen  die  betreffenden  Ableitungen  von  u. 
Ebenso  ist  u*  im  Deckel  eine  reguläre  Potentialfunktion,  Bedeutet 
p  einen  Punkt  innerhalb  des  Verschlußringes  und  schlagen  wir  in  der 
i?o-Ebene  um  p  einen  Kreis  K,  der  ganz  im  VerscMußring  liegt,  so  haben 
wir 

w(p)  =  lim  Mv; 
^      K 

M*(p)  =  lim  Mi;*  =  lim  My  —  MO, 
»     K  '     K  K 

Da  0  im  Verschlußring  eine  reguläre  Potentialfunktion  ist,  besteht  die 
Gleichung  MO  =  0(p);  so  schließen  wir 
K 

M(P)=M*(P)  +  0(P). 

Es  ist  uns  also  die  Konstruktion  einer  in  der  gelochten  Fläche  regulär-har- 
monischen Funldion  u  und  einer  im  Deckel  regulär-harmonischen  Funktion 
M*  gelungen,  tvelche  im  Verschlußring  zueinander  in  der  Beziehung 
M  =  w*  -j-  0  stehen.    Wir  haben  noch  nachzuweisen,  daß  diejenige  Funk- 


§  15.   Beweis  des  Dirichletschen  Prinzips.  107 

tion  u,  welche  in  der  g-elochten  Fläche  =  H(p),  im  Loch  =u*{p)  ist,  die 
Minimalg-leichung  D  (?t)  =  d  befriedigt  —  obwohl  für  die  Anwendung-en  auf 
die  Theorie  der  geschlossenen  Riemannschen  Flächen  die  bisher  festge- 
stellten Eigenschaften  von  w,  u*  offenbar  genügen  würden.  Für  die  Unifor- 
misierungstheorie,  von  der  die  letzten  Abschnitte  dieser  Schrift  handeln 
sollen,  ist  aber  die  Minimaleigenschaft  wesentlich. 

Die  zur  Berechnung  des  Dirichletschen  Integrals  nötige  Zerschnei- 
dung der  Fläche  durch  die  Peripherien  x^  von  Kreisen  K^  kann  so  ein- 
gerichtet werden,  daß  jeder  Kreis  K^  entweder  ganz  in  der  gelochten  Fläche 
liegt  oder  ganz  dem  Deckel  angehört  (und  dann  in  der  ^r^-Ebene  als  Kreis 
erscheint).  Es  sei  @^  eines  der  Stücke^  in  die  die  Fläche  dabei  zer- 
schnitten wird  und  welches  zu  einem  Kreis  Kj  der  ersten  Art  gehört. 
Wir  benutzen  die  Uniformisierende  2^=  2  =  x  -]-  iy,  mit  bezug  auf 
welche  K^  ein  Kreis  ist,  zur  Uniformisierung  von  @;,.  K^  sei  ein  ^,-Kreis, 
der  etwas  größer  ist  als  K^,  aber  auch  noch  ganz  in  der  gelochten  Fläche 
liegt,  V  zu  jeder  Konkurrenzfunktion  v  diejenige  Potentialfunktion  in 
Kj',   die   am    Rande    von   K/  mit  v  übereinstimmt.     Dann  konvergieren 

dv     dv  .     ,,       ,  .  ,      ..„.  du    du      , 

^,   ^^  in  K,  gleichmäßig  gegen  ^^,  ^-  also 


Anderseits 
daher 


lim  D^  (r  -  u)  =  0. 


»k/^  -  ^)  <  ^^i'  -  ^')  ^  ^^^^""^  -  ^^J' 

lim  D^  ( V  -  u)  =  0, 
lim  Dg  (v  —  11)  =  0, 

V  h 

Dg  iu)  ^  lim  Dg  {v). 


Art  angehört  [zunächst  in  der  Form 

limDg(v*-w*;)  =  0]. 

Bildet  man  ^Dg  {u)  über  irgendeine  endliche  Anzahl  von  Stücken  @^, 

ii 
so  ist  diese  Summe 

=  lim  ^Dg  (v)  <  lim  D(v)  =  d. 

Daher  ist   D(tt)   endlich   und  ^d.     Da  es  nicht  <  f?  sein  kann,   muß 
Ji{u)  =  d  sein,  q.  e.  d. 


108  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 


§  16.  Zusammenhänge  zwischen  den  Differentialen  auf  einer 
geschlossenen  Riemannschen  Fläche. 

Statt  die  Elementardifferentiale  2.  und  3.  Gattung  unabhängig  von- 
einander mit  Hilfe  des  Dirichletchen  Prinzips  wie  in  §  14  aufzustellen, 
kann  man  auch  alle  bis  auf  Pole  regulären  DifiFerentiale,  die  zu  einer  ge- 
gebenen geschlossenen  Riemannschen  Fläche  ^  gehören,  aus  dem  ein- 
fachsten der  in  §  14  mit  dt  bezeichneten  herleiten  ^)  und  gewinnt  auf  diesem 
Wege  zugleich  einen  sehr  vollständigen  Überblick  über  die  zwischen  den 
einzelnen  Differentialen  bestehenden  Zusammenhänge. 

Es  sei  C]  ein  Punkt  auf  ^,  und  g  =  |  -|-Z7y  eine  zu  q  gehörige  Orts- 
uniformisierende.  Die  Potentialfunktion,  welche  nur  in  q  unendlich  wird 
Avie 

bezeichnen  wir  —  als  Realteil  des  erst  auf  der  Überlagerungsfläche  ^  ein- 
deutigen ,  in  q  einen  Pol  1.  Ordnung  besitzenden  Abelschen  Integrals 
2.  Gattung  tp  — mit  'Sita.  Die  Bedeutung  dieses  Funktionszeichens  hängt 
danach  nicht  nur  vom  Punkte  q,  sondern  auch  von  der  Wahl  der  zu  q 
gehörigen  Ortsuniformisierenden  ^  ab;  wo  dies  hervorgehoben  werden  soll, 
schreiben  wir  q^  statt  des  Index  q  allein.  Benutzen  wir  i^  an  Stelle  von  ^ 
als  Ortsuniformisierende,  so  bekommen  wir  diejenige  Potentialfunktion 

die  nur  im  Punkte  q  und  zwar  wie  .,— .-'-^  unendlich  wird. 

Um  die  Abhängigkeit  dieser  Funktionen  von  dem  Unendlichkeits- 
punkte q  zu  untersuchen,  verfahren  wir  so:  Wir  grenzen  um  q  einen  ^- 
Kreis  K:  |  ^  ^  cc  ab,  bezeichnen  mit  q*  einen  in  K  variablen  Punkt  und 
verstehen  unter 

diejenigen  in  q*  unendlich  werdenden  Potentialfunktionen,  welche  der 
Ortsuniformisierenden  ^  — £^(q*)  in  q*  entsprechen.  Wir  werden  sogleich 
zeigen,  daß  diese  Funktionen  —  bei  zweckmäßiger  Xormierung  der  für 
jede  Lage  von  q*  noch  zur  Verfügung  stehenden  additiven  Konstanten 
—  stetig  in  bezug  auf  q*  sind;  für  Punkte  p,  die  in  der  Umgebung  K 
von  q  liegen,  wird 

(34)  ^r,.ip)  =  m-^^^y^^-^^^  +  BAP),  5Rv(p)  =  gi-^^^^^ +  !?<;* (p) 

sein,  Avo  R,  E',  solange  q*  und  p  in  K  liegen,  stetige  Funktionen  von 
q*  und  durchaus  reguläre  Potentialfunktionen  in  p  sind,  q^,  q^  seien  zAvei 
Punkte  innerhalb  K,  die  durch  einen  rektifizierbaren  Integrationsweg  y 


1)  Vgl.  Klein-Fricke,  Theorie  der  elliptischen  Modulfunktionen  Bd.  I,  S.  518flF. 


§  16.    Zusammenhänge  zwischen  den  Differentialen.  109 

innerhalb  K  verbunden  seien.  Durch  longitudinale  Aneinanderreihung- 
von  Doppelquellen  längs  y,  d.  h.  durch  Aneinanderreihung  von  Doppel- 
quellen konstanten  Moments,  deren  Richtung  mit  der  Richtung  von  y  zu- 
sammenfällt, erhalten  wir  in 

(35)  jV^v(P)^^«*-3iv(P)f^^p*}  =  9ft"p.cAP)     [l.*4-^V  =  ^(q*)] 

eine  Potentialfunktion,  die  in  qj,  q^  je  eine  Senke,  bzw.  Quelle,  d.  h.  je 
eine  logarithmische  Singularität  mit  den  Residuen  +  1  bzw.  —  1  besitzt 
[Entstehung  eines  Magneten  aus  Elementarmagneten!],  und  damit  also 
das  Abelsche  Integral  3.  Gattung  «a^q^.  Denn  für  Punkte  !p,  die  nicbt 
in  K  liegen,  ist  offenbar  die  linke  Seite  von  (35)  eine  reguläre  Potential- 
funktion; liegt  aber  p  in  K,  so  ist  sie  nach  (34)  bis  auf  eine  additiv  hin- 
zutretende reguläre  Potentialfunktion  =lg^i  —  lg>'2,  wo  ^1,^2  ^i^  gerad- 
linigen Entfernungen  von  qj ,  (\^  nach  p  in  der  S;-Ebene  bedeuten.  —  Durch 
transversale  Aneinanderreihung  der  Doppelquellen  erhalten  wir  in 

(35')  J[^x,.{^)dri,.+  ^x',.{)?)dU.]  =  ^co',^,XV) 

eine  Potentialfunktion,  die  in  q^,  C{^  zwei  Wirbelpunkte  mit  entgegen- 
gesetztem Drehsinn  hat  [Äquivalenz  einer  magnetischen  Doppelschicht 
mit  einem  elektrischen  Strom!],  die  nämlich  für  Punkte  p  innerhalb  K 
bis  auf  eine  additive  reguläre  Potentialfunktion  gleich  dem  Winkel  ist, 
den  die  geraden  Verbindungslinien  q^p,  qgp  in  der  ^Ebene  miteinander 
bilden.  Die  Funktion  Üicjo^q^^ist  nur  auf  der  längs  des  Integrationsw^eges 
y  aufgeschnittenen  Fläche  ^  eindeutig. 

Zur  vollständigen  Begründung  dieser  Herleitung  ist  die  für  die 
Möglichkeit  der  in  (35),  (35')  vollzogenen  Integrationen  wesentliche 
Stetiglieit  von  9t  t^*,  9?t'c*  inbezug  auf  den  „Parameter"  q*  noch  zu  be- 
weisen. Dazu  müssen  wir  auf  die  Konstruktion  dieser  Potentialfunktionen 
zurückgreifen.  Wir  bilden,  indem  wir  unter  f  (q*)  den  Spiegelpunkt  von 
t(q*)  in  der  ^-Ebene  inbezug  auf  den  Kreis  K  verstehen, 

--«)=<^,.,-(^r(,3i^.,y] 

und  setzen 

j9^Tq*  außerhalb  K 

^''*  ^  ( 9ir,*  -  Oq*  innerhalb  K. 
Da  Op*  am  Rande  von  K  die  normale  Ableitung  0  hat,  erteilt  u^*  —  u^ 
unter  allen  Funktionen  v,  welche  am  Rande  von  K  den  Sprung  O^*  —  O^ 
haben,    sonst  aber  stetig  sind,  dem   über  ganz  ^  erstreckten  Dirichlet- 
schen  Integral  D(v)  seinen  kleinsten  Wert.  Als  Vergleichsfunktion  kann 


110  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 


insbesondere  diejenig-e  Funktion  v  dienen,  welche  außerhalb  K  gleich  0, 
innerhalb  K  aber  als  die  in  ihren  Randwerten  mit  0q  —  0p»  überein- 
stimmende reguläre  Potentialfunktion  erklärt  ist: 


47rg*(2-3*)     /  ^  (q*) 


(36)  D(tv-w,)^D(.)       ^,   ^^_^,^,    ^,  ^     ^. 

Das  Dirichletsche  Integral  von  Wj,*  —  Mq  konvergiert  also  gegen  0, 
wenn  q*  gegen  q  geht;  daraus  ergibt  sich  die  behauptete  Stetigkeit.  Ist 
p  =4=  ^>  so  nehmen  wir  K  so  klein,  daß  p  außerhalb  K  zu  liegen  kommt, 
und  wählen  eine  Ortsuniformisierende  z  zu  p  und  einen  Kreis  K:  \z  \-^a 
um  p,   der  keinen  Punkt  mit  K  gemein  hat.    Ist  p*  ein  in  K  variabler 

Punkt,  z  (p*)  =  x-\-  iij,    ^ >(p*j  i  =  r,  dann  folgt  aus  (36)  und  (22): 

\dx         dx)    '^\dy"         cyj    ^      Laa(l  —  g^  (1  —  r)J  ' 
d.i. 

(^rq*  _d^     ^  o-,/9  2 

dz  dz      ^  ^y  ^   aa{l  —  q^){l  —  r)' 

daher 

(37)  lim  -f^*  =  ^ 
«•-«    dz  dz 

gleichmäßig  inbezug  auf  p*  wenn  p*  auf  einen  etwas  kleineren  kon- 
zentrischen Kreis  als  K  beschränkt  wird  (r  ^  ^'o  <  1).  —  Liegt  p  in  K, 
so  folgt  aus  (36j: 

(du,*{i)  _  dti^_{^Y -t  /^<di)  _  ^^^v  ^  ö r ^ f  /♦.  -  liJ^ 

l    dl  di  )  '^\    dn  cn  )  ^    U*(i-2Mi-r)J'  \       « /' 

somit  gleichmäßig  für    t,    ^r^a  (r^  eine  feste  Zahl  <  1): 

1-  dUc*iS)       g«q*(g)  ^  g«q(g)      gMq(g) 

,'™     aa    '    aT]         ai   '    ^tj  • 

Nehmen  wir  die  Normierung  der  additiven  Konstanten  durch  die  Gleichung 
iiq*(q*)  =  0  vor,  so  ergibt  sich  hieraus  durch  Integration: 

1)  lim  iiq*(p)  =  -Rq(p)  gleichmäßig  für  alle  p  in  einer  gewissen  Um- 
''*  =  ''  gebung  von  q; 

2)  lim  9fiTp*(p)  =  S^^Tpfp)  gleichmäßig  für  alle  p  auf  ^,  wenn  man 

eine  beliebig  kleine  Umgebung  der  Stelle  q  ausscheidet. 

Damit  sind  die  behaupteten  Stetigkeitseigenschaften  für  die  (belie- 
bige) Stelle  q*  =  q  erwiesen. 

(35),  (35')  fassen  wir  in  die  eine  Gleichung  zusammen 


16.    Zusammenhänge  zwisclien  den  Differentialen.  Hl 


\ 
p  liege  außerhalb  K,  und  wir  benutzen  die  Zeichen  K,  p*  und  2  =  2  (p*) 
=  X  +  iy  wie  oben.    Ist  f{z)  eine  analytische  Funktion  der  komplexen 
Variablen  z,  so  ist 

ex      ' ^  dz'    cy      '  ^  '  dz 

Differentiieren  wir  also  die  Gleichung*  (38),  in  der  zunächst  p  durch  den 
variablen  Punkt  p*  ersetzt  werde,  nach  x  und  y,  so  erhalten  wir: 

(39 ,  f  { ^  ^  +  m  ^^ }  dt  m  =  ^  "^^  +  m  ^%^^ , 


"1 
Daß  die  Differentiation  unter  dem  Integralzeichen  vorgenommen  werden 

darf,  folgt  daraus,  daß  — zr^  >  — 4-^  gemäß  (37)  stetig  von  q*  abhängen. 

Jetzt  vollziehen  wir  den  wesentlichen  Schluß  dieser  Untersuchung: 
aus  (39)  geht  hervor:  der  Integrand 

dz  dz 

ist  in  K  eine  solche  Funktion  von  t,  =  ^(q*),  daß  sein  Integral  nach  ^ 
vom  Wege  unabhängig  ist,  d.  h.  ist  eine  reguläre  analytische  Funktion 

von  ^.  Anstelle  von  ,  schreibe  ich  auch  wohl  ,^.  Von  der  zu  q  gehö- 
rigen Ortsuniformisierenden  ^  ist,  wie  man  direkt  einsieht  oder  aus  (39) 
schließt, 

SR  ^^  +  i  SR   drjp 

in  der  Weise  abhängig,  wie  der  Wert  eines  Differentials  an  einer  Stelle 
von  der  benutzten  Ortsuniformisierenden  abhängt.  Es  gibt  also  ein  für 
alle  q  auf  ^  außer  für  q  =  p*  regulär-analytisches  Differential  dvp*{q)^ 
so  daß 

^  drq*(g)         .^  dra*{z)  ^  dvp*(S)  (      dvr>*{s\*)\ 
dz       '  dz  dt      \  dq*    / 

ist.  (39)  schreibt  sich  jetzt  so: 


1 12  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 


J 


'dv,.m*)  =  SR  '-^'^  +  m'-^^ 


Diese  Formel  gilt  für  einen  beliebig-  ausgedehnten  Integrationsweg 
7  =  (lil2)>  ^^^  jetzt  nicht  länger  auf  die  Umgebung  K  von  q  beschränkt 
7.U  werden  braucht;  nur  muß  unter  doD'f^^a^  dasjenige  Differential  3.  Gattung 
verstanden  werden,  welches  auf  die  in  §  14  geschilderte  Weise  durch 
Zwischenschalten  von  Punkten  und  Summation  längs  y  hervorgeht.  Hin- 

gegen  ist  c^cJaicii  von  der  Art  der  Zwischenschaltung  und  darum  'Sil  dvp* 

vom  Integrationswege  unabhängig  oder  Sivp*  eine  eindeutige  Potential- 
funktion auf  |5,  die  nur  im  Punkte  p*  singulär  w^ird.  Das  Verhalten  im 
Punkte  p*  überblickt  man,  wenn  man  für  Punkte  q*,  die  in  dem  Kreise 
Ä^  um  p  gelegen  sind,  2  —  ^(p*)  als  Ortsuniformisierende  benutzt: 


mt,*(z)  =  si^_\     +RA^), 


wo  Ra*{z),     -^       ,   — o"  '     stetige  Funktionen  von  q*  auch  an  der  Stelle 

z  sind;  darum  ist  bis  auf  ein  additives  Glied,  das  bei  Annäherung  von  q* 
an  p*  zwischen  festen  Grenzen  bleibt  und  mithin  auch  für  q*  =  p*  eine 
reguläre  Funktion  von  q*  ist, 

^  dra*(p*)    ,     ■  «j  ^p*  ;pj^  —  1 

'^      dp*      +'^       dp*       ~[,(p*)-2(q*)]^ 

d.  h.  dvp*{c\*)  ist  ein  Differential  2.  Gattung,  dessen  Hauptteil  an  der 
Stelle  p*  durch 

—  t/g(q*) 
[z{q*)-z{p*)Y 

g-eliefert  -wird  und  dessen  Integral  einen  eindeutigen  Realteil  auf  fy 
besitzt: 

dv^*  =  dtp*  =  dtp*.. 

Wir  fassen  die  gewonnenen  Ergebnisse  zusammen.  Es  seien  p,  q 
swei  verschiedene  Punlte  auf  ^,  s  eine  Orisuniformisierende  zu  p,  t,  eine 
solche  zu  q;  diese  Ortsuniformisierenden  dienen  zur  eindeutigen  Festlegung 

der  Funktionszeichen  xp,  r^  und  der  Differentiationszeichen  r.   ,,   .Bann 

gelten  die  fundamentalen  Fieziprozitätsgesetze: 

g?  ^i^P_(P)  _  m  drp{o)  ^  drc'(p)  ^  <^  drp{cO 

,^.    .dp  dq     '  dp  fZq     ' 

cv  dTQ(p)  _  «j  dTp(q)  cv  dz^ip)  _  ^  dx'p(A) 

•^      dp     ~  ^     dq     '  ^     dp      ~  ^     dq     • 


§  16.  Zusammenhänge  zwischen  den  Differentialen.  1 13 


Die  Differentiale  3.  Gattung  enisteJien  aus  denen  2.  Gattung  nach  den 
Formeln: 


(H) 


mjdt.^m  ^^^ ,     s  j  dr,  =  9t  ^4^^^)  ^ 


m 


Einen  Sonderfall  der  in  der  zweiten  Kolonne  stehenden  Gleichungen  er- 
halten wir,  wenn  wir  (q,  q^,)  sich  zu  einem  geschlossenen  Wege  cc  aus- 
wachsen  lassen: 


(II.)    fdr,-2^m'%f,    fdr;~2.i^"l 


Sie  zeigen,  daß  die  Bifferentiale  1.  Gattung  die  Perioden  der  Elementar- 
integrale 2.  Gattung  sind. 

Wir  lesen  ferner  aus  ihnen  folgende  drei  Tatsachen  ab  {a,  ß,  y  be- 
deuten geschlossene  Kurven  auf  '^): 

1.  ist  a  <->-  0,     so  ist  dw^  identisch  =  0; 

2.  ist  a  ~  /3,     so  ist  div^=  dw^; 

3.  ist  a  -\-  ß^  y,     so  ist  div^  -f  dw,^  =  dw^ . 

Jeder  Decktransformation  S  der  Überlagerungsfläche  ^  der  Integralfunk- 
tionen in  sich  entspricht  eine  Klasse  untereinander  homologer  geschlossener 
Wege  a  auf  ^:  sie  sind  Spurlinien  aller  Kurven  auf  ^,  die  von  irgend- 
einem Punkte  p  zu  dem  darüber  gelegenen  Punkte  \)S  hinführen.  Allen 
diesen  a  gehört  nach  der  2.  der  eben  bemerkten  Tatsachen  dasselbe  Diffe- 
rential dtv^  zu,  das  wir  füglich,  da  es  durch  S  eindeutig  bestimmt  ist, 
auch  mit  div^  bezeichnen  werden.  Erstrecken  wir  die  vorzunehmenden  In- 
tegrationen von  einem  einfürallemal  festgewählten  Anfangspunkt  pQ  aus, 
so  ist 

-mfdw^=u,(p) 

Po 

nur  insofern  vom  benutzten  Integrationswege  abhängig,  als  eine  Änderung 
dieses  Weges  (bei  festgehaltenem  Endpunkt  p)  Ug  um  eine  ganze  Zahl 
vermehren  oder  vermindern  kann.  (Und  durch  diese  Eigenschaft  sind  auch 
die  Integrale  iv^in  der  Gesamtheit  aller  Integrale  1.  Gattung  ausgezeichnet.) 
Die  Größe 

Weyl:  Die  Idee  der  Eiemannachen  Fläche.  8 


114  Fanktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 


vom  absoluten  Betrage  1  ist  somit  eine  eindeutige  Funktion  von  p.  Sind 
S,  T  irgend  zwei  Decktransformationen  von  ^  in  sich,  so  gilt 

Allgemein:  ist  auf  irgend  eine  Weise  jeder  Decktransformation  S  von  % 
eine  Zahl  %^  vom  absoluten  Betrag  1  so  zugeordnet,  daß  die  Multipli- 
kationsregel 

zutrifft,  so  sagt  man,  es  sei  ein  Charakterensystem  (der  kommutativen 
Gruppe  aller  Decktransformationen  von  %  in  sich)  definiert.  Dement- 
sprechend wollen  wir  die  den  verschiedenen  Transformationen  S  entspre- 
chenden Größen  %<j(p)  das  System  der  Iiitegralcharaktere  von  p  nennen. 
Die  sämtlichen  Integralcharaktere  von  p  geben,  heißt  soviel  als:  simultan 
die  Werte  aller  Integrale  1.  Gattung  an  der  Stelle  p  angeben  —  oder  ge- 
nauer: das  angeben,  was  an  diesem  simultanen  Wertsystem  gegenüber 
Verlagenmg  des  Integrationsweges  invariant  ist.  —  Für  eine  spätere  An- 
wendung bemerken  wir  noch,  daß,  Avenn  man  ein  Charakteren system  als 
ein  Individuum,  einen  „Punkt"  betrachtet,  die  Gesamtheit  aller  möglichen 
Charakterensysteme  eine  geschlossene  2^-dimensonale  Mannigfaltigkeit 
bildet.    Denn  ist 

eine  Basis  für  die  Gruppe  der  Decktransformationen  von  ^  (vergl.  S.  74), 
so  erhält  man  alle  Charakterensysteme  einmal  und  nur  einmal,  wenn  man 

XSi,XS2,---,  XS2p 

unabhängig  voneinander  in  einer  ;^- Ebene  die  Peripherie  des  Einheits- 
kreises j^    =  1  durchlaufen  läßt. 

Mit  Hilfe  der  Formeln  (II)  läßt  sich  das  B,eziprozitätsgesetz  (I)  von 
den  Differentialen  2.  Gattung  auf  die  Integrale  3.  Gattung  ühertragen: 

,,j     H'\S.=^'\d:'  3Kj;;-3^K.-]:;. 

Diese  Gleichungen,  die  als  der  Satz  von  der  Vetiauschung  von  Argument 
und  Parameter  bezeichnet  zu  werden  pflegen,  sind  gültig,  wenn  die  be- 
nutzten Wege  Pip2)  Qi  ^2  ^i*^^  nicht  überkreuzen.  Zum  Beweise  setzen 
wir  voraus,  das  der  Weg  p^  pg  ganz  in  dem  r- Kreise  K  um  p,  q^  q^  ganz 
in  dem  ^-Kreise  K  um  q  liegt.  Wir  können  annehmen  (was  ev.  erst 
durch  Drehung  des  Koordinatenkreuzes  erreicht  werden  muß,  die  aber 
auf  die  Bedeutunsr  der  Difi"erentiale  dco  ,  dco  ohne  Einfluß  ist)  daß  die 
geradlinige  Strecke  s  =  (p^  pj)  in  der  ^-Ebene  parallel  zur  reellen  (a:-)  Achse, 
die  Strecke  &  =  (q,  q^  in  der  ^-Ebene  zur  reellen  (S-)  Achse  parallel  ist. 
Ersetzen  wir  nunmehr  in  der  1.  Gleichung  (I)  p,  q  durch  die  innerhalb 


§  16.  Zusammenhänge  zwischen  den  Differentialen.  115 

K,  bezw.  K  variablen  Punkte  p*,  q*  (wobei  zur  eindeutigen  Festlegung- 
der  Bezeicbnung  wie  oben  die  Uniformisierenden  s  und  t,  zu  benutzen 
sind)  und  integrieren  dann  nacb  ^  =  if(p* )  längs  5,  nach  ^  =  ^(q*) längs 
6,  so  kommt 

Ol     Pi  Pi      Pi 

Da  die  innere  Integration  auf  der  linken  Seite  parallel  zur  reellen  Achse 
verläuft,  liefert  ihre  Ausführung 

und  aus  demselben  Grunde 

/9i!^^'.rf5  =  3j/L,.  =  3!K,]:;. 

Behandelt  man  in  gleicher  Weise  auch  die  rechte  Seite,  so  ergibt  sich  die 
erste  Gleichung  (III).    Man  gewinnt  demnach  die  Gleichungen  (III)  aus 

(I)  dadurch,  daß  man  diese  sowohl  nach  dem  Argument  (p)  als  nach  dem 
Parameter  (q)  integriert,  auf  einer  Seite  die  Reihenfolge  der  Integrationen 
vertauscht  und  dann  die  inneren  Integrationen  mit  Hilfe  der  Gleichungen 

(II)  zur  Ausführung  bringt. 

Um  die  Modifikationen  zu  überblicken,  welche  eintreten,  falls  die 
Wege  pi  p2,  q^  q2  sich  schneiden,  haben  wir  den  Fall  zu  betrachten,  daß 
diese  beiden  Wege  in  dem  ^-Kreis  K  verlaufen.  Wir  verlagern  dann  den 
Weg  q^  qg  so,  daß  er  p^  p,  nicht  mehr  trifft,  aber  immer  noch  innerhalb 
K  verläuft.    Dadurch  ändert  sich  der  Wert  der  in  der  1.  und  4.  Gleichung 

(III)  auftretenden  Größen  nicht;  diese  beiden  Formebi  sind  also  ohne 
jede  Einschränkung  gültig.  Hingegen  kann  sich  der  Wert  der  rechten 
Seite  der  2.  und  3.  Gleichung  durch  diese  Verlagerung  um  ein  ganzzahliges 
Vielfaches  von  27t  vermehren  oder  vermindern,  während  der  Wert  der 
linken  Seiten  auch  hier  erhalten  bleibt.  Ohne  jede  Einschränkung  sind 
daher  diese  beiden  Formebi  nur  in  der  modifizierten  Gestalt 

S  [«,,,. ]J;  =9^KpJ;;  -  2nx,     9?[o3;,c,]J;  =  S^p,];;-  -  2n7t 

{  n  eine  ganze  Zahl  } 
zutreffend. 

Ist  q^  qg  insbesondere  ein  geschlossener  Weg  a,  so  hat  man 

P.  P; 

(Hloj         /  dcj,^,^  =  2:ti'^CdtVa,     '^Jdco',^,^  =  2  ;t  SJ  dw.  . 


116  Funktionen  auf  Riemannachen  Flächen. 


In  der  1.  Gleichung  ist  angenommen,  daß  p^  p^  die  Kurve  a  nicht  trifft. 
Die  letzte  ergibt,  wenn  wir  auch  für  p^  p^  einen  geschlossenen  Weg  ß 
nehmen,  das  Symmetriegesetz 

a  ^i 

Es  bleibt  schließlich  noch  übrig,  diejenigen  Integrale  2.  Gattung, 
welche  Pole  von  höherer  als  1.  Ordnimg  besitzen,  aus  den  Differentialen 
^tp,  dr'(^  herzuleiten.  Aus  (I)  ergibt  sich  durch  Differentiation  nach 
I  =  |(q*),  wenn  q  zuvor  durch  q*  ersetzt  wird: 

^  d'Tp(q)         ^  d^TpJ,q)  _  r  a   /drq*  (p)\l 

Es  geht  daraus  hervor,  daß  die  linke  Seite 

_  drlip) 
dp 

gesetzt  werden  kann,  wo  drl  ein  auf  ^  überall  reguläres  Differential  be- 
deutet, das  nur  an  der  Stelle  q  unendlich  wird,  und  zwar,  wie  der  linker 

Hand  stehende  Ausdruck  zeigt,  mit  dem  Hauptteil -f  =  d  (-^ ) .  Die 

Perioden  dieses  Integrals  t*  2.  Gattung  sind  rein  imaginär.  Wir  haben 
so  die  Relationen: 


(P) 


^  ^q  ip)  ^  ^  dhp  (q)  cv  dzlip)  ^  ^  dhpjq) 

dp  dq*    '  "^     dp  dq* 

ax  djl'ip)  _  cv  d^tp{c\)  c-  ^l'M  —  cv  d^tpi^ 

'^      dp      ~  ^     rfq*"'  ^      dp      ~  ^     dq' 


Wenn  man  in  (II),  (IIo)  p  durch  p*  ersetzt  und  nach  x  =  9fi^(p*)  differen- 
tiiert,  bekommt  man 

J       V  dp^       '       J       V  dp'      ' 


m 


m 


Entsprechende  Gleichungen  (I"),  (11"),  (II^J)  gelten  für  die  Integrale  mit 
einem  Pol  n*^"^  Ordnung. 

Man  sieht,  wie  alle  diese  Beziehungen  (die  sonst  nach  Riemann  und 
C.  Neumann  durch  die  Methode  des  „Herumintegrierens"  um  den  Rand 
der  zerschnittenen  Fläche  hergeleitet  zu  werden  pflegen)  eine  unmittelbare 
Folge  der  anschaulichen  und  wohlbekannten  Tatsache  sind,  daß  man  durch 


§  17.  Additive  und  multiplikative  Funktionen.  117 

longitudinale  Aneinanderreihung  von  Doppelquellen  zwei  einfache  Quellen 
mit  entgegengesetzten  Vorzeichen  erhält,  durch  transversale  Aneinander- 
reihung aber  ein  Paar  entgegengesetzt  drehender  Wirbel. 

§  17.  Die  eindeutigeu  Funktionen  anf  ^  als  Unterklasse  der  additiven 

und  multiplikativen  Funktionen  auf  §.  Riemann-Rochsclier  Satz  und 

Abelsclies  Theorem. 

Unter  einem  transzendent  normierten  Abelschen  Integral  2.  Gattung 
oder  einer  „additiven  Funktion"  verstehen  wir  eine  auf  der  Über- 
lagerungsfläche ^  der  Integralfunktionen  eindeutige,  bis  auf  Pole  regu- 
läre Funktion  t'(p),  welche  sich  gegenüber  jeder  Decktransformation  S 
von  ^  additiv  verhält: 

v(pS)  =  v{p)i-ci, 

wo  ci  eine  zu  der  Transformation  S  gehörige,  von  p  unabhängige,  rein 
imaginäre  Konstante  bedeutet.  Es  gibt  nur  endlich  viele  Stellen  p  auf 
l5,  über  denen  Pole  einer  solchen  additiven  Funktion  v  liegen,  und  wenn 
2  eine  zu  p  und  daher  auch  zu  allen  darüber  gelegenen  Punkten  von  ^ 
gehörige  Ortsuniformisierende  bedeutet,  so  hat  v  an  allen  über  p  ge- 
-legenen  Stellen  den  gleichen  „Hauptteil": 

Die  Pole  und  zugehörigen  Hauptteile  können  willkürlich  vorgeschrieben 
werden  und  bestimmen  die  Funktion  v  eindeutig  bis  auf  eine  additive 
Konstante: 

V  =^     [at^  +  ax'^)  +  (a^l  +  a^'r^^j  +  •  •  •  +  [a'-x''^  +  a'-'x'^'J 

(40)  +  willk.  Konst.    (a''  =  iR^_,,  a'''  =  -  S^_a) 

(die  Summation  erstreckt  sich  über  die  verschiedenen  Pole  p).  Diese 
Darstellung  ist  das  Analogon  zu  der  Fartialbruchzerlegung  der  rationalen 
Funktionen.  Um  dieses  Analogon  zu  gewinnen,  müssen  wir  demnach 
die  Klasse  der  eindeutigen,  höchstens  mit  Polen  behafteten  Funktionen 
auf  der  Fläche  ^  zu  der  umfassenderen  Gesamtheit  der  „additiven  Funk- 
tionen" er  weitem. 

Neben  der  Fartialbruchzerlegung  ist  die  Darstellung  der  rationalen 
Funktionen  als  eines  Frodulds  von  Linear faktoren  wichtig.  Um  sie 
von  der  Kugel  auf  beliebige  geschlossene  Riemannsche  Flächen  zu  über- 
tragen, haben  wir  von  den  „multiplikativen  Funktionen"  zu  sprechen, 
d.  h.  von  denjenigen  eindeutigen,  bis  auf  Pole  regulären  Funktionen  0 
auf  der  Überlagerungsfläche  %,  die  sich  gegenüber  jeder  Decktransfor- 
mation S  von  ^  multiplikativ  verhalten: 


118  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

Q(pS)  =  ^i^.Qip), 

wo  der  Multiplikator  ^^  eine  zu  S  gehörige  Konstante  vom  absoluten 
Betrag  1  ist.^)  Die  //  ^,  bilden  ein  Charakterensystem.  0  hat  an  allen  über 
einer  Stelle  p  von  ^  gelegenen  Punkten  dieselbe  Ordnung;  diese  kann 
positiv  sein  (dann  hat  0  über  p  eine  Nullstelle)  oder  negativ  (0  hat  über 
p  einen  Pol)  oder  Null.  Die  PimJde  auf  ^,  über  denen  die  Nullsfellen 
und  Pole  einer  midiipliliativen  FunJdion  liegen  sollen,  können  willkür- 
lich in  endliche)'  Zahl  ihrer  Lage  und  Multiplizität  nach  vorgeschrieben 
iverden  —  unter  der  einen  Einschränkung,  daß  die  Anzahl  der  Null- 
stellen gleich  der  Anzahl  der  Pole  sein  muß,  wenn  jede  JSullstelle  und 
jeder  Pol  mit  der  richtigen  Vielfachheit-  in  Ansatz  gebracht  wird.  Durch 
die  Vorgabe  der  Nidlstellen  und  Pole  ist  aber  0  bis  auf  einen  willkür- 
lichen konstanten  Faktor  (=4=  0)  eindeutig  bestimmt.  Denn  es  kann  außer 
der  Konstanten  keine  multiplikative  Funktion  0  geben,  welche  weder 
Nullstellen  noch  Pole  besitzt;  aus  einer  solchen  Funktion  entspränge  in 
lg  j  0  I  eine  auf  '^  eindeutige  und  überall  reguläre  Potentialfunktion, 
die  es  nicht  geben  kann.    Daß    die  Anzahl  der  Nullstellen   gleich  der 

der  Pole   sein  muß,   ergibt   sich   daraus,   daß         auf  ^  ein  Differential 

3.  Gattung  ist,  dessen  Residuensumme 

=  Anzahl  der  Nullstellen  minus  Anzahl  der  Pole  von  0 

ist.    Sind  1,  2  irgend  zwei  Punkte  auf  ^,  so  ist 

g'Oii  ^  0^^     (^g  ^  Basis  d.  natürl.  Log.) 

eine  multiplikative  Funktion,  welche  über  1  eine  Nullstelle  und  über  2 
einen  Pol  erster  Ordnung  besitzt  (und  durch  diese  Eigenschaft,  nur  eine 
Null-  un  d  eine  Uuendlichkeits-Stelle  zu  besitzen,  dem  Linearfaktor  z  —  a 

oder  -  — T  auf  der  ^- Kugel  entspricht).    Sind 

P1P2  •  •  •  Pr  ^i^  vorgeschriebenen  Nullstellen, 
•^1^2  •  •  •  Pr  ^i®  vorgeschriebenen  Pole 

einer  Funktion  0  (wobei  jede  Nullstelle  und  jeder  Pol  so  oft  aufgeführt 

ist,  als  seine  Multiplizität  verlangt),  so  erhält  man  das  gesuchte  0  aus 

der  Gleichung 

0  ==  Const.  0p^p,  •  0p^c,-  •  •  0p^q^^ 

in  der  wir  das  Analogon  zu  der  Produktdarstellung  der  rationalen 
Funktionen  vor  uns  haben.  Wir  schreiben  diese  Gleichung  auch  in  der 
symbolischen  Form 


1)  Vgl.  Riemann,  Theorie  der  Abelschen  Funktionen,  Werke  (2.  Aufl.),  S.  140; 
namentlich  aber  Appell,  Journal  de  mathematiques,  3.  Ser.,  Bd.  9  (1883),  und 
Acta  Matbematica  Bd.  13  (1890). 


§  17.  Additive  und  multiplikative  Funktionen  119 

(41)  Q^hh^-i^. 

Hier  war  als  selbstverständlich  angenommen,  daß  alle  p^  von  "allen  q^ 
verschieden  sind.  Ist  das  nicht  der  Fall,  so  wird  dem  Symbol  rechter 
Hand  diejenige  Bedeutung  zu  erteilen  sein,  welche  herauskommt,  wenn 
man,  wie  bei  gewöhnlichen  Brüchen,  die  sowohl  im  Zäliler  als  im  Nenner 
vorkommenden  Punkte  „weghebt". 

Der  Satz,  daß  eine  multiplikative  Funktion  ebensooft  0  wie  cx) 
wird,  gilt  insbesondere  auch  für  jede  eindeutige,  von  wesentlichen  Singu- 
laritäten freie  Funktion  f  auf  ^.  Wenden  wir  ihn,  statt  auf  f,  auf  f—  a 
an,  wo  a  eine  beliebige  Konstante  ist,  so  sehen  wir:  Eine  eindeutige  bis 
auf  Pole  reguläre  Funktion  auf  ^  nimmt  jeden  Wert,  einschließlich  oo, 
gleich  oft  an. 

Im  Falle  p  =  0  ist  das  Integral  2.  Gattung  r  auf  %  selber  ein- 
deutig; es  nimmt  infolgedessen,  da  es  nur  einen  einzigen  Pol  1.  Ord- 
nung besitzt,  jeden  Wert  einmal  und  nur  einmal  an  und  bildet  ^ 
konform  auf  die  Kugel  ab:  Die  Kugel  ist  die  einzige  Riemannsche  Fläche 
vom  Geschlechte  0. 

Wir  haben  jetzt  allgemein  zu  untersuchen,  ivie  sich  die  auf  f^  ein- 
deutigen Funktionen  als  Sonderfälle  unter  die  additiven  und  multiplika- 
tiven  Funktionen  einordnen,  d.  h.  wir  wollen  die  Bedingungen  dafür 
aufstellen,  wann  die  Darstellungen  (40)  und  (41)  eindeutige  Funktionen 
auf  ^  liefern.  Dadurch  werden  wir  zum  Riemann-Rochschen  Satz,  bzw. 
zum  Äbelschen  Theorem  geführt  werden.  Wir  beginnen  mit  (40)  und 
nehmen  zunächst  der  leichteren  Darstellung  wegen  nur  einfache  Pole  an. 
Es  seien  also  p^,  pgj  •  •  •  P,«  irgend  m  voneinander  verschiedene  Punkte 
auf  '^.  Eindeutige  Funktionen  auf  ^,  welche  höchstens  in  p^,  pg,  .  .  .,  p^^^ 
Pole  1.  Ordnung  haben,  sonst  aber  regulär  sind,  müssen  von  der  Form  sein: 

(42)  /•=(a^Tp^-f  a'jTpJ  +  (a2T^,+  a^TpJ  + \-(a„rp„^+  «>*>„.)  +  i^  +  i^'), 

wo  die  a^,  a);  h,  h'  reelle  Konstante  bedeuten.  Die  Bedingung,  daß  die 
'2})  Perioden  von  f,  die  den  2})  Rückkehrschnitten  cc^  einer  kanonischen 
Zerschneidung  entsprechen,  verschwinden  müssen,  liefert  2p  homogene 
lineare  Gleichungen  für  die  a^,  a^  mit  reellen  Koeffizienten,  Gleichungen, 
denen  man  sicher  dann  durch  Konstante  a,^,  a'^,  die  nicht  sämtlich  ver- 
sehenden, genügen  kann,  wenn  m  >  p  ist. 

Gibt  man  also  mehr  als  p  Funkte  auf  ^  ivillkürlich  vor,  so  exi- 
stieren stets  nicht-konstante  eindeutige  Funktionen  auf  ^,  die  höchstens 
an  diesen  Stellen  Pole  1.  Ordnung  haben,  sonst  aber  regulär  sind. 
Damit  ist  insbesondere  die  Existenz  nicht-konstanter  ein- 
deutiger, bis  auf  Pole  regulärer  Funktionen  auf  jeder  ge- 
schlossenen Rie?nannschen  Fläclie  sichergestellt. 

Sind  p^,  p2,  .  .  .,  p^  irgend  r  voneinander  verschiedene  Punkte    auf 


120  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

^  und  7)1^,  m^,  .  .  .,  m^  zugeordnete  ganze  Zahlen  (>  0,  =  0  oder  <  0), 
so  bezeiclinen  wir  eine  Funktion  oder  ein  Differential  auf  %,  das  an  der 
Stelle  p^  mindestens  die  Ordnung  m^  liat  (/i  =  1,  2,  .  .  .,  r),  sonst  aber 
regulär  ist,  als  ein  Multipliim  des  Divisors^) 

Es  ist  zweckmäßig  zu  verabreden,  mit  solchen  Divisoren  —  Symbolen, 
die  aus  einer  Zusammenstellung  von  endlichvielen  Punkten  mit  zugehö- 
rigen Ordnungszahlen  (Exponenten)  bestehen  —  hinsichtlich  Multipli- 
kation und   Division  wie  mit  gewöhnlichen  Brüchen  zu  rechnen.    Die 

Exponentensumme^w^  =  m  nennen  wir  die  Gesamtordnuilg  des  Divi- 

sors.  Der  eben  ausgesprochene  Satz  läßt  sich  dann  dahin  verallgemeinern : 
Ist  die  Gesamtordnung  m  eines  Divisors  b  nicht  Meiner  als  p,  so 

gibt  es  unter  den  eindeutigen  Funktionen  auf  ^  Multipla  von  ^,  und 
zwar  mindestens  m  -\-  1  —  p  (im  komplexen  Sinne)  linear  unabhängige. 
Sind  von  den  Exponenten  w^  nämlich  die  ersten  s  positiv,  die  andern 
negativ,  so  hängen  diejenigen  additiven  Funktionen,  welche  über  p^  höch- 
stens   einen   Pol   der  w^*^"  Ordnung  haben  (h  =  1,  2,  .  .  .,  s)  und  sonst 

regulär  sind,  homogenlinear  von  2  (  1  -f-  ^w«/, )    reellen    Konstanten   ab. 

Die  Forderung,  daß  die  sämtlichen  Perioden  der  additiven  Funktion  ver- 
schwinden sollen,  bringt  2p  lineare  homogene  reelle  Gleichungen  für 
diese  Konstanten  mit  sich,  die  Forderung,  daß  die  Funktion  an  den 
Stellen  p,  +  i,  ■  ■  ■,  pr  ^^w-  i^  *^^6^  Ordnung  —  ^,4.1,  •  •  -,  —  m^  verschwin- 
den soll,  weitere  2  ^(—  wj  solche  Gleichungen.  Der  Überschuß  der 
Zahl  der  Unbekannten  über  die  Zahl  der  Gleichungen 


(■ 


m.  \-2p  —  2  ^(—  mj  =  2(m  -\- 1  -  p) 

h  =  s  +  l 

gibt  eine  untere  Grenze  für  die  Anzahl  der  (im  reellen  Sinne)  linear  unab- 
hängigen Lösungssysteme. 

Die  vollständigste  Antwort  auf  diese  Fragen  liefert  jedoch  erst  der  Rie- 
mann-Rochsche  Satz-).  Wir  nehmen  als  übersichtlichstes  Beispiel  wieder 


1)  Diese  Sprechweise  entstammt  der  arithmetischen  Theorie  der  algebra- 
ischen Funktionen  von  Hensel  und  Landsberg;  vgl.  Hensel  und  Landsberg, 
Theorie  der  algebraischen  Funktionen  einer  Variablen,  Leipzig  (Teubner)  1902. 

2)  Kiemann  betrachtet  nur  den  sog.  „allgemeinen"  Fall  {B  =  p  in  der  Be- 
zeichnung des  Textes);  das  für  jeden  ganzen  Divisor  b  ausnahmslos  gültige  Re- 
sultat rührt  her  von  G.  Roch,  Grelles  Journal,  Bd.  64  (1865),  S.  372—376;  ge- 
brochene Divisoren  sind  von  Klein  (Riemannsche  Flächen  I,  autographierte  V^or- 


§  17.  Additive  und  multiplikative  Funktionen.  121 

einen  „ganzen",  aus  lauter  einfachen  Punkten  zusammengesetzten  Divisor 

Die  2p  linearen  homogenen  Gleichungen,  welche  das  Verschwinden  der 
Perioden  von  (42)  für  die  Rückkehrschnitte  a^  verlangen,  lauten  gemäß 

(no)§i6: 

(43)  iM'^f +  .;s^;^)  =  o. 

{}i=  1,2,... ,2p). 
Ist  der  „Rang"  dieses  Gleichungssystems  ==  2Pi  (d.  h.  ist  2Jt  die  Anzahl 
der  linear  unabhängigen  unter  diesen  2p  Gleichungen  für  die  2  m  Unbe- 
kannten a^,  rt/),  so  gibt  es  genau 

A=m+1-B 
im  komplexen  Sinne  linear  unabhängige  Funktionen  auf  f5,  welche  Mul- 
tipla  von  j-  sind.  Das  zu  (43)  gehörige  „transponierte"  Gleichungs- 
system (in  dem  die  Zeilen  zu  Kolonnen,  die  Kolonnen  zu  Zeilen  geworden 
sind)  und  dessen  reelle  Unbekannte  wir  mit  h^  (Ji  =  1,  2,  .  .  .,  2p)  be- 
zeichnen, lautet: 


5«(J^'^f  )  =  o, 


2p 
2j  "^  ~dp, 


[1=  1,  2,...,  m] 


Sein  Rang  ist  der  gleiche:  27t,  und  die  Anzahl  seiner  linear  unabhängigen 
Lösungssysteme  {&^}  demnach  2p  —  2B.  Das  heißt  aber:  die  Anzahl  B 
der  (im  komplexen  Sinne)  linear  unabhängigen  Differentiale  1.  Gattung^ 
welche  an  den  Stellen  ^^{1  =  1,2,  .  .  .,  m)  verschwinden,  ist 

B=p  —  B. 

Die  damit  erwiesene  Belation 

A  =  B-\-{m  +  \  -p) 
bildet  den  Lilialt  des  Biemann-Bochschen  Satzes.  Durch  ihn  wird  die 
Aufgabe,  die  Anzahl  Ä  zu  bestimmen,  zwar  nicht  eigentlich  gelöst,  aber 
doch  auf  eine  wesentlich  einfachere  zurückgeführt.  Denn  die  lineare 
Schar  von  Differentialen  1.  Gattung,  auf  die  sich  die  Anzahl  B  bezieht, 
ist  offenbar  ein  bei  weitem  nicht  so  kompliziertes  System  wie  das  der 


lesung,  Göttingen  1892,  S.  110—111),  E.  Ritter  (Math.  Ann.  Bd.  44,  1894,  S.  314), 
Hensel  u.  Landsberg  (a.  a.  0.,  vgl.  namentlich  S.  362 — 364)  in  Betracht  gezogen 
worden. 


122  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

Funktionen  auf  der  Fläclie.  Außerdem  werden  wir  sog-leich  sehen,  daß 
immer,  wenn  m  >  2^?  —  2,  B  =  0  zu  setzen  ist,  da  die  Gesamtordnung 
der  Nullstellen  eines  Differentials  1.  Gattung-  2^  —  2  nicht  übersteigen 
kann.  Und  schließlich  ist  die  Reziprozität,  welche  nach  dem  Riemann- 
Rochschen  Satz  zwischen  den  Funktionen  und  den  Differentialen  besteht, 
an  sich  eine  merkwürdige  und  interessante  Tatsache.  Jedenfalls  ist  dieser 
Satz  einer  der  wichtigsten  Ausgangspunkte  für  ein  tieferes  Eindringen 
in  die  Natur  der  Funktionen  auf  einer  geschlossenen  Riemannschen 
Fläche. 

Enthält  der  Divisor  b  einen  Nenner  (negative  Exponenten)  und 
kommen  in  ihm  mehrfache  Punkte  vor  (Exponenten  >  1  oder  <  —  1), 
so  hat  man,  indem  im  übrigen  das  Beweisverfahren  dasselbe  bleibt, 
noch  die  Gleichungen  (II)  und  ev.  (IIq),  (II")  des  vorigen  Paragraphen 
heranzuziehen.^)   Das  Ergebnis  ist  analog.   Wir  können  es  so  aussprechen: 

(Riemann-Rochscher  Satz.)  Zwischen  der  Anzahl  B  der  (im 
komplexen  Sinne)  linear  unabhängigen  Differentiale,  tvelche  Multipla  des 
heliebigen  Divisors  b  von  der  Gesamtordnung  m  sind,  und  der  Anzahl 
A  der  linear  unabhängigen,  auf  %  eindeutigen  Funktionen,  welche  Mul- 

tipla  des  rezijjroken  Divisors  ^  sind,  besteht  die  Beziehung 
^  =  5  +  (m  +  1  ~  p). 
Wir  haben  g-esehen:  ein  Multiplum  von     -, —  existiert  unter  den 

eindeutigen,  nicht-konstanten  Funktionen  auf  %  immer  dann,  wenn 
m>2?  ist.  Wir  setzen  hinzu:  Falls  ni  ^p,  ist  ein  solches  Multiplum 
im  allgemeinen,  nämlich  außer  für  besondere  Lagen  der  m  Punkte  p^, 
nicht  vorhanden.  Dadurch  wird  die  funktionentheoretische  Bedeutung 
der  Geschlechtszahl  p  von  neuem  in  ein  helles  Licht  gerückt.  Ein  nicht- 
konstantes Multiplum  von  existiert  unter  den  Funktionen  auf 

^  P1P2 --Pp 

^  gemäß  dem  Riemann-Rochschen  Satz  dann  und  nur  dann,  wenn  ein 
Differential  1.  Gattung  dw  vorhanden  ist,  das  an  den  Stellen  pj,  p2>  •  •  •?  Pp 
(aber  nicht  identisch)  verschwindet.    Bedeutet 
dtv^,  dwl,  . . .,  dw*p 
eine  komplexe  Basis  für  die  Differentiale  1.  Gattung,  so  müssen  sich  also 

1)  Vgl.  die  angeführten  Stellen  bei  Klein  und  Heusel-Landsberg.    E.  Ritter 

schließt  a.  a.  0.  so :   Ist  /o  =  ^    eine  Funktion,   welche    ein  Multiplum  von       ist 

(f  ganz),  so  erhalte  ich  alle  solchen  Funktionen  /'  aus:  f=fo  • /",  f  Multiplum 

von  r , ,  und  komme  dadurch  auf  den  Fall  eines  ganzen  Divisors  Ö'  zurück.    Hier 

fehlt  aber  der  Nachweis,  daß  [wenn  B  -[-  ('«  -f  1  —  2^)  >  0  ist]  überhaupt  ein  f„ 
existiert. 


17.  Additive  und  multiplikative  Funktionen. 


123 


nicht  sämtlich  verschwindende  komplexe  Zahlen  c*,  et,  ...,  Cp  so  ermitteln 
lassen,  daß 

c^dwl  +  cldv;l  -{ 1-  c*pdw*p 

in  jenen  p  Punkten  Nullstellen  besitzt.     Wir  wählen  irgend  p  vonein- 
ander verschiedene  Punkte  )(>\,  p",  ...,  pp,  zugehörige  Ortsuniformisie- 


rende  z,^  und   zu  jedem   p^  derart    einen   ^^ -Kreis  K^: 


<  a„  (h  =  1, 


2,  •  • ,  p),  daß  diese  Kreise  gegenseitig  nicht  ineinander  eindringen. 
Würde  bei  jeder  Lage  der  Punkte  p^  innerhalb  K^  eine  Differential 
1.  Gattung  existieren,  das  an  den  Stellen  p^  simultan  verschwindet,  so 
müßte  identisch  in  z^,  z^,  . . .,  z^  (1  ^/, ,  ^  »J 


dz^ 


dz^ 


=  0 


dic\lZp) 


div*p{zp) 

dZr, 


sein.  Das  steht  aber  im  Widerstreit  zu  der  linearen  Unabhängigkeit  der 
Differentiale  dtvl.  Denn  denken  wir  uns  5^  in  A  =  0  variabel,  aber 
^2,  ...,  Zp  einen  Moment  lang  festgehalten,  so  haben  wir  eine  homogene 
lineare  Beziehung  zwischen  den  Differentialen  dwl{z^)  vor  uns,  die  iden- 
tisch in  z^  erfüllt  ist;  es  müssen  also  die  Koeffizienten  dieser  Beziehung, 
d.  h.  die  aus  den  p  —  1  letzten  Zeilen  von  A  gebildeten  Unterdetermi- 
nanten sämtlich  einzeln  verschwinden,  und  zwar  identisch  in  z^,  ...,  z^. 
Wiederholen  wir  diesen  Schluß,  indem  wir  ihn  jetzt,  statt  auf  A,  auf 
eine  jede  der  erwähnten  (p  —  1) -reihigen  Unterdeterminanten  anwenden, 
und  fahren  so  Schritt  für  Schritt  fort,  so  versteigen  wir  uns  schließlich 
bis  zu  der  unsinnigen  Behauptung,  daß  die  Elemente  der  letzten  Zeile, 
d.  h.  die  Differentiale  dw^  selber  identisch  =  0  sind. 

Zu  jedem  Punkte  p  erhalten  wir  durch  die  Formel 

dtp  —  idr'p  =  dwp 
ein  Differential  1.  Gattung.^)  Dies  ist  eine  sehr  naheliegende  Methode 
zur  Erzeugung  solcher  Differentiale  aus  denen  der  2.  Gattung;  es  fragt 
sich  nur,  ob  sie  umfassend  genug  ist,  um  eine  volle  Basis  für  die  Diffe- 
rentiale 1.  Gattung  zu  liefern.  Diese  Frage  können  wir  jetzt  bejahend 
beantworten.  Wähle  ich  nämlich  JJ  Punkte  p^,  p^,  ...,  p^  so,  daß  keine 
eindeutige  Funktion  4=  const.   auf  ^  existiert,   die   ein  Multiplum  von 

ist,  so  bilden  die  zugehörigen  dtVp^,  dwp„, 


Pip2 


dtVp    eine  kom- 


1)  Veränderte  Wahl  der  Ortsuniformisierenden  zu  p  bewirkt  nur  eine  Multi- 
plikation desselben  mit  einem  konstanten  Faktor,  so  daß  wir  es  als  wesentlich 
durch  p  allein  bestimmt  ansehen  können. 


124  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

plexe  Basis  der  Differentiale  1.  Gattung-.    Bestände  nämlich  eine  Relation 

C.dWf^  +  C„dwp^  +■■■+  C/lu-p^  =  0, 
so  wäre  für  jeden  geschlossenen  Weg  a  auf  ^: 

=  0. 

nur    den   Imaginärteil  bei 


=  0, 


,{fdrp,-ijdr'p, 

Behalten    wir 

von    dieser    Gleichung    etwa 

p 

h  —  1         ( 

Jdr,,  +  c,'fdrp 

X                                   a 

so 

zeigt  sich, 

daß 

p 

A  =  l 

^v,  +  Ch'^'p>) 

eine  eindeutige  Funktion  auf  der  Fläche  sein  müßte. 

Zur  Gewinnung  von  Funktionen  auf  der  Fläche  stehen  uns  zwei 
Wege  offen:  entweder  additive  Funktionen  mit  solchen  Konstanten  linear 
zu  kombinieren,  daß  die  Perioden  zum  Verschwinden  gebracht  werden, 
—  oder  zwei  Differentiale  durcheinander  zu  dividieren.^)  Indem  man 
beide  Möglichkeiten  kombiniert,  kann  man  zu  wichtigen  Sätzen  gelangen. 
Yorab  bemerken  wir:  da  der  Quotient  zweier  Differentiale  eine  Funktion 
auf  ^1  ist,  wird 

1)  jedes  Differential  durch  den  repräsentierenden  Divisor,  in  dessen 
Zähler  die  Nullstellen  des  Differentials  in  ihrer  Multiplizität  verzeichnet 
stehen  und  dessen  Neimer  die  Pole  enthält,  bis  auf  einen  konstanten 
Faktor  eindeutig  bestimmt  —  und 

2)  ist  die  Gesamtordnung  d  dieses  repräsentierenden  Divisors  für  alle 
Differentiale  die  gleiche;  d  ist  die  Anzahl  der  Nullstellen  eines  jeden 
Differentials  1.  Gattung  und  also  für  ^  >  0  gewiß  ^  0.  Wir  werden  be- 
weisen, daß  diese  -wächtige  Invariante  einer  jeden  Riemannschen 
Fläche  aUein  von  der  Geschlechfsmhl  p  abhängt,  und  zwar  nach  der  ein- 
fachen Gleichung: 

d=2p-2. 
Es  seien  b,  t  zwei  Divisoren  von  der  Gesamtordnung  m  bzw.  n,  deren 
Produkt  öc  Repräsentant  eines  Differentials  dv  auf  ^  ist:  m  +  n  =  d. 
Es  gebe  genau  31  linear  unabhängige  Differentiale,  welche  Multipla  von 

1)  Diese  letzte  Methode  ist  auch  auf  offene  Riemannsche  Flächen  anwend- 
bar und  liefert  hier  sofort  den  Existenznachweis  für  Funktionen  auf  der  Fläche, 
die  sich  nicht  auf  bloße  Konstante  reduzieren.  Vgl.  auch  Koebe,  Grelles  Journal 
Bd.  139,  1911,  S.  291f. 


§  17.  Additive  und  multiplikative  Funktionen.  125 

t,  und  N  solche  Differentiale,  welche  Multip la  von  C  sind.    Wir  fassen 

unter  den  eindeutigen  Funktionen  auf  %  alle  Multipla  f  von  ^  ins  Auge. 

Erzeugen  wir  sie  durch  Zusammensetzung  von  additiven  Funktionen,  so 
liefert  der  Riemann-Rochsche  Satz  das  Resultat,  daß  die  Anzahl  der  linear 
unabhängigen  f 

=  m  -{-  l  —2)  +  M 

ist.  Für  jedes  f  ist  das  Differential  fdv  ein  Multiplum  von  t;  d.  h.  auf 
eine  zweite  Art  erhalten  wir  die  sämtlichen  Funktionen  f  dadurch,  daß 
wir  alle  Differentiale,  welche  Multipla  von  t  sind,  durch  dv  dividieren. 
Achten  wir  nur  auf  die  Anzahlen,  so  liefert  das  die  Relation 

iV  =  ?M  +  1  —  p  -f  M. 
Analog 

M=n  +  1  —p  +  N. 
Addition  dieser  beiden  Gleichungen  ergibt 
^  =  2i)  —  2, 
Subtraktion  den  Brill-Noetherschen  Beziprozitätssatz:'^) 
■:M-N=2in-m). 
Doch  genug  mit  diesen  Betrachtungen,  die  sich  alle  wie  von  selber 
an  die  „Partialbruchzerlegung"  (40)  anknüpfen!     Wir  wenden  uns  zur 
„Produktdarstellung"  (41).    Um  den  zu  S  gehörigen  Multiplikator  ^s  von 

zu  berechnen,  legen  wir  eine  geschlossene  Kurve  a  auf  ^,  die  nicht  durch 
die  p^,  q^  hindurchgeht  und  auf  ^  von  einem  Punkte  p  zum  Punkte  pS 
hinführt,  und  ziehen  Integratiouswege  p^q^,  die  a  nicht  treffen.  Dann 
ist  nach  (IIIq),  §  16: 


Es  liegt  nahe,  als  Integral  Charaktere  eines  beKebigen  Divisors 
die  Größen 

einzuführen.    Dann  lautet  die  Gleichung  (44)  in  Worten -): 

Die  Multiplikatoren  einer  FunJdion  0  stimmen  üherein  mit  den  Inte- 
gralcharakteren des  repräseyitierenden  Divisors. 


1)  A.  Brill  und  M.  Nöther,  Mathematische  Annalen  Bd.  7  (1874),  S.  283. 

2)  Vgl.  Appell,  Acta  Mathematica  Bd.  13  (1890),  S.  13—14  der  Preisschrift. 


126  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

Insbesondere  (/x^  =  1): 

Vorgegebene  PunJde  p^,  q^{h  =  1,2,  ■••,  r)  sind  dann  und  nur  dann 
die  sämtlichen  NallsfeUen  hzw.  Pole  einer  auf  '^  eindeutigen  Funktion, 
wenn  das  Produkt  der  Integralcharaktere  der  Nullstellen  gleich  ist  dem 
Produkt  der  Integralcharaktere  der  Pole: 


n^s(pj-n^sK)- 


Gehen  wir  auf  die  Bedeutung  der  Integralcharaktere  zurück  und 
benutzen  eine  bestimmte  kanonische  Zerschneidung  a^  samt  einer  zuge- 
hörigen reellen  Basis  dtv^  =  du\  der  Integrale  1.  Gattung,  so  können 
Avir  diese  Forderung  durch  die  folgenden  2p  Gleichungen  ersetzen: 

T  X>i  r  q, 

y",  9^  /  div,^  —  ^  9t  /  dH\  =  n^       (n^  =  ganze  Zahl) 

'=1  Po  i  =  l  Po 

[h  =  l,2,-.-,2p]. 

Die  Integrationswege  pQp^,  q^q^  sind  dabei  zunächst  beliebig.  Verlagern 
wir  aber  einen  dieser  Integrationswege,  etwa  poPi?  nachträglich  so,  daß 
seine  alte  und  seine  neue  Lage  zusammen  eine  geschlossene  Linie  bilden, 
welche  homolog 

(n,cc,  -  n^a^)  +  •  •  •  +  {n^^^^a,^  -  n,j^a,p_^) 
ist,  so  werden  dadurch  die  ganzen  Zahlen  «^  auf  der  rechten  Seite  der 
letzten  Gleichung  zu  0  gemacht.     Es  ergibt  sich  dann: 

(Äbelsches  Theorem.)^)  Die  Punkte  p^,  q^,  [h  =  1,  2,  •■-,  r]  sind 
dann  und  mir  dann  die  sämtlichen  Nullstellen  hzw.  Pole  einer  Funk- 
tion auf  ^,  wenn  —  hei  geeigneter,  von  w  unabhängiger  Wahl  der  nach 

1)  Der  Name,  wie  icti  ihn  hier  gebrauche,  ist  nicht  ganz  zutreffend.  Von 
Abel  rührt  nur  der  Satz  her,  daß  die  ausgesprochene  Bedingung  notwendig  ist; 
anderseits  aber  ist  der  von  Abel  aufgestellte  Satz  [in  großartiger  Einfachheit  von 
ihm  entwickelt  in  der  kurzen  Xote  „Demonstration  d'une  propriete  generale  d'une 
certaine  classe  de  fonctionstranscendentes".  Grelles  Journal  Bd.  4  (1829),  S.  200—201 
=  (Euvres  completes,  Nouvelle  edition  (1881,  Bd.  I,  S.  515—517]  allgemeiner,  sofern 
er  nicht  nur  die  Integrale  1.  Gattung  betrifft.  Vgl.  S.  136  dieser  Schrift.  Eine  von 
Abel  im  Jahre  1826  der  Pariser  Akademie  eingereichte  Arbeit  „Memoire  sur  une 
propriete  generale  d"une  classe  tres-etendue  de  fonctions  trauseendentes"  über 
diesen  Gegenstand  ist  durch  die  Schuld  Cauchys  lange  verloren  gewesen  und 
erst  nach  Abels  Tod  veröffentlicht  worden:  Memoires  presentes  par  divers  sa- 
vants,  Bd.  VII  (1841)  =  Abel,  (Euvres  completes,  Kouvelle  edition  (1881)  Bd.  I, 
S.  145 — 241.  Ferner  ist  das  Theorem  enthalten  in  Abels  nachgelassenem  Manu- 
skript „Sur  la  comparaison  des  fonctions  trauseendentes'',  (Euvres  completes, 
Bd.  II,  S.  55—66.  Die  Umkehrung  des  Abelschen  Theorems  für  die  Integrale 
1.  Gattung  steht  bei  Riemann  zwischen  den  Zeilen,  wurde  explizit  aber  erst  darch 
Clebsch  (ohne  völlig  zureichenden  Beweis)  ausgesprochen  (Grelles  Journal  Bd.  63, 
1864,  S.  198),  und  von  ihm  in  der  Theorie  der  algebraischen  Kurven  aufs  aus- 
giebigste verwertet. 


§  17.  Additive  und  multiplikatiTe  Funktionen.  127 

pf^,  C{^  hinführenden  Integrationswege  —  für  jedes  Integral  1.  Gattung  w 
die  Beziehung 

statthat. 

Sind  dv^,  dv^  irgend  zwei  bis  auf  Pole  reguläre  Differentiale  auf 

(5,   Öj,  i>2   die   sie   repräsentierenden  Divisoren,   so  ist,   da  -r-^  =  ~  eine 

Funktion  auf  ^  ist,  nach  dem  Abelsehen  Theorem 


|)-W=1    Ode.    ,,,X)  =  ,,(!.,). 


Wir  haben  also  dieses  Korollar  des  Abelschen  Theorems: 

Für  alle  Differentiale  auf  ^^  Iziv.  deren  repräsentierende  Divisoren 
Jiahen  die  IntegralcharaMere  die  gleichen  Werte  x^-  Ein  Divisor  b  von  der 
Gesamtordming  2p  —  2  ist  dann  und  nur  dann  Repräsentant  eines  Diffe- 
rentials, wenn  das  System  seiner  Integralcliaraktere  mit  dem  Charahteren- 
system   ;^°    übereinstimmt. 

Wir  machen  von  dem  Abelschen  Theorem  sogleich  eine  Anwendung 
auf  den  Fall  p  =  1.  Hier  existiert  bis  auf  einen  konstanten  Faktor  nur 
ein  einziges  Differential  1.  Gattung  dw.  Die  den  verschiedenen  Inte- 
grationswegen entsprechenden  Werte,  welche  w(p)  an  einer  Stelle  p  an- 
zunehmen vermag,  bilden  in  der  komplexen  w- Ebene  ein  parallelo- 
grammatisches  Punktgitter.  Alle  Gitter,  welche  so  den  einzelnen  Punkten 
p  von  ^  zugeordnet  erscheinen,  gehen  auseinander  durch  Parallel- 
verschiebung hervor,  oder  haben,  wie  wir  sagen  wollen,  dieselbe  „Lage 
und  Gestalt"  A.  Dadurch,  daß  wir  jedes  Gitter  von  dieser  Lage  und 
Gestalt  als  einen  „Punkt"  auffassen,  verwandelt  sich  die  «t-Ebene  in  eine 
geschlossene  Riemannsche  Fläche  ^y\  (vgl.  S.  28).  Würde  zwei  ver- 
schiedenen Punkten  p,  q  von  ^  jemals  das  gleiche  Gitter  entsprechen, 
so  gäbe  es  nach  dem  Abelschen  Theorem  eine  Funktion  auf  ^,  die  nur 
in  p  einen  Pol  1.  Ordnung  besäße  (und  in  q  Null  würde);  diese  Funktion 
müßte  die  Fläche  umkehrbar  eindeutig  und  konform  auf  die  Kugel  ab- 
bilden, was  mit  ^j  =  1  unverträglich  ist.  Verschiedenen  Punkten  p  ent- 
sprechen also  immer  verschiedene  Gitter  w  ==  w(p).  Deshalb  kann  div 
nirgends  0  sein,  -svie  auch  aus  unserer  allgemeinen  Formel  cZ  ==  2^  —  2 
für  p  =  1  folgt.  ^  ist  somit  umkehrbar  eindeutig  und  umkehrbar  gebiets- 
stetig (außerdem  konform)  abgebildet  auf  ein  Gebiet  ®  der  Mannigfaltig- 
keit ^^.  Da  ^  geschlossen  ist,  muß  auch  &  geschlossen  und  folglich 
mit  ganz  fjy^  identisch  sein:  f^y^  ist  der  gegebenen  Riemannschen  FläcJie 
konform- äquivalent  und  kann  als  Normalform  der  Riemannschen  Flächen 
vom  Geschlechte  1  angesprochen  werden.   Die  t^'-Ebene  ist  für  %/^  „Über- 


128  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen, 

lagerung-sfläche  der  Integralfunktionen"  (denn  w  ist  selber  eine  Integral- 
funktion),  zugleich  aber,  da  die  Ebene  einfach  zusammenhängend  ist,  die 
„universelle"  Überlagerungsfläche,  tv  ist  für  die  Funktionen  auf  der 
Grundfläche  ^  eine  uniformisierende  Variable,  d.  h.  alle  diese  Funktionen 
stellen  sich  dar  als  eindeutige  Funktionen  der  in  der  schlichten  Ebene 
variierenden  komplexen  Veränderlichen  u;  und  zwar  geschieht  die  Dar- 
stellung hier  —  dem  Umstände  entsprechend,  daß  zu  allen  Punkten  tv 
eines  A-Gitters  vermöge  w  =  w{p)  derselbe  Punkt  p  gehört  — ,  durch 
doppeltperiodische,  sog.  elliptische  Fmiktionen.  Zwei  Kiemannsche  Flächen 
vom  Geschlechte  1  sind  in  ihrer  Normalform  ^i^-,  ^y^"  dann  und  nur 
dann  konform -äquivalent,  wenn  die  Gitter  von  der  Gestalt  A'  und  A" 
Euklidisch-ähnlich  sind. 

Das  im  Falle  p  =  1  durch  die  elliptischen  Funktionen  gelöste  „TJm- 
Jcehrproblem"  besteht  für  eine  Fläche  ^  von  beliebigem  Geschlecht  p  in 
folgendem:  Ist  wl[]i  =  1,  2,  •..,  p]  eine  komplexe  Basis  der  Differentiale 
1.  Gattung  auf  ^,  so  sollen  zu  beliebig  vorgegebenen  Zahlen  /j,  ...,  /^^ 
Punkte  pj,  . ..,  p  auf  ^  so  gefunden  werden,  daß  (bei  geeigneter  Wahl 
der  Integrationswege) 
p 

(45)  2<(^')-'^     [h^l,2,...,p] 
1  =  1 

wird.  Dieses  Umkehrproblem  ist  im  Anschluß  an  das  Abelsche  Theorem 
von  Jacobi  aufgestellt  worden  und  fand  nach  wichtigen  Vorarbeiten  von 
Göpel  und  Rosenhain  allgemein  durch  Riemann  und  Weierstraß  mit  Hilfe 
der  ^-Funktionen,  gewissen  ganzen  transzendenten  Funktionen  der  p 
Argumente  J^^,  seine  Erledigung.-^)  Das  Problem  kann  offenbar  auch  so 
formuliert  werden:  Zu  einem  vorgegebenen  Charakterensystem  x^.  sollen 
Punkte  pp  p2>  ■  •  •■>  Pp  bestimmt  werden,  für  die 

(46)  XsiPi)-X,(P-^---Xs%)-X.s 

wird;  und  es  ist  dann  nach  dem  Abelschen  Theorem  der  Aufgabe  äqui- 
valent, eine  Funktion 

Q  _  MV -j  Pp 

^~    pr 


1)  Riemann,  Theorie  der  Abelschen  Funktionen,  Grelles  Journal,  Bd.  54 
(1857)  =  Werke,  2.  Aufl.,  S.  88—142;  Über  das  Verschwinden  der  Theta-Funk- 
tionen.  Grelles  Journal,  Bd.  65  (1865)  =  Werke,  S.  212—224.  Weierstraß.  Vor- 
lesungen über  die  Theorie  der  Abelschen  Transzendenten,  Werke,  Bd.  4.  Stahl, 
Theorie  der  Abelschen  Funktionen,  Leipzig  1896.  Prym  und  Rost,  Theorie  der 
Prymschen  Funktionen  erster  Ordnung,  Leipzig  1911,  2.  Teil,  7.  Abschnitt.  Erazer, 
Lehrbuch  der  Thetafuuktionen,  Leipzig  1903.  —  Die  große  Bedeutung  des  Um- 
kehrproblems liegt  für  uns  Heutige  nicht  nur  (und  wohl  nicht  einmal  überwiegend) 
in  seinem  Wert  an  sich  als  in  den  großartigen  Gedankenreihen,  zu  deren  Schöpfung 
Riemann  und  Weierstraß  durch  die  Bemühungen  um  seine  Lösung  getrieben  wurden. 


§  17.    Additive  und  multiplikative  Funktionen.  129 

mit  vorgegebenen  Multiplikatoren  x^  zu  finden,  die  nur  an  der  Stelle  p^ 
einen  Pol  von  höchstens  j?*^'  Ordnung  besitzt.  Es  ordnet  sich  dadurch 
naturgemäß  der  folgenden  allgemeinen  Fragestellung  unter: 

Die  FunUionen  0  mit  vorgegebenem  ^lultipWkatorsijstem  Xs  bilden 
eine  lineare  Schar  G  ,  d.  h.  man  verläßt  den  Bereicli  dieser  FunMionen 
nicht,  nenn  man  beliebige  von  ihnen  linear  mit  konstanten  Koeffizienten 
kombiniert.  Ist  ti  irgend  ein  Divisor  von  der  Gesamtordnung  m,  so  wird 

gefragt  nach  sämtlichen  Funktionen  aus  G  ,  ivelche  Multipla  von  ^  sind, 

und  insbesondere  nach  der  Anzahl  A  der  linear  unabhängigen  unter  ihnen. 
Es  ist  das  für  das  allgemeine  Charakterensystem  i^  die  gleiche  Frage, 
welche  wir  auf  S.  120 — 122  für  den  „Hauptcharakter"  ;^^.  =  1  behandelt 
haben.  Die  dort  gewonnenen  Resultate  lassen  sich  vollständig  über- 
tragen; zunächst  die  Ungleichung 

A^m  -\-  1  —  p, 

in  der  insbesondere  (b  =  p^,  m  =  p)  die  Lösbarkeit  des  Umkehrproblems 
ausgesprochen  liegt.  Ist  nämlich  Qq  =  Öq  irgend  eine  Funktion  aus  G  — 
daß  solche  existieren,  ist  ein  Hilfssatz,  dessen  Beweis  ^vir  sogleich  nach- 
holen werden  — ,  so  entstehen  die  in  G  liegenden  Multipla  von  j-  da- 
durch, daß  man  alle  unter  den  eindeutigen  Funktionen  auf  ^  existieren- 
den Multipla  von  -—  mit  0^  multipliziert.  Die  Anzahl  der  linear  un- 
abhängigen unter  den  letzteren  aber  ist,  da  t  bß  wie  b  die  Gesamtordnung 
tn  besitzt  (s.  S.  120),  ^  wi  +  1  — p. 

Aber  auch  die  Formel  des  vollständigen  Riemann-Rochschen  Satzes 
läßt  sich  sofort  übertragen.  Dazu  müssen  wir  neben  den  multiplikativen 
Funktionen  die  von  Herrn  Prym^j  in  die  Theorie  eingeführten  multipli- 
kativen Differentiale  mit  heranziehen.  Ein  solches  multiplikatives  oder 
Prymsehes  Differential  dl  ist  auf  §  eindeutig,  analytisch,  frei  von 
wesentlichen  Singularitäten  und  verhält  sich  den  Decktransformationen 
S  von  ^  gegenüber  gemäß  der  Gleichung 

wo  die  Xs  konstante  Multiplikatoren  vom  absoluten  Betrage  1  sind. 
Jedes  Prymsche  Differential  kann  durch  einen  Divisor  t  repräsentiert 
werden,  in  dessen  Zähler  diejenigen  Punkte  mit  der  richtigen  Multipli- 


1)  Grelles  Journal  Bd.  70  (1869;,  S.  354—262;  Bd.  71  (1870,,  S.  223—236 
und  S.  305—315.  Vgl.  die  auf  S.  118  zitierten  Arbeiten  von  Appell,  ferner:  Prym 
u.  Rost,  Theorie  der  Prymschen  Funktionen  erster  Ordnung,  Leipzig  1911; 
E,.  König,  Berichte  der  kgl.  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  (mathe- 
matisch-physikalische   Klasse),   Bd.  63  (l'Jll),  S.  348—368. 

Weyl:  Die  Idee  der  Kiemannschen  Fläche.  9 


230  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

zität  verzeichnet  stehen,  über  denen  die  Nullstellen  von  dl  liegen  und 
dessen  Nenner  die  Pole  von  ^T  enthält.  Aus  dem  Umstände,  daß  der 
Quotient  aus  einem  Prymschen  und  einem  beliebigen  Abelschen  (d.  i.  auf 
%  eindeutigen)  Differential  eine  Funktion  0  von  den  gleichen  Multipli- 
katoren \ne  das  Prymsche  Differential  ist,  folgt,  daß  durch  den  repräsen- 
tierenden Divisor  t  —  der  beliebig  vorgegeben  werden  kann,  wenn  nur 
seine  Gesamtordnung  2p  —  2  beträgt,  —  ein  Prymsches  Differential  dT 
eindeutig  bis  auf  einen  konstanten  Faktor  bestimmt  vnrd]  die  Multipli- 
katoren von  dl  sind  ==  Xsi^)  -  xl-  Verstehen  wir  nun  unter  B  die  Anzahl 
der  linear  unabhängigen  Prymschen  Differentiale  mit  den  Multiplikatoren 
r  ~\  welche  Multipla  von  b  sind,  so  gilt  der  verallgemeinerte  Riemann- 

BochscJie  Satz  ^)  ; 

Ä  =  B  -{-  (m-\-  1  -p). 

Denn  B  ist  identisch  mit  der  Anzahl  der  unter  den  Abelschen  Differentialen 
befindlichen  linear  unabhängigen  Multipla  von  b  bp  (aus  denen  die  in  Rede 
stehenden  Prymschen  Differentiale  mittels  Division  durch  ©^  hervorgehen). 
Schreiben  wir  %  ~^  statt  x^,  so  besteht  diese  Relation  also  zwischen 

der   Anzahl   B  derjenigen    linear    unabhängigen    Differentiale, 
welche  Multipla  von  Ö  sind  und  das  Multiplikatorsystem  %g  be- 
sitzen, einerseits, 
der    Anzahl    A    derjenigen    linear    unabhängigen    Funktionen, 

welche  Multipla  des  reziproken  Divisors  -^  sind  und   das  rezi- 
proke Multiplikatorsystem  —  besitzen,  anderseits. 

Um  wenigstens  einen  konkreten  Sonderfall  dieses  Satzes  anzugeben, 
nehmen  wir  für  b  den  keinen  einzigen  Puukt  mit  einem  von  0  verschie- 
denen Exponenten  enthaltenden  Divisor  „1";  dann  ist,  da  es  außer  der 
Konstanten  keine  Funktion  0  ohne  Pole  gibt,  A  =  0  zxx  setzen,  und  nur 
im  Falle  des  Hauptcharakters  A  =  1.  Mithin:  die  Prymschen  Differen- 
tiale 1.  Gattung  mit  vorgegebenen  Multiplikatoren  bilden  eine  lineare 
Schar  vom  Grade  p  —  1  (nur  im  Falle  des  Hauptcharakters  vom  Grade  j?). 
Wir  hatten  uns  bei  diesen  Überlegungen  zu  stützen  auf  den 
Hilfssatz:  Ist  x^  ein  vorgegebenes  Charakterensystem,  so  existieren 
stets  Funktionen  0,  deren  Multiplikatoren  =  Xs  sind. 

1)  Zuerst  formuliert  von  E.  Ritter,  Math.  Ann.  Bd.  44,  S.  314.  Vgl.  jedoch 
die  Fußnote  auf  S.  122.  Ritter  verwendet  statt  der  Divisorensymbolik  die  von 
Klein  begründete  Formentheorie  auf  Riemannschen  Flächen,  welche  eine  reale  Dar- 
stellung der  Divisoren  mit  Hilfe  mnltiplikativer  Formen  ermöglicht,  und  verallge- 
meinert in  Math.  Ann.  Bd.  47  (1896),  S.  157—221,  von  den  durch  Riemann  in  die 
Theorie  der  linearen  Differentialgleichungen  eingeführten  Grundsätzen  geleitet, 
seine  Untersuchungen  auf  Systeme  von  n  Formen,  die  sich  bei  Ausübung  einer 
Decktransformation  S  homogen-linear  transformieren. 


§  17.    Additive  und  multiplikative  Funktionen.  131 

Nach  dem  Abelschen  Theorem  kommt  die  Auffindung  einer  solchen 
Funktion 

ß  _  tii  Qa  •  •  •  q« 

'  ~  c\M  •  ■  •  q» 
darauf  hinaus,  Punkte  C{i,  (\^[l  =  1,2,  .  .  .,  n]  so  zu  finden,  daß 

n 

(47)  ^  {  w*M  -  <(qf) }  =  vorgegebenen  Werten  J'^  [h  =  1,  2,  .  .  .,  p] 

1  =  1 
■vNdrd.  C|j, .  .  .  q"  seien  p  voneinander  verschiedene  Punkte,  welche  so  ge- 
legen sind,  daß  kein  Differential  1.  Gattung  an  diesen  p  Stellen  gleich- 
zeitig verschwindet  (S.  123),  i-^  zugehörige  Ortsuniformisierende,  K;  solche 
-2,- Kreise  um  qf,  welche  sich  gegenseitig  nirgendwo  überdecken.  Die 
Gleichungen 

(48;  2fdw:  =  f,     [h=l,2,...,p] 

für  die  Unbekannten  q,  haben,  wenn  die  vorgegebenen  Werte  J^j^  hin- 
reichend klein  sind,  eine  und  nur  eine  Lösung,  bei  welcher  q,  (samt  dem 
Integrafcionswege  qj'qj  innerhalb  K^  zu  liegen  kommt,  da  die  Funktional- 
determinante 

1^1  +0- 

Sind  aber  J^j^  beliebige  Werte,  so  wähle  man  zunächst  eine  ganze  positive 
Zahl  N  so  groß,  daß  eine  solche  Auflösung  qj[Z  =  1,  2,  .  .  .,p]  der  Glei- 
chungen (48)  möglich  ist,  wenn  man  rechts  /^  durch  ^  ersetzt.    Dann 

liegt  auch  eine  Lösung  der  (unveränderten)  Gleichungen  (47)  vor,  bei  der 
n  =  Np  ist  und  in  der  Reihe  qi  q2  •  •  •  q„  jeder  der  Punkte  qi  .  .  .  q^,  in  der 
Reihe  qj  q"  .  .  .  q^^  jeder  der  Punkte  q^  .  .  .  q^  im  ganzen  iV-mal  auftritt. 
Bas  ümkehrproblem  (46)  ist  stets  lösbar,  wie  wir  oben  sahen;  es 
besitzt  aber  im  allgemeinen  auch  nur  eine  Lösung.  Die  Lösung  ist  nach 
dem  verallgemeinerten  Riemann-Rochschen  Satz  nämlich  nur  dann  mehr 
deutig  (unendlich-vieldeutig),  wenn  ein  Prymsches  Differential 

^T  =  Po''-(qiq2---qp-2)  =  t 

mit  den  Multiplikatoren  Xs~^  existiert,  das  an  der  Stelle  po"^o^  mindestens 
p^"  Ordnung  verschwindet;  dann  aber  ist 

Innerhalb  der  2p-dimensionalen  Mannigfaltigkeit  aller  möglichen  Cha- 
rakterensysteme bilden  diejenigen,  welche  man  aus  dieser  Formel  erhält, 
wenn  q^,  .  ,  .,  q     2  unabhängig  voneinander  die  Fläche  ^  durchlaufen. 


132  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

eine  nur  (2p  —  4)-diraensionale  Mannigfaltigkeit  X,  die  für  das  Umkehr- 
problem  die  Rolle  eines  singulären  Gebildes  übernimmt.^) 

Ist  Xs  ^^^  beliebiges  vom  Hauptcharakter  verschiedenes  Charakteren- 
system,  so  kann  man  die  Punkte  q^,  Qg,  .  .  .,  qp_2  so  annehmen,  daß  (bis 
auf  einen  konstanten  Faktor)  nur  ein  einziges  Prymsches  Differential 
1.  Gattung 

^T  =  K  ...qp_2)-(Pip2---Pp) 
mit  den  Multiplikatoren  Xs  existiert,  das  in  jenen  Punkten  verschwindet, 
■ —  gemäß   dem   Satz,   daß  die  Prymschen  Differentiale   1.  Gattimg  eine 
{P  ~  l)-dimensionale  Schar  bilden.    Diese  Wahl  hat  zur  Folge,  daß  die 
Gleichung 


J7^,v(pj=z.s--(z?:/7^.,(^^-) 


nur  eine  einsige  Lösung  p^pg  •  •  •  Pp  besitzt,  oder:  daß  das  auf  der  linken 
Seite  dieser  Gleichung  stehende  Charakterensystem  nicht  singulär  ist. 
Hingegen  gehört  der  rechts  in  Klammern  gesetzte  Bruch  zu  X.  Daß  es 
nur  p  —  1  Prymsche  Differentiale  1.  Gattung  gibt,  ist  demnach,  wenn 
wir  uns  der  Sprache  des  Umkehrproblems  bedienen,  dem  Satze  äquivalent: 

Das  singulare  Gebilde  X  geht  niemals  dadurch,  daß  man  alle  zu 
ihm  gehörigen  Charakterensysteme  der  Multiplikation  mit  einem,  festen 
Charalitcrensystem  x^  unterwirft,  in  sich  über  (vom  trivialen  Falle  Xs  =  ^ 
natürlich  abgesehen). 

Dies  mag  genügen,  um  den  Zusammenhang  des  Umkehrproblems 
mit  der  Theorie  der  multiplikativen  Funktionen  und  Differentiale  deut- 
lich zu  machen.  Analytisch  wird  man  die  Auflösung  des  Jacobischen 
Problems  in  der  Weise  angreifen,  daß  man  eine  willkürliche,  auf  f^  ein- 
deutige, bis  auf  Pole  reguläre  Funktion  /"(p)  zu  Hilfe  nimmt  und  dann 
statt  der  Punkte  p^,  pg?  •  •  •>  Pjo  selbst  die  Werte  der  Funktion  f  an  den 
Stellen  Pi,  p2,  •  •  •  Pp  aus  (45)  in  ihrer  Abhängigkeit  von  J^^,  /g?  •  •  •>  «^  zu 
ermitteln  sucht.  Da  diese  Größen  /"(pi),  /"(pa)  •  .  • ,  /"(p^, )  aber  nur  bis  auf 
ihre  Reihenfolge  bestimmt  sind,  ersetzt  man  sie  richtiger  durch  ihre 
elementar-symmetrischen  Funktionen,  d.  h.  durch  die  Koeffizienten  der- 
jenigen Gleichung  p^^'^  Grades 

deren  Wurzeln  die  Zahlen 

sind.  Diese  Koeffizienten  Ä^^,  ausgedrückt  in  Z^,  /g;  .  •  -,  -F  ,  sind  das, 
was  man  nach  Jacobis  Vorschlag  Abelsche  Funktionen  nennt.    Außer 

1)  Im  Falle  ^  =  1  ist  X  überhaupt  nicht  vorhanden  (S.  127),  im  Falle  _p  =  2 
besteht  es  aus  dem  einzigen  Charakterensystem  %%. 


§  17.    Additive  und  multiplikative  Funktionen.  133 

für  singulare  Wertsysteme  (J^)  =  (f^,  J^^,  .  .  .,  /^),  die  im  gesamten  2]i- 
dimensionalen  J^-Raum  nur  ein  Gebilde  von  {2p  —  4)  Dimensionen  aus- 
machen, sind  die  Abelschen  Funktionen  eindeutig  und  regidär-analy tisch. 
Sie  sind  femer  {2p) -fach  periodisch.  Ist  nämlich  a^\l  =  1,2,  ..  .,  2p^ 
eine  Basis  der  geschlossenen  Wege  auf  %  und 

so  bilden  die  Zahlen  a\,  a\,  .  .  .,  a^  für  jeden  Wert  des  Index  l  ein  Peri- 
odensystem der  Abelschen  Funktionen  ^((J^)): 

A{J^  +  a^}  =  A{S-)]  identisch  m  f^,  f^,  .  .  .,  f^, 
und  diese  2p  Periodensysteme  sind  in  dem  Sinne  linear  unabhängig,  daß 
die  Determinante,  deren  Z*®  Zeile  = 

ist,  von  0  verschieden  ausfällt.  Führt  man  den  Beweis,  der  hier  für  die 
Lösbarkeit  des  Umkehrproblems  angegeben  wurde,  explizit  durch,  so  ge- 
langt man  zu  dem  Resultat,  daß  sich  eine  Abelsche  Funktion  Ail/1  in 
jedem  endlichen  Stück  des  J^-Raumes 

\F,    <M,  \J^,[<M,...,  \J=j,\<M 

als  Quotient  zweier  Funktionen  darstellen  läßt,  die  in  diesem  endlichen 
Stück  durchaus  regulär-analytisch  sind.^)  Die  Unbestimmtheit  für  die 
singulären  Wertsysteme  (/)  kommt  dadurch  zustande,  daß  für  diese 
Zähler  und  Nenner  der  erwähnten  Darstellung  beide  verschwinden.  Die 
von  den  Unbestimmtheitsstellen  gebildete  Punktmenge  gestattet  keine 
Verschiebungen  in  sich  außer  denjenigen,  welche  die  Periodizität  der 
Abelschen  Funktionen  als  selbstverständlich  mit  sich  bringt.  —  Darüber 
hinaus  ist  von  Riemann  und  Weierstraß  durch  eine  viel  eindringendere 
Analyse  gezeigt  worden,  daß  die  Abelschen  Funktionen,  auch  ohne 
Einschränkung  auf  ein  endliches  Gebiet,  sich  als  Quotienten  von  ganzen 
transzendenten  Funktionen,  eben  der  '^--Funktionen,  darstellen  lassen,  und 
sie  haben  für  die  ■9- -Funktion  einen  expliziten  analytischen  Ausdruck 
in  Form  einer  stark  konvergenten  unendlichen  Reihe  angegeben.  Diese 
■9--Funktion  reicht  auch  aus,  um  die  allgemeine  Theorie  der  22;-fach  perio- 
dischen Funktionen  von  p  unabhängigen  komplexen  Argumenten  zu  be- 
gründen, von  der  die  Theorie  der  Abelschen  Funktionen  nur  ein  Sonder- 
faU  ist.2)  — 

Halten  wir  Rückschau  auf  die  in  diesem  langen  Paragraphen  ge- 
wonnenen Erkenntnisse,  so  können  wir  uns  vor  allem  der  Überzeugung 

1)  Vgl.  Weierstraß,  Werke  Bd.  4,  S.  451—456. 

2)  Vgl.  das  vierte  Kapitel  in  Krazers  Lehrbuch  der  Thetafunktionen  (Leipzig 
1903),  woselbst  sich  auch  die  weitere  Literatur  angegeben  findet. 


134  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

von  der  hohen  funUionentheoretisclien  Bedeutung  der  Zahl  p  niclit  ver- 
schließen; dennoch  ist  und  bleibt  diese  Zahl  ihrer  Wurzel  und  ihrem 
Wesen  nach  eine  Änalysis-situs-Größe.  Die  überall  durchschimmernden 
einfachen  Grundlinien,  von  denen  die  in  ihren  Details  verwickelte  und 
nicht  ganz  leicht  zu  übersehende  Rechtsordnung-  des  funktionentheore- 
tischen Staatswesens  beherrscht  wird,  weisen  eben  alle  -vvie  auf  eine  un- 
sichtbare, über  der  funktionentheoretischen  Wirklichkeit  schwebende  „gött- 
liche Gesetzgeberin"  auf  die  Analysis  situs  zurück. 

Was  aber  das  eigentlich  Funktionentheoretische  angeht,  so  hatten 
wir  es  mit  zicei  Gedmiken'kr eisen  zu  tun,  die  etwa  durch  die  Schlagworte 
additive  Funktion,  Partialbruchzerlegung,  Riemann-Rochscher  Satz  — 
multiplikative  Fimktion,  Produktdarstellung,  Abelsches  Theorem 
nochmals  einander  gegenübergestellt  werden  mögen.  Diese  beiden  Ge- 
dankenkreise durchdringen  sich  in  der  Theorie  der  eindeutigen  Funktionen 
auf  %,  deren  Aufbau  sich  von  hier  aus  mittels  der  in  §  16  gewonnenen 
Reziprozitätsgesetze  mühelos  vollzieht.  Die  Bedeutung  des  so  errichteten 
Gebäudes  wird  aber  erst  ins  rechte  Licht  gesetzt,  wenn  ^vir  das  System 
der  singularitätenfreien  eindeutigen  Funktionen  auf  einer  geschlossenen 
Riemannschen  Fläche,  wie  es  im  nächsten  Paragraphen  geschehen  soll, 
noch  von  einem  dritten  Gesichtspunkte  aus  als  algehraischen  FiinJctiotien- 
Jcörper  kennen  lernen;  denn  erst  auf  diesem  Standpunkt  erscheinen  jene 
Funktionen  mit  unsern  sonstigen  Interessen,  den  algehraischen  und  den 
geometrischen  —  soweit  diese  sich  auf  die  Theorie  der  algebraischen  Kur- 
ven in  der  Ebene  und  in  höher  dimensionierten  Räumen  beziehen  — 
aufs  engste  verknüpft. 

§  18.  Der  algebraische  Funktionenkörper. 

z  sei  auf  der  gegebenen  geschlossenen  Riemannschen  Fläche  ^  eine 
Funktion,  welche  sich  nicht  auf  eine  Konstante  reduziert,  sondern  jeden 
Wert  w-mal  annimmt.  Man  kann  ^  dadurch  zu  einer  sich  M-blättrig  über 
der  ^-Kugel  ausbreitenden  Überlagerungsfläche  machen,  daß  man  von  einem 
Punkte  p  auf  ^,  in  welchem  2  den  Wert  a  besitzt,  sagt,  er  liege  über 
dem  Punkte  z  =  a  der  ^-Kugel,  Über  denjenigen  endlich  vielen  Werten  a, 
für  welche  die  n  Punkte  p,  in  denen  z  den  Wert  a  annimmt,  nicht  alle 
voneinander  verschieden  sind,  liegen  allerdings  weniger  als  n  Punkte  der 
Überlagerungsfläche.  Nimmt  an  einer  Stelle  p^  die  Funktion  z  den  end- 
lichen Wert  a  r-mal  an,  so  ist  ^z  —  a  eine  Ortsuniformisierende  zu  p^, 
der  über  a  gelegene  Punkt  pp  ist  ein  Verzweigungspunkt  von  der  Ord- 
nung r  —  1.  Ist  U  irgendeine  Umgebimg  von  pg,  so  gibt  es  einen  Kreis 
\z  —  a\^s  auf  der  ^-Kugel,  so  daß  über  jedem  Punkt  dieses  Kreises 
(außer  über  dem  Mittelpunkt)  genau  r  der  Umgebung  U  angehörige 
Punkte  von  %  liegen,    dz  hat  in  po  eine  Xullstelle  der  {r  —  l)ten  Ord- 


§  18.    Der  algebraische  Funktionenkörper.  lo5 

nung-.    Nimmt  z  an  der  Stelle  p^,  5-mal   den   Wert   oo    an,   so  ist  1/  — 

eine  Ortsuniformisierende  zu  p^,  und  wir  haben  einen  Yerzweigungspunkt 
der  (s  —  l)ten  Ordnung-;  dz  besitzt  in  p^  einen  Pol  der  Ordnung  (s  -j-  !)• 
Wir  bezeichnen  die  Summe  der  Ordnungen  aller  Yerzweigungspunkte 
auf  der  Fläche,  ihre  „Verzweigiingszahl",  mit  F.    Es  ist 

Anzahl  der  yullstelhn  —  Anzahl  der  Pole  von  dz  =  ^(r  —  1)  —  2J{s  +  1), 
wo  die  erste  Summe  rechts  sich  auf  alle  Punkte  der  Fläche  bezieht,  außer 
auf  diejenigen,  welche  über  z=oo  liegen,  während  die  zweite  Summe  ge- 
rade diese  Punkte  betrifft.    Die  rechte  Seite  der  Gleichung  ist 

=  Z(r  -1)  +  2]{s  -1)  -  2  ■  Us  ^  V  -  2n, 

die  linke  Seite  =  2p  —  2,  wir  finden  mithin: 

F=2(i?-f-«-l\ 

Diese  Formel,  welche  zeigt,  daß  V  stets  gerade  ist,  und  das  Ge- 
schlecht der  Fläche  aus  Blätteranzahl  und  Yerzweigungszahl  zu  berech- 
nen gestattet,  kann  auch  rein  analysis-situs-mäßig  so  bewiesen  werden. 
Man  trianguliert  die  ^- Kugel  in  der  Weise,  daß  z  =  oo  und  diejenigen 
Punkte,  über  denen  Verzweigungspunkte  liegen,  sämtlich  als  Eckpunkte 
auftreten  und  auch  immer  nur  über  höchstens  einem  der  drei  Eckpunkte 
eines  Dreieckes  ein  Verzweigungspunkt  liegt.  Durch  Überlegungen  ähn- 
licher Art  wie  in  §  6  erkennt  man,  daß  diese  Triangulation  sich  auf  die 
Fläche  '^,  aufgefaßt  als  Überlagerungsfläche  der  ^^-Kugel,  überträgt. 
Über  jedem  Elementardreieck  der  triangulierten  Kugel  liegen  n  Dreiecke 
von  |5?  über  jeder  Kante  der  Kugel  n  Kanten  von  %.  Für  die  Gesamt- 
zahl D  und  K  der  Dreiecke  rmd  Kanten  von  %  haben  wir  deumach 
D  =  nDo,     K=nEQ, 

wenn  Dq,  Kq,  Eq  die  Anzahlen  der  Dreiecke,  Kanten  und  Ecken  der 
trianguHerten  Kugel  bedeuten.  Liegen  über  einem  Eckpunkt  z  =  a  der 
Kugel  h  Punkte  mit  den  Verzweigungsordnungen  r^  —  1,  •  •  •,  r^  —  1,  so 

gibt  das 

Eckpunkte  auf  %.  Die  Gesamtzahl  der  Eckpunkte  auf  %  beträgt  mithin 
JE  =  uEq—  V.  Da  die  Kugel  einfach  zusammenhängend  ist,  gilt  nach 
der  Eulerschen  Polyederformel: 

E,-{-D,-K,=  2. 
Daher  ist 

K ~  E -  D  =  n{K,-  E,-  D,)  -h  F=  F-2w, 
und  da 

K-E-D  +  2  =  2p 
wird  (§  12),  wie  oben: 


136  Funktionen  auf  ßiemannschen  Flächen. 

r=2(p-\-n  —  l). 

BQeraus  kann  nun  (umgekehrt,  wie  es  im  vorigen  Absatz  geschah),  ge- 
schlossen werden,  daß  die  Gesamtordnung  von  ds  (und  damit  eines  jeden 
Differentials  auf  der  Fläche)  =  V—2n  =  2p-2  ist. 

Die  Darstellung  einer  gegebenen  Riemannschen  Fläche  ^  als  Über- 
lagerungsfläche über  der  s-Kugel  kann  auch  dazu  dienen,  den  einen  Teil 
des  Ähelschen  Theorems,  welcher  aussagt,  daß  die  Bedingung 

4=1  k=l 

notwendig  ist,  damit 

eine  Funktion  2  auf  der  Fläche  ist,  sehr  einfach  zu  beweisen.  Sind  näm- 
lich allgemein  Pi,  P27  '  "?  Pn  ^®  nach  dieser  Auffassung  über  dem  Funkt 
s  der  ^- Kugel  gelegenen  Punkte  von  ^,  so  ist,  wenn  dw  ein  beliebiges 
Differential  1.  Gattung  auf  ^  ist,  durch 

dW  _  dwjp,)       dwip^l  4-  •  •  4-  ^^^^«^ 
dz  dz  dz  dz 

ein  überall  reguläres  Differential  d  W  auf  der  ^-Kugel  gegeben,  und  ein 
solches  ist  nicht  vorhanden  außer:  d  W  identisch  =  0.  Ziehen  wir  auf 
der  ;?-Kugel  irgendeine  Kurve,  z.  B.  einen  Meridian,  der  vom  Südpol 
2  =  0  zum  Nordpol  s  =  oc  führt,  so  bilden  die  darüberliegenden  Punkte 
von  ^  (sich  unter  Umständen  in  Verzweigungspunkten  treffende)  Kurven 
Ti}  •  •  •?  Tn}  ^^^^  ^^  folgt  durch  Integration  von  dW=^  0: 

(49)  jdw  -i -f   Cdw==^0. 

Diese  Gleichung  ist  mit  der  im  Abelschen  Theorem  ausgesprochenen 
notwendigen  Bedingimg  gleichbedeutend.  Zu  der  Einsicht,  daß  diese 
Bedingung  hinreichend  ist,  gelangt  man  jedoch  auf  diesem  Wege  nicht; 
wohl  aber  hindert  uns  nichts,  mit  Abel  das  Differential  1.  Gattung  dw 
durch  irgendein  mit  Polen  versehenes,  sonst  aber  reguläres  Differential 
auf  der  Fläche  zu  ersetzen  und  für  ein  solches  eine  ähnliche  Relation  wie 

(49)  abzuleiten.    Wir  gehen  darauf  jedoch  nicht  näher  ein.  — 

0  sei  wiederum  eine  Funktion  auf  der  Fläche  '^,  welche  jeden  Wert 
wmal  annimmt.  Ist  dann  f  irgendeine  Funldion  auf  der  Fläche,  so  <je- 
nügt  f  identisch  einer  Gleichung  n  ten  Grades 

(50)  r  +  r,(,)r-'+  ■•■+  r^_,{z)f  +  r,„{z)  =  0, 

in  der  die  r-(s)  rationale  Funldion  von  z  sind.  Das  bedeutet:  Ist  p^  irgend- 
ein Punkt  auf  ^,  t  eine  zugehörige  Ortsuniformisierende  und  sind  z  =  z{t\ 
f  =  f(f)  die  nach  ganzen  Potenzen  fortschreitenden  Entwicklungen  von 
z  und  f  in  der  Umgebung  von  p^,  so  geht  die  linke  Seite  von  (50)  iden- 


§  18.    Der  algebraische  Funktionenkörper.  137 

tiscli  in  0  über,  wenn  man  für  z  die  Potenzreihe  z{t),  für  f  die  Potenz- 
reihe  f{t)  einsetzt.  Um  diese  Gleichung-  (50)  zu  beweisen,  schließen  wir 
auf  der  5-Kugel  zunächst  den  Punkt  ^  =  oo  aus  und  diejenig-en  Punkte, 
über  denen  Verzweigung-spunkte  liegen  oder  Pole  der  Funktion  f.  Für 
jeden  anderen  5- Wert  bilden  wir  die  Zahl 

^■l(^)=/"(Pl)+/'(p2)  +  ---+/'(Pj, 

wo  die  Summe  rechts  sich  auf  die  n  über  s  gelegenen  Punkte  erstreckt. 
Von  der  Reihenfolge  ihrer  Numerierung  ist  sie  unabhängig.  Da  wir 
diese  Numerierung  so  einrichten  können,  daß  in  der  Umgebung  eines 
nicht  ausgeschlossenen  Punktes 

f iPi)}  f(p2)} '"^  fi^n)  Potenzreihen  in  s  —  Sq  werden,  ist  t\(z)  eine  in 
allen  nicht  ausgeschlossenen  Punkten  regulär-analytische  Funktion.  In 
den  ausgeschlossenen  Punkten  kann  diese  Funktion  keine  wesentlich 
singulären  Stellen,  mithin  nur  Pole  besitzen;  daher  ist  sie  eine  rationale 
Funktion  von  0.  Ebenso  erkennt  man,  daß  die  übrigen  elementarsym- 
metrischen Funktionen  von  f(pj),  ■  •  •,  f(pa)  ^i^^  rational  durch  ^  aus- 
drücken. 

Liegen  über  0^,  die  n  verschiedenen  Punkte  Pi,  •  •  •  Pl,  so  können 
wir  die  Funktion  f  so  wählen,  daß  sie  an  diesen  n  Stellen  voneinander 
verschiedene  Werte  besitzt.    Ist   rfr^(/i' =  1,  •  •  •,  n)  ein  Differential,  das 

dz 
nur  an  der  Stelle  p°  einen  Pol  und  dort  den  Hauptteil  — ^  besitzt, 

{z  —  zj 

so  kann  man  z.  B. 

setzen,  indem  man  für  C^,  •  •  •,  C„  irgend  n  verschiedene  Konstante  wählt. 
Die  Gleichung  wten  Grades  für  f  ist  daim  irreduzibel;  d.  h.  ihre  linke 
Seite,  das  Polynom  nten  Grades  der  Variablen  u 

FJu)  =  u^-^rMu---" -{-■-■  +  r„(5) 

läßt  sich  nicht  in  zwei  Polynome  F^p{u)  •  F^?\u),  deren  Koeffizienten 
gleichfalls  rationale  Funktionen  von  z  sind,  zerspalten.  Angenommen 
nämlich,  dies  wäre  möglich;  f  läßt  sich  in  der  Umgebung  von  p^  in  eine 
Potenzreihe  nach  der  zu  p\  gehörigen  Ortsuniformisierenden  2  —  s^  ent- 
wickeln. Diese  Potenzreihe  möge,  für  w  gesetzt,  der  Gleichung  F^}-\u)  =  0 
Genüge  leisten.  Verbinden  wir  p\  mit  irgendeinem  der  Punkte  p^  durch  eine 
Kurve  auf  %,  deren  Spur  auf  der  ^- Kugel  durch  keinen  der  ausge- 
schlossenen Punkte  hindurchgeht,  so  muß  für  alle  Funktionselemente 
{z,f)  längs  dieser  Kurve  die  Gleichung  i^^^)(M)  =  0  bestehen  bleiben. 
Infolgedessen  ist  auch  /"(p")  eine  Wurzel  der  Gleichung  F^^^{u)  =  0; 
diese  hat  also  n  verschiedene  Wurzeln  und  muß  folglich  vom  Grade  n 


5^38  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

sein;  F^^^u)  kann  demnacli  in  u  nur  vom  Oten  Grade  sein;  und  eine 
wirkliche  Zerlegung  von  der  vorausgesetzten  Art  kommt  nicht  zustande. 

Zu  jedem  Punkte  p  von  ^  gehört  ein  Funktion selemeut  (2,  f),  das 
der  Gleichung  F^(u}  =  0  Genüge  leistet.  Für  zwei  verschiedene  Punkte 
sind  diese  beiden  Funktionselemente  stets  verschieden,  und  die  zu  allen 
Punkten  p  gehörigen  Elemente  erschöpfen  die  Gesamtheit  derjenigen, 
welche  jene  Gleichung  befriedigen.  Mit  andern  Worten:  Die  Gesamtheit 
derjenigen  FunJdionselemente,  ivelche  der  irreduzihlen  algebraischen  Glei- 
chung F^{u)  =  0  genügen,  macht  ein  einziges  analytisches  Gebilde  im 
Weierstraßschen  Sinne  aus.  Dieses  analytische  Gebilde,  als  Riemannsche 
Fläche  aufgefaßt,  ist  der  gegebenen  Pdemannschen  Fläche  hon  form -äqui- 
valent; die  gegebene  Fläche  ist  die  zu  dem  durch  die  Gleichung  F^{u)  =  0 
definierten  algebraischen  Gebilde  gehörige  Riemannsche  Fläche.^) 

Jede  bis  auf  Pole  reguläre  Funktion  /'*  auf  der  Fläche  läßt  sich 
rational  durch  f  ausdrücken  mit  Koeffizienten,  die  rationale  Funktionen 
von  z  sind: 

/■*  =  B,{z)  +  PH{z)f+- .  •  +  R,,_,{z)f^-\ 

und  jede  rational  aus  2  und  f  gebildete  Funktion  ist  auf  der  Fläche  bis 
auf  Pole  regulär.  Wenn  man  z  als  unabhängige  Variable  auffaßt,  f  als 
die  durch  die  Gleichung  F,(u)  =  0  definierte  algebraische  Funktion  von 
0,  so  bilden  diejenigen  Funktionen,  welche  sich  rational  durch  f  aus- 
drücken lassen  mit  in  s  rationalen  Koeffizienten,  einen  algebraischen 
Funktionenkörper.  Unsere  Behauptung  läßt  sich  daher  so  aussprechen: 
Faßt  man  die  sämtlichen  bis  auf  Pole  regulären  Funktionen  auf  einer 
geschlossenen  Riemannschen  Fläche  als  Funhtionen  einer  beliebigen  unter 
ihnen  (die  nur  keine  bloße  Konstante  sein  darf)  auf,  so  bilden  sie  einen 
algebraischen  Funhtionenkörper. 

Zum  Beweise  setzen  wir  {Lagrangesche  Interpolationsformel) 

p^,  po,  ■  .  -,  pn  bedeuten  wieder  die  n  über  dem  Punkte  z  der  ^-Kugel  ge- 
legenen Punkte  von  '^.  Durch  die  gleiche  Schlußweise  wie  oben  findet 
man,  daß  die  Koeffizienten  des  Polynoms  (n  —  1)^^^  Grades  G^(u)  ratio- 
nale Funktionen  von  2  sind.  Für  alle  Werte  z,  für  welche  f{pj),  .  .  ., 
fiPn)  ^o^  einander  verschieden  sind,  folgt 

Man  kann  (etwa  durch  Anwendung  des  „Euklidischen  Teilerverfahrens"; 


1)  Die  Verallgemeinerung  dieses  Satzes  auf  beliebige  (ungeschlossene)  Flä- 
chen ist  von  P.  Koebe,  Comptes  Rendus,  1.  Juli  l^Oy,  bewiesen  worden.  Vgl. 
E.  Freundlich,  Funktionen  mit  vorgeschriebenem  unendlichblättrigen  Existenz- 
bereich, Göttinger  Dissertation  1910. 


§  18.    Der  algebraische  Funktionenkörper.  139 

vgl.  z.  B.  Weber,  Algebra,  2.  Aufl.,  Braunschweig  1899,  Bd.  1,  S.  41)  zwei 
Polynome  HJu),  L^(u)  mit  in  z  rationalen  Koeffizienten  so  bestimmen,  daß 

HXit)F'^{u)  +  mu)FXu)  =  1 
ist.    Die  Gleichung 

ist  dann  eine  Identität  auf  der  Fläche. 

Legt  man  statt  z  irgend  eine  andere  Funktion  auf  der  Fläche,  s,  als 
unabhängige  Variable  zugrunde,  so  kann  man  dazu  noch  auf  unendlich 
viele  Weisen  eine  Funktion  f  auf  der  Fläche  bestimmen,  von  solcher  Art, 
daß  alle  Funktionen  sich  rational  durch  z  und  f  ausdrücken  lassen. 
Zwischen  s  und  /^besteht  eine  irreduzible  algebraische  Gleichung  J^t (/^)  =  0. 
£  und  f  sind  rationale  Funktionen  der  durch  die  Gleichung  F^(f)  =  0 
verknüpften  Variablen  z,  f\  und  umgekehrt  sind  z  und  f  rationale  Funk- 
tionen der  durch  die  Gleichung  F^{t)  =  0  verknüpften  Variablen  ^,  f. 
Durch  die  „biratiouale  Transformation"  {z,  f)  ^ — r  {ß,  f)  gehen  die 
Gleichungen 

Fau)  =  0    und    Ft(:ü)  =  0 

ineinander  über.  Der  Grad  dieser  Gleichung  ist  natürlich  keineswegs 
eine  Invariante  gegenüber  birationaler  Transformation,  wohl  aber  das 
Geschlecht  p. 

Gibt  es  auf  ^  eine  Funktion  z,  die  jeden  Wert  nur  einmal  annimmt, 
so  ist  der  zugehörige  algebraische  Körper  der  Körper  der  rationalen  Funk- 
tionen von  z  (und  p  =  0).  Gibt  es  auf  ^y  zwar  keine  Funktion,  die  jeden 
Wert  nur  einmal  annimmt,  wohl  aber  eine  solche,  z,  die  jeden  Wert  genau 
zweimal  annimmt,  so  können  "svir  die  den  zugehörigen  Körper  bestim- 
mende algebraische  Gleichung  (die  quadratisch  sein  mußj  von  der  Form 
voraussetzen: 

u'  =  (^  -  e^){z  -  e,)  .  . .  {z  -  ej), 
wo  die  e-  alle  untereinander  verschieden  sind.    Diese  l  Punkte  und,  wenn 
l  ungerade  ist,  auch  noch  der  Punkt  oo  sind  Verzweigungspunkte  1.  Ord- 
nung,  und   das    Geschlecht  p    ist    demnach  =  --  —  1,    wenn   l    gerade, 

=  —:->-,  wenn  l  ungerade  ist.     Wir  sehen :   l  =  1  oder  =  2   führt   noch 

wieder  auf  den  rationalen  Körper  p  =  (j-  1  =  3  oder  =  4  hat  ^9  =  1  zur 
Folge,  das  ist  der  elliptische  Fall;  wenn  /  >  4  ist,  bekommen  wir  die 
sog.  hyperelliptisclien  Funktionenkörper.  —  In  einem  beliebigen  al- 
gebraischen Funktionenkörper  vom  Geschlechte  p  =  1  gibt  es  stets  eine 
Funktion  mit  zwei  vorgeschriebenen  Polen,  also  eine  Funktion,  die  jeden 
Wert  nur  zweimal  annimmt;  in  jedem  Funktionenkörper  vom  Geschlechte  2 
erhalten  wir  eine  Funktion  der  gleichen  Art,  indem  wir  zwei  linear  unab- 


]^40  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

liängige  Abelsche  Differentiale  1.  Gattung  durcheinander  dividieren.  Erst 
von  ;;  =  3  ab  ist  der  liyperelliptisclie  Fall  nicht  mehr  der  allgemeine.^) 
Wenn  man  nicht,  wie  es  hier  geschehen  ist,  von  der  Riemannschen 
Fläche  ausgeht,  sondern  von  einer  bestimmten  algebraischen  Gleichung 
F,{u)  =  0  (wie  es  in  der  Weierstraßschen  und  anderen  Theorien  ge- 
schieht), wird  man  es  als  eine  naturgemäße  Forderung  betrachten  können, 
alle  diejenigen  Funktionen  und  Differentiale,  deren  Existenz  in  den 
vorigen  Abschnitten  mit  Hilfe  des  Dirichletschen  Prinzipes  erschlossen 
ist,  auf  rein  algebraischem  Wege  als  rationale  Ausdrücke  in  z,  f  [die 
Differentiale  in  der  Form  B{ß^f)dz']  zu  konstruieren.  Sobald  aber  das 
Gegebene  nicht  eine  algebraische  Gleichung,  sondern  die  Riemannsche 
Fläche  ist,  muß  im  Gegenteil  der  hier  im  Anschluß  an  Riemann  bespro- 
chene funktionentheoretische  Weg  als  der  natürliche  erscheinen.  Wie 
^\-ichtig  auch  jene  algebraischen  Konstruktionsprinzipien  sein  mögen, 
namentlich  mit  Rücksicht  auf  spezielle  Anwendungen  der  Theorie,  — 
man  wird  doch  den  Standpunkt  Riemanns  als  den  höheren  bezeichnen 
dürfen,  da  von  ihm  aus  ein  umfassenderer  und  tieferer  Einblick  in  die 
eigentümlichen  Gesetze,  welche  dieses  Gebiet  mathematischer  Erkenntnis 
beherrschen,  möglich  wird,  als  sich  auf  anderem  Wege  gewinnen  läßt. 
Selbst  wenn  man  den  Weierstraßchen  Begriffsbildungen  folgt,  wird  man, 
wie  ich  schon  früher  erwähnte,  die  Auffassung  des  analytischen  Gebildes 
als  einer  zweidimensionalen  Mannigfaltigkeit  nicht  umgehen  können,  ohne 
den  Dingen  Gewalt  anzutun,  und  es  ist  dann  nur  ein  kleiner  Schritt,  die 
dieser  Mannigfaltigkeit  zukommenden  Analysis-situs-Eigenschaften  — 
deren  tiefeinschneidende  funktionentheoretische  Bedeutung  inzwischen 
zur  Genüge  hervorgetreten  ist  —  allen  anderen  als  die  primitivsten 
voranzustellen.     Darüber  hinaus  ist    für    die  Riemannsche  Art  der  Be- 

1)  Der  Abriß  der  Theorie  der  algebraischen  Funktionen,  den  wir  hier 
geben  konnten,  ist  nur  unvollständig.  Genaueres  findet  der  Leser  außer  in  den 
bereits  zitierten  Werken  von  Eiemann,  Weierstraß,  Klein,  C.  Iseumann,  Stahl, 
Hensel-Landsberg  noch  in  folgenden  Darstellungen:  Clebsch  und  Gordan,  Theorie 
der  Abelschen  Funktionen,  Leipzig  1S66  i kurventheoretisch).  Brill  und  Noether, 
Über  die  algebraischen  Funktionen  und  ihre  Anwendung  in  der  Geometrie,  Math. 
Ann.  Bd.  7  (1874  ,  S.  269 — 310  (kurventheoretisch);  Die  Entwicklung  der  Theorie 
der  algebraischen  Funktionen,  Bericht  der  Deutschen  Mathematiker- Vereinigung 
Bd.  3,  Berlin  1894.  Dedekind  und  Weber,  Theorie  der  algebraischen  Funktionen 
einer '  Veränderlichen ,  Grelles  Journal  Bd.  92  (1882),  S.  181—290  (arithmetisch); 
auch  dargestellt  in  Weber,  Algebra,  Bd.  III,  2.  Aufl.,  Braunschweig  1908,  S.  623  ff. 
Klein-Fricke.  Theorie  der  elliptischen  Modulfunktionen  (1890—92),  Bd.I,  Abschn.  III, 
Kap.  1,  2.  und  Bd.  II,  Abschn.  VI,  Kap.  1.  Klein,  Riemannsche  Flächen  I,  II, 
autographierte  Vorlesungen,  Göttingen  1892/93.  Appell  et  Goureat,  Theorie  des 
fonctions  algebriques.  Paris  1895.  Baker,  Abels  theorem  and  the  allied  theory 
incl.  the  theory  of  the  Thetafunctions,  Cambridge  1897.  Fields,  Theory  of  the 
algebraic  fuuctions  of  a  complex  variable,  Berlin  1906.  Stahl,  Abriß  einer  Theorie 
der  algebraischen  Funktionen  einer  Veränderliehen  in  neuer  Fassung  (nachge- 
lassene Schrift,  herausgegeben  von  Löffler  und  Xoether),  Leipzig  1911. 


§  19.    Uniformisierung.  141 


handlung  charakteristisch,  daß  in  ihr  überall  nicht  das  analytische  Ge- 
bilde, sondern  die  Riemannsche  Fläche  als  das  Gegebene  angesehen 
wird,  und  die  Konstruktion  eines  zugehörigen  analytischen  Gebildes 
gerade  einen  Hauptbestandteil  der  zu  lösenden  Probleme  bildet.  In  der 
Riemannschen  Darstellung  selbst  tritt  dieser  Standpunkt  freilich  noch 
nicht  mit  derjenigen  vollständigen  Klarheit  hervor,  mit  der  wir  ihn  jetzt  an 
Hand  der  Arbeiten  von  Prym,  Dedekind^),  C.  Neumann  und  nament- 
lich von  Klein  herauspräparieren  können. 

Jede  Riemannsche  Fläche  vom  Geschlechte  p  kann  man,  wie  wir 
sahen,  darstellen  als  eine  mehrblättrige  Überlagerungsfläche  über  der 
Kugel  (mit  endlich  vielen  Verzweigungspunkten,  aber  ohne  Grenzen). 
Diese  „Normalform"  läßt  sich  jedoch,  selbst  wenn  man  die  Blätterzahl  n 
durch  die  Bedinguug  n  =  p  -{-  1  normiert  (was  immer  zu  erreichen  ist), 
noch  auf  die  mannigfachste  Art  herstellen.  Eine  sehr  viel  höhere  prin- 
zipielle Bedeutung  kommt  der  im  wesentlichen  eindeutig  bestimmten 
Normalform  der  Riemannschen  Flächen  von  beliebigem  Geschlechte  zu, 
welche  durch  die  Uniformisierungstheorie  (Theorie  der  automorphen 
Funktionen)  geliefert  wird. 

§  19.  üniforinisiernug:. 

In  der  Theorie  der  Uniformisierung  verwachsen  die  Weierstraßschen 
und  Riemannschen  Gedankenkreise  zu  einer  vollständigen  Einheit.  Wäh- 
rend bei  Weierstraß  das  analytische  Gebilde  {z,  u)  an  jeder  einzelnen 
Stelle  durch  eine  besondere  Darstellimg  mit  Hilfe  eines  Parameters  t 
(der  „Ortsuniformisierenden") :  s  =  z(t),  u  =  ti(t')  beschrieben  wird,  Rie- 
mann  freilich  eine  einheitliche  Darstellung  z  =  zip),  u  ==  u{p)  des  ganzen 
Gebildes  gewinnt,  dabei  aber  den  Parameter  p  als  Punkt  auf  einer  Rie- 
mannschen Fläche  (nicht  als  komplexe  Variable  im  gewöhnlichen  Sinne ) 
aufzufassen  gezwungen  ist,  handelt  es  sich  in  der  Uniformisierungstheorie 
darum,  für  ein  analytisches  Gebilde  eine  einheitliche  Darstellung  z  =  z(t), 
u  =  u{t)  mit  Hilfe  eines  in  einem  Gebiet  der  schlichten  komplexen  Ebene 
variierenden  Parameters  t,  der  uiiiforniisierenden  Variablen,  herzu- 
stellen. Als  eigentliche  Begründer  der  Theorie  der  automorphen  Funl- 
tionen,  aufweiche  dieses  Problem  führt,  sind  F.  Klein  und  H.  Poincare^) 
zu  nennen,  deren  allgemeine  Auffassungen  und  Resultate  in  der  Literatur 

1)  Prym  vertritt  diesen  Standpunkt  in  seinen  Arbeiten  von  1869  ab;  von 
Dedekind  kommt  hier  die  auf  S.  35  zitierte  Arbeit  über  die  elliptische  Modul- 
funktion aus  dem  Jahre  1877  in  Betracht. 

2)  Von  Poincare  siehe  außer  zahlreichen  Comptes-Rendus-Noten  aus  den 
Jahren  188182  namentlich  die  Abhandlungen  in  den  Acta  Mathematica,  Bd.  1, 
3,  4,  5  (188284);  von  Klein  die  Arbeiten  in  den  Math.  Ann.,  Bd.  19,  2ü,  21 
(1882  83),  ferner  die  vor  kurzem  zum  Abschluß  gekommene  umfassende  Dar- 
stellung: Fricke  u.  Klein,  Vorlesungen  über  die  Theorie  der  automorphen  Funk- 
tionen, Leipzig  1897 — 1912. 


142  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

vorbereitet  erscheinen  durcli  wichtige,  wenn  auch  speziellere  Unter- 
suchungen namentlich  von  Riemann,  Schwarz,  Fuchs,  Dedekind,  Klein 
und  Schottky.  Der  Beweis  für  die  Möglichkeit  der  Uniformisierung 
ist  auf  Grund  der  Idee  der  Überlagerungsfläche  vollständig  erst  in 
neuester  Zeit  (1907)  von  P.  Koebe  und  H.  Poincare  geliefert  worden.^) 
Klein,  Poincare  und  Koebe  ist  es  vor  allem  zu  verdanken,  wenn  heute 
die  Theorie  der  Uniformisierung,  welche  innerhalb  der  komplexen  Funk- 
tionentheorie eine  zentrale  Stellung  beanspruchen  darf,  als  ein  mathe- 
matisches Gebäude  von  besonderer  Harmonie  und  Großzügigkeit  vor  uns 
steht.^)  —  Der  Grundgedanke  des  im  folgenden  geführten  Beweises,  aus 
dem  DiricJdetschen  Prinzip  die  Existenz  der  uniformisierenden  Variablen 
zu  erschließen,  rührt  von  Hilbert  her.^j 

Die  Uniformisierende  t,  welche  wir  suchen,  soll  so  beschaffen  sein, 
daß  sie  sich  an  jeder  Stelle  der  gegebenen  Fläche  %  als  Ortsuniformi- 
sierende  eignet.  Sie  wird  daher  eine  eindeutige,  von  Polen  1.  Ordnung 
abgesehen,  regulär- analytische  Funktion  auf  der  universellen  Über- 
lagerungsfläche %  sein  müssen.  Suchen  wir  dasjenige  t,  welchem  die 
stärkste  uniformisierende  Kraft  zukommt,  so  werden  wir  t  derart  zu  be- 
stimmen suchen,  daß  es  an  zwei  verschiedenen  Stellen  der  Fläche  %  nie- 
mals denselben  Wert  annimmt,  also  %  umkehrbar  eindeutig  und  konform 
auf  ein  Gebiet  der  ^-Kugel  abbildet.  Dann  werden  nicht  nur  die  Funk- 
tionen auf  der  Grundfläche  '^  sich  als  eindeutige  Funktionen  von  t  dar- 
stellen lassen,  sondern  die  viel  umfassendere  Gesamtheit  derjenigen  (auf 
'%  im  allgemeinen  unendlich  vieldeutigen)  Funktionen,  welche  aus  einem 
Funktionselement  auf  ^  entstehen,  das  sich  ohne  Verzweigung  und  im- 
begrenzt  auf  allen  Wegen  in  %  fortsetzen  läßt.  Und  da  %  (im  Gegensatz 
zu  %)  einfach  zusammenhängend  ist,  widerstreitet  die  Möglichkeit  einer 
solchen  Abbildung  nicht  den  Analysis-situs-Eigenschaften  von  %.  Die  in 
den  vorigen  Paragraphen  zugrunde  gelegte  Voraussetzung,  daß  ^  ge- 
schlossen ist,  können  wir  jetzt  gern  fallen  lassen,  da  sie  für  die  Uniformi- 
sierungstheorie  in  keinerlei  Hinsicht  eine  Vereinfachung  mit  sich  bringt. 

1)  Poincare,  Acta  Mathematica  Bd.  31  (1908),  S.  1—63;  Koebe,  Nachrichten 
der  K.  Ges.  d.  Wissensch.  zu  Göttingen  1907,  S.  191—210  und  S.  638—669. 

2)  Vgl.  die  Zusammenstellung  der  neueren  Literatur  bei  Koebe,  Über  die 
Uniformisierung  der  algebraischen  Kurven,  I  [Math.  Ann.  Bd.  67,  1909,  S.  146  bis 
149],  II  [Math.  Ann.  Bd.  69,  1910,  S.  2—3]  und  lü  [Math.  Ann.  Bd.  72,  1912, 
S.  438 — 439];  ferner  Koebe,  Über  die  Uniformisierung  beliebiger  analytischer 
Kurven  I  [Grelles  Journal  Bd.  138,  1910,  S.  195]  und  11  [Grelles  Journal  Bd.  139, 
1911,  S.  251  ff.].  Zu  einer  allgemeinen  Orientierung  über  die  Resultate  und  Pro- 
bleme dieses  Teiles  der  Funktionentheorie  dient  vorzüglich  das  Referat  über  die 
Karlsruher  Verhandlungen  (1911)  im  Jahresbericht  der  Deutschen  Mathematiker- 
Vereinigung  Bd.  21,  1912,  S.  153—166. 

3)  Zur  Theorie  der  konformen  Abbildung,  Göttinger  Nachrichten,  1909,  S.  314 
bis  323. 


§  19.    Uniformisicrung.  143 


Wir  erhalten  die  g-esuchte  Uniformisierende  einfach  dadurch,  daß 
wir  das  Dirichletsche  Prinzip  nicht  auf  ^,  sondern  auf  die  Überlag'erung's- 
fläche  ^  anwenden.  Wir  wählen  auf  ^  einen  Punkt  0  mit  der  Orts- 
uniformisierenden  Zq  und  konstruieren  mit  Hilfe  des  Dirichletschen 
Prinzipes  diejenig-e  auf  ganz  ^  abgesehen  vom  Punkte  0  reguläre 
Potentialfunktion  U,  welche  sich  in  0  verhält  wie  9i  —  und  welche  die 
Eigenschaft  besitzt,  daß 

1.  das  über  die  ganze  Fläche  ^  mit  Ausschluß  eines  beliebig  kleinen 
^Jß-Kreises  um  0  erstreckte  Dirichletsche  Integral  von  U  endlich  ist, 

2.  für  jede  stetig  differentiierbare  Funktion  w  auf  ^  mit  endlichem 
Dirichletschen  Integral,  die  in  der  Umgebung  von  0  verschwindet,  die 
Variation 

D(C/,  wO  =  0 
wird. 

ü  gibt  zu  einem  Differential  dt  auf  ^  Veranlassung,  und  dieses 
muß,  da  ^  einfach  zusammenhängend  ist,  das  Differential  einer  bestimmten 
Funktion 

sein,  deren  Realteil  mit  ü  übereinstimmt  und  die  überall,  abgesehen  vom 
Punkte  0,  regulär  analytisch  ist,  in  0  aber  einen  Pol  1.  Ordnung  besitzt. 
T  ist  dann  eine  uniformisierende  Variable,  wie  wir  sie  suchen.  Der  Nach- 
weis dieser  Tatsache  gelingt  in  sehr  eleganter  Weise  mit  Hilfe  der 
folgenden,  von  Herrn  Koebe  herrührenden  Deduktion.^) 

Wir  zeigen  zunächst: 

Ist  Vq  irgend  eine  reelle  Konstante,  so  bilden  diejenigen  Punkte  auf  ^, 
in  denen  F>  F^  ist,  ein  einziges  Gebiet,  ebenso  diejenigen,  in  denen 
F<  Fo  ist. 

Für  0  ist      eine  Ortsuniformisierende,  und  es  sei  K^  :    -     <  a«  eüi 

-Kreis  um   0.    Ist  ©(F^)  diejenige  abgeschlossene  Menge  auf  %,   die 

aus  allen  Punkten  besteht,  in  denen  V=  Vq  ist,  so  haben  gewiß  nur  zwei  der 
durch  ©(Fq)  bestimmten  Gebiete  Punkte  in  K^  liegen.  Würde  unsere  Be- 
hauptung also  falsch  sein,  so  gäbe  es  unter  den  durch  ©(F^j)  bestimmten 
Gebieten  eines,  es  heiße  @,  das  nicht  in  die  Umgebung  K^  von  0  ein- 
dringt. Es  seien  jetzt  cp{u),  ipiu)  irgend  zwei  für  alle  reellen  m- Werte 
definierte  stetige  und  stetig  differentiierbare  Funktionen.  Wir  bilden  die 
folgende  Funktion  w  auf  der  Fläche  ^: 


1)  Über  die  Hilbertsche  Uniformisierungsmethode,  Nachrichten  der  K.  Ges. 
d.  Wissensch.  zu  Göttinnen  1910,  S.  61—65. 


144  Funktionen  auf  ßiemannschen  Flächen. 

u^  =  l9^(ü)t(V)  mr  alle  Punkte  innerlialb  @ 

1  0  für  alle  nicht  zu  ©  gehörigen  Punkte. 

Sie  wird  überall  stetig  clifferentiierbar  sein,  wenn 

ist.  In  der  Umgebung  K^  von  0  verschwindet  ic  identisch.  Ist  p  irgend 
ein  Punkt  in  @  und  s  =  x  +  iy  eine  Ortsuniformisierende  zu  :p,  so  ist 

g_^'(f>(F)i^'+,p(P)^'(F)|i- 

Wenn  q;,  ip,  (p',  ijj'  beschränkte  Funktionen  sind,  wird  also  das  über 
ganz  ^  erstreckte  Dirichletsche  Integral  von  w  endlich  sein.  Unter  den 
angegebenen  Voraussetzungen  müßte  daher  D(  Z7,  iv)  =  0  werden.  Nun  ist: 

Sorgen  wir  also  dafür,  daß  (f',  ^  für  alle  Werte  ihres  Arguments  (i/; 
außer  für  u  =  Vq)  positiv  sind,  so  kommen  A\ir  zu  einem  Wider- 
spruch.^) 

Aus  der  damit  bewiesenen  Tatsache  und  dem  Umstände,  daß  ^  ein- 
fach zusammenhängend  ist,  kann  man  folgende  Schlüsse  über  das  Ver- 
halten von  r  ziehen: 

1.  dx  hat  nirgends  eine  NuUstelle.  Würde  nämlich  an  einer  Stelle 
^0  von  f5f,  wo  r  den  Wert  Tq  besitzt,  dt  =  0  sein,  so  wäre  nicht  x  —  r^, 
sondern  i/t —  x^  {r  ganz  und  ^  2)  Ortsuniformisierende  zu  :pQ;  nehmen 
wir  an,  es  wäre  r  ==  2  (für  höhere  r  verläuft  der  Beweis  analog).  Ich  setze 
X  —  Xq  =  6^  und  zeichne  in  der  komplexen  (?-Ebene  einen  Kreis  K  mit  dem 
Mittelpunkt  (5  =  0,  so  klein,  daß  er  als  das  durch  die  Funktion  6  er- 
zeugte konforme  Abbild  einer  gewissen  Umgebung  des  Punktes  p^ 
auf  if  erscheint.  Ich  nehme  vier  in  K  gelegene  Punkte  p^pg?  1i  ^2  ^^> 
wie  es  Figur  24  andeutet,  die  über  Kreuz  durch  zwei  geradlinige,  sich 
im  Nullpunkte  schneidende  Strecken  a,  ß   verbunden  sind.    In  p^  und 


1)  Einen  allen  gestellten  Forderungen  genügenden  Ansatz  erhalten  wir  z.  B., 
wenn  wir  mit  Hilfe  der  Funktionen 

ß(M)  =  arctgM        ^_|<a(jt)<|-j,  (^1^)  =  ^  "     ..= 

<jp  iu)  =  a(M) ,  -ip  (tt)  =  /3(«  —  Fo) 

bilden. 


§  19.   Uniformisierung. 


145 


'A' 


Fig.  24. 


po  ist  F>  Fq,  in  Qjjq,  hingegen  F<  F^.  Diese  Figur  denke  ich  mir 
auf  die  Fläche  ^,  die  in  bestimmter  Weise  trianguliert  sei,  übertragen^); 
dann  kann  ich  p^  p,  durch  einen  Streckenzug  a'  verbinden,  in  dessen 
sämtlichen  Punkten  V'^  V^  ist,  ebenso  q^  qg  durch  einen  Strecken- 
zug ß',  in.  dessen  sämtlichen  Punkten  F<  Fq  ist.^)  Die  beiden  geschlos- 
senen Kurven  cc  -\-  a,  ß  -\-  ß'  schneiden  sich  nur  ^--~J~-n 
im  Punkte  p^,  und  es  geht  daraus,  genau  wie  "^  2  \ 
auf  S.  46,  hervor,  daß  ß  -\-  ß'  die  Fläche  ^  nicht 
zerlegt.  Kreuze  ich  eine  zu  ß'  gehörige  Strecke 
durch  eine  Elementarstrecke  a*,  so  kann  ich 
deren  Endpunkte  durch  einen  Streckenzug  mit- 
einander verbinden,  der  ß  -{-  ß'  nirgends  trifft. 
Dieser  bildet  mit  a*  zusammen  ein  Polygon, 
das  ^  unzerlegt  läßt.  Ein  solches  Polygon  kann 
aber  nicht  existieren,  weil  §  einfach  zusammen- 
hängend ist. 

2.  Dadurch,  daß  ich  von  einem  Punkte  der  Fläche  ^y,  in  welchem  r 
den  Wert  Tq  besitzt,  sage,  er  liege  über  dem  Punkte  t^  der  r-Kugel,  ^vird 
^  zu  einer  Überlagerungsfläche  ^^  über  der  r-Kugel  oder  der  r-Ebene. 
Diese  ist  nach  dem,  was  soeben  unter  1.  bewiesen  wurde,  unverzweigt.  Über 
T  =  oo  liegt  der  einzige  Punkt  0.  Ich  verfolge  die  Linie  V  =  V^,  von 
T  =  oo  ausgehend,  in  der  t- Ebene  in  der  Richtung  von  kleineren  zu 
größeren  f/- Werten  und  auf  ^^  einen  von  0  ausgehenden,  stetig  sich  be- 
wegenden Punkt  p,  der  immer  über  dem  diese  Linie  in  der  r-Ebene  be- 
schreibenden Punkt  bleibt.  Stoße  ich  vor  der  Rückkehr  nach  oo  auf  keine 
Grenze,  so  beschreibt  p,  da  über  oo  nur  der  eine  Punkt  0  liegt,  eine  ge- 
schlossene Kurve  y,  die  die  Linie  F  =  Vq  der  r-Ebene  einfach  überdeckt. 
Stoße  ich  jedoch  auf  eine  Grenze,  so  erhalte  ich  eine  Linie  y^  auf  ^^,  die 
ein  gcAvisses  Stück  U<  ü^  der  Geraden  V  =Vq  einfach  überdeckt.  Dann 
verfolge  ich  die  Gerade  V  =  V^  noch  von  größeren  zu  kleineren  Werten 
von  ü  fortschreitend  und  erhalte  auf  ^^^  eine  Linie  y.,,  die  ein  Stück  U>  U.^ 
dieser  Geraden  einfach  überdeckt,  y^  -j-  y^  bilden  zusammen  eine  durch  Ö 
hindurchgehende  ungeschlossene  Kurve  y  ohne  Ende  auf  ^j.^)  In  jedem 
der  beiden  Fälle  zerlegt  die  Linie  y  die  Fläche  g«^,  da  diese  einfach  zu- 


36=0 


1)  Auf  g  darf  ich  alsdann  a,  ß  nicht  mehr  als  „Strecken"  bezeichnen. 

2)  Natürlich  kann  ich  voraussetzen,   daß  ß'  mit  ß  außer  den  beiden  End- 
punkten keine  weiteren  Punkte  gemein  hat;  vgl.  S.  46. 

3)  Eine  Kurve  ohne  Ende  hat  eine  Darstellung 

p  =  p(i)     [0<X<1], 
und  die  zu  ihr  gehörigen  Punkte,  p  bilden,  trotzdem  den  Parameterwerten  1  =  0 
und  i  =  1  kein  Kurvenpunkt  entspricht,  eine  abgeschlossene  Menge. 

Weyl:  Die  Idee  der  Eiemannschen  Fläche.  10 


Ü-U. 


146  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

sammenhängend  ist,  in  zwei  Gebiete  ©',  @".  Würde  es  noch  Punkte  auf 
%,  in  denen  V  =  V^  ist,  außer  auf  y,  etwa  in  ©'  geben,  so  würde  es  in 
@'  sowohl  Punkte  geben,  in  denen  F<  V^,  als  solche,  in  denen  V>  V^ 
wäre.  Die  Punktmenge  ©(F^)  müßte  demnach  mindestens  drei  Gebiete 
bestimmen.  Mit  der  Linie  y  sind  daher  die  Punkte,  in  denen  V  =  F^  ist, 
erschöpft.  '%  ist  als  Üherlagerungsflädie  der  t-Kugel  also  iiberall  höchstens 
zweiblättrig.  Ein  Wert  TJq  +  i  V^  ivird  auf  '^  sicher  dann  einmal  und 
nur  einmal  angenommen,  ivenn  V  =  Y^  auf  ^  eine  geschlossene  Linie  ist: 
Wir  wollen  noch  genau  nachweisen,  daß  y  die  Fläche  ^  stets  zer- 
legen muß.  Wenn  das  nämlich  nicht  der  Fall  ist,  konstruieren  wir  eine 
zweiblättrige  unverzweigte  unbegrenzte  Überlagerungsfläche  über  ^,  die 
wir  dadurch  erhalten,  daß  wir  ^  längs  y  aufschneiden,  uns  die  so  zer- 
schnittene Fläche  ^  in  zwei  Exemplaren  herstellen  und  deren  Schnitt- 
ränder über  Kreuz  aneinanderheften.  Abstrakter  ausgedrückt  heißt  das 
(vgl.  die  analoge  Konstruktion  auf  S.  31  f.):  Jedem  Punkt  p  von  ^  ordnen 
wir  zwei  „darüber  gelegene"  Punkte  p^,  p-  zu.  Ist  Po  ein  nicht  auf  y  ge- 
legener Punkt,  Tq  =  t(Po),  K  ein  beliebiger  (t  —  To)-Kreis,  der  keinen  Punkt 
von  y  enthält,  so  bilden  diejenigen  Punkte  p^  (mit  dem  oberen  Index  1), 
welche  über  den  im  Innern  von  K  gelegenen  Punkten  p  liegen,  eine 
„Umgebung"  von  p^,  diejenigen  Punkte  p-,  welche  über  den  gleichen 
Punkten  p  liegen,  eine  „Umgebung"  von  P5.  Liegt  hingegen  p^  auf  y,  so 
bedeute  K  einen  beliebigen  (r  —  To)-Kreis.  Diejenigen  Punkte  p^  deren 
Spurpunkte  p  innerhalb  K  liegen  und  der  Bedingung  V^  V^^  genügen, 
soUen  zusammen  mit  allen  Punkten  p-,  welche  über  den  der  Bedingung 
F  <  Vq  genügenden  inneren  Punkten  p  von  K  liegen,  eine  „Umgebung" 
von  pj  bilden,  und  analog  werde  die  Umgebung  von  p^  erklärt.  Da  im 
letzten  Falle  alle  in  K  gelegenen  Punkte,  in  denen  V  =  Vq  ist,  gewiß  zu 
y  gehören,  ist  diese  Definition  des  Begriffs  der  Umgebung  im  Einklang 
U^Uo  Diit  allen  an  eine  solche  Definition  zu  stellenden  Forde- 
rungen. Wenn  y  nicht  zerlegt,  so  ist  klar,  daß  die  eben  er- 
klärte Mannigfaltigkeit  auch  der  Bedingung  genügt,  daß 
sich  irgend  zwei  ihrer  Punkte  durch  eine  stetige  Kurve  ver- 
binden lassen.  Die  Existenz  einer  solchen  Uberlagerungs- 
fläclie  -v^dderspricht  aber  der  Tatsache,  daß  ^  einfach  zu- 
sammenhängend ist. 

Der  letzte  Schritt  des  Beweises  besteht  in  dem  Nachweis 
.  "  ^    des  Satzes,  daß  es  höchstens  eine  einzige  reelle  Zahl  V^  geben 
"^    ^  Jcann,  für  welche  die  zugehörige  Linie  V  =  V^  auf  %  unge- 

schlossen ist.  Gäbe  es  nämlich  zwei  solche  Linien  y',  y": 
F=  Fq,  bzw.  F=  Fq,  so  nehme  man  noch  eine  ganz  in  Kq  verlaufende 
geschlossene  Linie  U  =  Uq  zu  Hilfe  (ein  so  großer  positiver  Wert  Averde 


§  19.   üniformisierung.  147 


für  die  Konstante  Uq  genommen).  C7>  C/g  sei  das  eine  Stück  f^  der 
Kurve  y'-,  U>  ü^'  das  Stück  y^'  von  y".  Über  der  in  Figur  25  stark 
ausgezogenen  Linie  der  r-Ebene  liegt  eine  sie  einfach  bedeckende  Kurve 
ohne  Ende  auf  ^^.  Diese  zerlegt  ^  wegen  des  einfachen  Zusammen- 
hangs in  zwei  Gebiete,  und  @  sei  dasjenige  der  beiden  Gebiete,  welches 
den  Punkt  0  nicht  enthält.   Wir  setzen  wieder 

[9)(f7)^(F)  innerhalb  © 
"  ~  '(  0  außerhalb  & 

Damit  diese  Funktion  auf  ^  stetig  differentiierbar  ist,  muß 

^(^o)  =  •«/'  (To)  =  0 
sein,    (p,  rp',  ip,  tp'  seien  beschränkt  und  gp'  außer  für  u  =  Uq,  rp  außer 
für  u  =  V'q  und  u  =  Fq'  positiv.M    Dann  kommt  ein  Widerspruch  gegen 
die  Gleichung  D(C7,  ^^)  =  0  zustande.    Damit  ist  bewiesen: 

r  hildet  die  Fläche  '^  umJcehrhar  eindeutig  und  konform  ab  entweder 

auf  die  Vollkugel  (1.  Fall) 
oder 

auf  die  Kugel  mit  Ausnahme  eines  Punktes  r^  (2.  Fall) 
oder 

auf  die  Kugel  mit  Ausnahme  eines  Schlitzes  V  =  V^,  U^^  ü  ^  U^ 
(3.  Fall). 

Wir  ersetzen  T  durch  eine  etwas  andere  Uniformisierende  t.  Im  ersten 
Falle  freilich  soll  r  =  t  sein.  Im  zweiten  sorgen  wir  dafür,  daß  der  eine 
Punkt  der  Kugel,  welcher  ausgelassen  wird,  der  unendlich  ferne  ist;  man 

setze  also  t  =  —^  ;  f  bildet  die  Überlagerungsfläche  ab  auf  die  ganze 

Ebene  (ohne  den  unendlich  fernen  Punkt).  Im  dritten  Falle  können  wir 
zunächst  durch  eine  ganze  lineare  Transformation  erreichen,  daß  der 
Schlitz  durch 

F=0,        -1<U£+1 
gegeben  ist;  mit  Hilfe  der  Formel 


=  H*  +  7) 


wird  dann  die  geschlitzte  t-Kugel  konform  auf  des  Innere  des  Einheits- 
kreises 1^'  <  1  der  ^-Ebene  abgebildet. 

Die  geschilderte  Konstruktion  der  Uniformisierenden  t  geschieht  in 
zwei  deutlich  getrennten  Schritten.  Zunächst  löst  die  Fläche  ^  das  Pro- 


1)  Allen  Anforderungen  wird  genügt  durch  [vgl.  Fußnote  zu  S.  144]: 


10 


148  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

blem,  soweit  es  der  Analysis  situs  angehört,  und  darauf  liefert  der  funk- 
tionentheoretische Satz,  daß  sich  jede  einfach  zusammenhängende  Fläche 
auf  ein  Gebiet  der  Kugel  lonform  abbilden  läßt  (wenn  man  diesen  vSatz 
auf^  anwendet)  die  Uniformisierende.  Durch  eine  geringe  Modifikation 
des  Gedankenganges  kann  man  zeigen,  daß  auch  jede  schlichtartige  Fläche 
konform  auf  ein  Gebiet  der  Kugel  abgebildet  werden  kann\);  für  nicht- 
schlichtartige  Flächen  ist  dies  jedoch  aus  Analysis  -  situs-Gründen  aus- 
geschlossen: es  kann  dann  nicht  einmal  eine  umkehrbar  eindeutige  und 
gd)ietsstetige  Abbildung  auf  ein  Gebiet  der  Kugel  stattfinden.  Jede  zu  ^ 
gehörige  (relativ  zu  ^  unverzweigte)  Uniformisierende  wird  eine  gevdsse 
unverzweigte  unbegrenzte  schlichtartige  Überlagerungsfläche  ^  über  % 
konform  auf  ein  ebenes  Gebiet  abbilden.  Man  rechnet  zwei  Uniformi- 
sierende, welche  dieselbe  Überlagerungsfläche  %  auf  ein  Teilgebiet  der 
Ebene  abbilden,  zur  selben  Klasse  {^}.  Die  Aufstellung  aller  Uni- 
formisierenden  erfordert  dann  die  Lösung  zweier  Probleme: 

1.  des  Analysis-situs-Problems :  zu  einer  gegebenen  Fläche  alle  un- 
verzweigten unbegrenzten  schlichtartigen  Überlagerungsflächen  ^  zu 
finden; 

2.  des  Problems  der  konformen  Abbildung:  eine  schlichtartige  Fläche 
^  auf  jede  mögliche  Weise  auf  ein  ebenes  Gebiet  konform  abzubilden. 

Daß  das  letzte  immer  auf  wenigstens  eine  (und  damit  auch  auf  un- 
endlich viele)  Arten  möglich  ist,  daß  also  jede  der  Analysis-situs-Bedin- 
gung  der  Schlichtartigkeit  nach  möglichen  Klasse  {fy}  von  Uniformi- 
sierenden  funktionentheoretisch  wirklich  vorhandene  Uniformisierende  ent- 
hält, ist  der  Inhalt  des  allgemeinen  Koebeschen  Uniformisierungsprinzips}) 
Dieses  trägt  allerdings  insofern  noch  weiter,  als  es  außer  den  relativ  zu 
%  unverzweigten  auch  noch  die  ganze  Fülle  der  verzweigten  Uniformi- 
sierenden  mitumfaßt.  Ohne  Frage  kommt  aber  unter  allen  möglichen 
Uniformisierenden  der  oben  aufgestellten,  mit  t  bezeichneten,  die  größte 
piinzipielle  Bedeutung  zu. 

§  20.  Riemaiinsche  Fläclien  und  Nicht-Euklidische  Bewegungsgruppen. 
Fuudamentalbereiche.  Poincaresche  ©-Reihen. 

In  welchem  Maße  ist  die  Uniformisierende  t  durch  ihre  am  Schluß  des 
vorigen  Paragraphen  erwähnten  Eigenschaften  festgelegt,  d.  h.  in  wie 
mannigfaltiger  Weise  kann  man  die  Fläche  '^  konform  abbilden  auf  die 


1)  Koebe,  Über  die  Hilbertsche  Uniformisierungsmethode,  Göttinger  Nach- 
richten 1910,  S.  67  —  74. 

2)  Siehe  namentlich  P.  Koebe,  Über  die  Uniformisierung  beliebiger  ana- 
lytischer Kurven,  Erster  Teil:  Das  allgemeine  Uniformisierungsprinzip,  Grelles 
Journal  Bd.  138  (1910),  S.  192—253. 


§  20.  Normalform  einer  Riemannschen  Fläche, 


149 


Kugel,  die  Ebene  oder  das  Innere  des  Einheitskreises?  Diese  Frage  kommt 
offenbar  darauf  hinaus:  in  wie  mannigfaltiger  Weise  kann  man  Kugel, 
Ebene  oder  Kreisinneres  konform  auf  einen  dieser  drei  Bereiche  selbst 
abbilden?  Da  ist  zunächst  klar:  die  Kugel  läßt  sich  schon  wegen  ihrer 
Geschlossenheit  weder  auf  die  Ebene  noch  das  Kreisinnere  abbilden. 
Aber  auch  eine  konforme  Abbildung  der  Ebene  auf  das  Kreisinnere  ist 
unmöglich;  eine  Funktion  t*{t),  welche  die  /"-Ebene  konform  in  das 
Innere  des  Einheitskreises  der  f^-Ebene  transformierte,  wäre  nämlich  eine 
ganze  transzendente  Funktion,  deren  absoluter  Betrag  für  alle  Werte  des 
Arguments  unter  der  Grenze  1  bliebe,  und  eine  solche  ist  nach  dem 
Liou villeschen  Satze  nicht  vorhanden  (außer  der  Konstanten,  die  hier 
ganz  sinnlos  ist).  Weiterhin  bestehen  nun  folgende  einfachen  Sätze: 

(Fall  1.)  JDie  sämtlichen  konformen  Ähbildungen  der  (in  der  ge- 
wöhnlichen Weise  durch  eine  komplexe  Variable  dargestellten)  Kuge 
auf  sich  seihst  werden  durch  die  linearen  Transformationen  geliefert. 

(Fall  2.)  Die  komplexe  Ebene  läßt  sich  nur  durch  eine  ganze  lineare 
Transformation  konform  auf  sich  seihst  ahhilden. 

(Fall  3.)  Das  Innere  des  Einheitskreises  kann  gleichfalls  nur  durch 
lineare  Transformationen  in  sich  seihst  konform  ahgehildet  iverden. 

Fall  1.  Wir  haben  nur  zu  zeigen:  Wird  die  ^- Kugel  konform  so 
auf  die  ^*-Kugel  abgebildet,  ^*  =  t*{t),  daß  ^  =  0  in  i!*  =  0,  ^  =  oo  in 
i^  =  (x>  übergeht,  so  muß  t*  =  et  sein  {c  konstant).    In  der  Tat  ist  dann 

•7J  im  Nordpol  der  ^Kugel  (t  =  oo)  regulär  und  hat  dort  eine  Nullstelle, 

also  ist  auch  -^  daselbst  noch  regulär.  1^  wird  nur  0  für  ^  =  0  und  zwar 
von  I.Ordnung,  da  die  Beziehung  t—>t*  umkehrbar  eindeutig  ist;  dem- 
nach ist  -^  auf  der  ganzen  ^Kugel  regulär,  und  also  eine  Konstante. 

Fall  2.   Wieder  können  wir  annehmen,  daß  ^  =  0  in  ^*=  0 
bildet  wird.    Man  hat  dann  zunächst  zu  beweisen,  daß 


(51) 


Umj,    =0 


ist  für     lim 


0. 


Dem  Kreise  |  ^* '  =  i?*  entspricht  in  der  ^-Ebene  eine  geschlossene  Kur- 
ve S;  i?o  sei  die  größte  Entfernung  eines  Punktes 
auf  ß  vom  Nullpunkte,  B,  eine 
beliebige  Zahl  >  -Rq-  ^  ^^^m 
Kreis  |  ^  |  ^  -R  nimmt  t^  \  sein 
Maximum,  das  >  i?*  sein  muß, 
am  Rande  an,  etwa  für  t  =  t^. 
Da  die  Bildkurve  ^*  des  Kreises 
t\=R  in  der  ^*- Ebene  den 
Kreis  1 1*  =R*  nicht  treffen  kann 


V 


I'- Ebene 


250  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

—  denn  der  Kreis  •  t\  =  R  und  die  Kurve  6,  von  der  jene  beiden 
Kurven  die  Bilder  sind,  treffen  sich  nicht  in  der  ^-Ebene  —  und 
da  der  Punkt  ^*(^o)  ^^^  ^*  einen  absoluten  Betrag  >  R*  besitzt, 
muß  für  aUe  Punkte  auf  Ä*:  \t*\>R*  sein;  d.  h.  sobald  \t\>RQ  ist, 

ist  \t*'  >  -R*;  das  ist  die  Behauptung-  (51).     .^^rr  ist  demnach  im  Nord- 

pol  der  i(- Kugel  regulär  und  hat  dort  eine  Nullstelle,  und  man  kann 
genau  wie  im  Falle  1  weiterschließen. 

Den  Fall  3  erledigen  wir  mit  Hilfe  des  sog.  Schwarzsehen  Lemmas.^) 
Wieder  können  wir  voraussetzen,  daß  t  =  0  in  ^*==0  übergeht.  Be- 
trachte ich  die  reguläre  Funktion  -  im  Kreise  |  ^ !  ^  ?(<  1),  so  muß  ihr 
absoluter  Betrag  sein  Maximum  am  Rande  erreichen  und  ist  daher 
<  —  ( I  ^*  I  <  1, 1  ^  I  =  g).   Da  ich  g  so  nahe  an  1  wählen  kann,  wie  ich  will, 

i  t*  I 
muß  für  alle  t  im  Innern  des  Einheitskreises  ^  ^  1   sein.     Ebenso  er- 

t  t* ' 

gibt  sich  1-7^  1^1,  folglich  i  .  1  =  1-     Diese  Relation  ist  nur  dadurch 

t* 
möglich,  daß  --  eine  Konstante  vom  absoluten  Betrage  1  ist. 

Damit  sind  die  aufgestellten  Behauptungen  erwiesen:  die  Ortsuni- 
formisierende  t  ist  jedenfalls  stets  bis  auf  eine  lineare  Transformation  ein- 
deutig hestinmit.  Die  linearen  Transformationen,  welche  das  Innere  des 
Einheitskreises  in  sich  überführen,  haben  die  Gestalt: 

.p-^s  /*  _  ja  +  ib)t  +  {c  ~  id) 

^^^^  {c  +  id)t  +  {a-ih) 

{ a,  h,  c,  d  reell;  Determinante  (a^  +  h^)  —  (c^  +  <i^j  =  1 } . 

Insbesondere  ergibt  sich,  da  die  Decktransformationen  von  ^  um- 
kehrbar eindeutige  konforme  Abbildungen  von  ^  auf  sich  selber  sind, 
daß  sich  diese  Decktransformationen  in  der  ^Ebene  abbilden  müssen  als 
lineare  Transformationen.  Der  Gruppe  der  Decktransformationen  ent- 
spricht so  eine  gewisse  ihr  isomorphe  Gruppe  f  linearer  Transformationen. 
Keine  der  Gruppe  f  angehörige  Transformation  (außer  der  Identität)  darf 
im  Bildbereich  (Kugel,  Ebene  oder  Kreisinneres)  einen  Fixpuukt  be- 
sitzen, d.  h.  einen  Punkt,  der  bei  der  Transformation  in  sich  selbst  über- 
geht. Da  auf  der  Kugel  jede  lineare  Transformation  einen  Fixpunkt 
hat,  kann  es  im  Falle  1  keine  andere  Decktransformation  als  die  Identität 
geben;  ^  ist  dann  mit  ^  selber  und  ^  als  Riemannsche  Fläche  mit  der 


1)  Schwarz,  Gesammelte  Abhandlungen  Bd.  11.,  S.  109 — 111.  Die  Anwendung 
des  Lemmas  auf  die  vorliegende  Aufgabe  nach  Poincare,  Acta  Mathematica  Bd.  4, 
S.  231—232. 


§  20.   Normalform  einer  Riemamischen  Fläche.  151 

Kug-el  identisch.  Fall  1  Jcann  nur  eintreten,  wenn  die  gegebene  Riemann- 
sche  Fläche  ^  der  Kugel  äquivalent  ist. 

Die  auf  der  Fläche  ^  über  einem  iind  demselben  Punkt  von  ^  ge- 
legenen Punkte  erscheinen  in  der  Abbildung  als  ein  System  hinsichtlich 
r  äquivalenter  Punkte  t.  Ein  solches  System  Z  hat  die  Eig-enschaft,  daß 
je  zwei  Punkte  desselben  durch  eine  zu  f  gehörige  Transformation  in- 
einander übergehen,  daß  aber  auch  jeder  Punkt,  in  den  ein  Punkt  von 
Z  durch  eine  zu  T  gehörige  Transformation  übergeführt  wird,  seinerseits 
zu  1  gehört  (vgl.  S.  27).  Die  auf  ^  bis  auf  Pole  regulären  eindeutigen 
Funktionen  erscheinen,  durch  t  ausgedrückt,  als  zu  f  gehörige  auto- 
morphe Funktionen  jener  Variablen,  d.  h,  als  Funktionen  3(t),  die 
sich  gegenüber  den  Transformationen  der  Gruppe  T  invariant  verhalten: 

falls  ^*  =  ",  jT  ^  eine  Transformation  der  Gruppe  f  ist.    Die  Gruppe  f 

muß  diskontinuierlich  sein;  das  soll  besagen:  ein  System  hinsichtlich 
r  äquivalenter  Punkte  darf  innerhalb  des  Bildbereiches  niemals  eine  Ver- 
dichtungsstelle aufweisen.  Definieren  wir  eine  Riemannsche  Fläche  ^j. 
dadurch,  daß  wir  jedes  dem  Bildbereich  angehörige  System  hinsichtlich  f 
äquivalenter  Punkte  als  einen  „Punkt"  von  ^j.  betrachten  und  die  Winkel- 
messung von  der  ^- Ebene  auf  ^^i-  direkt  übertragen,  so  ist  dieses  ^    als 

Riemannsche  Fläche  mit  der  gegebenen  %  äquivalent  und  stellt  die  ge- 
eignetste Normalform  vor,  auf  die  jede  Riemannsche  Fläche  gebracht 
werden  Jcann. 

Im  Falle  2  muß  f  aus  ganzen  linearen  Transformationen  bestehen, 
die  im  Endlichen  keinen  Fixpunkt  besitzen.  Dieser  Forderung  genügen 
allein  die  Schiebungen  (Translationen)  t'  =  t  -^  a.  Eine  diskontinuier- 
liche Gruppe  von  Translationen  kann  bestehen^) 

1.  nur  aus  der  Identität;  dann  ist  ^  mit  ^  identisch,  und  ^  ist  der 
Ebene  [der  „einfach  pmiktierten'-'  Kugel,  d.  i.  der  Kugel  ohne  den  Nord- 
pol] äquivalent; 

oder 

2.  aus  den  Wiederholungen  einer  einzigen  Schiebung 

n     t'^=^t  +  na     [w  =  0, +1, +2,  •••]; 
dann  ist  %  offenbar  dem  unendlichlangen  geraden  Kreiszylinder  und  da- 


1)  Daß  nur  die  drei  aufgezählten  Fälle  möglich  sind,  ergibt  sich  durch 
das  Verfahren  der  Adaption  eines  (zweidimensionalen)  Zahlengitters  in  bezog 
auf  ein  enthaltenes  Gitter;  s.  S.  73f.  dieser  Schrift  oder  G.  Kowalewski,  Die  kom- 
plexen Veränderlichen  und  ihre  Funktionen,  Leipzig  1911,  S.  57 f. 


152  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

mit  durch  die  Mercator-Projektion  der  doppelt  punJdierten  Kugel  (Kugel 
ohne  Nord-  und  Südpol)  als  Riemannsche  Fläche  äquivalent; 
oder  kann 

3.  von  der  Form  sein: 

/m  =  0,  ±1,  +  2,  •  •  A 


t*  =  t  i-  nia  -f-  nß     . 

'  n^O,  ±1,  ±2, 

wo  a,  ß  zwei  Schiebungen  in  verschiedenen  Richtungen  sind.  Dann  ist 
^  geschlossen,  dt  ein  auf  ^  eindeutiges  überall  reguläres  Differential, 
das  nirgends  eine  Nullstelle  besitzt,  und  ^  also  eine  geschlossene  liiemann- 
sche  Fläche  vom  Geschlechte  1.  Jede  solche  Fläche  —  deren  Typus  (aber 
nicht  deren  allgemeinste  Form)  der  Torus  ist  —  gestattet  in  der  Tat 
auch  durch  das  Integral  1.  Gattung  eine  Uniformisierung,  bei  der  die 
universelle  Überlagerungsfläche  auf  die  Ebene  abgebildet  wird. 

Von  den  wenigen  oben  aufgezählten  Ausnahmefällen  abgesehen 
{%  =  Vollkugel,  einfach  oder  doppelt  punktierte  Kugel,  geschlossene 
Fläche  vom  Geschlechte  1)  liegt  immer  der  Fall  3  vor,  in  welchem  das 
Innere  des  Einheitslireises  als  Bildbereich  auftritt.  Da  die  Peripherie 
des  Einheitskreises  für  die  automorphen  Funktionen  von  t,  welche  die 
Funktionen  auf  der  Grundfläche  '^  darstellen,  im  allgemeinen  eine  natür- 
liche Grenze  sein  wird,  bezeichnet  man  t  als  Grenzkreis-Uiiiformisie- 
rende. 

Die  Gruppe  V  ist  durch  die  gegebene  Fläche  nicht  völHg  eindeutig 
bestimmt.  Denn  t  kann  durch  jede  aus  t  mittels  einer  linearen,  das  Innere 
des  Einheitskreises  in  sich  überführenden  Transformation  T^  hervorgehende 
Variable  t'  ersetzt  werden;  dabei  transformiert  V  sich  in  die  Gruppe 

r  =  T-^.r.To. 

Wir  führen  die  folgende  Ausdrucksweise  ein: 

Als  „Punkt  von  ®"  bezeichnen  wir  jeden  im  Innern  des  Einheits- 
kreises gelegenen  Punkt  t,  als  „gerade  Linie  auf  6"  den  im  Innern  des 
Einheitskreises  gelegenen  Teil  einer  jeden  Kreislinie,  die  auf  der  Peri- 
pherie des  Einheitskreises  senkrecht  steht  (auch  die  Durchmesser  des 
Einheitskreises  zählen  zu  diesen  „geraden  Linien").  Als  „Bewegung  von  ®" 
gilt  jede,  das  Innere  des  Einheitskreises  in  sich  überführende  lineare 
Transformation,  und  als  „kongruent"  solche  Punktmengen  auf  @,  welche 
durch  „Bewegung"  ineinander  übergeführt  werden  können.  Das  ge- 
wöhnliche Winkelmaß  -wird  beibehalten.  Dann  gilt  für  diese  „Punkte" 
und  „geraden  Linien"  die  vollständige  Bolyai-Lohatschefshysche  Geo- 
metrie, also  diejenige  Geometrie,  deren  Axiome  sich  von  denen  der 
Euklidischen  nur  durch  Fortlassung  des  Parallelenaxioms  unter- 
scheiden^), so  daß  wir  6  als  Nicht-JEuMidische  Ebene  bezeichnen  können. 

1)  Das  hier  sich  ergebende  Modell  der  ebenen  Nicht -Euklidischen  Geo- 
metrie hängt  aufs  engste  mit  dem  von  Klein  im  Jahre  1871  entdeckten,  auf  der 


§  20.    Normalform  einer  Riemannschen  Fläche.  153 

Die  (an  die  Ung-leicliung-  ]  ^  <  1  g-ebundene)  komplexe  Variable  t 
ist  dann  in  derselben  Weise  als  eine  zur  Darstellnng  der  Punkte  der 
Lob atschefsky sehen  Ebene  geeignete  Koordinate  aufzufassen,  wie  etwa 
die  rechtwinkligen  Cartesischen  Koordinaten  x,  y  oder  deren  komplexe 
Zusammenfassung  z  =  x  -{-  iy  die  Punkte  der  Euklidischen  Ebene 
darstellen.  Lineare  Transformation  von  t,  bei  der  das  Linere  des 
Einheitskreises  in  sich  übergeht,  liefert  ein  anderes,  mit  dem  ur- 
sprünglichen gleichberechtigtes  Koordinatensystem  der  Lobatschefs- 
ky sehen  Ebene,  f  erscheint  in  der  jetzigen  Deutung  als  eine  Gruppe 
von  Bewegungen  der  Nicht-Euklidischen  Ebene,  oder,  genauer  ge- 
sagt, als  Darstellung  einer  solchen  Gruppe  mit  Hilfe  einer  bestimmten 
Koordinate  t  Diejenige  Gruppe  von  linearen  Substitutionen  V,  die  wir 
aus  r  erhalten,  wenn  wir  t  mit  Hilfe  einer  das  Linere  des  Einheitskreises 
in  sich  überführenden  Transformation  durch  t'  ersetzen,  ist  in  dieser  Auf- 
fassung nur  als  eine  andere  Darstellung  derselben  Bewegungsgruppe  der 
Nicht-Euklidischen  Ebene  (nämlich  mit  Hilfe  einer  anderen  Koordinate 
t')  zu  betrachten.  V  enthält  keine  Drehungen,  d.  h.  keine  Bewegung  von 
d,  die  einen  Punkt  von  (S  fest  läßt. 

Jeder  BiemannscJien  Jt  lache  entspricht  demnach  {von  den  vier  vorher 
aufgezählten  Ausnahmefällen  abgesehen)  eine  einzige,  völlig  bestimmte, 
keine  Drehungen  enthaltende,  diskontinuierliche  Bewegungsgruppe  V  der 
Lobatschefshyschen  Ebene.  Zwei  Riemannsche  Flächen  sind  dann  und 
nur  dann  konform -äquivalent  {gehören,  tvie  Biemann  sich  ausdrückt, 
derselben  Klasse  an  oder  sind  Verwirklichungen  einer  und  derselben  idealen 
Biemannschen  Fläche),  wenn  die  zugehörigen  Nicht -Euklidischen  Be- 
wegungsgruppen im  Sinne  der  Lobatschefskyschen  Geometrie  kongruent 
sind.  Umgekehrt  gehört  aucJi  zu  jeder  diskontinuierlichen  Nicht-Eukli- 
dischen Bewegungsgruppe  ohne  Drehungen  eine  bestimmte  Klasse  von 
Biemannschen  Flächen  (als  deren  Repräsentant  die  auf  S.  151  konstru- 
ierte Fläche  %^  gelten  kann).^) 

Um  eine  diskontinuierliche  Bewegungsgruppe  V  der  N.-E.^)  Ebene 
anschaulich  darzustellen,  benutzt  man  nach  Klein  und  Poincare  eine  ein- 
fache und  lückenlose  Bedeckung  der  Ebene  durch  N.-E.  kongruente  Be- 


Cayleyschen  Maßbestimmung  beruhenden  (Über  die  sogenannte  Nicht-Eukli- 
dische Geometrie,  Math.  Ann.  Bd.  4,  S.  573—625)  zusammen;  vgl.  darüber  Fricke 
und  Klein,  Vorlesungen  über  die  Theorie  der  automorphen  Funktionen,  Bd.  I, 
Leipzig,  1897,  S.  3—59.  Eine  gute  Orientierung  über  Nicht-Euklidische  Geometrie 
gibt  das  Buch  von  R.  Bonola,  das  deutsch  von  Liebmann  als  Bd.  4  der  Samm- 
lung „Wissenschaft  und  Hypothese"  (Die  Nicht-Euklidische  Geometrie;  Leipzig 
1908)  erschienen  ist. 

1)  Vgl.  die  Schlußbemerkungen  der  ersten  Koebeschen  Mitteilung  über  dieUni- 
formisierung  beliebiger  analytischer  Kurven,  Göttinger  Nachrichten  1907,  S.  209—210. 

2)  N.-E.  =  Nicht-Euklidisch. 


154  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

reiche  (Fundamentalbereiche),  die  auseinander  durch 
die  in  f  enthaltenen  Beweg-ungen  hervorgehen.  Eine  mög- 
lichst einfache  Einteilung  dieser  Art  wird  durch  die  folgen- 
den Überlegungen  an  die  Hand  gegeben. 

(Definition  der  N.~E.  Entfernung)  Sind  t^,  t^  irgend 
zwei  voneinander  verschiedene  Punkte  im  Innern  des  Ein- 
Fi  27  Nicht-Eu-  tcitskrcises,  so  verbinden  wir  sie  durch  eine  N.-E.  Ge- 
kiidische  Strecke,  radc,  d.  h.  in  der  Gaußschen  ^-Ebene  durch  einen  Kreis, 
welcher  den  Einheitskreis  an  den  Stellen  /«^  und  t^^  senkrecht  schneidet. 
Dieser  Kreis  ist  durch  t^,  t»  eindeutig  bestimmt,  und  die  Punkte  sollen 
auf  ihm  in  der  Reihenfolge  ^«,,,  t^,  t.^,  t^  hintereinander  liegen  (Fig.  27). 
Das  Doppelverhältnis 

hat  einen  reellen  positiven  Wert  >  1,  und  sein  reeller  Logarithmus 

r{t,t,)  =  lgd(t,t,) 

ist  daher  positiv,  ^(t^t^)  ist  gegenüber  allen  das  Innere  des  Einheits- 
kreises in  sich  überführenden  linearen  Transformationen  invariant,  und 
die  N.-E.  Strecke  t^  t^  ist  einer  andern  solchen  Strecke  tl  ^*  dann  und  nur 
dann  N.-E.  kongruent,  wenn  r  (t^  t^)  =  r  {t\  t\)  ist.  Liegen  ferner  drei 
Punkte  t^,  t^,  t^  in  der  Reihenfolge  ihrer  Numerierung  auf  einer  N.-E. 
Geraden,  so  ist 

r{t,t,)  +r(t.-,t,)  =  r(t,t,). 

Zufolge  dieser  beiden  Umstände  haben  wir  die  Zahl  r{ti  t^  als  die  Nicht- 
Euklidische  Entfernung  der  beiden  Punkte  t^,  t^  anzusprechen  und 
sind  dadurch  imstande,  in  der  N.-E,  Ebene  nicht  nur  Winkel,  sondern 
auch  Strecken  zu  messen. 

Ist  Xq  ein  System  hinsichtlich  V  äquivalenter  Punkte,  t^  ein  einzelner 
Punkt  von  !„  und  t  ein  beliebiger  Punkt  der  N.-E.  Ebene,  so  gibt  es 
wegen  der  Diskontinuität  von  V  nur  endlich  viele  Punkte  in  Zq,  deren 
Entfernung^)  von  t  eine  willkürlich  vorgegebene  Größe  R  nicht  über- 
steigt. Es  gibt  also  unter  den  Punkten  von  X^  einen  oder  mehrere  (aber 
gewiß  nur  endlichviele)  ^^,  so  daß  die  Entfernung  r{tt^)  unter  allen  Ent- 
fernungen von  t  nach  Punkten  des  Systems  Zq  am  Meinsfen  ist;  t  liegt 
dann,  wie  ich  mich  kurz  ausdrücken  will,  am  nächsten  bei  ^^.  Ist  die 
Entfernung  ritt,)  effektiv  Meiner  als  die  Entfernung  nach  allen  von  tj^ 
verschiedenen  Punkten  des  Systems  Zq,  so  kann  ich  um  t  eine  ganze 
Umgebung  so  abgrenzen,  daß  auch  alle  Punkte  dieser  Umgebung  noch 
am  nächsten  bei  ^^  liegen.  Ist  t,^  irgend  einer  der  Punkte  von  Zq,  so  ver- 


1)  Das  Wort  „Entfernung"  und  alle  andern  geometrischen  Ausdrücke  sind 
bis  auf  weiteres  im  N.-E.  Sinne  zu  verstehen. 


§  20.   Normalform  einer  Riemannschen  Fläche.  155 

einig-e  icli  alle  diejenigen  t,  welche  am  nächsten  bei  tj^  liegen,  zu  einer 
Punktmenge  '^j^,  als  deren  „Zentrum"  der  Punkt  tj^  gilt.  Die  so  um  die 
sämtlichen  zu  Zq  gehörigen  Zentren  zustande  kommenden  ^^  sind  in 
ihren  inneren  Punkten  durchweg  verschieden  und  bedecken  zusammen 
die  ganze  N.-E.  Ebene.  ^^  geht  durch  diejenige  in  der  Gruppe  V  enthal- 
tene Bewegung  aus  '^q  hervor,  welche  t^  in  ^^  überführt,  und  ist  also  mit 
^0  N.-E,  kongruent.  Zu  jedem  Punkte  t  findet  sich  in  ^^  ein  hinsicht- 
lich r  äquivalenter,  und  zwei  innere  Punkte  von  ^^  sind  niemals  unter- 
einander äquivalent:  ^^  hat  die  Eigenschaften  eines  Fundamentalbereichs. 
Außerdem  ist  ^^  konvex,  d.  h.  sind  f,  t"  irgend  zwei  in  ^^  gelegene 
Punkte,  so  gehören  auch  alle  Punkte  der  N.-E.  geradlinigen  Verbindungs- 
strecke t'  t"  zu  'Po.  Die  Mittelsenkrechte  g^  der  Strecke  t^  t,^  ist  der  Ort 
aller  Punkte,  Avelche  von  t^  und  f^  gleiche  Entfernung  haben;  zu  allen 
von  t^  verschiedenen  Zentren  tj^  bekommen  wir  eine  solche  Gerade  g,,.  Die 
Begrenzung  der  abgeschlossenen  Menge  ^^  setzt  sich  aus  Teilstrecken 
dieser  Geraden  zusaiumen,  und  das  Innere  von  'p^  besteht  aus  allen  den- 
jenigen Punkten,  die  mit  bezug  auf  die  sämtlichen  Geraden  g,^  auf  der- 
selben Seite  liegen  wie  der  Punkt  t^.  Da  alle  Punkte  der  Geraden  g^ 
von  ^0  ei^e  Entfernung  ^  i^'C^o^/,)  haben  und  sich  imter  den  Zentren  t,^ 
nur  endlichviele  finden,  deren  Entfernung  von  t^  eine  beliebig  vorgegebene 
Grenze  2  U  nicht  übersteigt,  so  zeigt  sich,  daß  nur  endlichviele  der  gerad- 
linigen, zur  Begrenzung  von  ^q  gehörigen  Strecken  vom  Hauptzentrum  t^^ 
einen  Abstand  ^  li  haben.  ^^  ist  demnach  ein  endlich-  oder  unendlich- 
seitiges  konvexes  Polygon,  dessen  Eckenfd.s.  diejenigen  Punkte,  welche  von 
drei  oder  mehr  Punkten  des  Systems  X^  gleiche  Entfernung  haben)  sich 
im  Endlichen  nirgends  häufen,  ^q  heißt  nach  Fricke  ein  zxi  der  Gruppe 
r  gehöriges  Normalpolygon.  Die  Seiten  des  Normalpolygons  sind  paar- 
weise dadurch  aufeinander  bezogen,  daß  je  zwei  Seiten  eines  Paares  durch 
eine  zu  f  gehörige  Bewegung  ineinander  übergeführt  werden  können.  Es 
kommt  dabei  niemals  vor,  daß  zwei  Seiten  mit  gemeinsamem  Eckpunkt  auf- 
einander bezogen  sind;  denn  dieser  Eckpunkt  müßte  einFixpuukt  derjeni- 
gen Bewegimg  sein,  welche  die  eine  Seite  in  die  andere  überführt.  Durch 
Wiederholung  und  Zusammensetzung  kann  man  aus  den  die  zusammen- 
gehörigen Seiten  von  ^^  ineinander  überführenden  Bewegungen  [das  sind 
diejenigen  Bewegungen,  welche  ^^  in  äquivalente,  längs  einer  Seite  an 
^0  angrenzende  Fündamentalbereiche  ^^^  überführen]  die  sämtlichen  Be- 
wegungen der  Gruppe  V  erhalten.  Den  Beweis  dafür  erbringt  man,  indem 
man  einen  beliebigen  zu  X^  gehörigen  Punkt  t,^  mit  ^^  durch  einen  Strecken- 
zug verbindet,  der  durch  keine  Ecken  der  Polygonteilung  { ^^ }  hin- 
durchführt, und  nun  darauf  achtet,  ivelche  Polygone  der  Einteilung 
dieser  Streckenzug  sukzessive  passiert.  Stoßen  in  der  Ecke  1  von  ^„ 
im  ganzen  e  zu  ^^  äquivalente  Polygone  ^^  zusammen  (po  selbst 
ist  mitzurechnen),  so  sind  genau  e  Zentren  vorhanden,  denen  1  am  nach- 


156  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

sten  liegt,  und  unter  den  Punkten  von  ^^  8"^^^  ^^  ^>  ^^  ^^  1  hinsiclit- 
licli  r  äquivalent  sind,  oder,  wie  man  nach  Poincare  sagt,  einen  Zykel 
von  Ecken  des  Polygons  ^^  bilden.  Die  Summe  der  an  den  Ecken  eines 
einzelnen  solchen  Zykels  gelegenen  Winkel  von  Sß^  ist  =  2%. 

Die  zur  Gruppe  f  gehörige  Riemannsche  Fläche  ^p  (S.  151)  ist 
offenbar  dann  und  nur  dann  geschlossen,  wenn  eine  positive  Zahl  R 
existiert,  so  daß  zu  jedemPunkt  der  N.-E.  Ebene  mindestens  ein  äquivalen- 
ter hinsichtlich  f  vorhanden  ist,  der  von  dem  Zentrum  t^  einen  N.-E.  Ab- 
stand ^  R  besitzt.  Dann  hat  jeder  Punkt  von  dem  ihm  im  System  T^ 
am  nächsten  liegenden  eine  Entfernung  ^  R,  insbesondere  liegt  ^^  ganz 
in  dem  N.-E.  Kreise  vom  Radius  R  um  t^.  Da  die  Ecken  von  '^^  sich  im 
Endlichen  nirgends  häufen,  können  unter  diesen  Umständen  überhaupt  nur 
endlichviele  solche  Ecken  existieren:  ^^  ist  endlichseitig.  Die  Anzahl  seiner 
Seiten,  welche  wegen  der  paarweisen  Zuordnung  gerade  sein  muß,  werde 
=  2  s,  die  Anzahl  der  verschiedenen  Eckenzykeln  =  c  gesetzt,  so  daß  27tc 
die  Winkelsumme  von  ^q  bedeutet.  Man  kann  ^o  derart  in  endlichviele 
N.-E.  geradlinige  Dreiecke  zerlegen,  daß  dadurch  eine  Triangulation  von 
^     zustande  kommt,    Ist  Dq  die  Anzahl  der  Dreiecke,  Eq  die  Anzahl 

der  bei  dieser  Zerlegung  innerhalb  ^^  auftretenden  Kanten,  F^,  die  An- 
zahl der  innerhalb  ^q  auftretenden  Ecken,  26^  die  Anzahl  der  auf  den 
Seiten  von  ^o  ^u  den  Polygonecken  neu  hinzutretenden  Ecken  (die  paar- 
weise äquivalent  sein  werden  und  die  Peripherie  von  ^^  in  2(s  -|-  ßo) 
Einzelstrecken  zerteilen),  so  gilt,  da  ein  konvexes  Polygon  einfach  zu- 
sammenhängend ist, 

J»o  +  £o-Zo  =  l- 
Fassen  wir  aber  die  Zerlegung  von  ^q  als  eine  Triangulation  von  f^p  auf, 
so  seien  die  Anzahlen  der  Dreiecke,  Kanten  und  Ecken  bzw.  =  D,  K,  E.  Wir 
haben 

D  =  D„     K=K,  +  (s-^e,),    E  =  E,  +  e, -\- c 

Das  Geschlecht  p  von  ^j.  bestimmt  sich  aus  der  Gleichung 
2p-2^K-E— D==s-c-l. 
Sie  zeigt,  wie  man  das  Geschlecht  einer  Riemannschen  Fläche  finden 
kann,  wenn  diese  in  ihrer  Normalform  (d.  h.  wenn  die  zugehörige  Nicht- 
EuMidische  Bewegungsgruppe  T)  gegeben  ist,  nämlich  durch  Konstruktion 
eines  zu  f  gehörigen  Normalpolygons.  Man  kann  der  Gleichung  noch 
eine  elegantere  Form  geben,  wenn  man  bedenkt,  daß  die  Winkelsumme 
eines  Dreiecks  in  der  Nicht-Euklidischen  Geometrie  kleiner  ist  als  7t, 
und  zwar  um  so  viel,  als  der  Flächeninhalt  des  Dreiecks  beträgt.  Der 
N.-E.  Inhalt  J  von  ^^  ergibt  sich  demnach,  wenn  man  ^^  von  t^  aus  in 
2  s  Dreiecke  zerlegt,  zu2;r(s  —  c—  1): 

J=4n{p-1). 


§  20.  Normalform  einer  Riemannschen  Fläche.  157 


Da  jeder  Zykel  aus  wenig-sten  drei  Ecken  besteht,  ist 

also 

2s£12p-6. 
Diese  nur  von  dem  Geschlecht  p  abhängige  obere  Schranke  besteht  für 
die  Seiten-  und  Ecltnanzahl  eines  Normalpolygons. 

Die  Eiateilung-  der  N.-E.  Ebene  in  Normalpolygone  dient  nicht  nnr 
zur  Veranschaulichung  N.-E.  Bewegungsgruppen,  sondern  liefert  auch  die 
Mittel,  um  solche  Gruppen  direkt  zu  konstruieren.^) 

In  den  Bewegungsgruppen  V  der  Nicht-Euklidischen  Ebene  (oder 
in  den  zugeordneten  Mannigfaltigkeiten  %^)  tritt  uns  die  reinste,  von 

allen  Zufälligkeiten  befreite  Verkörperung  der  Idee  der  Riemannschen 
Fläche  entgegen.  Zur  Krönung  des  ganzen  Aufbaues  dieses  Teiles  der 
Riemannschen  Funktionentheorie  Aväre  die  Lösung  der  folgenden  Auf- 
gabe erforderlich:  Wenn  eineBiemannsclie  FläcJie  in  ihrer NormalformißL.  h. 
die  zugehörige  Bewegungsgruppe  der  Nicht-Euklidischen  Ebene)  gegeben 
ist,  die  sämtlichen  ein-  oder  mehrdeutigen  unverzaeigtenFunMionenauf  der 
Fläche  mittelst  geschlossener  analytischer  Formeln  in  der  die  Punhte  der 
Lobatschefshyschen  Ebene  darstellenden  homplexen  Koordinate  t  auszn- 
drüchen.  Diese  Aufgabe  ist  bisher  nicht  vollständig  gelöst;  ein  wichtiger 
Ansatz  dazu  sind  die  von  Poincare  eingeführten  0- Reihen.^)  Besteht  die 
vorgegebene  Gruppe  f,  welche  das  Innere  des  Einheitskreises  ^  '  <  1  in 
sich  überführt,  aus  den  Substitutionen: 


sind  z.  B. 


[i  =  0,  1,  2,  3,  .  .  .;  Sq  die  Identität], 


1)  Von  großer  Wichtigkeit  sind  außer  den  Normalpolygonen  noch  die 
„kanonischen  Polygone",  deren  Theorie  von  Fricke  entwickelt  wurde  (s.  Fricke- 
Klein,  Vorlesungen  über  die  Theorie  der  automorphen  Funktionen,  Leipzig  18'.)7 
bis  1912)  und  mit  deren  Hilfe  es  diesem  Forscher  gelang,  die  schon  von  Eie- 
rn ann  ausgesprochene  Behauptung,  daß  die  Riemannschen  Flächen  vom  Ge- 
schlechte p  (>>  1)  eine  (6_p  —  6)-dimensionale  Mannigfaltigkeit  bilden,  streng 
zu  formulieren  und  zu  beweisen.  Es  sind  das  Dinge,  die  aufs  engste  mit  der 
neuerdings  wieder  in  den  Vordergrund  der  Betrachtung  rückenden  „Kontinui- 
tätsmethode" zusammenhängen,  durch  welche  Klein  und  Poincare  gleich  zu 
Anfang  der  achtziger  Jahre  die  Unifoi'misierbarkeit  algebraischer  Gebilde  zu  be- 
weisen versuchten.  Vgl.  den  auf  S.  142  zitierten  Bericht  über  die  Karlsruher  Ver- 
handlungen, Deutsche  Mathematiker-Vereinigung  1912. 

2)  Poincare,  Memoire  sur  les  fonctions  fuchsiennes.  Acta  Mathematica,  Bd.  1 
(1882),  S.  207. 


]  58  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 


0(0  -2{c^it  +  ßi){7it  +  S,)'^  0''O  =^{ait+ß,y(y^t^S,) 

i  =  0  2  =  0 

Poincaresche  0-Reilien.  Um  die  absolute  und  gleicktnäßige  Konvergenz 
dieser  Reihen  zu  erweisen,  schlage  man  um  einen  willkürlichen  Punkt 
^q(  ^Q  '  <;  1)  einen  gewöhnlichen  Kreis  x  vom  Radius  a  :  t  —  ^q  j  <^  a, 
so  klein,  daß  die  äquivalenten  Kreise  xS-  sich  gegenseitig  nicht  treffen. 
Das  über  y.  erstreckte  Flächenintegral  J.  von 
cU*   2  1 


ist  der  (Euklidische)  Inhalt  von  xS^:  infolgedessen  ist  ^J^  konvergent. 

1  =  0 

Hat  t  vom  Punkte  t^  eine  Euklidische  Entfernung    t  —  t^    ^  - ,  so  ist 
[Formel  (22),  (23)  auf  S.  87] 

Infolgedessen  ist 


in  der  Umgebimg  von  t  =  f^  gleichmäßig  konvergent.  Da  femer  gleich- 
mäßig für    ^   ^  g  (<  1) 

hm       '    ,  y     =  1 

ist  (denn  die  äquivalenten  Punkte  t*  häufen  sich  nur  am  Rande  des  Ein- 
heitskreises), so  ergibt  sich  daraus  die  absolute  und  gleichmäßige  Kon- 
vergenz der  beiden  Reihen  0,  0'.  0  hat  bei  ^  =  0  und  allen  dazu  hin- 
sichtlich der  Gruppe  f  äc^uivalenten  Stellen  einen  Pol  1.  Ordnung  und 
ist  sonst  regulär,  0'  hat  dort  einen  Pol  3.  Ordnung  und  ist  sonst  regulär. 
Aus  der  Gleichung 

0(0  w -2'-^ 

,  =  0       ' 

geht  hervor,  daß  Q(t)[dt)-  durch  eine  beliebige  Transformation  S.  der 
Gruppe  in  sich  übergeht: 

Ebenso  folgt 


Q{t) 


ist  demnach  eine  Funktion,  die  gegenüber  der  Gruppe  f  auto- 


Q'{t) 

morph  ist;  sie  verschwindet  nicht  identisch,  besitzt  aber  im  Punkte  ^=0 
(imd  allen  dazu  äquivalenten)  eine  Nullstelle  2.  Ordnung,  kurz:  ist  eine 


§  21.  Konforme  Abbildung  einer  Fläche  auf  sich.  159 

eindeutige,  von  wesentlichen  Singularitäten  freie,  nicht  konstante  Funk- 
tion auf  der  Grundfläche  ^^ . 

Man  ersieht  aus  diesem  Beispiel,  wie  es  möglich  sein  muß,  nachdem 
einmal  die  Riemannsche  Fläche  in  ihrer  Xormalform  vorliegt,  alle  Sätze 
über  die  Existenz  von  Funktionen  und  Integralen  auf  ihr  mit  Hilfe  ana- 
lytischer Formeln  in  ähnlicher  Weise  abzuleiten,  wie  dies  seit  langem 
für  p  =  1  durch  die  Theorie  der  elliptischen  Funktionen  geschehen  ist. 
Erst  wenn  dieses  Ziel  allgemein  erreicht  sein  wird,  ist  ein  völlig  ge- 
schlossener Aufbau  der  Riemannschen  Funktionen theorie  möglich.  Man 
wird  dann  auf  transzendentem  Wege  (mit  Hilfe  der  Methode  des  alter- 
nierenden Verfahrens  oder  des  Dirichletschen  Prinzips)  nicht  mehr  die 
Existenz  der  Funktionen  oder  Integrale,  sondern  allein  die  Existenz  der 
Grenzkreisuniformisierenden  beweisen,  d.  h.  auf  transzendentem  Wege  zu- 
nächst die  Normalform  der  Riemannschen  Fläche  herstellen,  falls  diese 
noch  nicht  in  ihrer  Normalform  gegeben  ist;  darauf  aber  mit  Hilfe  ana- 
lytischer Formeln  zu  allen  übrigen,  relativ  zur  gegebenen  Fläche  un- 
verzweigten Funktionen  herabsteigen.  Hier  liegen  noch  dankbare  Probleme 
für  die  Zukunft  vor. 

§  21.  Konforme  Abbildung  einer  Riemannschen  Fläclie  anf  sich  selbst. 

Von  einer  Bewegungsgruppe  der  N.-E.  Ebene  sagen  wir,  sie  ent- 
hielte iuflnitesimale  Transforniationen,  wenn  es  Bewegungen  in  der 
Gruppe  gibt,  die  beliebig  wenig  von  der  Identität  verschieden  sind.  Eine 
diskontinuierliche  Bewegungsgruppe,  z.  B.  f,  enthält  gewiß  keine  infini- 
tesimalen Transformationen.  Von  diesem  Satz  gilt  aber  auch  die  Um- 
kehrung: 

Eine  N.-E.  Beivegimgsgruppe  ist  dann  und  nur  dann  diskontinuier- 
lich, wenn  sie  keine  infinitesimalen  Beicegungen  enthält. 

Beim   Beweise   bedienen  wir   uns   wie   bisher   der  komplexen   Ko- 
ordinate t.   Eine  lineare  Transformation  T:  t  — >  t*  hat  auf  der  ^Kugel 
im  allgemeinen  zwei  verschiedene  Fixpunkte  t',  t"  und  läßt  sieht  dann 
so  schreiben: 
/-o\  t*—t"  i  — t"1) 

die  Konstante  ^  heißt  der  Multiplikator  von  T.  Führt  T  das  Innere 
des  Einheitskreises  in  sich  über,  so  sind  zwei  Möglichkeiten  vorhanden: 

entweder  Liegen  x,  x"  beide  auf  dem  Rande  des  Einheitskreises,  und 
^L  ist  dann  positiv  (hyperbolisclie  Trausformation), 

oder  x',  x"  sind  Spiegelbilder  zueinander  in  bezug  auf  den  Einheits- 
kreis, und  x'  liegt  im  Innern  desselben;  dann  ist  | /x    =1  (elliptisclie 


1)  Ist  r"=  cxj,  so  bedeutet  das:  — r^« >• 


160  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

Transformation).  In  der  N.-E.  Ebene  ist  T  eine  Drehung-  um  r',  und 
die  durch  die  Gleichung  ju-  =  e""^  bis  auf  ganzzahlige  Vielfache  von  2jt 
bestimmte  reelle  Zahl  cp  ist  der  Drehwinkel  von  T. 

Als  Übergangsfall  schiebt  sich  zwischen  die  hyperbolische  und 
elliptische  Transformation  die  parabolische  ein,  welche  nur  einen  Fix- 
punkt %'  besitzt.  Führt  sie  das  Innere  des  Einheitskreises  in  sich  über, 
so  hat  sie  die  Form 

(54)  ^  =  th  +  V    (-'1  =  1.  ^■•eell). 

Wir  stützen  unsern  Beweis  auf  den  folgenden  Hilfssatz:  Sind 
t^^f^^  (m  =  1,  2,  3,  ...) 
zwei  Reihen  von  Punkten  in  der  N.-E.  Ebene,  die  gegen  denselben  Punkt 
^o(l  ^ol  ^  1)  konvergieren;  ist  ferner  T^  eine  N.-E.  Bewegung,  welche  t^ 
in  #*  überführt,  und  gibt  es  eine  Umgebung  von  t^,  die  keinen  Fixpunkt 
einer  der  Bewegungen  T„(w  =  1,  2,  3,  . . .)  enthält,  so  konvergiert  T„ 
gegen  die  Identität. 

Sind  t'^{\r^\^'^),  \  ^^®  beiden  Fixpunkte  von  T^  (die  auch  zu- 
sammenfallen können),  so  soll  also  eine  positive  Zahl  l  existieren,  so  daß 
für  alle  n 

l^o-<l»     !^o-<l>Y 
ist.    Setze  ich 

1 1^^  -  r^  \  =  E^^, 

so  kann  ich  annehmen,  daß  für  alle  n 

\K-U\,       IC-^ol<2,       also        £„<Z 

ist.   Die  Differenzen 

\K-<X    \K-<X    \K-\X    iC-<'l 

sind  dann  alle  vier  >  l.   Ist  T^  nicht  parabolisch,  so  hat  es  die  Form 
Setze  ich  hierin  t  =  t„,  also  t*  =  t*    so  kommt 


C— J«    .  tu  —  ^»  /-,      ,      t* 


/  ^  tu-<J     \     ^  t,-</ 

Das  ergibt  die  Abschätzung 

Anstelle  von  (55)  kann  ich  schreiben 

(57)  ^^^^  =  K-\-  ^n  t-r]^     ^^n  konstant); 

denn  diese  Gestalt  muß  eine  jede  Lineare  Substitution  mit  dem  Fixpunkt 


§  21.    Abbildungen  einer  Riemannschen  Fläche  auf  sich.  161 

T^  haben.   Auch  wenn  die  Transformation  T^  parabolisch  ist,  kann  ich 
sie  in  die  Form  (57)  setzen;  es  wird  dann  speziell  /*„=  1  sein,  also  (56) 
gleichfalls  zutreffen.    Wir  gewinnen  die  Limesgleichung 
lim/i^=  1. 

Setzen  wir  in  (57)  wiederum  t  =  t^,  t*  =  t*,  so  finden  wir 

;     _  tn  —  tt ^^n—^ 

"         iin-<)itn-<>)  <n-<' 

Bringen  wir  endlich  (57)  in  seine  natürliche  Form 

yj  +  ö,' 

so  ergeben  sich  die  Werte 

a„  =  1  +  A„t'^,     /3„  =  t'„{^„  —  1  —  /1„<J, 

die  von  den  entsprechenden  Koeffizienten  der  identischen  Substitution 
(       )  um  Aveniger  abweichen  als 

Der  Hilfssatz  ist  damit  bewiesen. 

Sei  jetzt  r*  eine  N.-E.  Bewegungsgruppe  ohne  infinitesimale  Trans- 
formationen und  T  ein  Punkt  der  N.-E.  Ebene,  der  Fixpunkt  einer  zu  f* 
gehörigen  Drehung  ist.  Mit  S^  bezeichne  ich  die  sämtlichen  in  f*  ent- 
haltenen Drehungen  mit  dem  Fixpunkt  r,  die  für  sich  eine  Gruppe 
bilden.  Normiere  ich  die  Drehwinkel  tp  der  S^  durch  die  Bedingung 
0  ^(f  <C27t,  so  gibt  es  unter  den  S^  wegen  des  Fehlens  infinitesimaler 
Transformationen  eine,  S^,  mit  kleinstem  Drehwinkel  ^^  >  0.  Der  Dreh- 
winkel eines  jeden  S^ist  ein  ganzzahliges  Multiplum  von  ^0,  da  man  sonst 
durch  geeignete  Wahl  einer  ganzen  Zahl  k  eine  Transformation  S^-  (/S°)~* 
mit  kleinerem  Drehwinkel  als  S^  erzeugen  könnte;  S'^  ist  also  in  der 
Gruppe  der  S^  eine  „primitive"  Transformation,  aus  der  alle  andern 
durch  Potenzieren  erhalten  werden.  Bestimmt  man  eine  ganze  Zahl  h 
durch  die  Bedingung 

hcpQ  ^27t  <  (Ji  +  1)9)0, 

so  bekommt  (S^)''^^  sicher  einen  kleineren  Drehwinkel  (h  +  1)(Pq  —  2n 

als  Ä?,  wenn  nicht  h(pQ=  2%  ist.  Es  muß  demnach  (Po=  -jt   sein,  und  h 

ist  die  Ordnung  der  endlichen  zyklischen  Gruppe  (S^),  die  aus  den  Dre- 
hungen 

isy,(sy,(siy,...,{s;)''-i 

besteht. 

Weyl,  Die  Idee  der  Eiemannschen  Fläche  11 


162  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

Die  Fixpimkte  der  in  f*  vorkommenden  Drehungen  können  sicli  im 
Endlichen  nirgends  häufen.  Wäre  nämlich  t(|t  <  1)  ein  solcher  Häu- 
fungspunkt und 

S„  (Drehwinkel  =  ^j  [n  =  i,?,3,...] 

eine  Folge  primitiver  Drehungen  aus  f*,  deren  Fixpuukte  t„  alle  ver- 
schieden sind  und  gegen  r  konvergieren,  so  gibt  es  a  priori  zAvei  Mög- 
lichkeiten: 

1.  Die  Ordnungen  /?„  bleiben  für  alle  n  unter  einer  festen  Grenze. 
Dann  finden  sich  unter  den  S^  unendlichviele,  denen  dieselbe  Ord- 
nung h  zukommt;  es  seien  das  die  Transformationen  S[,  S'^,  S'^,  •  -  •. 
'^n^lr+i  i^^  ^^^  unendlich  große  n  infinitesimal.  Dieser  Fall  ist  also  aus- 
geschlossen. 

2.  Die  Ordnungen  h^  bleiben  nicht  unter  einer  festen  Grenze.  Dann 
kann  man  aus  den  S^^  eine  solche  Folge  S'^^  auswählen,  daß  die  zu- 
gehörigen Ordnungszahlen  gegen  oo  und  die  Drehwinkel  mithin  gegen  0 
konvergieren;  das  widerspricht  gleichfalls  dem  Fehlen  infinitesimaler 
Operationen  in  f*. 

Nachdem  dies  festgestellt  ist,  können  wir  nun  auch  zeigen,  daß  ein 
System  hinsichtlich  f*  äquivalenter  Punkte  im  Endlichen  keine  Häufungs- 
stelle besitzen  kann.  Wäre  nämlich  ^o(^o  "<  1)  GJ^renze  einer  Folge  äqui- 
valenter Punkte  #„(«  =  1,  2,  3,  . . .): 

lim  t^^  =  Iq  , 

n  =  00 

so  bedeute  ;S^„  diejenige  zu  f*  gehörige  Bewegung,  welche  t^  in  t^_^_^  über- 
führt. Um  t^  grenze  ich  eine  Umgebung  U^  ab,  die,  außer  etwa  in  t^, 
keinen  Fixpunkt  einer  zu  f*  gehörigen  Drehung  enthält.  Nach  dem 
Hilfssatz  kann  nur  für  endlichviele  Indizes  n  der  Fixpunkt  r[^  von 
^nil'^nl  =  ^)  außerhalb  Uq  liegen;  von  einem  gewissen  n  ab  muß  folg- 
lich T^j  =  t^  sein,  und  es  enthält  keine  Einschränkung,  anzunehmen,  daß 
dies  bereits  von  n  =  1  ab  gilt.  Alle  t^  gehen  dann  aus  f^  durch  solche 
Drehungen  um  t^  hervor,  die  in  der  Gruppe  f*  enthalten  sind;  durch 
solche  Drehungen  kann  ich  aber  t^  nur  in  endlichviele  verschiedene 
Lagen  bringen.  Die  Möglichkeit  einer  Verdichtungsstelle  ist  somit  wider- 
legt, und  der  Beweis  des  am  Anfang  (S.  159)  ausgesprochenen  Satzes  ist 
erbracht. 

Nachdem  wir  dies  vorausgeschickt  haben,  kommen  wir  nun  zum 
eigentlichen  Gegenstand  dieses  Schlußparagraphen  unserer  Darstellung. 
Es  handelt  sich  um  die  Frage  nach  denjenigen  umkehrbar  eindeutigen  kon- 
formen Abbildungen,  die  eine  Riemannsche  Fläche  ^  in  sich  selbst  erleiden 
kann.  Diese  Abbildungen  bilden  eine  Gruppe,  welche  ofi'enbar  für  die 
Theorie  der  Riemannschen  Fläche  %  eine  analoge  Bedeutung  besitzt  w^ie 
etwa  die  Gruppe  der  Bewegungen  für  die  metrische  Geometrie,  und  wir 


§  21.    Abbildungen  einer  Riemannschen  Fläche  auf  sich.  163 

spreclien  daher  eine  Tatsache  von  prinzipieller  Wichtigkeit  aus,  wenn 
Avir  das  folgende,  im  Avesentlichen  von  Klein  herrührende  Theorem  for- 
mulieren : 

Die  Gruppe  der  leonformen  Abbildungen  einer  Riemannschen  Fläche 
auf  sich  seihst  ist  stets  dislxontinuierlich ,  abgesehen  von  folgenden  sieben 
Ausnahmefällen:  ^  =  Vollkugel,  einfach  oder  doppelt  punktierte  Kugel, 
Kugelkalotte,  punktierte  Kugelkalotte  (d.  h.  Kalotte  ohne  ihren  Mittel- 
punkt), Kugelzone  (zwischen  zwei  Breitenkreisen)^),  geschlossene  Rie- 
mannsche  Fläche  vom  Geschlechte  1. 

Beiveis^):  ^  bedeute  die  universelle  Überlagerungsfläche  über  ^,  i  die 
Grenzkreis-Uniformisierende,  die  ^  konform  auf  das  Innere  des  Einheits- 
kreises abbildet,  T  die  zur  Riemannschen  Fläche  ^  gehörige  N.-E.  Be- 
wegungsgruppe; die  Fälle,  in  denen  statt  des  Einheitskreises  die  ^Kugel 
oder  die  unendliche  ^- Ebene  auftritt,  können  wir  hier  beiseite  lassen,  da 
in  ihnen  unser  Theorem  ohnehin  ungültig  ist  (Ausnahmefälle  1,  2,  3, 
7).  Es  sei  C  eine  konforme  Abbildung  von  ^  auf  sich  selbst,  die  den 
Punkt  pQ  in  p^  überführe,  p^  sei  ein  Punkt  auf  ^^  über  p^,  pQ  ein  Punkt 
auf  ^  über  p^.  Wegen  des  einfachen  Zusammenhangs  von  ^  gibt  es  eine 
einzige  umkehrbar-eindeutige  und  -gebietsstetige  Abbildung  C  von  ^  auf 
sich  selbst,  bei  welcher 

1.  Po  ^^  Po  übergeht, 

2.  jeder  Punkt  p  auf  %  in  einen  Punkt  p  C  übergeht,  dessen  Spur- 
punkt pC  durch  die  Abbildung  C  aus  dem  Spurpunkt  p  von  p  entstand. 

C  ist  gleichfalls  konform  und  erscheint  also  in  der  ^-Ebene  als  eine 
das  Innere  des  Einheitskreises  in  sich  überführende  lineare  Transformation 
T,  und  zwar  als  eine  Transformation,  welche  jedes  System  hinsichtlich  f 
äquivalenter  Punkte  in  ein  ebensolches  Punktsystem  überführt.  Diese 
letzte  Eigenschaft  drückt  sich  in  der  Gleichung  aus 

Av eiche  besagt,  daß  T  mit  f  vertauschbar  ist,  oder:  daß  für  jede  zu  f  ge- 
hörige Substitution  S  die  „Transformierte"  TST~^  gleichfalls  zu  V  gehört. 
Es  ist  auch  umgekehrt  klar,  daß  jede  mit  V  vertauschbare  lineare  Sub- 
stitution T,  die  I  / 1  <  1  in  sich  überführt,  eine  konforme  Abbildung  von 
f5|-  in  sich  liefert.  Die  sämtlichen  mit  V  vertauschbaren  Bewegungen  der 
N.-E.  Ebene  bilden  ersichtlich  eine  Gruppe  V^,  die  V  als  Teil  enthält.  Die 
Diskontinuität  dieser  Gruppe  V  ist  zu  erweisen;  es  genügt  dazu  nach  dem 

1)  Dies  sind  je  nach  der  Breite  der  Zone  unendlich  viele  wesentlich  ver- 
schiedene Riemannsche  Flächen. 

2)  Dieser  Beweis  rührt  von  Poincare  her:  Acta  Mathematica  Bd.  7,  1885, 
S.  16 — 19.  Poincare  faßt  dort  zwar  nur  geschlossene  Riemannsche  Flächen  ins 
Auge,  aber  sein  Beweis  bleibt  wörtlich  auch  für  offene  Flächen  gültig. 

11* 


164  Funktionen  auf  Riemannschen  Flächen. 

Satze  zu  Anfang-  dieses  Paragraphen,  das  Fehlen  infinitesimaler  Operati- 
onen in  r^  zu  erkennen. 

Sind  S,  T  irgend  zwei  das  Innere  des  Einheitskreises  in  sich  über- 
führende lineare  Transformationen,  so  sind  diejenigen  beiden  Punkte,  die 
T  in  die  Fixpunkte  von  S  wirft,  die  Fixpunkte  der  Transformation 

Soll  S'  die  gleichen  Fixpunkte  haben  wie  S,  so  muß  also  T  entweder  jeden 
der  beiden  Fixpunkte  von  S  in  sich  überführen  [d.  h.  wenn  S  nicht  para- 
bolisch ist,  dieselben  Fixpunkte  wie  S  besitzen,  und  wenn  S  parabolisch 
ist,  wenigstens  einen  mit  dem  Fixpunkt  von  S  zusammenfallenden  Fix- 
punkt haben]  oder  T  muß  die  beiden  Fixpunkte  <?',  ö"  der  (nicht-para- 
bolischen) Transformation  S  miteinander  vertauschen,  d.  h.  ö'  in  ö"  und 
6"  in  6'  überführen.  Das  letzte  zu  bewirken,  ist,  wie  aus  (54)  hervor- 
geht, ein  parabolisches  T  außerstande,  ein  nicht -parabolisches  T,  (53), 
kann  es  nur  dann,  wenn  |it^  =  1,  also  |U.  ==  —  1,  d.  h.  wenn  T  eine  elliptische 
Transformation  vom  Drehwinkel  %  ist.  Soll  insbesondere  S  mit  T  ver- 
tauschbar sein: 

TS==ST,     TST-'=^S, 

so  ist  das  demzufolge  nur  möglich,  wenn 

I.  beide  Transformationen  S  und  T  nicht  parabolisch  sind  und  die- 
selben Fixpunkte  besitzen,  oder 

IL  beide  Transformationen  S  und  T parabolisch  sind  und  den  gleichen 
Fixpunkt  besitzen,  oder 

III.  S  und  T  elliptische  Transformationen  vom  Drehwinkel  jr  sind, 
oder 

IV.  eine  der  beiden  Transformationen  S,  T  die  Identität  ist. 

Besteht  f  allein  aus  der  Identität,  so  ist  ^  dem  Innern  des  Einheits- 
kreises oder,  was  dasselbe  ist,  einer  Kugelkalotte  konform-äquivalent 
[Ausnahmefall  4]. 

Ist  8  eine  beliebige  von  der  Identität  verschiedene  Substitution  aus 
r  vmd  nehmen  wir  im  Gegensatz  zu  unserer  Behauptung  an,  eine  Folge 
von  Operationen  ^„=H  1  aus  V^  konvergiere  gegen  die  Identität  1,  so  wäre 
mit  T^ST^-^  auch  T^ST^-'^S''^  in  T  enthalten.  Diese  Operation  kon- 
vergiert aber  ebenso  wie  T^  mit  unbegrenzt  wachsendem  n  gegen  die  Iden- 
tität, und  da  f  keine  infinitesimalen  Transformationen  enthält,  muß  von 
einem  endlichen  n  ab 

d.  h.  S  mit  T^j  vertauschbar  sein.  Von  den  vorher  aufgezählten  vier  Fällen, 
in  denen  dies  möglich  ist,  kommen  hier,  da  S  nicht  elliptisch  ist,  nur  die 
Fälle  I.  und  IL  in  Frage.  Wenden  wir  das  daraus  sich  ergebende  Resul- 
tat auf  alle  möglichen  Operationen  S  =^  1  der  Gruppe  f  an,  so  erkennen 
wir,  daß  uns  nur  zwei  Möglichkeiten  offen  bleiben: 


§  21,    Abbildungen  einer  Riemannschen  Fläche  auf  sich.  165 

I.  Alle  Operationen  von  T  sind  hyperbolisch  und  haben  dieselben 
beiden  Fixpunkte,  die  man  an  die  Stellen  +  i  und  —  i  verlegen  kann; 

n.  Alle  Operationen  von  f  sind  parabolisch  und  haben  den  gleichen 
Fixpunkt,  der  an  der  Stelle  i  liegen  möge. 

Fall  I.:  Durch  die  Abbildung 

,    i  —  t 

geht  das  Innere  des  Einheitskreises  der  ^-Ebene  über  in  den  Parallelstreifen 
~  9  < !/  <  +  9  der  s  =  (x  -{-  «y)-Ebene,  und  f  in  eine  Gruppe  von  Schie- 
bungen parallel  zur  a:-Achse,  d.  h.  f  bekommt  die  Form 

2jr  r<z  eine  positive  Konstante:! 

^''^  ^*  =  ^  +  -T  L-0,±l.±2,...         J- 

^-  wird  dann  vermittels 

umkehrbar  eindeutig  abgebildet  auf  den  Kreisring 

e    ^      <\w\<e^-     , 
den  man  schließlich  durch  stereographische  Projektion  in  eine  Kugelzone 
verwandeln  kann,  deren  Mittellinie  der  Äquator  ist:  Ausnahmefall  6. 
Fall  II.:  Durch  die  Abbildung 

^  =  t'^'^i  -^  (^  =  ^  +  iy) 

geht  das  Innere  des  Einheitskreises  der  ^Ebene  über  in  die  obere  Halb- 
ebene y  >  0  und  V  in  eine  Gruppe  von  Schiebungen  parallel  zur  a;-Achse; 
r  bekommt  also  wieder  die  Form  (58),  und  w  =  e"'*  verwandelt  ^  in 
den  punktierten  Einheitskreis  der  it'-Ebene: 

0  <  I  IV  I  <  1 :  Ausnahmefall  5. 

Damit  ist  das  Haupttheorem  vollständig  bewiesen,  und  wir  haben 
zugleich  Gelegenheit  gefunden,  die  Verwendbarkeit  der  Normalform  fj- 
der  Riemannschen  Flächen  an  einem  wichtigen  Beispiel  kennen  zu  lernen. 
Daß  in  den  sieben  ausgeschlossenen  Fällen  wirklich  eine  kontinuierliche 
Gruppe  von  konformen  Abbildungen  der  Fläche  in  sich  existiert,  ist  trivial. 
Es  ist  auch  leicht,  diese  Gruppen  vollständig  anzugeben. 

Eine  geschlossene  Riemannsche  Fläche  vom  Geschlechte  p>  1  gestattet 
nur  endUchviele  honforme  Ahlnldungen  in  sich})  Denn  ein  System  hinsicht- 
lich dieser  Gruppe  äquivalenter  Punkte  darf  auf  der  geschlossenen  Fläche 
keine  Häufungsstelle  aufweisen  und  kann  daher  nur  aus  endlichvielen 
Punkten  bestehen. 


1)  Für  diesen,  von  H.  A.  Schwarz  zuerst  aufgestellten  spezielleren  Satz 
existieren  andere  mehr  algebraische  Beweise,  einer  von  Weierstraß  (1875),  der 
erst  1895  (Werke  Bd.  II,  S.  235—244)  veröffentlicht  wurde,  einer  von  Noether 
(Math.  Ann.  Bd.  20,  S.  59— 62,  und  Bd.  21,  S.  138— 140;  1882)  und  einer  von 
Hurwitz  (Math.  Ann.  Bd.  41,  S.  403—411;  1893). 


Yerzeiclmis  der  Begriffsnamen. 

[Die  Zahlen  geben  die  Seite  an,  auf  welcher  der  betreffende  Begriffsname 
eingeführt  wird.] 


Abbildnug  19. 
— ,  konforme  36. 
Abelsche  Funktion  13-2. 
Abelsches  Theorem  126,  136. 
abgeschlossene  Punktmenge  18. 
Adaption  eines  Gitters  an  ein  enthalte- 
nes 73. 
additive  Funktion  117. 
algebraisches  Gebilde  138. 

—  er  Funktionenkörper  138. 
Analysis  situs  "20. 
analytisches  Differential  55. 
analytische  Fortsetzung,  unmittelbare  2. 

—  — ,  mittelbare  2. 

—  —  längs  einer  Kurve  2. 

auf  einer  Riemannschen  Fläche  43. 

analytische     Funktion    im    Weierstraß- 
schen  Sinn  4. 

auf  einer  Riemannschen  Fläche  36. 

analytisches  Gebilde  11. 
analytische  Kurve  39. 
analytische  Umgebung  9. 


Bewegung  der  Nicht-Euklidischen  Ebene 

152. 
Bild-Drehungssinn  60. 
Bildkurve  19. 
Bildmenge  19. 

birationale  Transformation  139. 
Bolyai-Lobatschefskysche  Geometrie  152. 


C. 


(einer      Abelschen 


Charakterensystem 
Gruppe)  114. 

D. 

Darstellung   eines  Funktionselements  6. 
Deckel  93. 

Decktransformation  50. 
(ein  Punkt)    deckt    sich  (mit  einem  an- 
dern) 50. 
Differential  55. 
— ,  multiplikatives  129. 
— ,  Prymsehes  129. 
— ,  regulär-analytisches  55. 
— ,  1.,  2.,  3.  Gattung  96,  97. 
Dirichletsches  Integral  86. 


analytisch  zusammenhängende  Reihe  von    diskontinuierliche  Gruppe  151. 

Funktionselementen  11. 
Äquivalenz  im  Sinne  der  Analysis  situs 

—  im  Sinne  der  konformen  Abbildung 
äquivalente  Potenzreihenpaare  6. 

—  Punkte  27,  151. 
automorphe  Funktion  151. 


B. 


Divisor  120. 

Drehung     in     der     Nicht -Euklidischen 

Ebene  153. 
Drehungssinn,  einheitlicher  61. 
— ,  stetiger  61. 
Dreieck  21. 
Dreiecksstern  22. 


E. 


Basis  der  geschlossenen  Wege  74. 
—  einer  linearen  Schar  68. 
Begrenzung  einer  abgeschlossenen  Menge 

78. 
beliebig  feine  Teilung  31. 
(durch  eine  abgeschlossene  Punktmenge)    einfache  Kette  von  Dreiecken  23 

bestimmtes  Gebiet  58.  einfacher  Streckenzug  44. 


Ebene,  Nicht-Euklidische  152. 

— ,  projektive  25. 

Ecke  22. 

einblättrige  Überlagerungsfläche  47. 


Verzeichnis  der  BegriflFsnamen . 


167 


einfach  zusammenhängend  47. 
einheitlicher  Drehungssinn  61. 
einseitige  Fläche  61. 
Elementardifferentiale  1.,  2.,  3 

100. 
Elementardreieck  23. 
Elementarstrecke  31,  43. 
Ende  (Kurve  ohne  Ende)  145. 
Entfernung,  Nicht-Euklidische  154 

F. 


Fixpunkt  150. 
Fläche  23. 

— ,  einfach  zusammenhängende  47. 
— ,  einseitige  61. 
— ,  gelochte  93. 
— ,  geschlossene  24. 
-,  offene  24. 
— ,  Riemannsche  36. 
— ,  schlichtartige  45. 
— ,  zweiseitige  61. 
Fortsetzung,  analytische  2,  43. 
Fundamentalbereich  154. 
Funktion,  Abelsche  132. 
— ,  additive  117. 
— ,  analytische  4,  36. 

—  auf  einer  zweidimensionalen  Mannig- 
faltigkeit 18. 

—  auf  einer  Riemannschen   Fläche  (im 
engeren  Sinne)  43. 

— ,  automorphe   151. 
Funktionenkörper,  algebraischer  138. 
— ,  hyperelliptischer  139. 
Funktion,  harmonische  38. 
— ,  multiplikative  117. 
— ,  Potential-  38. 

— ,  regulär-analytische,    auf  einer   Rie- 
mannschen Fläche  36. 
Funktionselement  (im  engeren  Sinne)  1. 

—  (im  weiteren  Sinne)  6. 
— ,  reguläres  8. 

— ,  verzweigtes  und  unverzweigtes  9. 
Funktion,  stetig  differentiierbare  39. 

G. 

Gebiet  18. 

gebiets-stetig  19. 

Gebilde,  algebraisches  138. 

— ,  analytisches  11. 

gelochte  Fläche  93. 

Geometrie,  Bolyai-Lobatschefskysche  152. 

gerichtete  Strecke  44. 

Gesamtordnung  eines  Divisors  120. 


Geschlecht  76. 
geschlossene  Fläche  24. 
—  r  Streckenzug  44. 
Gattung    —  s  Polyeder  52. 
getrennte  Ufer  65. 
Gitter  28,  72,  127. 
Gleichung,  irreduzible  137. 
Grad  einer  linearen  Schar  69. 
Grenze  eines  Gebiets  58. 
Grenzkreis-Uniformisierende  152. 
Grundfläche  47. 

Gruppe,  diskontinuierliche  151. 
Gültigkeit  einer  Darstellung  9. 


H. 

harmonische  Funktion  38. 

Häufungspunkt  18. 

Hauptcharakter  129. 

Hauptteil  einer  additiven  Funktion  117. 

—  eines  Differentials  100. 
Homologie  geschlossener  Wege  71. 

—  von  Integralfunktionen  68. 
hyperbolische  Transformation  154. 
hyperelliptisch  139. 

I. 

Indikatrix  62. 

— ,  kohärente  62. 

induziert  16,  62. 

infinitesimale  Transformation  159. 

Inhalt  78. 

innerer  Punkt  18. 

innere  Kante  52. 

Integralcharaktere  eines  Divisors  125. 

—  eines  Punktes  114. 
Integral,  Dirichletsches  80. 
— ,  Poissonsches  83. 
Integralfunktion  68. 

—  en,  linear  abhängige  68. 
irreduzible  Gleichung  137. 
isolierter  Punkt  18. 

K. 

kanonische  Zerschneidung  76. 

Kante  22. 

— ,  innere,  und  Rand-Kante  52. 

Kantenzug  44. 

Kette  von  Dreiecken  23. 

Klasse  Riemannscher  Flächen  153. 

—  von  Uniformisierenden  148. 
kohärente  Indikatrizen  62. 
konform-äquivalent  36. 
konforme  Abbildung  36. 


168 


Verzeichnis  der  Begriffsnamen. 


Konvergenzkreis  1. 
Koordinatenverhältnis  21. 
Kreis  80. 

kritischer  Punkt  4. 
Kurve  18 

— ,  analytische  39. 
—  ohne  Ende  145. 
— ,  stetig  differentiierbare  39. 
Kurvenfunktion  68. 
— ,  lineare  68. 

L. 

(ein  Punkt)  liegt  über  (einem  andern)  47. 

Limes  100. 

linear  abhängige  Integralfunktionen  68. 

lineare  Kurvenfunktion  68. 

links  76. 

Lobatschefskysche  Geometrie  152. 

Loch  93. 


Mannigfaltigkeit,  zweidimensionale  17. 
Mittelpunkt  eines  Funktionselements   1. 
Möbiussches  Band  26. 
Modul  Riemannscher  Flächen  41. 
multiplikatives  Differential  129. 
multiplikative  Funktion  117. 
Multiplikator  einer  Transformation  159. 
Multiplum  eines  Divisors  120. 

N. 
Nicht-Euklidische  Bewegung  152. 

—  Ebene  152. 

—  Entfernung  154. 

Normaldarstellung    eines    Funktionsele- 
ments 8. 

Normalform  einer  Riemannschen  Fläche 

151. 
Normalpolygon  155. 
Nullstelle  eines  Differentials  55. 

—  einer  Funktion  38. 

0. 

offene  Fläche  24. 

—  8  Polyeder  52. 

Ordnung  der  Nullstelle  eines  Differentials 
55. 

—  —  —  einer  Funktion  38. 

—  des  Pols  eines  Differentials  55. 
— einer  Funktion  38. 

—  eines  Differentials  in  einem  Punkte  55. 

—  einer  Funktion  in  einem  Punkte  38. 

—  einer  Gruppe  161. 


Ordnung  eines  Punktes  in  bezug  auf  eine 
Kurve  56. 

—  (Gesamtordnung)  eines  Divisors  120. 
— ,  Verzweigungs-  9. 
Ortsuniformisierende  36. 

P. 

parabolische  Transformation  160. 
Perioden  einer  Integralfunktion    77. 
Poincaresche  0-Reihen  158. 
Pol  eines  Differentials  55. 

—  einer  Funktion  38. 
Polyeder  52. 

— ,  geschlossenes  und  offenes  52. 
Polygon  44. 
(Normal-)Polygon  155. 
Potentialfunktion  38. 
projektive  Ebene  25. 
Prymsches  Differential  129. 
Punkt  einer  zweidimensionalen  Mannig- 
faltigkeit 17. 
Punktgitter  28,  72,  127. 
Punkt,  innerer  18. 

—  ,  isolierter  18. 
— ,  kritischer  4. 


Q. 


Querschnitt  52. 


Randkante  eines  offenen  Polyeders  52. 

rechts  76. 

regulär-analytisches  Differential  55. 

—  —  e  Funktion    auf  einer    Riemann- 
schen Fläche  36. 

reguläres  Funktionselement  8. 

—  e  Überlagerungsüäche  50. 
Residuum  56. 
Riemannsche  Fläche  36. 
Riemann-Rochscher  Satz  122. 

—  — ,  verallgemeinerter  130. 
Rückkehrschnittpaar  75. 

S. 
Schema  einer  Fläche  29. 
schlichtartige  Fläche  45. 
singulare  Stelle  einer  Funktion  38. 
Sprung  einer  Integralfunktion  77. 
Spurpunkt  47. 
stetige  Abbildung  19. 

—  er  Drehungssinn  61. 

—  e  Funktion  18. 

stetig  differentiierbare  Funktion   39. 
Kurve  39. 


Verzeichnis  der  Begriffsnamen. 


169 


Stern  22. 

Strecke,  gerichtete  44. 

Streckenzug  44. 

— ,  einfacher  44. 

— ,  geschlossener  44. 

Symbol  eines  Differentials  120,  129. 

—  einer  Funktion  119. 

System  äquivalenter  Punkte  27,  151. 


Teildreieck  31. 

0-Reihen  158. 

Topologie  20. 

Torua  27. 

Transformation,  birationale  139. 

— ,  elliptische  160. 

— ,  hyperbolische  159. 

— ,  infinitesimale  159. 

— ,  parabolische  160. 

Triangulation  22. 

f- Umgebung  10. 

^-  I 

Überlagemngsfläche  47. 

—  der  Integralfunktionen  74. 
— ,  einblättrige  47. 

— ,  reguläre   50. 

— ,  unbegrenzte  47. 

— ,  universelle  50. 

— ,  unverzweigte  47. 

(ein  Streckenzug)  überschneidet  sich  nicht 

44. 
Ufer  45. 

— ,  getrennte  65. 
Umgebung,  analytische  9. 

—  auf  einer  Fläche  17. 
Umkehrproblem  128. 
unbegrenzte  Überlagerungsfläche  47. 
Uniformisierende  141. 


(Grenzkreis-)Uniformisierende  152. 

(Orts-)Uniformisierende  36. 

(zu  @  gehörige)  Uniformisierende  81. 

Uniformisierungsprinzip  148. 

universelle  Überlagerungsfläche  50. 

unmittelbare  analytische  Fortsetzung 

Unterteilung  31. 

unverzweigtes  Funktionselement  9. 

—  e  Überlagemngsfläche  47. 

T. 

Variable,  uniformisierende  141. 
Verdichtungsstelle  18. 
Verschlußring  93. 
verzweigtes  Funktionselement  9. 
Verzweigungsordnung  9. 
Verzweigungspunkt  32. 
Verzweigungszahl  135. 

W. 

Wert  einer  analytischen  Funktion  5. 
Funktion  auf  einer  Fläche  18. 

—  —  Kurvenfunktion  68. 
wesentlich  singulare  Stelle  38. 
Winkel  39. 


(vacant. 


X.    1. 


Z. 


Zerlegung  in  Elementardreiecke  23. 
—  eines  Gebiets  durch  eine  Menge    44. 
Zerschneidung,  kanonische  76. 
(analytisch)    zusammenhängende    Reihe 

von  Funktionselementen  11. 
(einfach)  zusammenhängende  Fläche  47. 
Zusammenhangsgrad  69. 
zweidimensionale  Mannigfaltigkeit  17. 
zweiseitige  Fläche  61. 
Zvkel  von  Ecken  156. 


Berichtigungen  und  Zusätze. 

Seite  49,  Zeile  16  lies  „U,  po"'  statt  „U,  p,/'. 

Seite  58,  Zeile  25  bis  Seite  60,  Zeile  23:  Dieser  Beweis  läßt  sich  durch  folgen- 
den kürzeren  ersetzen:  Wendet  man  das  unter  1.  Bewiesene  auf  diejenige 
Kurve  c  in  @  an,  deren  Bild  in  ©'  ein  Kreis  c  um  0'  ist,  so  ergibt  sich 
die  Gleichung 

1  =  «1  •  W(, , 

in  der  «j   die   Ordnung  von  0  in  bezug  auf  c  bedeutet;   aus  ihr  folgt  ohne 

weiteres  n^,  =  +  1- 
Seite  81,  Zeile  19  lies:  x/,  statt  x'. 
Seite  82,  Zeile  2   v.  u.  lies:   „eine  reelle    stetige  Funktion"    statt:    „eine   stetige 

Funktion". 
Seite  114,  Zeile  18  lies:  „dimensionale"  statt:  „dimensonale". 


Verlag  von  B.  G.Teubner  in  Leipzig  und  Berlin 

Mathematische  Vorlesungen 

an  der  Universität  Göttingen. 


gr- 


8.     In  Leinwand  gebunden.  —  Bisher  sind  erschienen; 


Band  I:  Vorträge  über  den  mathematischen   Unterricht  an 

höheren  Schulen  von  f.  Kleln.  Ten  I:  von  der  Organisation  des  mathematischen 
Unterrichts.   Bearbeitet  von  R.  Seh  im  mack.   Mit  8  Figuren,   gr.  8.    1907.    JC  ö.— 

„Interessant  ist  es,  wie  Klein  die  Lehrstätten  gliedert.  .  .  .  Alle  wichtigen  Fragen:  der  Lehrstoff 
und  das  Lehrziel,  die  Lehrbücher  und  die  Lehrmethode,  die  geschichtliche  Entwickelung  des 
mathematischen  Unterrichts,  die  Bedeutung  der  Mathematik  innerhalb  des  jetzigen  Kulturlebens, 
die  Gestaltung  des  Unterrichts  durch  die  Lehrpläne  von  1901,  die  Keformvorschläge,  der  Funktions- 
begriff  und  die  Erziehung  zum  funktionalen  Denken  werden  in  klarer,  ruhiger,  man  möchte  fast 
sagen  klassischer  Weise  behandelt     (Mitteil.  d.  Gesellschaft  f.  deutsche  Erziehungs-  u.  Schulgeschichte.) 

Band  II:  Dlophantischc  ApproxImationcn.  Eine  Einführung  in 
die  Zahlentheorie.  Aonweii.H.iviinicowski.  Mit 82 Fig.  gr.  8. 1907.  jc^.— 

Die  kleine  Vorlesung,  die  unter  dem  Titel  „Diojjhantiscbe  Approximationen" 
erscheint,  bezweckt  eine  Metamorphose  im  Lehrgang  der  Zahlentheorie.  Sie  gliedert 
sich  in  6  Abschnitte:  1.  Anwendungen  eines  elementaren  Prinzips.  2.  Vom  Zahlen- 
gitter in  der  Ebene.  3.  Vom  Zahlengitter  im  Räume.  4.  Zur  Theorie  der  algebraischen 
Zahlen.    5.  Zur  Theorie  der  Ideale.    6.  Approximationen  im  imaginären  Körper. 

Band  III:  MagnetO-  und  ElektrOOptik  von  Woldemar  Volgt.  Mit  75  Fi- 
guren,    gr.  8.     1908.     JC  14.— 

Eine  zusammenfassende  Darstellung  aller  Erscheinungen,  die  durch  die  Ein- 
wirkung eines  magnetischen  oder  elektrischen  Feldes  auf  eine  Lichtquelle  oder 
auf  einen  das  Licht  fortpflanzenden  Körper  hervorgerufen  werden  und  die  Ab- 
leitung ihrer  Gesetze  aus  der  Elektronentheorie,  deren  Grundlagen  gegeben 
werden.  Den  größten  Raum  nehmen  gemäß  ihrer  Tragweite  der  Zeeman-Eifekt 
und  dessen  Begleiterscheinungen  ein,  zu  deren  Veranschaulichung  Originalauf- 
nahmen von  Zeeman,  Becquerel,  Lohmann  u.  a.  verwendet  werden  konnten, 
doch  finden  auch  die  Faraday-  und  Kerr-EfFekte  ausführliche  Behandlung. 

Band  IV:  Scchs  VorträgB  über  ausgewählte  Gegenstände  aus  der 
reinen  Mathematik  und  mathematischen  Physik,  von  Henri  Poincare. 

Mit  6  Figuren,    gr.  8.    1910.    Geh.  JC  1.80,  geb.  Jl  2.40 

Inhalt:  1.  Über  die  Fredholmschen  Gleichungen.  2.  Anwendung  der  Theorie 
der  Integralgleichungen  auf  die  Flutbewegung  des  Meeres.  3.  Anwendung  der 
Integralgleichungen  auf  Hertzsche  Wellen.  4.  Über  die  Reduktion  der  Abelschen 
Integrale  und  die  Theorie  der  Fuchsschen  Funktionen.  5.  über  transfinite  Zahlen. 
6.  La  mecanique  nouvelle. 

„Da  Poinoar6  mit  seinem  umfassenden  und  tiefen  "Wissen  die  Gabe  vereinigt,  schwierige  Dinge  ohne 
Beeinträchtigung  der  Strenge  in  allgemein  verständlicher  Weise  darzustellen,  dürfen  die  Vorträge 
auf  eine  starke  Verbreitung  rechnen ;  der  Mathematiker  sowohl  wie  der  Physiker  werden  wertvolle 
Anregungen  aus  dieser  Schrift  schöpfen,  für  die  im  besten  Sinne  das  Wort  gilt:  ,Wer  vieles  bringt, 
wird  manchem  etwas  bringen'."  (Naturwissenschaftliche  Wochenschrift.) 

In  Vorbereitung  befinden  sich: 


Runge,  C,  über  graphische  Methoden  in 

der  Analysis. 
Schwarzschild,  K.,  Astrophysik. 


Toeplitz,  0,,  Einführung  in  die  Theorie 

der   Integralgleichungen.      2   Bände. 

Wiechert,  E.,  Konstitution  fies  Erdinnern. 


Verlag  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig  und  Berlin 


Elemente  der  Theorie  der  Funktionen  einer  komplexen  ver- 
änderlichen Größe.  Von  Dr.  H.  Durege,  weil.  Professor  an  der  Universität 
Prag.  In  5.  Auflage  neubearbeitet  von  Dr.  Ludwig  Maurer,  Professor  an  der 
Universität  Tübingen.  Mit  41  Textfiguren.  [Xu.  397  S.]  gr.  8.  1906.  Geh. 
Jt  9. — ,  in  Leinwand  geb.  JC  10. — 

Die  vorliegende  Auflage  des  zuletzt  1893  erschienenen  und  seitdem  in  seiner 
Anlage  veralteten  Duregeschen  Buches  gibt  eine  durchgreifende  Neubearbeitung 
des  Stoffes.  Dabei  ist  aber  an  der  ursprünglichen  Tendenz  des  Buches,  die 
ihm  eine  so  weite  Verbreitung  verschafft  hat,  festgehalten:  auch  in  seiner  neuen 
Gestalt  verfolgt  das  Buch  den  Zweck,  den  Leser  in  die  Riemannsche  An- 
schauungsweise einzuführen,  und  es  setzt  an  Vorkenntnissen  nicht  mehr  voraus, 
als  in  den  üblichen  Vorlesungen  über  Differential-  und  Integralrechnung  ge- 
geben zu  werden  pflegt. 

Vorangestellt  ist  ein  einleitender  Abschnitt,  der  die  notwendigsten  Begriffs- 
bestimmungen aus  der  Theorie  der  reellen  Veränderlichen  und  Funktionen  ent- 
hält, und  im  übrigen  ist  als  Abschluß  die  von  Durege  behandelte  Theorie  der 
Integrale  der  algebraischen  Funktionen  fallen  gelassen,  wofür  aber  die  augen- 
blicklich stark  im  Vordergrunde  des  Interesses  stehende  Theorie  der  linearen 
Differentialgleichungen  in  ihren  Hauptzügen  behandelt  wird. 

Theorie  der  elliptischen  Funktionen,  von  Dr.  h.  Durege,  wen  Pro- 
fessor an  der  Universität  Prag.  In  5.  Auflage  bearbeitet  von  Ludwig  IVIaurer. 
Mit  36  Figuren.  [VIIIu.436S.]  gr.  8.  1908.  Geh.^/^  10.— ,  in  Leinw.  geb.<./m  . — 
Wie  Dureges  Funktionentheorie  ist  auch  seine  Theorie  der  elliptischen  Funk- 
tionen vollständig  neu  bearbeitet.  Der  Verfasser  geht  nicht,  wie  dies  in  den 
meisten  Lehrbüchern  über  den  Gegenstand  geschieht,  von  den  einwertigen 
doppelt  periodischen  Funktionen,  sondern  von  den  elliptischen  Integralen  aus. 
Die  Darstellung  der  rationalen  Funktionen  der  Größen  .r  und  s  =  ]/4ä;^  —  g^  x  —  g^ 
mittels  der  Integrale  dritter  Gattung  führt  dann  geradewegs  zu  den  a-  und 
©■-Funktionen. 

Die  Bedeutung,  die  die  Theorie  der  Teilung  und  Transformation  und  die  Theorie 
der  Modulfunktionen  für  die  Entwicklung  der  neueren  Mathematik  gewonnen 
haben,  ließen  es  dem  Verfasser  als  notwendig  erscheinen,  wenigstens  auf  die 
Fundamentalsätze  dieser  Theorien  ausführlich  einzugehen. 

Lehrbuch  der  Funktionentheorie  von  Dr.  w.  f.  Osgood,  ord.  Professor 

der  Mathematik  an  der  Harvard-Universität  Cambridge,  Mass.  (V.  St.  A.)  Erster 
Band.  2.  Aufl.    Mit  158 Figuren.    [XIIu.766S.]  gr.  8.  19^2.  InLeinw.geb.  .^  18.— 

Das  Buch  gibt  eine  systematische  Entwicklung  der  komplexen  Funktionentheorie 
auf  Grundlage  der  Infinitesimalrechnung  und  in  engster  Fühlung  mit  der  Geo- 
metrie und  der  mathematischen  Physik.  Nachdem  die  grundlegenden  Sätze 
und  Beweismethoden  der  reellen  Funktionentheorie  unter  Berücksichtigung 
der  Mengenlehre  auseinandergesetzt  sind,  wird  die  Cauchysche  Theorie  ent^ 
wickelt,  wobei  auch  die  Weierstraßschen  Reihensätze  sowie  gewisse  Sätze  von 
Riemann  ihren  Platz  finden.  Hierauf  werden  die  Riemannschen  Flächen  nebst 
der  konformen  Abbildung  im  großen  besprochen,  woran  sich  dann  die  Theorie 
der  analytischen  P'ortsetzung  schließt.  Anwendungen  auf  die  periodischen  Funk- 
tionen nebst  den  Reihen  und  Produktenentwicklungen  von  Weierstraß,  Mittag- 
Leffler  und  Runge  folgen,  und  der  Band  schließt  mit  einer  einheitlichen  und 
independenten  Darlegung  der  Theorie  des  logarithmischen  Potentials.  Außer 
den  zahlreichen  Ergänzungen  nebst  Vereinfachung  der  Behandlung  weist  die 
zweite  Auflage  namentlich  auf  dem  Gebiete  der  Uniformisierung  algebraischer 
sowie  allgemeiner  analytischer  Funktionen  vermöge  automorpher  Funktionen 
mit  Hauptkreis  wesentlich  neues  Material  auf. 


Verlag  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig  und  Berlin 


Vorlesungen  über  dieTheorie  der  elliptischen  Modulfunktionen. 

Von  Geh.  Reg.-Rat  Dr.  F.  Klein,  Professor  an  der  Universität  Göttingen.     Aus- 
gearbeitet und  verTollständigt   von   Dr.  Robert  Fricke,  Prof.  a.  d.  Techn.  Hoch- 
schule Braunschweig.     2  Bände.     Mit  Figuren,     gr.  8.     Geh,  je  M  24. — 
Einzeln:  I.  Band.    Grundlegung  der  Theorie.    [XXu.  764S.]    1890. 

IL  —  Fortbildung  und  Anwendung  der  Theorie.  [XVu.  712S.]  1892. 
Eine  ausführliche  Bearbeitung  des  ersten  wichtigen  Spezialfalls  der  transzendenten 
automorphen  Funktionen.  Die  Theorie  der  elliptischen  Modulfunktionen,  wie  sie 
hier  entwickelt  wird,  ist  je  länger  je  mehr  ein  notwendiger  Bestandteil  jeder 
modernen  Funktionentheorie  geworden.  Indem  sie  zahlreiche  Beziehungen,  die 
in  der  klassischen  Theorie  der  elliptischen  Funktionen  mehr  überraschend  auf- 
treten, auf  ihren  einfachsten  Grund  zurückführt,  erweitert  sie  zugleich  deren 
Bereich  und  eröffnet  damit  der  genannten  Theorie  neue  Entwicklungsmöglichkeiten. 

Vorlesungen  über  die  Theorie  der  automorphen  Funktionen. 

Von  Dr.  Robert  Fricke,  Professor  an  der  Technischen  Hochschule  in  Braunschweig 
und  Geh.  Reg.-Eat  Dr.  Felix  Klein,  Professor  an  der  Universität  Göttingen. 

I.  Band:  Die  gruppentheoretischen  Grundlagen.   Mit  192  Figuren.    [XIV  u.  634  S.] 
gr.  8.     Geh.  Ji  22.— 

IL  Band:  Die  funktionentheoretischen  Ausführungen  und  Ihre  Anwendungen.    Mit 

114  Figuren.     [VII  u.   663  S.j     gr.  8.     Geh.  JC  28.— 

Die  „Vorlesungen  über  die  Theorie  der  automorphen  Funktionen"  schließen 
sich  an  die  von  denselben  Verfassern  herausgegebenen  „Vorlesungen  über  die 
Theorie  der  elliptischen  Modulfunktionen"  an  und  wollen  nach  den  in  diesem 
letzteren  Werke  befolgten  Prinzipien  eine  umfassende  Darstellung  der  Theorie 
der  eindeutigen  automorphen  Funktionen  geben.  Das  Buch  ist  bestrebt,  auch  der 
historischen  Seite  der  vorgetragenen  Theorien  nachzugehen  und  auf  die  ursprüng- 
lichen Keime  und  Anfänge  der  einzelnen  Gedankenentwickelungen  hinzuweisen. 

Theorie  der  algebraischen  Funktionen  einer  Variabein  und 
ihre  Anwendung  auf  algebraische  Kurven  und  Abelsche  In- 
tegrale. Von  Dr.  Kurt  Hensel,  Professor  an  der  Universität  Marburg  a.  L,,  und 
Dr.  Georg  Landsberg,  Professor  an  der  Universität  Kiel.  Mit  vielen  Figuren  im 
Text.    [XVI  u.  708  S.]    gr.  8.     1902.    In  Leinwand  geb.  ,K.  28.— 

Das  Buch  gibt  im  Sinne  der  Arbeiten  von  Weierstraß,  Kronecker,  Dedekind, 
H.  Weber  eine  umfassende  Behandlung  der  Theorie  der  algebraischen  Funk- 
tionen einer  Variabein  auf  wesentlich  arithmetischer  Basis  mit  Anwendung  auf 
die  Abelschen  Integrale  und  algebraischen  Kurven.  Dabei  haben  sich  die  Ver- 
fasser bemüht,  die  ganze  Theorie  und  alle  aus  ihr  abzuleitenden  Folgerungen 
ohne  jede  sogenannte  vereinfachende  Voraussetzung  zu  begründen  und  nur 
solche  Methoden  und  Definitionen  zu  benutzen,  welche  auf  jeden  vorgelegten, 
noch  so  speziellen  Fall  anwendbar  bleiben,  und  zwar  so,  daß  die  verlangten 
Rechnungen  stets  wirklich  ausgeführt  werden  können. 

Autographierte  Vorlesungshefte:  Riemannsche  Flächen,  von 

Geh.  Reg.-Rat  Dr.  F.  Klein,  Professor  an  der  Universität  Göttingen.  Neuer  un- 
veränderter Abdruck  1907.  Heft  1,  254  Seiten  (W.-S.  1891/92);  Heft  2,  262  Seiten 
(S.-S.  1892),  zusammen  M  12.— 

Eine  ausführliche  Darlegung  der  Riemannschen  Grundgedanken  in  entwickelter 
geometrischer  Form,  mit  Anwendung  auf  die  Theorie  der  algebraischen  Kurven, 
insbesondere  der  reellen  algebraischen  Kurven. 


Verlag  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig  und  Berlin 
Über  Riemanns  Theorie  der  algebraischen  Funktionen  und 

Ihre  Integrale.  Eine  Ergänzung  der  gewöhnlichen  Darstellung.  Mit  Figuren. 
Von  Geh.  Reg. -Rat  Dr.  F.  Klein,  Professor  an  der  Universität  Göttingen.  [YIII  u. 
82  S.]    gr.  8.    1882.     Geh.  J^  2.40. 

Abriß  einer  Theorie  der  algebraischen  Funktionen  einer  Ver- 
änderlichen in  neuer  Fassung.  Yen  Or  Hermann  von  Stahl,  Professor  an 
der  Universität  Tübingen.  Nachgelassene  Schrift.  In  Verbindung  mit  Dr. 
E.  Löffler  herausg.  von  M.  Noether.  [IV  u  103  S.]  gr.  8.  1911.  Geh.  JC  5.— 
Das  Buch,  das  als  ein  Vermächtnis  Hermann  Stahls  erscheint,  eröffnet  einige  neue 
Gesichtspunkte  für  das  Studium  der  algebraischen  Funktionen  und  kann  — 
nach  den  einleitenden  Worten  des  Verfassers  —  als  ein  gemeinsamer  Unterbau 
für  die  verschiedenen  bisher  entwickelten  Theorien  der  algebraischen  Funk- 
tionen einer  Veränderlichen  betrachtet  werden.  Obwohl  es  nämlich,  nach  dem 
Vorgange  von  Christoffel  und  Fields,  von  der  additiven  Zusammensetzung 
der  Funktionen  aus  algebraischen  Partialbrüchen  ausgeht,  führt  es  doch  zu- 
gleich in  die  übrigen  Theorien  —  von  Riemann,  von  Weierstraß,  vonßrill- 
Noether,  von  Dedekind-Weber  und  Hensel-Landsberg  —  ein. 

Theorie  der  Abelschen  Funktionen,  von  Dr.  Hermann  von  stahi, 

Prof.  a.  d.  Universität  Tübingen.   Mit  Fig.  [Xu.  354  S.]   gr.  8.  1896.  Geh.  Jri2.— 

Das  vorliegende  Werk  soll  im  großen  und  ganzen  eine  Darstellung  von  Rie- 
manns Theorie  der  Abelschen  Funktionen  geben  mit  Einfügung  dessen,  was 
durch  neuez-e  Forschungen  zu  dieser  Theorie  hinzugekommen  ist.  Der  erste 
Teil  behandelt  in  vier  Abschnitten  die  algebraische  Grundgleichung,  die  ratio- 
nalen Funktionen,  die  Abelschen  Integrale  und  die  eindeutige  Transformation, 
der  zweite  Teil  in  vier  weiteren  Abschnitten  die  Thetafunktion,  die  Lösung  des 
Umkehrproblems,  allgemeine  Darstellungen  durch  die  Thetafunktion  und  die 
lineare  Transformation  der  Thetafunktiouen. 

Lehrbuch  der  ThetafunktiOnen.  von  Geh.  Hofrat  Dr  A.  Krazer,  Pro- 
fessor an  der  Technischen  Hochschule  zu  Karlsruhe.  Mit  10  Figuren.  [XXIV 
u.  512  S.]     gr.  8.     1903.     In  Leinwand  geb.  JC   24.— 

Das  vorliegende  Buch  enthält  die  wichtigsten  Sätze  und  Formeln  aus  der  Theorie 
der  Thetafunktiouen  einheitlich  zusammengefaßt  und  so  vollständig,  als  es  ohne 
Überschreitung  eines  mäßigen  Umfangs  möglich  schien,  um  auf  diese  Weise 
einerseits  dem  Leser  einen  Überblick  über  den  gegenwärtigen  Stand  dieser 
Theorie  zu  verschaffen,  andererseits  aber  demjenigen,  dessen  Arbeiten  das  Gebiet 
der  Thetafunktionen  berühren,  die  ihm  nötigen  sachlichen  und  literarischen 
Hilfsmittel  an  die  Hand  zu  geben. 

Vorlesungen  über  ausgewählte  Gegenstände  der  Geometrie. 

Von  Dr.  Eduard  Study,  Professor  an  der  Universität  Bonn.     In  Heften. 
I.  Heft:   Ebene   analytische   Kurven    und   zu    ihnen    gehörige   Abbildungen.     Mit 
9  Figuren.     [IV  u.   126  S.]     gr.  8.     1911.     Geh.  JC.  4.80. 

IL  Heft:  Konforme  Abbildung  einfach  zusammenhängender  Bereiche.  Heraus- 
gegeben unter  Mitwirkung  von  Dr.  W.  B 1  a  s  c  h  k  e ,  Professor  an  der  Technischen 
Hochschule  in  Prag.   Mit  43  Figuren.   [VI  u.  142  S.]    gr.  8.   1913.   Geh.  ./<(  5.60. 

Das  erste  Heft  bringt  einen  Ausschnitt  aus  einem  Gedankenkreis,  der  etwa  als 
Geometrie  im  komplexen  Gebiet  bezeichnet  werden  kann.  Das  zweite 
Heft,  das  für  sich  ein  Ganzes  bildet  und  vom  ersten  unabhängig  ist,  handelt  von 
der  konformen  Abbildung  einfach  zusammenhängender  Bereiche,  besonders  kon- 
vexer Bereiche;  es  wird  diese  Theorie  in  Verbindung  gebracht  mit  der  Theorie  der 
sogenannten  monotonen  Funktionen  einer  reellen  Veränderlichen. 


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^^^  Die  Idee  der  Riemannscher 

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